Dieser Text basiert auf einem Artikel
für die PRO BAHN Post Mai 2024.
Bearbeitungsstand: 3.4.2024

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Generalsanierung von Bahnstrecken – ein paar Gedanken

Warum brauchen wir eine General­sanierung mit mehrmonatigen Sperrungen wichtiger Bahnstrecken?

Das deutsche Bahnnetz ist über­lastet. Die Verkehrs­leistung hat immer weiter zugenommen. Die dafür notwendige Erweiterung des Bahnnetzes wurde verpasst. Der Ausbau und Neubau von Bahnstrecken geht viel zu langsam. Die Politik hat versagt, die DB als Netz­betreiber hat es mehr oder weniger still­schweigend hingenommen. Die Abnutzungs­effekte im Netz wurden damit immer größer, die Häufigkeit von Instand­setzungs­maß­nahmen nimmt immer weiter zu. Die General­sanierung soll hier als Befreiungs­schlag wirken und zu einem von Bundes­verkehrs­minister und DB-Chef als "Hoch­leistungs­netz" bezeichneten Zustand führen.

Wo wird generalsaniert?

DB und Bund haben insgesamt 40 Strecken­abschnitte mit mehr als 4000 Kilometern Länge festgelegt. Im Sommer geht es mit der Riedbahn zwischen Mannheim und dem Rhein-Main-Gebiet los. 2025 sind zwei Strecken geplant, 2026 dann fünf – unter anderem die rechte Rhein­strecke zwischen Wiesbaden und Troisdorf (in zwei Abschnitten) sowie Nürnberg – Passau (ebenso in zwei Etappen). 2027 sollen sieben Strecken general­saniert werden, dabei ist auch München – Salzburg (zweigeteilt). 2028 plant man die Sanierung von neun Strecken­abschnitten, darunter die linke Rhein­strecke (in zwei Abschnitten) und Würzburg – Nürnberg. 2029 sind dann sieben weitere Strecken dran, und 2030 stehen zum vorläufigen Abschluss noch einmal neun Strecken auf dem Programm.

Man kann nun glauben, dass die DB diesen Zeitplan einhält oder auch nicht. Die Münchner Erfahrungen mit zweiter Stamm­strecke und dem Stellwerk am Ostbahnhof sprechen für sich.

Generalsaniert – und dann?

Beim Unternehmen General­sanierung kann natürlich einiges schief­gehen. Das Konzept hat viele Risiken: Kann Ersatz­verkehr in aus­reichender Menge über mehrere Jahre hinweg organisiert werden? Bieten mögliche Ausweich­strecken genügend Kapazität, oder müssen noch mehr Zugfahrten ausfallen? Wo soll das nötige Finanzvolumen in Jahren mit fünf und mehr General­sanierungen herkommen? Der Zeitplan wirkt wenig realistisch, insbesondere nach Ende der jetzigen Amtszeit unseres Verkehrs­ministers. Die Zweifel an der nötigen Kapazität der Bauwirtschaft sind berechtigt. Und was passiert danach, wann immer das sein wird? Was passiert mit weiteren Strecken, die nicht im Programm enthalten sind? Auch Strecken wie München – Ingolstadt oder Köln – Rhein/Main unterliegen der geschil­derten Problematik.

DB-Grafik: Hochleistungsnetz bis 2030, 'Strecken und Streckenabschnitte mit guter bis sehr guter Qualität', Deutschlandkarte mit drei Streckenkategorien
Quelle: https://bauprojekte.deutschebahn.com/p/generalsanierung-hochleistungsnetz

Die Verkehrs­dichte und damit die Abnutzung nehmen weiter zu – auch auf den general­sanierten Strecken. Gehen wir nach dem Ende der garantierten Baufreiheit dort wieder zur Instand­setzung unter rollendem Rad und den ungeliebten häufigen kleineren Sperrungen über? Oder folgt irgendwann nach 2030 ein zweites General­sanierungs­programm? Und später ein weiteres? Käme es so, würde dies für das deutsche Bahnnetz eine endlose Reise nach Jerusalem bedeuten. Permanent ständen eine, oft auch zwei oder drei wichtige Bahn­strecken gar nicht oder nur mit stark verminderter Kapazität zur Verfügung.

Bauen statt Sanieren?

Wie könnte man einen solchen Zyklus von erhöhter Abnutzung und kaum hin­nehm­baren Sanierungs­phasen auf hoch­belasteten Strecken aufbrechen? Die Antwort wäre eigentlich: Indem man die Ursachen beseitigt. Wie beschrieben sind die Ursachen die starke Verkehrs­zunahme und die zu geringe Zahl von Neu- und Ausbau­maß­nahmen im Schienennetz in den letzten Jahrzehnten. Es müssten also verstärkt Bahn­strecken für höhere Kapazität ausgebaut werden, und es müssten so schnell wie möglich auch neue Strecken gebaut werden. Digitali­sierung, ETCS oder andere Formen verbesserter Zug­sicherung sind ebenfalls Maßnahmen, mit denen die Kapazität gesteigert werden kann. Aber eine Abnutzungs­verminderung findet dadurch im Kern nicht statt – hier helfen nur zusätzliche Schienen und Weichen. Trotzdem ist eine Modernisierung der gesamten Bahn­elektronik natürlich dringend nötig.

Letztlich heißt die Lösung aber: Sanieren und bauen! Parallel zur General­sanierung, mit der der bestehende Sanierungs­rück­stand aufgeholt werden soll, müssen neue Strecken gebaut werden und Strecken mehrgleisig ausgebaut werden, damit ein solcher Rückstand nicht immer wieder auftritt.

Alles gleichzeitig – geht das überhaupt?

Eine solche Lösung setzt allerdings voraus, dass sich die Politik zu Neu- und Ausbau­strecken bekennt, und die Finanzierung dafür bereit­stellt. Das ist aber zurzeit nicht erkennbar. Einer­seits gibt es die bekannten örtlichen Widerstände nach dem Motto "not in my backyard" (Nimby), an die sicher leider sehr viele Politiker – von Rosen­heim bis zum Heidekreis – mit Freude anhängen. Anderer­seits ist die Infra­struktur­finanzierung mal wieder zusammen­gebrochen. Nachdem das Verfassungs­gericht den Klima- und Trans­formations­fonds (KTF) gestutzt hat, fehlen Milliarden für die Finan­zierung der Schiene. Vorhandene Finanzierungs­instrumente reichen nicht, um die Unsicher­heiten zu beseitigen. Entsprechend hat die DB Sparmaß­nahmen ergriffen, die sie beschönigend "Reprio­risierung" nennt. Dabei sollen die Bahn­planungen zwar nicht gestoppt, aber darauf ausgerichtet werden, dass deutlich später gebaut wird. Der Spiegel titelte Anfang Februar: "Der Kahl­schlag".

Unklar ist überdies, woher die Planungs- und Bau­kapazi­täten kommen sollen, um parallel Strecken zu sanieren und an anderer Stelle den zügigen Strecken­ausbau vorzunehmen. Für die Jahre mit fünf und mehr General­sanierungen wird auch angezweifelt, dass die DB ein solches Bauvolumen und die zugehörigen Ersatz­fahr­pläne überhaupt umsetzen kann. Ebenso ist zweifelhaft, ob der Hochlauf der General­sanierungen in der geplanten Form finan­zierbar ist. Zeitliche Streckung, Verschie­bungen und Einsparungen sind sicher nicht ausgeschlossen. Dass der Bund in der Lage und willens ist, darüber hinaus auch einen beschleu­nigten Bahnneu- und -ausbau zu finanzieren, ist eine fast utopische Erwartung. Ideen zu neuen, fonds­basierten Finanzierungs­modellen als Alternative zum KTF wurden von der Politik erst spät aufgegriffen. Zurzeit weiß niemand, ob, wann und in welchem Umfang sie wirksam werden könnten.

Bahnfiasko ohne Ende?

Fazit: Nichts wird ganz gestoppt (hoffentlich), aber alles dauert länger. Neu- und Ausbau­strecken sowieso, aber auch für die pünktliche Durch­führung der General­sanierung gibt es nur wenig Evidenz. Damit schreiben wir aber den momen­tanen Zustand fort: Das Bahnnetz wird weiterhin nicht ausreichend mit der Verkehrs­zunahme mitwachsen, die verstärkte Abnutzung ist mit klassischer Instand­haltung unter rollendem Rad praktisch nicht aufzufangen, wir laufen in eine viele Jahre dauernde Ära langer Sperrpausen hinein.

Das bedeutet aber auch viele Jahre Angebots­verschlech­terung, viel auf die Straße verlagerten Verkehr – Ersatzbusse und noch mehr LKW statt Güter­züge – sowie zusätzliche Probleme auf den wenigen Ausweich­strecken. Wie die Liste der zu sanierenden Strecken irgendwann kürzer statt länger werden soll, ist nicht erkennbar. Einem zukünftigen Verkehrs­minister fällt die schöne Aufgabe zu, zu erklären, wie sein Nachfolger das Problem lösen kann. Bis dahin werden sich viele Planer damit beschäftigen, Autobahnen zu verbreitern, und alte Straßen­brücken durch neue zu ersetzen.

Edmund Lauterbach

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