Bearbeitungsstand: 9.10.2001 |
Querverweise:
Stellungnahme von PRO BAHN zur vergleichenden Untersuchung Ausbau S- Bahn-Südring / 2. S-Bahn-Tunnel
– 2. überarbeitete Fassung –
Bezug: Beschlußvorlage des Referats für Stadtplanung und Bauordnung für die Ausschußsitzung am 10. Oktober 2001
PRO BAHN setzt sich nachdrücklich für eine Beibehaltung des Planungsziels S-Bahn-Südumfahrung ein. Ein zweiter S-Bahn-Tunnel
- löst die vorhandenen Probleme der S-Bahn-Stammstrecke deutlich schlechter,
- ist als Umleitungsstrecke in Störfällen ungeeignet,
- führt zu Nachteilen für die S-Bahn-Fahrgäste,
- erhöht den Druck auf die Münchner Innenstadt.
Im Folgenden gehen wir auf einige Problembereiche und Zielsetzungen der genannten Projektalternativen ein.
Umbau Ostbahnhof
Die Situation am Münchner Ostbahnhof wird an so vielen Stellen in der Beschlußvorlage erwähnt, daß sie offensichtlich einen – wenn nicht sogar den – entscheidenden Anteil an der Entscheidungsfindung hat.
So wird mehrfach dargelegt, daß für die Südumfahrung ein kompletter Umbau des Ostbahnhofs notwendig sei. Die dadurch anfallenden Kosten haben wesentlichen Anteil an der Kostenschätzung für die Südumfahrung.
Dagegen wird beim 2. S-Bahn-Tunnel davon ausgegangen, daß keine oder vernachlässigbare Kosten für Umbaumaßnahmen am Ostbahnhof entstehen.
Eine solche Feststellung ist aus Sicht von PRO BAHN absolut unerklärlich. Die Gründe:
- Wie auch in der Beschlußvorlage festgestellt wird, ist die Gleisinfrastruktur des Ostbahnhofs den Anforderungen des aktuellen Betriebs von S-Bahn, Regional- und Fernzügen schon heute nicht mehr angemessen.
Ein Umbau des Ostbahnhofs ist daher in jedem Fall sinnvoll und wünschenswert. Die Kosten hierfür dürfen aber einer Maßnahme wie dem Ausbau der Südumfahrung für die S-Bahn nur zu einem kleinen Teil angerechnet werden.
Unter anderem deshalb halten wir die genannte Summe für den Südringausbau für zu hoch und nicht vergleichbar mit den genannten Kosten für den Bau eines 2. S-Bahn-Tunnels.
- An verschiedenen Stellen der Beschlußvorlage wird ein angeblicher betrieblicher Vorteil des 2. S-Bahn-Tunnels darin gesehen, daß Züge Richtung Giesing am Ostbahnhof nicht mehr wenden müssen. Dies ist zwar richtig; die zweite Schlußfolgerung daraus ist aber, daß alle Züge die durch den zweiten Tunnel zum Ostbahnhof geführt werden und nicht Richtung Giesing weiterfahren, am Ostbahnhof Kopf machen oder dort enden müssen. Zur Zeit verkehren 2 von 7 Linien Richtung Giesing.
Ein Wenden von Zügen am Bahnsteig in der Relation Ostbahnhof – Leuchtenbergring bringt keinerlei Vorteil gegenüber dem jetzigen Wenden Richtung Giesing. Im Gegenteil: Wegen der "Spiegelung" der Linien S2 und S7 am Ostbahnhof wird zwischen dort und südlich von Giesing im Linksverkehr gefahren. Dies wäre Richtung Leuchtenbergring dann auch notwendig, was als Folge zusätzliche Gleise und ein neues Überwurfbauwerk auf diesem Abschnitt erfordern würde.
Eine Wende- und Abstellanlage für am Ostbahnhof endende Züge existiert zur Zeit nur am Nordostkopf des Ostbahnhofs und ist vom 2. Tunnel aus nicht erreichbar. Am Südwestkopf des Ostbahnhofs ist unserer Meinung nach kein Platz für eine solche Wende- und Abstellanlage.
Eine Führung von Zügen aus dem zweiten Tunnel Richtung Leuchtenbergring über einen separaten Abzweig lehnt PRO BAHN ab. Der zweite Tunnel hat in der vorgeschlagenen Variante schon so viele Nachteile bezüglich Umsteigebeziehungen, daß ein Umfahren des wichtigen Knotens Ostbahnhof mit Anschluß zu Regional- und Fernzügen und zur U5 nicht hinzunehmende strukturelle Nachteile bringt. Ein störungsfreier Betrieb eines Tunnelabzweigs zum Leuchtenbergring wäre auch nur mit einem unterirdischen Bauwerk möglich, das niveaugleiches Kreuzen von Gleisen ausschließt und entsprechend hohe Investitionssummen benötigt.Aus den genannten Gründen sind für die Einführung eines zweiten S-Bahn-Tunnels in den Ostbahnhof erheblich größere Umbaumaßnahmen notwendig, als bisher diskutiert. Desweiteren wirken sich die für den Südringausbau notwendigen Maßnahmen am Ostbahnhof auch positiv für Regional- und Fernzüge aus. Der zweite Tunnel bedeutet aber entweder einen teilweisen Verzicht auf Nutzung des Umsteigeknotens Ostbahnhof oder aber eine starke Verlagerung der Nutzung der vorhandenen räumlichen Ressourcen zum Nachteil von Regional- und Fernverkehr.
Betriebskonzepte
In der Beschlußvorlage wird von einem Betriebskonzept Südumfahrung ausgegangen, bei dem in der Hauptverkehrszeit (HVZ) Verstärkerlinien den Südring nutzen, während zu anderen Tageszeiten lediglich ein Pendelverkehr Ostbahnhof – Pasing über den Südring verkehrt.
Wenn man die Entwicklung des S-Bahn-Netzes perspektivisch fortschreibt, ist aus heutiger Sicht ein solches Konzept zu kurz gegriffen. Es zeichnet sich ab, daß auf bestimmten Abschnitten von Außenästen ganztägig Bedarf für zwei Linien besteht. Genannt seien hier beispielsweise eine Trennung der S1 in zwei eigenständige Linien nach Freising und zum Flughafen, eine vollwertige S-Bahn-Linie A von München nach Altomünster, oder ein durchgängiger S-Bahn-Betrieb zwischen München und Augsburg. Damit bietet sich aber ein Konzept für den Südring an, daß über einen Pendelverkehr außerhalb der HVZ hinausgeht.
Beim Betriebskonzept für den 2. S-Bahn-Tunnel wird in erster Linie erwähnt, daß komplette Linien über ihn geführt werden sollen, und daß er sich für die Linien anbietet, die ab Ostbahnhof Richtung Giesing verkehren.
Die Frage, was mit den nicht über Giesing verkehrenden Linien geschieht, wurde oben bereits angesprochen. Wenn man für diese Linien eine Verknüpfung zum städtischen Nahverkehr am Ostbahnhof anstrebt – und dies ist aus Sicht von PRO BAHN zwingend notwendig – müßten diese Linien mit den angesprochenen Problemen am Ostbahnhof kopfmachen. Da eine Wendeanlage am Südwestkopf des Ostbahnhofs unmöglich erscheint, ließe sich dies nur mit deutlich mehr Bahnsteiggleisen lösen.
Als Alternative zu Abstellgleisen am Ostbahnhof käme noch die Führung von bisher am Ostbahnhof endenden Zügen bis Giesing in Frage. Für beide Fälle wurden aber bisher die dadurch entstehenden Investitionskosten und der notwendige Platzbedarf nicht betrachtet. Außerdem hätte eine Führung von mehr Zügen bis Giesing eine Erhöhung der Kilometerleistung im S-Bahn-System zur Folge. Dies wird aber in bezug auf die oben erwähnten Pendelzüge außerhalb der HVZ bei der Südumfahrung als kostensteigernd bezeichnet.
Läßt man alle Linien, die nicht über Giesing verkehren, durch den bestehenden S-Bahn-Tunnel fahren, führt dies zu einer asymmetrischen Auslastung der beiden Tunnelstrecken. Außerhalb der Hauptverkehrszeiten verblieben dann lediglich 6 Züge pro Stunde im neuen Tunnel. Ein 10-Minuten-Takt ist für eine innerstädtische Tunnelstrecke jedoch wenig attraktiv. Als Folge würde die überwiegende Zahl der Innenstadtbesucher den alten Tunnel ansteuern, müßten sich aber auf weniger Züge aufteilen, als dort zur Zeit verkehren. Eine Lösung wären zusätzliche Pendelzüge durch den neuen Tunnel zwischen Pasing einerseits und Giesing (oder Leuchtenbergring) andererseits. Die dadurch entstehenden Kosten durch Ausweitung der Kilometerleistung im S-Bahn-System müssen dann aber – wie es beim Südring gemacht wurde – teilweise zu Lasten der Tunnelvariante in die Untersuchungen einfließen.
Auswirkungen von Betriebsstörungen
Die Auswirkungen von Betriebsstörungen zu mindern ist neben der Kapazitätsausweitung der Hauptgrund für eine zweite Stammstrecke – für viele S-Bahn-Fahrgäste sogar der wichtigste Grund. Eine Störung auf der S-Bahn-Stammstrecke führt heute zu erheblichen Problemen im S-Bahn-Betrieb meist bis in den Abend oder sogar den nächsten Vormittag hinein.
Bei einem Störfall im bestehenden S-Bahn-Tunnel würden bei einem ausgebauten Südring ca. 30 Züge pro Stunde über die Südumfahrung geleitet. Die restlichen 12 Züge können über die Sendlinger Spange abgeleitet werden oder im Hauptbahnhof oberirdisch enden. Von der Südumfahrung besteht Umsteigeverbindung zu allen U-Bahn-Linien, so daß die Fahrgäste alle Ziele in- und außerhalb der Innenstadt erreichen können.
Gibt es statt Südumfahrung den zweiten S-Bahn-Tunnel, entsteht ebenfalls das oben genannte Verhältnis von etwa 30 Zügen im neuen Tunnel zu ca. 12 Zügen auf der Sendlinger Spange oder im Hauptbahnhof. Mit einer stärkeren Auslastung des neuen Tunnels potenzieren sich aber die Probleme am Ostbahnhof:
- Nur die Züge Richtung Giesing können problemlos weiterfahren.
- Ein Wenden Richtung Leuchtenbergring verbietet sich bei erhöhter Belastung im Störfall noch viel mehr.
- Eine Nutzung eines Tunnelabzweigs zum Leuchtenbergring aus zwei Gründen abzulehnen:
- Entweder der Abzweig ist nur für den Störfall vorgesehen. Dann ließe er sich kostengünstig erstellen, da die geforderte Kreuzungsfreiheit unnötig wäre. Als Folge könnten dann aber entweder alle Züge zum Ostbahnhof (Normalfall) oder alle Züge zum Leuchtenbergring (Störfall) verkehren. Im Störfall keinen Zug von der Stammstrecke zum Ostbahnhof fahren zu lassen, würde aber in einem Chaos enden.
- Im Störfall auch nur etwa die Hälfte der Züge nicht über Ostbahnhof zu führen kann nicht Sinn eines vernünftigen Störfallkonzepts sein. Für die Fahrgäste aus Richtung Osten ist bei einer Stammstreckenstörung der Ostbahnhof der wichtigste Umsteigepunkt zu Trambahn und U-Bahn. Andererseits steigen aus den Regionalzügen viele Fahrgäste am Ostbahnhof in die S-Bahn. Eine am Leuchtenbergring in den neuen Tunnel abzweigende S-Bahn soll aber noch nicht einmal am Max-Weber-Platz halten, so daß auch dort kein Umsteigen auf Tram oder U-Bahn oder eine Erreichen der Stadtviertel rechts der Isar möglich ist.
- Umgekehrt muß bei einem Störfall im neuen Tunnel die existierende Stammstrecke mehr Verkehr aufnehmen. Von dort ist aber nach Realisierung des zweiten Tunnels ein Fahren Richtung Giesing nicht mehr möglich. Der heute existierende Linksverkehr wäre dann mit allen baulichen Konsequenzen auf den normalen Rechtsverkehr umgestellt und könnte auch nicht kurzfristig reaktiviert werden.
Aus den aufgezeigten Gründen ist ein Störfallkonzept unter Benutzung des zweiten S-Bahn-Tunnels zur Zeit nicht vorhanden und auch nicht absehbar. Damit entfällt einer von zwei Gründen für eine zweite Stammstrecke komplett.
Umsteigewege und Bahnhofszugänge
Aus Sicht von PRO BAHN besonders bedenklich ist, daß die Auswirkungen eines zweiten S-Bahn-Tunnels auf die Fahrgäste offensichtlich kaum bedacht wurden. Dies ist eigentlich nicht weiter verwunderlich, da laut Punkt 2.3 der Beschlußvorlage die "inhaltlichen Abstimmungen" in einem Arbeitskreis erfolgten, dem zwar viele Institutionen angehörten, von denen allerdings keine die Interessen der unmittelbar Betroffenen, nämlich der Fahrgäste, vertritt.
Das Ergebnis ist dann ein 2. S-Bahn-Tunnel, der
- zumindest bei Variante A kein Umsteigen an der Donnersbergerbrücke erlaubt,
- am Hauptbahnhof lange Umsteigewege entstehen läßt,
- im Bereich Stachus/Lenbachplatz keinerlei Umsteigen zu Trambahn und U4/5 ermöglicht,
- am Max-Weber-Platz ebenfalls nicht die U4 und U5 erreicht und den Fahrgästen keinerlei Möglichkeit gibt, zur Trambahn-Osttangente umzusteigen,
- einen Teil der Züge den Knoten Ostbahnhof umfahren läßt.
Dieses Ergebnis ist für die Innenstadt absolut unzureichend, bindet die innenstadtnahen Stadtteile rechts der Isar so gut wie überhaupt nicht an und mutet insgesamt den Fahrgästen längere Wege zu.
Die S-Bahn-Südumfahrung ist so konzipiert, daß sie Umsteigebeziehung zu allen U-Bahn-Linien erlaubt. Dies war vor dem Konzept für den zweiten Tunnel immer als Mindestanforderung an eine zweite S-Bahn-Stammstrecke betrachtet worden.
Zur bautechnischen Machbarkeit kann PRO BAHN wenig sagen. Im Innenstadtbereich sehen wir zwei Möglichkeiten:
- Entweder man unterfährt die vorhanden U-Bahn-Strecken. Dann entstehen aber durch die große Tieflage lange Zugangswege und eine unerwünschte Abhängigkeit von technischen Zugangshilfen (Aufzüge, Rolltreppen). Dies hat erhöhte Betriebskosten, eine größere Störanfälligkeit und vermehrte Sicherheitsprobleme zur Folge.
- Oder man baut den Tunnel in einer dem existierenden S-Bahn-Tunnel vergleichbaren Tieflage. Dann stellt sich die Frage, ob wegen der geringen Überdeckung ein bergmännischer Vortrieb überall möglich ist. Eine offene Bauweise im Innenstadtbereich würde aber auf Jahre hinaus unerträgliche Belästigungen mit sich bringen.
Auswirkungen auf den Innenstadtbereich
Die Münchner Innenstadt ist in vieler Hinsicht heute bereits überlastet. Der Charme einer Südring-Lösung für die zweite Stammstrecke lag immer auch darin, daß etwas Druck vom Altstadtbereich weggenommen wird und im Sinne der Stadtentwicklung dezentralere Strukturen gefördert werden.
Ein zweiter S-Bahn-Tunnel erhöht den Druck auf die Innenstadt auf mehrfache Weise. Eine wünschenswerte Verlagerung von Umsteigevorgängen aus dem Innenstadtbereich hinaus findet nicht statt. Der einzige Umsteigepunkt am zweiten Tunnel, der eine ähnliche Qualität wie die Umsteigepunkte des existierenden Tunnels hat, ist der Marienhof. Damit wird aber ausgerechnet der heute schon am stärksten belasteten U-Bahn der Hauptteil des durch Umsteigen induzierten Mehrverkehrs zugemutet.
Heute erreicht man das Sendlinger Tor aus Richtung Westen durch Umsteigen am Hauptbahnhof auf die U1/2. In Zukunft werden sich viele Fahrgäste im zweiten S-Bahn-Tunnel wegen der langen Wege am Hauptbahnhof für Umsteigen in die U3/6 am Marienhof entscheiden. Zum Odeonsplatz steigt man heute am Stachus oder Ostbahnhof um. Ein Zug der auf der Relation Leuchtenbergring – Marienhof – Hauptbahnhof verkehrt, erlaubt beides nicht.
Eine notwendig werdende Kapazitätsausweitung auf der U3/6 – die eventuell schon durch einen Stadionbau in Fröttmaning erhöhte Lasten tragen muß – erzeugt Kosten, die zum Teil den Kosten eines zweiten S-Bahn-Tunnels zugerechnet werden müssen. Dies ist aber in der Untersuchung nicht geschehen.
Perspektiven
Wichtigste Perspektive für die Fahrgäste ist, daß die zweite Stammstrecke bald kommen muß. Ein Störfall im Tunnel am Vormittag hat heute Auswirkungen für den Rest des Tages. Störfälle am späten Nachmittag oder später wirken sich aufgrund Zug- und Personalumlauf sowie veränderter Abstellpositionen der Züge bis in den Folgetag hinein aus. Diese Zustände sind untragbar.
Wir brauchen eine vernünftige Lösung so bald wie möglich und nicht eine noch dreimal nachzubessernde Tunnellösung in 25 Jahren (wobei sicher auch alle Nachbesserungen mit Kostensteigerungen verbunden sind).
In Punkt 9 der Beschlußvorlage ist ganz am Ende von einer "Überleitverbindung" zwischen Sendlinger Spange und bestehendem DB- Südring die Rede, die im zeitlichen Vorlauf zu einem 2. S-Bahn-Tunnel zu realisieren sei. Aus Sicht von PRO BAHN steckt hierin eine Perspektive für die zeitgerechte Verwirklichung einer zweiten Stammstrecke. Im Gegensatz zum Tunnel kann ein Südringausbau nämlich in Teilabschnitten erfolgen und so sukzessive S-Bahn-Verkehre aufnehmen. Wenn man den Südring zunächst in den weniger problematischen Abschnitten ausbaut, kann mit einer Realisierung deutlich früher begonnen werden, als bisher angegeben. Eine solche "Südring-light"-Lösung würde die Zeit bis zur Vollendung des Vollausbaus überbrücken und könnte die ärgsten Probleme bei Störfällen im existierenden Tunnel abfangen.
© Edmund Lauterbach –
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