Dieser Text basiert auf einem Artikel
für die PRO BAHN Post April 2001.
Bearbeitungsstand: 25.3.2001
  Zweiter S-Bahn-Tunnel: Fahrgastinteressen zu wenig beachtet
Tunnel ohne Fahrgäste?

Die Süddeutsche Zeitung machte vor einigen Tagen erste Ergebnisse einer Studie bekannt, die sich mit der Schaffung einer zweiten Stammstrecke für das Münchner S-Bahn-System befaßt. Die neue Studie sieht leichte Vorteile für einen Tunnel im nördlichen Bereich der Münchner Innenstadt gegenüber einer S-Bahn-Trasse auf der existierenden Eisenbahn-Südumfahrung.

PRO BAHN hat schon vor 15 Jahren den Ausbau der Südumfahrung für die S-Bahn gefordert. Durch die jahrelange Untätigkeit der Verantwortlichen hat sich seitdem die Stammstrecke zum größten Hindernis im Münchner S-Bahn-Netz entwickelt. Die Gründe, warum PRO BAHN Vorteile für die Südumfahrung gegenüber einem Tunnel sieht, sind:

  • geringere Ausbaukosten,
  • schnellere Realisierbarkeit,
  • sehr gute Verknüpfung zu allen U-Bahn-Linien,
  • positiver Einfluß auf die Verkehrsstrukturen (Abbau der Zentralisierung),
  • Aufwertung der Wohn- und Gewerbegebiete im Bereich der Südumfahrung.

Die neue Studie sieht folgende Vorteile für einen zweiten Tunnel:

  • der Umbau am Ostbahnhof sei weniger aufwendig als bei der Südumfahrung,
  • Anwohnereinsprüche und -klagen gegen den Bau der Südumfahrung seien wahrscheinlicher als bei einem Tunnelbau,
  • die Baukosten könnten durch Reduzierung der Zahl der Bahnhöfe gesenkt werden.

Aus Sicht von PRO BAHN ist keines der Argumente uneingeschränkt stichhaltig.

Bei der vorgeschlagenen Nordeinführung eines Tunnels in den Ostbahnhof ergibt sich eine Betriebsvereinfachung, da die bisher dort Kopf machenden S-Bahnen Richtung Giesing für diesen Tunnel prädestiniert sind. Für diese Linien entfällt dann der Zwang zum Kopfmachen. Nach Ausbau der S2 werden bis zu 9 S-Bahnen pro Stunde vom Ostbahnhof Richtung Giesing fahren. Zur Auslastung eines zweiten Innenstadttunnels ist dies bei weitem zu wenig. Also muß der Tunnel von weiteren Linien benutzt werden, die im Münchner Osten enden. Dazu braucht es aber eine Wende- und Abstellanlage, für die am Südkopf des Ostbahnhof kein Platz ist. Eine solche Anlage kann man beispielsweise in Giesing schaffen. Die Kosten hierfür müssen aber in der Tunnelkalkulation berücksichtigt werden.

Eine S-Bahn-Südumfahrung erlaubt am Ostbahnhof prinzipiell die bestehende Wende- und Abstellanlage weiter zu nutzen. Die Kapazität dieser Anlage wird aber bei jeder Ausweitung des S-Bahn-Betriebs, egal ob durch Tunnel oder Südumfahrung, nicht mehr ausreichen. PRO BAHN hat daher vorgeschlagen, endende Züge bis Leuchtenbergring zu fahren und dort oder im S-Bahn-Betriebswerk Steinhausen zu wenden.

Daß die Autoverladung am Ostbahnhof aufgrund der Südumfahrung verlagert werden müßte, wird von PRO BAHN angezweifelt. Selbst wenn dies geschehen müßte, würde sich hierfür wohl ein verträglicher und verkehrsgünstiger Standort beispielsweise am Güternordring finden.

Ebenfalls zu hinterfragen ist, wie sich ein jahrelanger Tunnelbau in der Innenstadt wirklich auswirkt. Der Tunnel kreuzt am Lenbachplatz die Strecke der U4/U5 und am Marienhof die U3/U6. Beide U-Bahn-Strecken liegen bereits in ziemlicher Tiefe und ein neuer Tunnel könnte im Prinzip über der U-Bahn errichtet werden. Er würde dann etwa auf dem gleichen Niveau wie die bestehende S-Bahn-Strecke liegen. Dies bedeutet aber auch, daß der Tunnel wohl nicht bergmännisch sondern offen gebaut werden müßte. Die Folgen wären jahrelange Belästigungen und Verkehrseinschränkungen in der Innenstadt mit heute noch unbekannten Folgen zum Beispiel für die Tramlinie 19.

Wird der Tunnel aber unter den genannten U-Bahn-Strecken hindurchgeführt, kommen die neuen S-Bahn-Stationen in eine Tiefe, die entsprechend lange Zugangswege erfordert. Schon allein dieser Fakt läßt daran zweifeln, daß ein solcher Tunnel fahrgastfreundlich wäre.

Daß Fahrgastfreundlichkeit aber gar nicht angestrebt wird, erkennt man daran, daß im Innenstadtbereich nur zwei Haltestellen für die S-Bahn geplant sind.

Vom Halt Luisenstraße ist der Hauptbahnhof nur über einen längeren Fußweg erreichbar. Die Station Marienhof würde die einzige direkte Verknüpfung zu einer U-Bahn-Linie schaffen. Alle anderen U-Bahn-Linien sind entweder gar nicht oder nur über Umwege angebunden. Diese Planung paßt überhaupt nicht zur Tatsache, daß ein wesentlicher Teil der S-Bahn-Fahrgäste im Innenstadtbereich in die U-Bahn und die Trambahn umsteigt. Und selbst den Leuten, die die Innenstadt direkt als Ziel haben, ist mit zwei Stationen deutlich schlechter geholfen, als dies beim bestehenden S-Bahn-Tunnel der Fall ist. Entsprechend große Menschenmassen würden an der Donnersbergerbrücke und am Ostbahnhof dann in Züge Richtung alte Stammstrecke umsteigen. Bei der Südumfahrung wird die ohne Zweifel vorhandene City-Ferne durch die sehr guten Verknüpfungen mit allen U-Bahn-Linien ausgeglichen.

Das Argument, weniger Stationen bedeuten kürzere Fahrzeiten, ist hier unangebracht, da es nur für die Minderheit der Fahrgäste wirksam würde, die die Innenstadt ohne Aus- oder Umsteigen durchqueren. Eine "Express-S-Bahn" auf Kosten der wichtigsten und aufkommensstärksten Ziel- und Umsteigestationen kann eigentlich auch wirtschaftlich nicht erfolgreich sein. Die gute Vernetzung, die der ÖV in der Münchner Innenstadt bisher hat, wird leichtfertig aufs Spiel gesetzt.

Ein Tunnel mit Zwischenstationen unter der Arnulfstraße (wo das Gelände des ehemaligen Containerbahnhof bebaut wird), am Hauptbahnhof, am Stachus, in der Maximilianstraße und am Max-Weber-Platz würde aber wohl alle Kostenkalkulationen sprengen. Die Entscheidung wäre dann wohl eindeutig für die Südumfahrung gefallen.

Auch stellt sich die Frage, wie lange die Münchner auf die zweite Stammstrecke noch warten sollen. Ein Südring könnte bereits recht früh in einer "light"-Version in Betrieb gehen und stufenweise auf Vollbetrieb ausgebaut werden. Der Tunnel bringt zunächst einmal nur eine jahrelange Baustelle und erst in ferner Zukunft die dringend benötigte Entlastung und ein Ausweichventil für Störfälle. Und selbst nach Fertigstellung ist er der Südumfahrung in der Kapazität und bei Störungen unterlegen: der Tunnel bringt zwei zusätzliche Stammstreckengleise erst ab Donnersbergerbrücke, die Südumfahrung bereits ab Laim. Der Abschnitt Laim – Donnersbergerbrücke müßte aber auch viergleisig ausgebaut werden, was sich wegen der Einführung der S7 jedoch recht aufwendig gestalten wird.

Insgesamt entsteht der Eindruck, daß die Kosten für den Tunnel künstlich kleingerechnet werden. Anders kann man sich den Verzicht auf Bahnhöfe an so wichtigen Knotenpunkten wie Lenbachplatz/Stachus und Max-Weber-Platz nicht erklären. Der Verdacht, daß ein Tunnel aus Gründen bevorzugt wird, die außerhalb des Systems S-Bahn und der Kostenfragen zu suchen sind, liegt dann nahe. Für viele Verantwortliche hat der Tunnel den Reiz, das schönere Prestigeprojekt zu sein. Und an einigen Stellen wird ein S-Bahn-Tunnel wohl auch nachwievor als Einstieg in ein viel größeres Projekt München 21 verstanden. Solche starken politischen Einflüsse färben dann auch schnell auf die Ergebnisse von Studien ab. Daran, daß der Einfluß der Fahrgäste auf ihre zukünftigen Verkehrsmittel gestärkt wird, arbeitet PRO BAHN.

Querverweise: Mega-Projekt mit fraglichem Nutzen (Januar 2003)
 
Stellungnahme von PRO BAHN zur vergleichenden Untersuchung (Oktober 2001)
 
Neuer S-Bahn-Tunnel besser als Südumfahrung? (A. Barth, Mai 2001)
 

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