München ist bekanntlich extrem experimentierfreudig. So denkt man seit
Jahrzehnten über eine Trambahn durch den Englischen Garten nach, und erfreut
sich so an diesem Gedankenexperiment, dass man darauf in der Realität einfach
verzichten kann. Zum Glück – und zum Wohl der Münchner Stadtspitze
– vermeidet man so auf elegante Weise Konflikte mit der Staatsregierung und
anderen regierunsgparteigesteuerten Einrichtungen.
Auch die sogenannte Sendlinger Spange zwischen Pasing und Harras besteht schon
lange als ein solches Gedankenexperiment, und zum Glück musste bisher niemand
Geld dafür ausgeben, dass am Harras, oder – oh Schreck – gar in
Laim Fahrgäste in die S20 einsteigen können. Das Gedankenexperiment
S-Bahn-Südring hat man 2001 zum Glück durch das Gedankenexperiment
2. S-Bahn-Tunnel ersetzt, was den Vorteil hat, dass man nicht so schnell zur
Realisierung schreiten muss, sondern das Projekt quasi beliebig lange in der
Experimentierphase halten kann.
Man könnte noch viele Beispiele nennen, wo auf diese Weise Konflikte
vermieden wurden und werden: den Ausbau von S-Bahn-Außenstrecken, den
Regionalzughalt an der Poccistraße, und aktuell befindet sich wohl auch die
Trambahn-Westtangente auf dem Weg in eine längere Experimentalphase.
Das neuestes Münchner Experiment nennt sich Expressbuslinie X30. Recht
interessant ist dabei, dass diese Buslinie auf dem Verkehrslinienplan des MVV ein
bisschen so ähnlich wie der Eisenbahn-Südring aussieht. Hätte man
nicht zum Glück irgendwann vergessen, dass man eigentlich irgendwann auch die
S20 am Harras halten lassen wollte, dann könnte man mit Umsteigen zwischen X30
und S20 sogar den S-Bahn-Südring zwischen Ostbahnhof und Pasing simulieren. Da
es sich aber so gefügt hat, dass den S-Bahn-Südring seit mehr als
10 Jahren niemand mehr braucht, weil er zum Glück durch Pläne
für einen zweiten S-Bahn-Tunnel ersetzt wurde, gibt es zum Glück auch
keinen Bedarf für den S20-Halt am Harras.
Etwas nördlich des X30-Linienweges gab es früher auch einmal eine
Trambahn via Goetheplatz zur Silberhornstraße. So etwas braucht natürlich
heute zum Glück und ob der Weisheit unserer Verkehrspolitiker und
Verkehrsplaner auch niemand mehr (wie vieles andere auch). Und weil Fern-, Nah- oder
Expressbusse niemanden stören und sie durch keine Zulassungsbürokratie
gebremst werden, hat sich hier zum Glück eine bequeme Lösung
eröffnet. So gibt es die neue X30 ganz real und nicht nur als
Gedankenexperiment. Da kann man doch zum Glück noch ein bisschen länger
auf fehlende Tramlinien, den S-Bahn-Südring oder andere
Stammstreckenausweichlösungen verzichten.
Und statt einer Tram durch den Englischen Garten wird dieser zum Glück
für alle Fahrgäste mindestens sechsspurig untertunnelt – ein tolles
Potenzial für weitere Expressbusse! Ein ähnliches Tunnelmodell bietet sich
statt Trambahn-Westtangente für die Fürstenrieder Straße an –
sozusagen die U-Bus-Westtangente. Nur mit solch forschen Gedanken kann sich die
Stadt München ihre Experimentierfreudigkeit erhalten – zum Glück
für alle Fahrgäste, die noch ein wenig länger warten dürfen,
bevor sie fahren können, und sich bis dahin an all den schönen Plänen
erwärmen dürfen.
Edmund Lauterbach