Gelungener Hoffmann in Remscheid



www.teo-otto-theater.de

www.theater-solingen.de



Besuchte Vorstellung 24.4.2010






Regie

Igor Folwill

Dirigent

Stephan Wehr

Chor

Horst Meinardus

Bühnenbild

Manfred Kaderk

Kostüme

Angela C. Schuett

Version

Oeser



Hoffmann

Robert Chafin

Muse

Cordelia Weil

Olympia

Elisabeth von Stritzky

Antonia

Hellen Cho

Giulietta

Mine Yücel

Widersacher

Aldo Tiziani






Niklaus und Hoffmann


Niklaus (links), Lutter (stehend), davor Hoffmann


Coppelius und Spalanzani



Fazit Solingen/Remscheid: Ein gut inszenierter, sehr gut gesungener und begleiteter Hoffmann, der weitgehend auf Experimente und erfreulicherweise auch auf die leider sonst so häufigen unverständlichen Bizarrerien verzichtete.

Das Publikum ging gut mit und klatschte an den richtigen Stellen. Gut gefiel mir die Präsenz der Darstellung: Ich fühlte mich als Zuschauer immer nahe am Geschehen. Der Remscheider Hoffmann zeigte einmal wieder, dass auch auf kleinen Bühnen gute Opern aufgeführt werden. Man kann als Opernfreund nur immer wieder dankbar sein, dass man im deutschsprachigen Raum lebt, der eine weltweit einmalig breit gefächerte Musik- und Theaterkultur aufweist.




Trotz der üblichen Internetrecherchen war mir der Hoffmann des Theaters in Solingen entgangen. Premiere war dort am Mittwoch in der Woche zuvor gewesen. (www.theater-solingen.de) Remscheid liegt 12 km von Solingen entfernt, und das Solinger Theater war in die Nachbarstadt gereist, um im dortigen Teo-Otto-Theater zu gastieren. So sah ich also die gleiche Inszenierung in einem anderen Theater. Deshalb hier die Bitte an alle Besucher dieser Seite: Sollte ich unter der Rubrik „Aktuelle Termine und Vorschau" eine kommende Inszenierung nicht erwähnt haben, benachrichtigen Sie mich bitte umgehend, wenn Sie von einer solchen Aufführung hören.


Doch der Besuch in Remscheid war auch nicht schlecht gelegt, denn genau drei Jahre zuvor, am 24. April 2007, war bei mir die Hoffmannie ausgebrochen. Remscheid war nun Inszenierung Nummer 37, Mehrfachbesuche nicht mitgerechnet.


Das Remscheider Theater ist ein moderner Bau mit über 600 Plätzen und nach dem in Remscheid geborenen Bühnenbildner Teo Otto (1904 – 1968) benannt, der 1933 wegen seiner politischen Überzeugungen vor den Nazis in die Schweiz fliehen musste.(http://de.wikipedia.org/wiki/Teo_Otto) Im Orchester zählte ich zwei Kontrabässe und drei Celli. Der Zuschauerraum war zu ungefähr zwei Dritteln besetzt. Naja, es war der erste warme Samstagabend nach einem langen Winter. Eine Ankündigung der Vorstellung in den Schaukästen des Theaters oder ein Hoffmann-Plakat konnte ich nicht sehen.


Vor der Aufführung gab es eine Einleitung durch den Regisseur höchstpersönlich. Vom Typ her erinnerte mich Igor Folwill an seinen Kollegen Waldemar Zawodzinski in Breslau.


Nachdem der Dirigent seinen Platz eingenommen hatte, gab es keinen Applaus, denn die Brüstung vor dem Orchester ist so hoch, dass man seine Ankunft nicht wahrnehmen kann.

Doch das schien ihn nicht verdrossen zu haben, denn mit wunderschön akzentiertem und fast pompösem maestoso begann Jacques Offenbachs vertraute Musik. Die fast leere Bühne ging auf. Hoffmann lag dahingestreckt da, und aus einem hereinrollenden Fass stieg, getreu dem Libretto, die Muse, die sich gleich vorteilhaft präsentierte. Sie trug einen Regenmantel. Mit schön kultivierter und modulierter frischer Stimme stellte sie sich und die Lage Hoffmanns vor. Das war doch gleich ein gelungener Auftakt. Die Akustik im Haus ist übrigens ausgezeichnet, und das Orchester spielte lebhaft nuanciert und präzise. Ich möchte gleich hier vorausschicken, dass das den ganzen Abend lang so blieb. In Remscheid wurde deutsch gesungen.


Dann erwachte Hoffmann. Ein großer, kahlköpfiger Kerl in einem langen Mantel stand auf. Robert Chafin aus den USA war mir schon als Hoffmann aus der Inszenierung von Hannover des Jahres 2007 bekannt.


Von Bühnenhimmel herab senkte sich ein Kleiderbügel mit den männlichen Textilien für die Muse. Im Bühnenhintergund ging eine Kulisse auf, und Lindorf mit einem weinrot gekleideten Pagen wurde sichtbar. Lindorf war gekleidet wie ein Grandseigneur aus der Belle Epoque und bedrohte den armen Pagen mit einer Pistole, um an Informationen über Stella und deren Brief zu kommen.


Dann wurde die Bestuhlung von Lutters Kneipe aufgebaut. Schwungvoll wurden die Trinklieder vorgetragen, und es gab den ersten Applaus des Abends. Während Hoffmann den Klein-Zach vortrug, packte er einen seiner Kumpane und ließ ihn die Bewegungen des hässlichen Zwerges mimen und machte auch selbst dabei mit. Er bekam seinen verdienten Applaus.


In Remscheid gab es kein Zusammenspiel Niklaus – Widersacher, denn Niklaus riss dem Lindorf gleich mal das Toupet vom Kopf. Seinen roten Kummerbund durfte er behalten.


Olympia im Baldachin


Zum Olympia-Akt wurde ein Baldachin mit silbernen Vorhängen hereingebracht. Von hinten führte eine breite Treppe auf diesen Baldachin. Darin ruhte Olympia, auch ganz in Silber mit einigem Glitzer auf ihrem Kleid und dem Tüll-Petticoat, aus dem Lämpchen leuchteten. Schon früh warnte Niklaus ihren Schutzbefohlenen vor dem Automaten in der „Vogelarie“, deren Interpretation mir sehr gut gefiel.


Während der ganzen Oper saßen im Vordergrund links und rechts ein paar Freunde Hoffmanns an Tischen. So wurde die Absicht des Regisseurs verdeutlicht, dass Hoffmann sich bei seinen Erzählungen noch bei Lutter befand und dort seine Geschichten fantasierte. Es kann gut sein, dass E.T.A. Hoffmann einen Teil seiner Erzählungen in Wirtschaften schrieb. Es gibt nicht wenige Belletristen und Litreraten, die zur Anregung ihrer Einfälle die Geräuschkulisse einer Kneipe benützen. Die vorne sitzenden Freunde Hoffmanns mischten sich dann unter die hereinströmenden Festgäste Spalanzanis.


Als Olympia sichtbar wurde, ertönte ein anerkennender Wolf Whistle. Gut wurden die Festgäste als eine affektierte und sensationslüsterne Großstadtschickeria dargestellt.


Olympia


Die ganz in Silberweiß gekleidete und automatenhaft auftretende Olympia trug ihre Arie souverän, locker und mit silberheller Stimme vor. Nach der Vorstellung erfuhr ich, dass die Sängerin noch Opernschülerin ist und dies ihr Rollendebut war. Da kann man ihr nur viele weitere Erfolge wünschen und anmerken, dass sich Schüler oft viel mehr anstrengen als Bühnenroutiniers. Immer wenn sie schwächelte, versetzte ihr Cochenille mit der Harfe einen Klaps auf den Hintern, der die gewünschte Wirkung erzielte. Spalanzani beobachtete die Vorgänge auf dem Dach des Baldachins liegend. Hoffmann identifizierte sich gleich voll mit seiner Angebeteten, indem er einige ihrer Bewegungen nachahmte. Die packte ihn dann auch gleich ganz energisch und schüttelte ihn ordentlich durch. Für ihre Arie bekam Olympia ihren gebührenden Applaus.


Danach führte der Chor allerlei neckische Tänzchen zu seinem Gesang auf. Chiquesse oblige.


Als Hoffmann der Olympia einen Schmatz auf die Wange dückte, führte diese mehrere zuckende Bewegungen aus, und Niklaus musste Hoffmann vor Olympia retten.


Die Zerstörung Olympias wurde sehr intelligent und einfach dargestellt: Olympia flüchtete hinter den Baldachin, doch es half nichts. Coppelius hatte sie gepackt und schleuderte sie vom Dach des Baldachins auf den Boden. Man hatte natürlich, für den Zuschauer unsichtbar, hinter dem Baldachin die „lebende“ Olympia gegen eine gleich aussehende Puppe ausgetauscht. Und Hoffmann wurde ordentlich verlacht.



Es gab verhaltenen Applaus für diesen gut gespielten und gesungenen Akt.





Antonia


Antonia stellte sich mit voller Stimme und wohlklingendem Timbre vor. Mehrere überlebensgroße Gemälde ihrer Mutter schmückten die Bühne. Für ihr Auftrittslied von der entflogenen Taube wollte ihr das Publikum applaudieren, doch wieder einmal ließ der Dirigent weiterspielen.


Mit Josef Lim (laut Programmheft) trat ein stimmlich bemerkenswerter Krespel auf. Eine so wohltönende und voluminöse Bassbaritonstimme hört man selten.


Franz trat als Lakai in einem Rokoko-Kostüm auf. Statt des sonst üblichen Flügels hatte man ein zeitgemäßes Spinett auf die Bühne gestellt.


Und wieder einmal durfte ich meine geliebte Geigenarie hören. Wunderschön seelenvoll und mit vollem Einsatz gesungen von Cordelia Weil.


Antonia erschien dann in einem der Bühnenkleider ihrer Mutter, wie es auf einem der Gemälde zu sehen war. Die folgenden Liebesszenen zwischen Antonia und Hoffmann wurden überzeugend dargestellt. Nach dem Terzett mit Krespel und Mirakel saß Hoffmann weinend am Spinett.


Antonia und Krespel


Als Mirakel der Antonia ihre mögliche Bühnenkarriere ausmalte, reagierte sie sehr überzeugend. Die folgende Stimme der Mutter war nur aus den Kulissen zu hören. Wie mir die Sängerin Daniela Jungblut nach der Vorstellung erzählte, habe sie in ein Mikrofon gesungen, was den gespenstischen Hall in ihrer Stimme erklärte. Dieses Terzett war wie so oft der musikalische Höhepunkt des Abends, beherrscht von der gewaltigen Stimmdynamik Antonias.


Als Antonia sich zu Tode gesungen hatte, stellte der in Weiß mit einer Doktortasche auftretende Mirakel erneut eine Ferndiagnose, ohne sie näher anzusehen: „tot“.


Pause und Rundgang in dem mit einfachen Mitteln und hellen Farben elegant gestalteten Theater.



Als der Vorhang zum Giulietta-Akt aufging, wurde ein Sarg (von rechts nach links) über den Bühnenhintergrund getragen. Franz erhellte den Weg mit einem Kerzenleuchter.

Die obigen Bühnenfotos wurden am Theater Solingen aufgenommen und stellen nicht immer die im Text genannten Sänger dar. Die Fotos wurden mir freundlicherweise vom Fotografen Andreas Deus zur Verfügung gestellt, bei dem alle Rechte an den Bildern liegen. www.deus-werbung.de


Es gab im Bühnenbild keine Anspielung auf Venedig. Diese Ereignisse könnten überall stattfinden, hatte der Regisseur in der Einführung gemeint. Das ist nicht an den Haaren herbeigezogen. Schließlich bedeutet auch der Name Dappertutto im Italienischen „überall, allerorten“.



Schön sangen Niklaus und Giulietta – in feuerroter Perücke - das Gondellied, wie es sich gehört ohne Piccolo-Begleitung. Dapertutto trat als eine Art Zauberer auf, der ein magisches Sofa auf sich zurollen ließ, als er das benötigte.



Niklaus wollte Hoffmann von Giulietta wegreißen, doch der war nicht zur Vernunft zu bringen und hörte nicht einmal auf die Warnung der Kurtisane, dass er in Gefahr schwebe, wenn er Venedig nicht fliehe. Vor Giulietta bewegte sich ihr Sklave Pittichinaccio andauernd auf allen Vieren und zu ihren Füßen, wie es sich für einen Sklaven seiner Herrin gehört-


Hoffmanns Verlust seines Spiegelbildes wurde so dargestellt, dass zwei Männer einen leeren Bilderrahmen hinaustrugen. Dann wurde ein Degenduell angedeutet.


Nach dem Giulietta-Akt trat Stella in einem glitzernden Abendkleid in weißem Pelz auf. Hoffmann ging gleich sehr grob mit ihr um.


Zum Finale senkte sich wieder der Kleiderbügel mit dem Regenmantel vom Bühnenhimmel herab, und Niklaus wurde wieder zur Muse, nun allerdings mit umgehängter Schärpe für ihre um Hoffmann erworbenen Verdienste.


Das Oeser-Finale war etwas gekürzt. Das Publikum applaudierte lange und begeistert und fiel immer wieder in rhythmisches Klatschen ein.


Nach der Vorstellung konnte ich am Bühneneingang noch mit einigen der Darsteller sprechen, wobei ich mich besonders bei Daniela Jungblut, der Stimme der Mutter, bedanken möchte, die mich auf die nun abgeschminkten Sänger hinwies.


Cordelia Weil (Muse/Niklaus)



Daniela Jungblut (Stimme der Mutter), nun endlich sichtbar



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