»Hoffmann« als Opern-Kompress an einer Kleinkunstbühne in Wien

www.theaterleo.at

Besuchte Vorstellung 29.Juni 2012






Regie, Bühnenbild

und Kostüme


Stefan Fleischhacker

Dirigent, Orchester und Chorleitung


Stephen Delaney

Chor


das anwesende Publikum

Version


komprimierte Guiraud-Choudens

Sprache


Deutsch, punktuell Französisch




Hoffmann


Stefan Fleischhacker

Muse


punktuell von GMD übernommen

Olympia, Giulietta, Antonia, Stella


Elena Schreiber

Widersacher


Punktuell vom GMD übernommen









Im Foyer


Der Begriff Opern-Kompress lehnt sich an Chlodwig Poths Kolumne Roman-Kompress in der legendären Zeitschrift PARDON an, in der in den 60er Jahren längere Romane der Weltliteratur auf eine oder zwei Seiten komprimiert oder kondensiert wurden, um sie für gestresste Wirtschaftswunderkinder lesbar zu machen.

Etwas Ähnliches gab es in den 80er Jahren in München mit den »Opern auf Bayrisch« (sic) von Ludwig Schallweg, die u.a. mit großem Erfolg im Münchner Prinzregententheater aufgeführt wurden und z.B. einen Wagnerianischen Ring auf die erträgliche Länge von zwei Stunden inkl. Pause brachten. Dabei wurde aber nicht gesungen und nur auf zufälligen Instrumenten wie z.B. auf einer singenden Säge begleitet sowie die Oper durch den Kakao gezogen. Gustl Bayerhammer brillierte in vielen Rollen und als Kommentator.


Etwas Anderes strebt das L.E.O.-Theater in Wien an, das sich stolz als Letztes Erfreuliches Operntheater in Wien versteht. Die Oper soll schon in ihrer ursprünglichen Form dargebracht werden, allerdings stark gekürzt und auf´s Wesentliche reduziert. Dazu kommen die wichtigen Arien und eine partiturtreue Begleitung durch einen Pianisten. Die Piano-Begleitung sollte mich nicht abschrecken, denn schon bei einer Premiere in Dijon, als das Orchester streikte, wurde die Oper im Wesentlichen von einem Pianisten begleitet.


Das L.E.O. wird vom gleichnamigen Verein getragen und wurde vor 12 Jahren gegründet. Wenn man das L.E.O in der Ungargasse 18 entdeckt hat, geht man durch eine Türe, die in eine Schusterwerksatt führen könnte, in einen Vorraum, der als Kulisse für eine angejahrte kubanische Kneipe dienen könnte, in der Musik aus dem Buena Vista Social Club gespielt wird. An der Wand liest man Sprüche wie: Wer nicht erwirbt, verdirbt. In einer Ecke steht ein riesiges schwarzes Bühnenkleid.


Man saß auf Stühlen


Es ist schon halb Acht, und noch kaum jemand ist da. Also schaut man durch das Theater mit seinem ungefähr 50 Quadratmeter großen Zuschauerraum, in dem man auf gepolsterten Biergartenklappstühlen sitzt. Hinter dem Theater findet man eine Hinterhofidylle, in die man allerlei bizarre Plastiken gestellt hat. In einem Nebenraum gibt es Schmalzbrote, Wasser, Säfte und Wein umsonst. Gegen eine Spende dafür hat man nichts einzuwenden, und in dem dafür vorgesehenen Topf lagen sogar 20-Euro-Scheine. Der Eintritt kostet 25 bis 30 Euro.


Es war ein schwülwarmer Sommerabend, kurz nach der Sonnenwende. Die Uhr bewegte sich gegen Acht, und das Theater hatte sich langsam mit den knapp 50 Zuschauern gefüllt, nachdem die organisatorische Leiterin des Theaters mit einer Handglocke in den Zuschauerraum gerufen hatte. Sie war auch Kassiererin, Bühnentechnikerin, Beleuchterin und Büffetgastronomin in einer Person. Wenige Tage vor der Aufführung, am 25. Juni 2012, hatte sich übrigens der Todestag des Dichters E.T.A. Hoffmann zum 190. Male gejährt.



Der Vorhang öffnete sich, und der GMD dieser Inszenierung gab eine launige Einführung in die zu erwartende Aufführung. Alle Nebenrollen waren gestrichen, auch die Hauptrollen der Muse und des Widersachers. Zwei Sänger sollten den Rest übernehmen. Den Chor und möglicherweise das Ballett sollte das hochverehrte Publikum übernehmen. Eine vorhergehende Instruktion des Publikums wurde versprochen.


Die erste Instruktion des Publikums geschah für den Klein-Zack, wobei das Publikum die Refrains übernehmen sollte. Damit nichts schief ging, übte der GMD die Refrains auch mehrfach ein und korrigierte nötige Fehlversuche der Chor-Novizen. Auch sonst entwickelte sich ein lebhafter Dialog zwischen dem GMD und dem Publikum. Nach dieser metikulösen Vorbereitung sollte es dann ernst werden.


Der GMD erklärte die Handlung der Oper, fasste die einführenden Dialoge zusammen und klärte das Publikum über Ort und Personen auf. Dann begann er mit seinem berückend schönen und musikalisch perfekten Klavierspiel. Hoffmann trat auf und hob bald den Klein-Zach an. Erstaunlich gut und korrekt stimmte das Publikum an den richtigen Stellen die richtigen Refrains an. Das klappte ganz hervorragend. Der Sänger des Hoffmann musste allerdings bei höheren Tönen kräftig pressen und sich in Falsett-Töne flüchten.


Links GMD, Hoffmann und rechts Olympia


Dann kam der Olympia-Akt. Das Publikum wurde vom GMD instruiert, an bestimmten Stellen richtig in Begeisterung zu geraten und auszuflippen. Spalanzanis Gäste sollten nämlich vom Publikum dargestellt werden.


Eine tief dekolletierte Olympia trat auf und hob auch bald mit ihrer Arie an. Als sie schwächelte, steckte ihr der GMD eine Münze ins mächtige Dekollete, und sogleich sang sie mit erhöhter Geschwindigkeit weiter. Beim zweiten Mal bat er das Publikum um eine weitere Münze. Nach einiger Zeit hatte ein Herr einen Euro hervorgekramt, traute sich aber der Olympia nicht ans Dekollleté, so dass der GMD den Geldboten spielen musste. (Leider saß ich in der letzten Reihe). Und wieder sang Olympia munter weiter. Dieser Gesang lag nun auf sehr gutem Niveau. Mit dieser Arie der Olymppia hätte Elena Schreiber auf vielen größeren Bühnen bestehen könne, was Artikulation, Wohlklang der Stimme und schaupielerische Darstellung anging. Das Publikum klatschte begeistert, und dieser Beifall war echt.



Dann waren Hoffmann und Olympia alleine auf der Bühne, denn das virtuelle Publikum Spalanzanis war ja zum Diner und Champagner hinausgeschickt worden. Als der böse Coppelius hinter den Kulissen die Olympia zerstört hatte, musste das Publikum, wie instruiert, den getäuschten Hoffmann kräftig auslachen und mit den Fingern auf ihn zeigen.


Pause nach 40 Minuten – so lange brauchen manche trödelnde Regisseure schon mit dem Vorspiel in Lutters Keller. In der Pause sollte man ein Quiz der Hoffnung mit Fragen und vorgegebenen Antworten zur Auswahl lösen. Die meisten Fragen waren so leicht zu beantworten, weil die Alternativen absurd waren. Im kreativen Teil sollte man die Hauptrollen der Oper durch Prominente besetzen. Ich schlug Ludwig II. als Hoffmann und Franz-Josef Strauß als Widersacher vor.


Für die Reihenfolge hatte man die nicht originalgetreue Olympia – Giulietta - Antonia Abfolge gewählt. Das Publikum hatte die Barkarole zu singen, die natürlich vorher ausführlich einstudiert worden war. Dann wurde die Schöne Liebesnacht noch einmal von Hoffmann und Giulietta gesungen., denn einen Niklaus gab es ja nicht. Hoffmann sang wie eine Parodie auf sich selbst. Harry Kupfer in Warschau hatte dieses Poblem anders gelöst.


Die Handlung wurde weitgehend vom GMD erzählt, nur das Liebesduett Giulietta – Hoffmann wurde gesungen. Und schon war auch der Giulietta-Akt vorbei und Hoffmann wieder einmal reingelegt.


Wunderschön sang Elena Schreiber das Auftrittslied der Antonia. Auch zwei Liebesduette Antonia – Hoffmann wurden gesungen. Da es keinen Widersacher gab, übernahm der GMD am Piano auch noch diese Rolle.


Antonia und Mutter


Die Mutter trat hinter einem Bilderrahmen auf. Gegeben wurde sie von Stefan Fleischhacker, der sie mit einer Männerstimme sang. Hier wurde der Hoffmann vorübergehend zur Farce, aber nur vorübergehend.


Antonia erstarb in wunderschönem Gesang, und der GMD – gebürtiger Australier – kommentierte: Was blieb ihr denn sonst übrig bei einer solchen Mutter?


Das Nachspiel, in der Guiraud-Choudens-Version ohnehin kurz, wurde noch kürzer, und das Publikum musste den Hoffmann, wie geübt, erneut kräftig verlachen.


Dann wurden die ausgefüllten Quizformulare eingesammelt und wertvolle Preise angekündigt. Ich hatte mich gefragt, wie man denn so auf die Schnelle fast 50 Fragebögen auswerten könne. Doch es wurden drei Bögen zufällig ausgewählt: Meiner war nicht dabei Die Fragen wurden kurz überflogen, und dann nach Publikumsapplaus der Sieger ermittelt. Der Preis war eine Freikarte für das L.E.O.


Orlando Montes de Oca und Christiane Sorell im L.E.O.


Es war noch nicht zehn Uhr, als die Vorstellung aus war. In meiner Nähe saß eine Dame, die sich während der Dialoge zwischen GMD und Publikum als profunde Kennerin dieser Oper gezeigt hatte. Sie war die bekannte österreichische Kammersängerin Christiane Sorell, die in Begleitung ihres kubanischen Mannes und Tenors Orlando Montes de Oca erschienen war, der auch an verschiedenen europäischen Bühnen den Hoffmann gesungen hatte. Christiane Sorell hatte schon als Siebzehnjährige an der Wiener Volksoper alle drei Sopranrollen in dieser Oper, u.a. zusammen mit Rudolf Schock gesungen, und dann noch 120 Mal die Antonia, die ihrer lyrischen Stimme am besten entspricht.


Das war nun ein weiterer »Hoffmann« in ungewohntem Rahmen. Die Verdienste dieser Inszenierung, die schon seit mehreren Jahren immer wieder gegeben wird, liegen auf mehreren Ebenen. Der unkonventionelle Rahmen und die zwanglose Atmosphäre im L.E.O. eignen sich dazu, die Hemmschwelle zu einem Opernbesuch zu senken. Viele Menschen setzen ja ihr Leben lang aus Unsicherheit keinen Fuß in ein Opernhaus. Da das L.E.O. aus der Oper keine Farce gemacht, sondern die Kernhandlung korrekt dargestellt hat, ist sie gut geeignet, Anfänger an diese Oper heranzuführen. Die eingefügten kabarettistischen Elemente lockerten die Handlung deutlich auf.

Die Mitwirkung des Publikums wurde von demselben gut angenommen und stellt natürlich ein Novum dar. Undenkbar am Wiener Opernplatz.



Da man die Handlung auf das Wesentliche komprimiert hat, könnte diese Inszenierung auch als Vorbild für entsprechende Einstudierungen an musischen Gymnasien oder Musikschulen dienen. Dieses Schema kann man natürlich auch auf andere Opern anwenden.



Zu wünschen wäre nur, dass man die Rollen des Widersachers und der Muse einbauen würde. Mit diesen beiden würde die Handlung vollständiger dargestellt. Stefan Fleischhacker könnte die Rollen des Widersachers überzeugend dämonisch geben. Als Hoffmann und für die Muse könnte man Nachwuchssänger einer Musikhochschule oder eines Opernstudios engagieren, die sicher dankbar dafür wären, erste Schritte auf Bühnenbrettern wagen zu können. Die würden auch gratis singen oder für ein Abendessen und einen Heurigen. Elena Schreiber und Stephen Delaney erfüllten ihre Rollen ausgezeichnet. Elena Schreiber hätte mit ihrem Gesang an manchem Stadttheater Beifallsstürme geerntet.

Die obigen Szenenfotos wurden mit Genehmigung des L.E.O.-Theaters während der Vorstellung aufgenommen


Die Hereinnahme der Muse in diese Inszenierung würde auch die Moral dieser Geschicht´ rüberbringen. Im L.E.O. wird ja Hoffmann nur verlacht. Die Botschaft dieser Oper ist jedoch, dass Hoffmann aus seinen Verirrungen lernt und durch die Muse vor diesen gerettet und seiner eigentlichen Bestimmung als Dichter zugeführt wird. Dieser zentrale Aspekt fehlt in dieser Inszenierung leider völlig.







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