Einfallsreicher »Hoffmann« mit glanzvoller Stella im Theater an der Wien

www.theater-wien.at



Besuchte Vorstellung 10. Juli 2012 (Dernière)






Regie


Roland Geyer

Dirigent


Riccardo Frizza

Chorleitung


Erwin Ortner

Bühnenbild und Kostüme


Herbert Murauer

Version


Kaye - Keck

Sprache


Französisch




Hoffmann


Arturo Chacón-Cruz

Muse


Roxana Constantinescu

Stella, Olympia, Antonia, Giulietta


Marlis Petersen

Widersacher


John Relyea











Fazit Theater an der Wien: Beim zweiten Versuch in dieser Spielzeit hat das Theater an der Wien einen ausgezeichneten »Hoffmann« präsentiert. Star und Stella in dieser Inzenierung war Marlis Petersen in allen Sopranrollen, die sowohl gesanglich wie auch darstellerisch eine perfekte Vorstellung gab. Beeindruckend auch der werkskonforme Einfallsreichtum des Regieteams, das Bühnenbild und die gute Leistung der anderen Sänger, des Orchesters und des Chores. Die Auswahl der Musiknummern war gelungen. In den letzten fünf Jahren habe ich in und um Wien fünf »Hoffmänner« gesehen. Die rundum überzeugendste war nun die im Theater an der Wien. Es ist sehr zu hoffen, dass dieser ausgezeichnete »Hoffmann« nicht in der Versenkung verschwindet, sondern baldmöglichst wiederaufgenommen wird, am besten in der Originalbesetzung.


Es kommt nicht oft vor, dass man an ein und demselben Theater in der gleichen Spielzeit zwei völlig verschiedene Versionen derselben Oper sehen kann. Nachdem im März der Hollywood-Regisseur und Oscar-Preisträger William Friedkin seinen eher zahmen »Hoffmann« präsentiert hatte, kam es zu Meinungsverschiedenheiten darüber, wie die für den Juli geplanten vier Vorstellungen gespielt werden sollten. William Friedkin verbot dem Theater an der Wien, seine Inszenierung nocheinmal zu spielen. Das Theater an der Wien gab dazu eine Stellungnahme heraus. Und zum Glück für das Publikum und diese Oper machte sich der Intendant Roland Geyer an die Arbeit, einen völlig neuen »Hoffmann« auf die Bühne zu bringen.


Das Theater an die Wien ist mir von vorne herein sympathisch, denn anders als die anderen drei Opernhäuser in und um Wien hat es nichts mit dem unseligen Herrscher Franz-Joseph zu tun, sondern wurde vom genialen Theatermann Emanuel Schikaneder begründet. Seit fünf Jahren spielt man dort auch wieder Oper.




Nachdem ich von der Presseabteilung eine Regiepressekarte für den 10. Juli bekommen hatte, durfte ich also an der Dernière teilhaben. Irgendwelche der üblichen Scherze oder Lässigkeiten einer letzten Vorstellung waren nicht zu befürchten, denn der Österreichische Rundfunk nahm die Vorstellung auf, um sie am Samstag, dem 14. Juli 2012 um 19:30 auf dem Hörfunkprogramm Ö1 auszustrahlen. Leider kann man diesen ausgezeichneten »Hoffmann« nicht im Fernsehen bewundern. Naja, was ich schon seit Jahren beklage. Iim Fernsehen werden nämlich die durchschnittlichen bis jämmerlichen Inszenierungen sogenannter erster Adressen wie der Wiener oder Bayerischen Staatsoper gezeigt, was an der fachlichen Kompetenz der zuständigen Fernsehredakteure zweifeln lässt. Ausgezeichnete Inszenierungen kleiner Bühnen werden sträflich ignoriert. Wie viele vergebliche Emails habe ich schon an Fernsehanstalten geschrieben. Nun wird dieser schöne »Hoffmann« wenigstens vom Hörfunk gewürdigt. Mit dem leider verstorbenen Offenbach- und »Hoffmann«-Forscher Josef Heinzelmann war ich mir einig, dass man gute Inszenierungen dieser Oper hauptsächlich an kleinen Theatern zu sehen bekommt.


Obwohl das Theater an der Wien über 1200 Plätze hat, wirkt es intim und anheimelnd. Zäh füllte sich das Theater, und um zehn vor Sieben waren noch viele Plätze frei. Doch es war Dienstag, also ein Arbeitstag. Um 19 Uhr war das Theater praktisch voll, auch die Stehplätze und die Partiturplätze. Das ließ schon mal auf eine gute Aufführung schließen.


Wieder mal gab es schnell und wenig akzentuierte Auftaktakkorde, aber ich bin in dieser Hinsicht Kummer gewohnt. Aber danach ging es bemerkenswert gut weiter. Begleitet wurde die Oper von den Wiener Symphonikern.


Der Vorhang ging auf, und man wurde von grell in den Zuschauerraum strahlenden Scheinwerfern geblendet. In einer Linie war der 30 Sänger umfassende Männerchor aufgestellt. Gefühlvoll, aber auch dramatisch begann die Muse. Hoffmann saß mit dem Rücken zum Publikum auf einem Stuhl. Die Muse begann mit dem Abgesang auf Hoffmann, wie er in der Kaye-Keck-Version vorgesehen ist, d.h. Hoffmanns Erlebnisse werden darin als Rückblende präsentiert.


Die Muse zog ihre roten hochhackigen Schuhe aus und gleichfarbige bequemere Treter an und wurde so zu Niklaus. Als sich Lindorf drohend vorstellte, räumte Hoffmann freiwillig den Platz. Die roten Pumps blieben allerdings an der Rampe stehen. Nette kleine Anspielungen, welche die Fantasie fliegen lassen. Lindorf hatte Stellas Brief schon geklaut und las daraus vor. Wütend warf er einen Stuhl um, was inzwischen zum meistgesehenen Ausdrucksmittel für Ärger auf Bühnen geworden ist.



Ein riesiges Bild von Stella wurde auf den Bühnenhintergrund projiziert. Überhaupt arbeitete diese Inzenierung viel mit Projektionen. Die sparen teuren technischen Aufwand und ermöglichen eine Vielzahl von schnellen Szenenwechseln. Wenn ich noch daran denke, welchen gigantischen technischen Aufwand die Madrider Inszenierung des Joel Brand betrieb, die ich in Bergen/Norwegen sah. Bühnenbild und Kostüme waren in sieben Containern angeliefert worden, jeder zwölf Meter lang. Ein Großteil des beeindruckend guten Wiener Bühnenbildes passte auf einen USB-Speicher.


Das Vorspiel in Lutters Taverne war mit 35 Minuten etwas länglich. Wieder mal fehlten Gretchen, Hermann und Fausta nicht. Einer von Hoffmanns Kumpanen wurde zu einer Braut verkleidet.


Dann kam Hoffmann wieder auf die Bühne. Guter Gesang im Klein-Zach. Als er gefühlvoll zu Stella abschweifte, kam sie und schmiegte sich stumm an ihn. Doch bald war sie wieder weg, und Hoffmann wurde von Niklaus geströstet. Dafür gab es Applaus. Dann folgte eine stille Umbaupause.


Bei Spalanzani


Im Olympia-Akt standen zahlreiche Figuren wie aus einem Panoptikum in Spalanazanis Labor auf der großen Drehbühne. Möglicherweise waren sie alle Gestalten aus Opern verschiedener Epochen. In der Mitte hing der hässliche Zwerg aus dem »Hoffmann« der ersten Serie in einem Käfig gefangen. Eine Anspielung auf Friedkins Elaborat? Unter den Figuren befand sich auch ein junge Dame in einem blutigen Kleid, die mich stark an die omnipräsente Stella in der Magdeburger Inszenierung erinnerte. Hinterher erfuhr ich, dass sie eine Gestalt aus Mozarts La finta giardiniera darstellen sollte. Aber eigentlich war diese Oper für den Münchner Fasching komponiert worden, und irgendeine Bluttat darin ist mir nicht erinnerlich, nur in der Vorgeschichte hatte der eifersüchtige Graf Belfiore seine Geliebte, die Marchesa Violante, mit einem Messerstich schwer verletzt.


Hoffmann und Olympia


Schön sang Niklaus die Vogelarie, in der Hoffmann vergeblich vor der mechanischen Olympia gewarnt wird. Als Hoffmann vom Augenarzt Coppelius seine Zauberbrille verpasst bekommen hatte, bewegten sich die stocksteifen Gestalten mit einem Schlag und erwachten zum Leben. Für die lebhaft gesungene Nummer trois ducats gab es Applaus. Das ist selten.


Und dann trat eine umwerfende Olympia in einem Designer-Kleid der Haute-Couture-Klasse auf, die auf jeder Party der Wiener Post-k.u.k-Society sogleich alle Augen auf sich gezogen hätte. Wie ein Supermodel tänzelte sie auf die Bühne, ihre leicht übertrieben wirkenden Schritte perfekt einstudiert wie die künstlichen Piaffen der Lipizzanerpferde an der Wiener Hofreitschule. Das war mal etwas Neues. Ich habe ja schon viele Interpretationen der Rolle der Olympia gesehen, aber eine Parodie auf die artifizielle Welt der Supermodels war neu. In den aus der Glitzerwelt der Mode bekannten Posen stellte sie sich den Fotografen. Genial gut. Hoffmann war einfach hingerissen von dieser koketten Olympia. Ich auch.


Das Paar flirtete heftigst miteinander. Mit dieser Olympia hätte ich auch gerne geflirtet. Doch Olympias Qualitäten beschränkten sich nicht auf ihr umwerfendes Aussehen. Mit einer strahlenden und präzisen Koloratur begeisterte sie das Publikum. Nicht umsonst war Marlis Petersen von der Opernwelt zwei Mal zur Sängerin des Jahres gewählt worden. Das war die spektakulärste Inszenierung einer Olympia seit Luzern 2008 und unterschied sich wohltuend von den zahlreichen mechanischen Puppen. Langer Applaus und Jubel für die Arie dieser Olympia.

Als das „Liebespaar“ alleine war, und Hoffmann sie anschmachtete, hopste sie dazu neckisch auf dem Sofa auf und ab. Niklaus und Coppelius saßen die ganze Zeit als Gegenpole am rechten und linken Bühnenrand. Eins schönes und nicht so oft gespieltes Duett Hoffmann – Niklaus folgte.

Doch dann kam das Unglück, und Coppelius kam mit einem blanken metallenen Kleiderständer herein, der die zerstörte Olympia symbolisierte. Wieder ein witziger Einfall. Werden doch magere Models gerne als Kleiderständer verspottet. Auf dieses Metallgestell legte sich der verzweifelte Hoffmann nach seinem missglückten Ausflug in die Glitzerwelt der Models. Freundlicher Applaus für diesen gelungenen Akt und Pause.


Antonia


Das Publikum war altersmäßig gut durchmischt, viele sehr elegant gekleidet, aber nicht so geschleckt wie in der österreichischen Provinz.


Antonia saß in einer Bühnengarderobe, neben sich einen großen Strauß roter Rosen. Ein Rollständer mit vielen Bühnenkostümen stand auf der Bühne. Hoffmann stand stumm neben ihr, als sie ihr Lied von der entflogenen Taube sang. Mit schön lyrischer Charakteristik und mit nur wenig sanfter Dramatik gestaltete sie ihr ergreifendes Auftrittslied. Der stumme Hoffmann reichte ihr eine Rose und verschwand dann wieder. Der aufkommende Applaus wurde vom weiterspielenden Orchester erstickt.


Die Geigenarie kam ziemlich am Anfang des Aktes, wo sie auch gut hinpasst. Und sie wurde in voller Länge gesungen, wofür es den verdienten Applaus gab. Dafür verzichtete die Regie auf den Auftritt des Franz, den nur die vermissen, die auch meinen, nicht auf die eigentlich werksfremde Spiegel-Arie verzichten zu können.


DasTerzett im Antonia-Akt


Zuerst untersuchte Doktor Mirakel den auf einem Stuhl sitzenden Hoffmann. Gar nicht abwegig, denn Antonia ist ja eine Fantasiegestalt des Dichters. Dann behandelte er Vater Krespel.


Antonias Karriere sollte im Theater an der Wien abheben, denn als ihr Mirakel die Zukunft als Sängerin ausmalte, wurde auf den Bühnenhintergrund die riesige Kuppel über dem Zuschauerraum, in dem man saß, projiziert. Im Vordergrund standen links und rechts je eine Treppe mit roten Teppichen, auf denen die Stars schreiten.


Aus dem Untergrund fuhr ein Podest nach oben, auf dem die Mutter stand, schwarz verschleiert in einer aufwändigen Robe. Zum Terzett erschienen die Bühnengestalten wieder. Star dabei war natürlich wieder die großartige Antonia. Dafür gab es kräftigen Applaus. Antonia starb in Hoffmanns Armen. Nach der spektakulären Olympia hatte die vielseitige Marlis Petersen eine seelenvolle Antonia gegeben.


In Giuliettas Etablissement; links Giulietta, daneben Dapertutto; rechts vorne Hoffmann und Niklaus


Die Begleitung der Barkarole hob ohne Piccoloflöte an. Die Bühnengestalten bevölkerten wiederum die Szene. Im Hintergrund prangte eine große sinnliche Arcimboldo-Projektion. Giulietta trug ein eng anliegendes Goldlamé-Kleid, das ihre aufregende Figur zur Geltung brachte. Leider standen Niklaus und Giulietta weit auseinander, als sie die Barkarole sangen.


Dann gab es wieder mal eine traditionelle Spiegel- oder Diamanten-Arie, die aber etwas statisch gesungen wurde. Glanzvoll und feurig sang Giulietta das Lied von der Liebe. Eine lebhafte Duellszene folgte, in der sich Hoffmann und Schlemihl erst in einem Ringkampf balgten. Dann reichte der böse Dapertutto dem Hoffmann einen Dolch, mit dem er den Rivalen abstach. Dann lagen beide regungslos am Boden, und der Vorhang fiel.


Doch der Akt war noch nicht vorbei, lediglich Hoffmanns Illusion. Scheinwerfer blendeten wieder das Publikum, und die lange Tafel, an der Giulietta empfangen hatte, war nun leer. Sie versprach Hoffmann, ihm überallhin zu folgen, und erotische Szenen zwischen den beiden folgten, begleitet won ebenso aufregend schönem Gesang.


Doch immer wieder störte der Chor die ineinander verkeilten Turteltauben. Hoffmann soll fliehen, da er wegen des Mordes an Schlemihl gesucht wird. Drohend wurde Callots Galgenbaum auf den Hintergrund projiziert. Das war eine intellektuelle Anspielung auf E.T.A. Hoffmanns Interesse für Callots (1592 - 1635) Zeichnungen, in denen er eine Seelenverwandtschaft zu sich entdeckte, so dass er seinen Fantasiestücken den Untertitel „In Callot´s Manier“ gab.


Hoffmann und Giulietta


Der Verlust von Hoffmanns Spigelbild wurde ebenso einfach wie wirksam dargestellt. Auf einen Bilderrahmen im Hintergrund wurden die Bilder Hoffmanns und Giuliettas projiziert. Und plötzlich sah man nur mehr Giulietta in diesem Rahmen. Eine selten gespielte Nummer folgte, in der Hoffmann kräftig verlacht wurde.


Dann beschimpfte Hoffmann die Giulietta, denn er sah sich kräftig getäuscht. Mitleidig gab ihm Dapertutto eine Pistole, damit er sich erschieße. Doch Hoffmann schoss auf Pitichinaccio, der sich schützend vor Giulietta gestellt hatte. Ende des turbilenten Aktes und Umbaupause.



Lutters Taverne war wieder zu sehen, und ein schöner Chor über die Tränen der Liebe erklang. Leider ist diese Nummer nur selten zu hören. Dann kam Stella mit einer Rose auf Hoffmann zu, doch der zerschmetterte ein Trinkglas vor ihren Füßen. Dann sang Stella! Das kommt auch nicht allzu oft vor. Naja, es hat ja auch nicht jedes Theater eine so gute und schöne Stella.


Hoffmann und Muse


Dann wollte sich Hoffmann erschießen, doch die Pistole klickte nur. Getröstet wurde er von seiner Muse mit wunderschön gesungenem les cendres de ton coeur. Dann nahm ihm seine Muse die Pistole aus der Hand und sang Man wird groß durch die Liebe, aber größer noch durch den Schmerz.


Dann erklärte ihm Stella, dass sie ihn seiner neuen Liebe überlassen werde. Hoffmann saß dabei zwischen den beiden Frauen. Ein schönes und passendes Arrangement. Stella und Lindorf gingen ab, erstaunlicherweise nach rechts. Vorher warf Lindorf noch hämisch Stellas Brief vor Hoffmanns Füße.


Dann setzte sich die Muse auf Hoffmanns Schoß, ihm zugewandt, und der Dirigent ließ die Oper in so gewaltigen Schlussakkorden ausklingen, dass ich ihm die hingerotzten Auftaktakkorde gerne verzieh.


Spontaner, kräftiger Applaus und Jubel brauste auf, auch für den ausgezeichneten Chor und das Orchester. Bravo-Rufe für die Muse, Jubel für den Widersacher und Hoffmann, und natürlich immer wieder Riesenjubel und Bravo- und Brava-Rufe für die großartige Stella. Über sieben Minuten dauerte der Schlussapplaus.

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Theater an der Wien und beim Fotografen Werner Kmetitsch. Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Nach der Vorstellung wartete ich zusammen mit einigen anderen Autogrammjägern am Bühneneingang. Da eine interne Abschlussfeier stattfand, kam außer Arturo Chacón-Cruz niemand heraus. Nach über einer Stunde Wartezeit – die meisten der Autogrammjäger waren gegangen – nahm ein mitleidiges Ensemblemitglied uns zwei übriggebliebene Hardcore-Fans mit hinein.

Während der Wartezeit sprach ich mit den anderen Opernliebhabern über diese Inzenierung. Wir waren uns einig, dass die Inszenierung Geyers gelungener war als die William Friedkins.




Arturo Chacón-Cruz (Hoffmann) beim Signieren


Regisseur/Intendant mit Stella







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