Freiluft-»Hoffmann« in Pafos / Zypern


www.pafc.com.cy




Besuchte Vorstellung 2. September 2011

(Premiere)





Eingang zum Freiluft-Theater, rechts die Bühne, links die Zuschauertribüne

Regie


Ondřej Havelka

Dirigent


Zbynĕk Müller

Chorleitung


Martin Buchta

Bühnenbild


Martin Černy

Kostüme


Jana Hanušová

Version


Kaye-Keck

Sprache


Französisch




Hoffmann


Marc Laho

Muse


Kateřina Jalovcová

Olympia


Jana Bernáthovà

Antonia


Pavla Vykopalová

Giulietta


Jitka Svobodová

Widersacher


Donnie Ray Albert

Mutter


Stanislava Jirku




Alles bestens organisiert: die Theaterkasse


Fazit: Ein gelungener »Hoffmann« als Freiluftaufführung in einer Übernahme der Inszenierung des Nationaltheaters Prag. Das Afrodite-Festival Pafos* führt seit dreizehn Jahren jedes Jahr eine Oper oder ein anderes großes musikalisches Werk auf, wozu europäische Theater eingeladen werden. An drei Abenden hintereinander wurde in leicht wechselnder Besetzung die etwas gekürzte Inszenierung des Prager Nationaltheaters von 2010 gespielt. Das Organisationskomitee des Afrodite-Festivals Pafos hatte ganze Arbeit geleistet. Die mit einer Freiluftaufführung verbundenen Unwägbarkeiten wurden perfekt gemeistert, das Orchester spielte ausgezeichnet, der Gesang war durchgehend gut, teilweise hervorragend. Marc Laho, den ich schon in Genf und Prag als Hoffmann gesehen hatte, bot eine souveräne Leistung, ebenso Kateřina Jalovcová als Muse und Donnie Ray Albert als Widersacher. Das Wetter spielte natürlich auch mit, wie in Zypern nicht anders zu erwarten. Das Programmheft auf Griechisch und Englisch war umfangreich und mit ausgezeichneten Beiträgen versehen. Es kostete zehn Euro. Die Untertitel (viel angenehmer zu lesen als Übertitel) waren auf Griechisch und Englisch. Cirka 2300 der 2400 Sitzplätze waren am Premierenabend belegt. Die zweite Vorstellung am 3. 9. war ausverkauft. Das Publikum ging gut mit und applaudierte häufig, aber meist nur kurz und an den richtigen Stellen. Der Dirigent ließ erfreulicherweise nie in den Applaus hineinspielen.

Pafos bewirbt sich als europäische Kulturhauptstadt für das Jahr 2017. Mit diesen gelungenen drei Opernabenden hat sich Pafos für diese Auszeichnung glänzend empfohlen.

* Ich benütze die Schreibung Pafos statt Paphos, weil es die Einheimischen auch so schreiben, wenn sie lateinische Buchstaben benützen. Es besteht deshalb für uns auch kein Grund, die Stadt mit -ph- statt -f- zu schreiben.


Das Orchester vor der Bühne


Die riesige Zuschauertribüne


Wie uns der griechische Dichter Hesiod (ca. 700 vor Christus) berichtet, ist Zypern die Geburtsstätte der Liebesgöttin Afrodite. Einige Kilometer östlich von Pafos liegt ein Kiesstrand, an dem die Schaumgeborene dem Meer entsprungen sein soll. Was lag näher, als das jährliche Musikfestival nach der Göttin zu benennen. Und was lag näher, als die Oper »Hoffmanns Erzählungen« dort aufzuführen, in der sich alles um Liebe und Leidenschaft dreht, wenn es auch Afrodite mit Hoffmann nicht immer gut meinte. Die Insel Zypern im Mittelmeer hat zwar mehrere antike Theater, aber keine eigene Oper. Das mag an den wechselnden Mächten liegen, welche diese Insel seit der Römerzeit angriffen, als Stützpunkt missbrauchten und nie zur Ruhe kommen ließen: die Römer, die Sarazenen, die Byzantiner, die Kreuzritter, die französischen Lusignaner, die Venezianer, immer wieder die Türken, auch die Engländer, die nach einem langen und blutigen Befreiungskampf 1960 vertrieben wurden und den Zyprioten solche Errungenschaften hinterließen wie Linksverkehr, mit allen anderen Systemen inkompatible Steckdosen, keinen Kilometer Eisenbahn, kein Opernhaus und zwei riesige britische Militärbasen sowie ein ungelöstes ethnisches Problem. Und 1974 kamen die Türken wieder einmal und besetzten den Nordteil der Insel. Doch die griechischen Zyprioten konnten sich behaupten, pflegen ihre alte Kultur und sind offen für Neues. Der griechische Süden lebt von hauptsächlich englischen und russischen Touristen, ist Mitglied der Europäischen Union und hat den Euro. Einmal im Jahr gibt es in Pafos das Afrodite-Festival, das seit dreizehn Jahren am mittelalterlichen Schloss direkt am Meer Opern als Gastspiele europäischer Theater aufführt. Dazu wurde in vierwöchiger Arbeit eine Bühne vor die Burg gebaut und gegenüber eine Zuschauertribüne mit 2400 Sitzplätzen, von der jeder freien Blick auf die Bühne hatte. Sogar eine große Drehbühne wie am Nationaltheater Prag hatte man konstruiert. Und die funktionierte auch einwandfrei und lautlos. Einen Vorhang gab es natürlich nicht. Überall in der Stadt hingen Plakate von Laternenmasten, und an jeder Hotelrezeption stand ein Hinweisschild auf die Oper. Die Öffentlichkeitsarbeit des Organisationskomitees hätte nicht besser sein können. Drei Tage vor der Premiere reiste das Prager Ensemble an. Am 1. September war Generalprobe, und die freundliche Dame an der Theaterkasse ließ mich ins Theater, vorbei an den zahlreichen und energischen. Security-Leuten.



Hoffmann in Lutters Taverne


Natürlich spielte das Wetter mit. Bis zu 35 Grad heiß war es tagsüber, und abends wehte noch ein laues Lüftchen vom Meer, dessen leises Rauschen die Oper untermalte. Den Verkehr hatte man weitab vom Theater abgeriegelt, nur die Zikaden ließen sich nicht vertreiben. Ein zunehmender Mond mit schmaler Sichel senkte sich bis zum Ende des Olympia-Aktes ins Meer. Eine traumhaftere Atmosphäre kann man sich kaum vorstellen. Wenn Sänger und Chor gerade nicht auf der Bühne zu sein hatten, ergingen sie sich hinter der Burg am Meer. Wann hat man schon die Gelegenheit, während einer Auftrittspause an einem warmen Sommerabend am Meer spazieren zu gehen.

Die Eintrittskarten konnte man auch im Internet bestellen und sich dann ausdrucken. Am Eingang wurden die Strichcodes gescannt. Alles auf dem neuesten Stand der Technik. Jeder Besucher bekam ein kleines Opernglas geschenkt.




Die riesige Bühne während einer Szene aus dem Olympia-Akt mit vielen Damen in Reifröcken



Es lag sicher nicht am Organisationskomitee, dass um 20 Uhr, dem offiziellen Beginn, das Theater nur spärlich besetzt war. Ich führe das auf das individuelle Zeitmanagement der Mediterraner und der russischen Touristen zurück. Aber man zeigte Verständnis. Erst um 20:30 wurde der Eingang gnadenlos abgeriegelt, obwohl immer noch Leute kamen. Auch die beiden Pausen wurden von den Zuschauern großzügig ausgedehnt. Erfreulich viele junge Zypriotinnen, oft sehr elegant gekleidet, waren im Publikum. Die einheimischen jungen Männer machten sich dagegen eher rar. Die große Mehrheit der Besucher waren Einheimische, die zum Teil von weit her angereist kamen.



Da ich die Prager Inszenierung schon ausführlich besprochen habe, verweise ich auf ihre Besonderheiten hier. An dieser Stelle bespreche ich nur die Unterschiede zur Prager Originalversion sowie die Eigenheiten der Aufführung in Pafos. Die Inszenierung ist durchweg gelungen und bewegt sich im klassischen Rahmen. Nur die sehr aufwändigen Kostüme wiesen nicht immer auf Wesensmerkmale der jeweiligen Figur hin, sondern verloren sich meist in der eigenwilligen Fantasie der Designerin, die ein Faible für Damen in Reifröcken bei allen Gelegenheiten zu haben scheint.


Olympia, rechts Spalanzani


In Absprache mit den Veranstaltern hatte man die ziemlich lange Prager Inszenierung etwas gekürzt. Leider hatte die Regie hierbei keine glückliche Hand bewiesen. Statt im ziemlich langen Vorspiel unwesentliche Stellen zu streichen (z.B. die Aufzählung der einzelnen Liebespärchen wie Gretchen und Hermann, Leonor, Fausta etc.), hatte man im Antonia-Akt gewütet. Meine geliebte Geigenarie, die ich in Prag von Kateřina Jalovcová mit bewegender Ausdruckskraft gehört hatte, war gestrichen, ebenso Antonias Sterbeszene. Nach dem wunderschön gesungenen Terzett Antonia – Mutter – Widersacher war Schluss und Antonia tot. Aber ansonsten war die Kaye-Keck-Version – die beste Version, die es gibt – vollständig. Wie schon in Prag, hatte man das Couplet des Franz im Antonia-Akt gestrichen. Die Spiegelarie und das Sextett fehlten, da nicht zum Originalwerk gehörig.

Die Hauptrollen waren doppelt besetzt, nur die Muse und der Widersacher sangen an allen drei Abenden nacheinander.

Wie in einer Freiluftaufführung in so großem Rahmen notwendig, wurde mit Mikrofonen gesungen. Auch das Orchester wurde verstärkt. Am Premierenabend gab es ein paar wenige Tonaussetzer der Verstärkeranlage, die aber in den weiteren Vorstellungen behoben waren.


Oben Antonia und Hoffmann


Unten Mirakel, Mutter als Walküre o.ä. und Antonia


Die Vorstellung begann mit einer Begrüßung auf Griechisch, Englisch, Deutsch, Französisch, Russisch und Italienisch durch eine zypriotische Schönheit im langen Abendkleid. Dann hieß der Leiter des Afrodite-Fetivals das Publikum willkommen, und schließlich sprach der Sprecher der zypriotischen Abgeordnetenkammer über die Rolle der Kunst, auch in schwierigen Zeiten. Zypriotische Finanzexperten hatten das Land während der Wall-Street-gemachten Finanzkrise an den Rand der Pleite getrieben.


Schön akzentuiert und maestoso begann das Orchester mit den ominösen Auftaktakkorden. Sechs Kontrabässe und Celli sah ich im Orchester. Die Ersteigerung von Stellas Brief an Hoffmann wurde gut dargestellt. Lindorf durfte sich ziemlich ausführlich vorstellen. Hier hätte man auch kürzen können. Stella trat in vier Gestalten und mit identischen Umhängen auf. Weiße Mäuse mit Schwänzen deuteten auf Hoffmanns Alkoholprobleme hin.


Marc Laho als Hoffmann trat überzeugend auf und heimste sich für seinen souverän vorgetragenen Klein-Zach den verdienten Applaus ein. Er bot die beste Leistung als Hoffmann, die ich bisher von ihm erlebte. Auch der Chor sang wacker und blieb immer im Takt mit dem Orchester. Keine leichte Aufgabe angesichts der breiten Bühne und in ungewohnter Umgebung. Im Olympia-Akt gab es den bisher längsten Applaus für die ausgezeichnet vorgetragene Arie der Olympia, deren Darstellerin auch ganz hervorragend mimte.

Nach dem Olympia-Akt gab es eine Pause, die sich auf eine dreiviertel Stunde ausdehnte. Auf dem Gelände hatte man zahlreiche Zelte für Häppchen und Getränke aufgestellt. Auch einen Rotwein mit einem speziellen Etikett für die Contes d´Hoffmann hatte man im Angebot. (siehe Foto weiter unten) Ganz ausgezeichnet auch der Sänger des Widersachers, der mit sonorem Bassbariton eine überzeugende Leistung bot. Hervorzuheben sind auch der ausdrucksvolle Gesang und die lebhafte Mimik der Muse.



Mit den Streichungen im Antonia-Akt war ich nicht einverstanden. Links Schlemihl, Muse mit Zylinder, Hoffmann, Giulietta






Links Schlemihl, Muse mit Zylinder, Hoffmann, Giulietta


Im Giulietta-Akt sah man wohl eine der größten Ansammlungen von Reifröcken seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, alle in Weiß. Ob Kurtisanen damals in solchen Liebestötern ihre Dienste anboten? Auch Giulietta hatte die Kostümabteilung nicht besonders erotisch zurechtgemacht. Sie wirkte in ihrem roten Kostüm wie eine biedere Bürgersfrau, die sich für einen Nachmittagsspaziergang im Park oder für ein Kaffeekränzchen herausgeputzt hatte. Aber eine matronenhafte Giulietta hatte ich auch schon an der Met gesehen. Seltsam, dass man aus Hoffmann einen ausländischen Dichter gemacht hatte. Im Libretto kommt er aus Deutschland, wie auch der echte E.T.A.

Wie in Prag gab es ein richtiges Säbelduell, nach dem Hoffmann den armen Schlemihl ziemlich grausam umbrachte und des Schlüssels zu Giuliettas Gemach beraubte.


Gut dargestellt, als im Finale die vier Gestalten der Stella in identischen Umhängen auftraten. Das hatten sie übrigens auch schon im Vorspiel getan. Dann folgte eine imposante Apotheose, sowohl akustisch wie auch szenisch höchst beeindruckend. Sänger und Chor gaben alles, die gigantisch breite Bühne war voller Menschen. Eine der eindrucksvollsten Apotheosen, die ich je gesehen habe.

Leider wirkte Hoffmann wie leblos auf dem Podest, auf das ihn seine Freunde gehoben hatten. Auf der Premierenfeier in Prag hatte ich aber erfahren, dass er nur vom Alkohol benebelt sein sollte. Also kein toter Hoffmann, wie das leider oft der Fall ist. Jedenfalls passt die triumphale Musik der Apotheose nicht zu einem Todesfall.


Freundlicher Applaus des Publikums für die gelungene Premiere. Der Applaus hätte ruhig noch etwas länger dauern können. Bravo- und Brava-Rufe erreichten in der Weite des Freilufttheaters leider nicht die Ohren der Adressaten. Es war inzwischen eine halbe Stunde nach Mitternacht geworden.

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos der Oper liegen beim Afrodite-Festival, Pafos/Zypern und beim Fotografen …........ Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Am zweiten Abend traf ich mich vor dem Theater mit netten Hoffmann- und Zypern-Fans aus Dresden, die ich über diese Internetseite kennengelernt hatte. Ich stand vor dem Eingang, als kurz vor Beginn eine junge Dame auf mich zukam und mir eine Karte von jemand schenkte, der verhindert war zu kommen. Da sagte ich nicht Nein.



In den Hauptrollen sang Valentin Prolat den Hoffmann, Jana Kačirková die Olympia, Marie Fajtová eine erfrischende Antonia und Maida Hundeling die Giulietta. Widersacher und Muse wurden durch die gleichen Sänger wie bei der Premiere dargestellt. Die Mutter wurde von Tsveta Christoforou gesungen.

Wieder klappte alles bestens, und auch die kleinen Tonstörungen während der Premiere hatte man in den Griff bekommen. Obwohl die Premiere geklappt hatte, merkte man doch, dass Sänger und besonders der Chor wesentlich lockerer auftraten.



Nach der gelungenen Premiere am 2. September gab es für die Solisten ein leckeres Büffet mit lokalen Weinen. Da es aber inzwischen fast ein Uhr geworden war und mehrere der Solisten am nächsten Abend wieder auftreten mussten, dauerte die Premierenfeier nicht so lange wie die in Prag.




Ein guter lokaler Rotwein



Hoffmann, Antonia und Olympia




Mutter, Muse und Giulietta













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