Heute im Großen Theater Hoffmanns Erzählungen



Fantasievoll inszenierter »Hoffmann« in Pilsen

www.djkt-plzen.cz

Besuchte Vorstellung 5. April 2014 (Premiere)





Das Große Theater in Pilsen

Regie


Dominik Beneš

Dirigent


Tomaš Brauner

Chorleitung


Zdeněk Vimr

Bühnenbild


Martin Černý

Kostüme


Zuzana Přidalová

Version


Guiraud-Choudens

Sprache


Französisch




Hoffmann


Valentin Prolat

Muse


Vaclava Krejčí Housková

Olympia


Jana Sibera

Antonia


Ivana Veberová

Giulietta


Lucie Hájková

Widersacher


Jiři Hájek

Mutter


Jana Foff Tetourová





Fazit Pilsen: Ein liebe- und fantasievoll inszenierter »Hoffmann« in einem wunderschönen Theater in West-Böhmen. Alles passte, was die Leiden und Erlebnisse des Dichters Hoffmann illustrierte: das klare Bühnenbild, die farbenfrohen Kostüme, eine detailverliebte Regie mit vielen werkskonformen Einfällen, gute Beleuchtung, ein gut einstudierter Chor, ein hervorragendes Orchester in der Tradition böhmischer Musikanten. Der Gesang auf der Bühne war sehr gut. Der erst 28 Jahre junge Regisseur hatte die Oper richtig verstanden und interpretiert: Hoffmann verliebte sich, litt und wurde am Schluss von der Muse gerettet. Nachdem ich am Prager Volkstheater einen »Hoffmann« gesehen hatte, musste ich wieder einmal erleben, dass die sogenannte Provinz die Metropolen schlägt, was werksgerechte und fantasievolle Inszenierungen angeht. Großer Applaus und Jubel am Ende, der neun Minuten dauerte. Diesen Hoffmann muss ich mir nochmal ansehen, und ich werde Freunde in dieses sympathische Theater mitbringen.

Ein Video mit Ausschnitten kann man hier sehen. (Klein-Zach; Olympia-Arie; Antonia und Hoffmann; Mirakel und Krespel; Barkarole; Dapertutto)


Dieser prächtige Bahnhof begrüßt die Besucher Pilsens


Wir Deutschen neigen ja eher dazu, Prag zu besuchen und Pilsen beiseite liegen zu lassen. Auch ich tat das seit meinem ersten Prag-Besuch 1967. Das war ein Fehler. Zwar ist Prag viel größer und hat mehr Sehenswürdigkeiten zu bieten, aber Pilsen ist eine Stadt, in der ich mich spontan wohlfühlte. Außerdem ist Pilsen Partnerstadt meines Geburtsortes Regensburg, wo ich als Jugendlicher meinen ersten »Hoffmann« sah. Eine gemütliche kleinere Großstadt, die viele interessante Anblicke in ihrem noch von der österreichischen k.u.k.-Epoche zu bieten hat und nicht von Touristen überlaufen ist. Gute böhmische Küche, und alles zu sehr moderaten Preisen im Vergleich zur 100 km entfernten Hauptstadt Prag. Da Pilsen verhältnismäßig nahe an der deutschen Grenze liegt, ist man gleich dort. Günstig wird es z.B. mit einem Bayern-Böhmen-Ticket der Bahn. 2015 ist Pilsen europäische Kulturhauptstadt. Da kann es durchaus sein, dass der Pilsener »Hoffmann« Teil des Kulturprogrammes wird, wenn er vom Publikum angenommen wird, wozu ich mit dieser Besprechung beitragen will. Wenn man in Pilsen ist, kann man ja immer noch einen Tagesausflug nach Prag unternehmen, das ca. 100 km entfernt ist. Fahrzeit von beiden stadtnahen Bahnhöfen ca. eineinhalb Stunden.



Das Große Theater Pilsen ist benannt nach dem tschechischen Dramatiker Josef Kajetan Tyl (1808 – 1856), der die neuere tschechische Schauspieltradition begründete. Er verfasste auch den Text der tschechischen Nationalhymne. Man erinnere sich: Bis 1918 hielt das habsburgische Österreich Böhmen und Mähren besetzt (über 600 Jahre lang) und versuchte vergeblich, die tschechische Sprache zu unterdrücken. An den Schulen wurde hauptsächlich auf Deutsch unterrichtet, was dazu führte, dass namhafte tschechische Schriftsteller wie Franz Kafka noch im 20. Jahrhundert deutsch schrieben.


Das Große Theater Pilsen ist ein wunderschöner und prächtiger Bau aus der k.u.k.-Zeit und wurde 1902 eröffnet. Da man das Gebäude innen nicht fotografieren darf, verweise ich hier auf eine virtuelle Panorama-Tour. Das Theater ist intelligent gebaut. Anders als in den meisten alten Theatern (z.B. in den Staatsopern in Wien und München sowie der in Zürich), hat man den Zuschauerraum nicht als Hufeisen gestaltet, sondern als Halbkreis. Das hat den großen Vorteil, dass man von allen Plätzen gut auf die Bühne sieht. Das Theater mit 444 Plätzen hat ein kleines Parkett und zwei Ränge. Die Akustik ist ausgezeichnet. Im Orchester zählte ich drei Kontrabässe und vier Celli.


Die Muse, rechts Hoffmann


Premierenabende haben immer eine besondere Atmosphäre. Und in Pilsen trugen das prächtige Theater und die festlich gekleideten Besucher ganz besonders zu dieser Atmosphäre bei. Im Publikum befanden sich, wie ich an den Sprachfetzen hörte, zahlreiche Besucher aus Deutschland. Dem trug das Pilsner Theater Rechnung, indem man ins Programmheft den Inhalt auch auf Deutsch schrieb. Hoffmanns Erzählungen heißen auf Tschechisch Hoffmannovy Povídky, also Die Hoffmann´schen Erzählungen. Das Theater war fast voll besetzt mit nur wenigen freien Plätzen.


Auf die Sekunde genau um 19:00:00 ging im Theater das Licht aus. So einen pünktlichen Beginn erlebt man in den slawischen Brüderländern der Tschechen nicht. (Im Großen Theater Warschau war zum offiziellen Beginn gerade mal der halbe Orchestergraben besetzt, so dass ich schon an einen Streik dachte.)

Wieder einmal hetzte ein Dirigent die Auftaktakkorde mit allegro durch. Diese Hetze scheint sich wie das Virus einer Seuche zu verbreiten. Maestoso, Pan Brauner, maestoso bitte! Aber es sei ihm verziehen. Während des Restes des Abend hörte ich aus dem Orchestergraben nur wunderschöne Musik. Naja, böhmische Musikanten genießen bei uns einen legendären Ruf. Selten habe ich von einem Orchester, besonders von den Streichern, so reine und präzise Töne gehört.


Hoffmann und Muse


Links vor dem Vorhang stand eine Schaufensterpuppe, um die ein Frack und ein Zylinder gehängt waren. Oben im 2. Rang stand eine Gruppe von Leuten, die sich von den ansonsten festlich gekleideten Zuschauern durch knallig-bunte Kleidungsstücke unterschieden. War hier eine Karnevalsgesellschaft eingedrungen? Doch nach den schnellen Auftaktakkorden löste sich das Rätsel: Diese Figuren waren Teil des Chores, und so erklangen die ersten Gesänge himmlisch von oben in einem großartigen Raumklang.


Auf der Bühne erschien die Muse mit flaumigen weißen Flügeln am Rücken. Die streifte sie bald ab. Sie befand sich in einem ziemlich unordentlichen grauen Raum, umgeworfene Stühle lagen auf dem Boden, und zwei Gestalten auf dem Boden wirkten wenig nüchtern. Ein Fass lag auf der Bühne. War damit ein Diogenes gemeint? Spannung, als die Muse hineinkroch. Dort fand sie den Schlüssel zu Stellas Garderobe.


Und gleich gabe es einen feurigen und gesanglich hervorragenden Aufgesang der Muse, mit dem sie sich vorstellte. Vor einem rot beleuchteten Hintergrund erschien eine stumme Stella. Man sah sie von hinten, vor ihr begeisterte Zuschauer, die ihr zujubelten und sie mit Blumen eindeckten. Ein schönes und passendes Bild, wie mich überhaupt das gesamte Bühnenbild sofort beeindruckte. Während der gesamten Vorstellung schwang eine Pendeluhr über den Bühnenhintergrund. Das runde Pendel war als Zifferblatt gestaltet.



Lindorf trat gekleidet wie ein Zirkusdirektor auf: mit rotem Glitzerfrack und ebensolchem Zylinder. Dann kurze Briefersteigerung. Lindorf zog sich vom Zirkusdirektor zum Lebemann um, indem er Frack und Zylinder vom Kleiderständer anlegte. „Je suis vieux – mais je suis vif“, dazu warf er Rosen ins Publikum.


Der gesamte Chor von mindestens 40 Leuten war nun auf der Bühne – knallbunt gekleidet wie für eine Kinderparty. Während der gesamten Vorstellung agierte der Chor lebhaft und hervorrgend choreografiert. Auch Hoffmann trat auf, eher mausgrau seiner Stimmung entsprechend. In der Hand hielt er einen Blumenstrauß, an dem er traurig roch. Der war wohl für Stella gedacht.



Nach den dynamisch gesungenen Trinkliedern des Chores begann er mit dem Klein-Zach. Als er zu Stella überging, wurde er von vier neckischen Kellnerinnen umgarnt. Für den Klein-Zach gab es den ersten Applaus. Den hätte eigentlich schon die Muse für ihren Auftritt verdient.


In Lutters Taverne war nun echt was los. Nacheinander wurden acht Feuerzangenbowlen angezündet und zu dynamischem Gesang genossen. Viele liebevolle und zu dieser Oper passende Details waren zu sehen. So läutete die Theaterglocke, als die Pause des Don Giovanni zu Ende war. Dieser Don Giovanni setzte sich nun als Olympia-Akt fort.


Das Vorspiel in Lutters Taverne war mit knapp 35 Minuten noch erträglich lang. Da aber auf der Bühne viel Äkschn stattfand, wurde es nie langweilig. Der buntgekleidete Chor blieb gleich auf der Bühne, Olympia stand schon da, und Spalanzani bastelte noch an ihr herum.



Das Bühnenbild war wieder eindrucksvoll gut. Olympia hing an einem Seil, das an einem Gürtel um ihre Taille befestigt war. Sie wurde hochgezogen und in einen Schaukasten gesenkt, denn bald sollte Spanlanzanis Fest beginnen. Dazu sang Niklaus eine gelungene und mimisch gut gestaltete Vogelarie, zu der die ausgezeichnete Sängerin ihren ersten hochverdienten Szenenapplaus erhielt. (Ich muss zugeben, ich tat den ersten Klatscher, aber das Publikum machte sofort mit.) Dann zog sie sich Spalanzanis schwarzen Arbeitsoverall an, womit wohl angedeutet werden sollte, dass Niklaus zum Helfer Spalanzanis werden sollte.



Das Kostüm des Coppelius war auch eine Schau. Er trug einen Zylinder vollgesteckt mit Brillen. Olympia stand nun verhüllt in ihrem Glaskasten, als die Party begann. Affektierte und knallbunte Damen bevölkerten die Bühne und konnten kaum die Sensation erwarten. Dann wurde Olympia aus dem Kasten gehoben, und der Chor legte furios zur Bewunderung der Olympia los. Elle a des très beaux yeux kam so präzise wie ein schnell laufendes Uhrwerk und fast zu 100 % im Takt mit dem Orchester. Die Partitur verlangt hier allegretto, das was aber mindestens allegro, und die Achtel der geifernden Damen eher Sechzehntel. Solche Präzision hört man selten, und noch dazu auf einer Premiere, wenn alle nervös sind. Perfektes Zusammenspiel zwischen Chor und Orchester.


Olympia, rechts Spalanzani


Eine Art Boxring wurde für Olympias Auftritt abgegrenzt, um den sich die Gäste drängten. Dann suchte man im Orchestergraben nach einer Harfe zur Begleitung für Olympias Arie. Was für eine Szene. Alle Damen drängten sich bäuchlings liegend an der Bühnenkante und spähten heftig nach einer Harfe. Ach, ist das ein schönes Theater! Wenn das Jacques Offenbach sehen könnte.


Dann wurde Olympia ausgiebigst fotografiert. Dazu hatte man einige Digitalkameras speziell präpariert, so dass ihre Blitze immer wieder aufflackerten, aber nicht so stark, dass das Publikum geblendet würde. Wie voll von liebevollen werkimmanenten Details doch diese Inszenierung ist. Wetten, dass sie nie im Fernsehen kommt oder dieses Theater an einen anderen Ort eingeladen wird? (Die eher lamettahafte Prager Inszenierung wurde nach Zypern eingeladen.)


Während ihrer Arie hob sie ihr Röckchen keck nach oben, doch damit war sie zu weit gegangen, und Spalanzani drückte ihn wieder nach unten. Wenn sie schwächelte, zogen Spalanzani oder Niklaus an einer Schnur an ihrem Hinterteil. Das gestaltete sie dermaßen lustig, dass es während ihrer Arie einen Zwischenapplaus gab, der sie noch mehr befeuerte. Riesiger Jubel für diesen komödiantisch und musikalisch perfekten Auftritt. Die Premiere konnte nun nicht mehr schief gehen.


Coppelius verbrennt den wertlosen Scheck des Elias


Hoffmann war hingerissen von dieser Olympia und nahm die drohenden Signale nicht wahr, die von der heftig schwingenden Uhr im Hintergrund ausgingen. Doch Olympia hatte sich bei ihrem Auftritt verausgabt. Mit Armen und Beinen in der Luft strampelnd lag sie auf dem Rücken und wurde wieder in die Höhe gezogen. Dann der bedrohliche Auftritt des betrogenen Coppelius, der wütend den geplatzten Scheck verbrannte und Rache ankündigte. Die vollzog er, indem er das Seil durchschnitt wie die Nornen den Lebensfaden. Olympia fiel auf den Boden und lag leblos da. Hoffmann wurde heftig verlacht. Kräftiger Applaus und Pause.


Antonias Mutter stand stumm in einem prächtig geschmückten Bühnenkleid in einem optisch gut gestalteten Raum. Antonia saß vor der Mutter. Dann stellte sich Antonia mit bewegend lyrisch-dramatischem Gesang vor. Die stumme Mutter streichelte ihre Tochter liebevoll und wich nicht von ihrer Seite. Krespel erschien in einem goldglänzenden Hausmantel. Ein Auftritt des Franz fand statt, war aber stark gekürzt auf eine Strophe. Korrekterweise hatte man in den tschechischen Übertiteln la méthode mit technika übersetzt. Franz und Krespel ließen immer wieder ein paar Worte auf Deutsch einfließen, z.B.: „Ich bin doch nicht taub.“ Oder Hoffmann: „Meine liebe Antonia.“


Antonia und Hoffmann


Hoffmann und Niklaus reisten per Fahrrad dem geflohenen Vater-Tochter-Paar nach. Nach der Begrüßung Hoffmanns legte sich Antonia einen weißen Brautschleier um, und Hoffmann schenkte ihr Blumen. Niklaus streute schon mal Reis für das Brautpaar und zerriss die Noten, denn Antonia durfte ja nicht mehr singen. Doch im Hintergrund kündigte sich schon das Unheil an. Mirakel schaufelte Antonias Grab. Wieder eines der zahlreichen werkimmanenten Details dieser Inszenierung.


Auf der Bühne lag ein riesiges Buch, wohl Hoffmanns Erzählungen symbolisierend. Auf dieses Buch goss Mirakel den Inhalt eines seiner homöopathischen Fläschchen auf das Buch. Er zerstörte solchermaßen Hoffmanns Lebenswerk. Für das schön gesungene Terzett Hoffmann – Mirakel – Krespel gab es Applaus, besonders auch für die gut dargestellte Dämonie des Mirakel.


Aus diesem vergifteten Buch = Sarg stieg dann die todgeweihte Braut Antonia, nachdem sie von Mirakel zum todbringenden Gesang angestiftet worden war. Krespel wollte Mirakel mit einer Kette erwürgen, doch der wehrte mit lässigen Bewegungen Krespels Mordversuche ab. Im Gegenzug deckte Mirakel den Krespel mit seinen Fläschchen ein.



Mirakel nahm Antonias Brautschleier an sich und malte ihr die Karriere aus. Dazu hatte man seine Stimme verhallt. Die klang nun richtig schauerlich. Und dazu pendelte die Uhr im Hintergrund. Antonia strebte aber zur Mutter, doch Mirakel holte sie zurück. Diese vielen Regiedetails in Pilsen hielten den Antonia-Akt am Laufen, denn der kann Längen aufweisen, wenn er zu statisch inszeniert wird.



Schließlich konnten sich zum Terzett Antonia und ihre Mutter umarmen. Nach dem großartig gesungenen Terzett Antonia – Mutter – Mirakel brandete Beifall auf, doch der Dirigent ließ gnadenlos weiterspielen. Die Zuschauer gaben so schnell nicht auf, aber der Dirigent auch nicht. Man hätte ihn niederklatschen sollen.



Dann ging Alles ganz schnell. Mirakel legte die Mutter in das offene Sarg-Buch und schloss den Deckel. Hoffmann warf sich der sterbenden Antonia zu Füßen. Zynisch entzündete Mirakel Kerzen für die tote Antonia. Es gab langen Applaus für diesen perfekt dargestellten Akt. Und zweite Pause.


Zum Giulietta-Akt sah man in den Proszeniumslogen leichtbekleidete Paare beim Liebesspiel. Dazu erklang die Barkarole ohne Piccoloflöte. Wenigstens das tat mir der Dirigent nicht an. Auf der Bühne gingen die Spiele der Eroten weiter. Und über Allem schwebte Giulietta als eine Frau Luna, denn sie saß in einem Kreis aus Lichtern. Zur Barkarole wurde sie herabgelassen und gesellte sich zu Niklaus, mit dem sie sich während der Barkarole schmusend vergnügte. Hier hätte ich mir die Orchesterbegleitung etwas sinnlicher gewünscht. Der Applaus für diese leicht nüchterne Barkarole erstarb nach ein paar Klatschern. Das lag aber nicht an dem sinnlichen Bühnenbild und der erotischen Giulietta.


Hoffmann war ganz hingerissen von diesem erotischen Ambiente und warf seine Schriften weg, doch der treue Niklaus sammelte sie wieder ein und verstaute sie in einer Tasche für die Nachwelt. Dapertutto war wieder der Zirkusdirektor und reichte Niklaus, dem Retter Hoffmanns, die Engelsflügel. Der lehnte sie zuerst ab, doch legte er sie dann selbst an, denn Hoffmann war nicht zur Vernunft zu bringen.


Giulietta und Dapertutto


Dann gab es mal wieder eine traditionelle und nicht von Jacques Offenbach komponierte Spiegel-Arie, die so zu dieser Oper gehört wie der im 12. Jahrhundert eingeführte Zölibat zur katholischen Kirche. Aber ich kann jeden Dramaturgen und Regisseur verstehen, die diesen 1908 in Monaco in die Oper eingefühten Kuckuck singen lassen, denn ich habe schon mehrfach erlebt, dass Besucher sich beschwerten, wenn ein Theater es gewagt hatte, diese unechte Spiegelarie wegzulassen oder sie durch das von Jacques Offenbach komponierte Original zu ersetzen. Dann wurden Niklaus und eine andere Figur (Schlemihl oder Pitichinaccio?) an venezianische Gondelpfähle gefesselt, so dass Giulietta dem Hoffmann gehörig den Kopf verdrehen konnte. Und wie Odysseus musste sich Niklaus, dem Paar den Rücken zugewandt, den Gesang der Sirene anhören. Derlei fantasivolle Einfälle gab es viele in dieser Inszenierung. Und das Schöne dabei, sie illustrierten die Handlung der Oper und pfropften ihr nicht werksfremdes und unverständliches Lametta auf.



Ein feuriges Duett zwischen Hoffmann und der erotischen Giulietta erklang, das auch beklatscht wurde. Danach sanken beide erschöpft zu Boden. Danach erklang wieder einmal das selten gewordene Sextett, das auch nicht von Jacques Offenbach stammt, aber schön anzuhören ist. Und in rotes Licht getaucht ging im Hintergrund die erotische Fummelei weiter. Man kann nur hoffen, dass die den Statisten nicht langweilig wurde.


Dann folgte das Duell Hoffmann – Schlemihl. Beide standen auf getrennten Kästen und duellierten sich im Zeitlupentempo – wie vor vier Wochen in Pforzheim. Giulietta hatte Hoffmann den Degen gereicht und gab dann das Startsignal. Irgendwie gelangte der Degen in Schlemihls Leib. Der blieb dann auf dem Rücken liegen mit dem senkrecht aus ihm herausragenden Säbel.


Hoffmann blickt auf seine drei verlorenen Lieben


Zum ernüchternden Bläserchor befanden sich Hoffmann, Niklaus und Lindorf alleine mit dem toten Schlemihl auf der Bühne. Hinter einer Fensterwand standen ominös und stumm Hoffmanns Verflossene. Der Dichter sah sie deprimiert an. Doch dann folgte ein erhebender Schluss, wie er sich gehört. Ein roter Teppich wurde ausgerollt, und die hübschen Kellnerinnen standen Spalier. Doch der war nicht für Stella ausgerollt, wie ich zuerst meinte, sondern für den Dichter Hoffmann, der von einem livrierten Diener einen Blumenstrauß überreicht bekam. Dann strömten Hoffmanns Freunde herein, intensiv in seinen Büchern lesend. Und Hoffmann durfte seine Erzählungen signieren.


Für ihn gab es ein versöhnliches Ende, wie es auch zur Botschaft dieser Oper gehört. Die Muse hatte ihre Flügel wieder angelegt und küsste den Dichter Hoffmann, wie man das von einer Muse erwartet. Dann übergab sie ihm zwei schwarze Gegenstände, die wie die Zeiger der Uhr aussahen, die nun nicht mehr tickte. Ein erhebender Gesang der Muse erklang: Les cendres de ton coeur ...

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Theater Pilsen und beim Fotografen Pavel Křivánek. Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Dann stimmten auch Hoffmanns Freunde und seine Frauengestalten ein, und das Theater erbebte mit diesem wunderschönen Gesang aus vollen Kehlen. Endlich wieder mal ein erhebendes Ende dieser Oper, das auch mit einer Guiraud-Choudens-Version möglich ist, wenn die Regie nur will und nicht irgendwelche werksfremden persönlichen Obsessionen hineininterpretiert.



Nach den letzten Schlussakkorden gab es den verdienten Applaus. Jubel für Olympia, Applaus für Antonia, Jubel für den Widersacher und die Muse, und auch einige Bravo-Rufe für Hoffmann. Als das Regieteam auf die Bühne kam, gab es einige wenige Pfiffe, die aber schnell wieder erstarben, da sie offensichtlich nur von einer Person stammten. Platzanweiserinnen in knappen Miniröcken verteilten Blumengebinde an die Hauptdarsteller, wie das an slawischen Bühnen üblich ist. Neun Minuten dauerte der Applaus.





Nach der Vorstellung gab es eine Premierenfeier im schönen Foyer, auf der die folgenden Bilder entstanden.




Olympia und der 28jährige Regisseur





Mutter und Antonia



Muse, Widersacher und Giulietta





Olympia und der 28-jährige Regisseur





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