Erfolgreich neubearbeiteter »Hoffmann« 2.0 in Wiesbaden



www.staatstheater-wiesbaden.de



Besuchte Vorstellung 30. Januar 2015 (Premiere)






Das reichverzierte Kaiserfoyer

Regie


Jakob Peters-Messer

Dirigent


Michael Helmrath

Chorleitung


Albert Horne

Bühnenbild


Markus Meyer

Kostüme


Sven Bindseil

Version


Oeser

Sprache


Französisch




Hoffmann


Sébastien Guèze

Muse


Victoria Lambourn

Olympia, Antonia, Giulietta


Anna Palimina

Widersacher


Matias Tosi

Mutter


Romina Boscolo







Fazit Wiesbaden 2.0: Ein bemerkenswert gelungener »Hoffmann«, über den es nur Erfreuliches zu berichten gibt. Die Überarbeitung der Inszenierung von 2008 hat sich gelohnt. Sie wurde sensibler, einfühlsamer und seriöser. Der Antonia- und der Giulietta-Akt wurden neu gestaltet. Choreografie und Körpersprache wurden perfektioniert. Ein vorzügliches Orchester und ein ebensolcher Chor wurden von einem souveränen Dirigenten geleitet, der wie kaum einer sonst die Emotionalität dieser Oper kongenial umsetzte. Wieder einmal bewältigte eine Sopranistin die Mammutaufgabe aller drei Rollen ganz hervorragend. Auch über die Muse, die Mutter und die männlichen Sänger nur Gutes: erfrischende und lebhafte Stimmen allerorten, einschließlich Chor.


Nach dem von Hinrich Horstkotte in Mönchengladbach aufgewärmten Halberstädter »Hoffmann«, der keine Neuinzenierung war, bekam ich von der Presseabteilung des Staatstheaters Wiesbaden eine korrekte und dann auch zutreffende Auskunft: Es wird eine Bearbeitung und Fortentwicklung der Inszenierung von 2008 gespielt werden. Und so war es auch. Die Reise nach Wiesbaden hat sich in mehrfacher Hinsicht gelohnt. Bei meinem Erstbesuch vor sieben Jahren besuchten meine Begleiter und ich nur das Theater, nicht aber die Stadt. Das konnte ich jetzt nachholen, und Wiesbaden gefiel mir spontan. Überhaupt die hessische Landeshauptstadt und ihre Bewohner: symbadisch wie die Badener, zuverlässig wie die Schwaben, locker und gemütlich wie die Bayern, freundlicher als die Berliner, friedlicher als die Preußen, toleranter als die Hanseaten, fleißig wie die Sachsen und elegant wie die Wiener. Eine Stadt mit Flair. Zudem ist Hessen das »Hoffmann«-freudigste Bundesland: Wiesbaden - Kassel – Gießen – Frankfurt – Darmstadt und nun wieder Wiesbaden. Dagegen mickrige zwei an bayerischen Opernhäusern: Regensburg und München, wobei man die belanglose Inszenierung des Richard Jones an der Münchner Staatsoper eigentlich vergessen sollte.


Das Staatstheater liegt in einem großzügigen Ensemble mit Kurhaus und Casino, nebenan sprudelt 50 Grad heißes Wasser aus der Erde. Das hatten schon die Römer entdeckt. Und auch der Saupreuße und Säbelrassler Wilhelm Zwo, dessen Aufenthalte in Wiesbaden allerdings eine erfreuliche Nachwirkung hatten. Zu seiner allerhöchstderselben allerchristlichsten Majestät Ruhm und Ehre fügte man an das schöne alte Theater ein luxuriös gestaltetes Kaiserfoyer an, das in unseren postfeudalen Zeiten auch dem gemeinem Volk zugänglich ist. Das Wiesbadener Theater mit ungefähr eintausend Plätzen entging den allierten Bomberflotten, die zur Niederringung des Hitlerfaschismus aberdutzende von schönen alten Theatern zerstören zu müssen glaubten. So ist Alles im Theater original erhalten. Das schafft doch gleich mal eine positive Grundstimmung.


Der Zuschauerraum ist eher als Halbrund denn als Hufeisen gestaltet. So sieht jeder gut, und auch die Akustik ist ausgezeichnet. Das Theater war voll mit nur den üblichen wenigen freien Plätzen. Das Publikum war zum Teil höchst elegant gekleidet, aber auch mit einigen Herren im karierten Hemd. Es gab einige jüngere Leute im Publikum. Im Orchester zählte ich drei Kontrabässe und vier Celli.


Auf den großen Vorhang hatte man ein auf dem Kopf stehendes Gesicht gemalt, dessen blaue Augen einen ängstlich anblickten.


Fast auf die Minute pünktlich hob der Dirigent seinen Taktstock, und schon gleich das erste erfreuliche Erlebnis: wuchtig und gleichzeitig gefühlvoll erklangen die Auftakte in echtem maestoso, so wie ich sie hören will. Das Bühnenbild war neu gestaltet, und zwar sehr zum Vorteil. En geschwungener Bogen schuf eine perspektivische Tiefe, auf der sich Handlung entfalten konnte. Ganz hinten verdeckte ein zweiter Vorhang ein Theater, in dem Stella ihre Triumphe feierte.



Lutters Taverne war nur angedeutet. Das Mobiliar hing kopfüber an der Decke. Die Trinklieder waren auf später verschoben und verkürzt worden. Katatonisch lagen surreale Figuren auf der Bühne verteilt. Die Muse trat als schwarzer Todesengel auf, eine Gesichtshälfte als Totenkopf gestaltet. Vom Regisseur erfuhr ich später, dass die Muse den Hoffmann zur Kunst drängen soll, doch die Kunst hat auch ihre dunklen Seiten, und so mancher Künstler zerbrach bekanntlich an seinem Metier.


Olympia mit Chor


Eine elegante Stella erschien und nahm ihren Applaus entgegen, nachdem sich der Vorhang zum Theater geöffnet hatte. Das (gemalte) Theater stand übrigens auch kopf. Ein dämonischer Lindorf mit schwarzer Brille erschien. Er wurde von Matias Tosi gegeben, den ich schon 2007 in Regensburg in dieser Rolle gesehen hatte, wo er mit seiner Gesangskunst die Premiere rettete, da der dortige Hoffmann nicht ganz den Erwartungen entsprach. .


Als Lindorf Stellas Brief an Hoffmann vorlas, begleitete das Orchester mit zart-sinnlichem Klang die süßen Worte Stellas an Hoffmann. Was für ein einfühlsames Dirigat über einem perfekten Orchester! Dann setzten sich Hoffmanns Kumpane, alle identisch als Clochards gekleidet, vorne an den Bühnenrand. Die Muse dirigierte den Chor mit einem Geigenbogen.



Ein junger, schlanker und lebhafter Hoffmann stellte sich vor. Bald sang er den Klein-Zach, und wieder änderte das Orchester seinen Stil von forsch-lebhaft zu zärtlich-sensibel, als Hoffmann zu Stella überging. So soll es sein – und ist es leider meistens nicht. Hoffmann begleitete seinen Gesang mit lebhafter Mimik. Freundlicher Applaus.


Hoffmann und Olympia


Der Olympia-Akt entsprach weitgehend dem Vorgänger von 2008 und ging fast nahtlos aus Lutters Taverne hervor. Allerdings hatte die Regie das extreme Grimassieren und die übertriebenen Gesten von damals abgemildert. In der linken Nische, aus der Olympia kam, stand eine surreale Plastik in poppigen Farben. Irgendwie erinnerte sie mich an die Ästhetik des Zeichentrickfilms der Beatles, Yellow Submarine mit den Figuren Heinz Edelmanns. Die Kostüme waren gleich denen der früheren Inszenierung.


Der riesige Chor war identisch gekleidet und zählte an die vierzig Sänger. Unglaublich präzise, schnell und voll im Takt mit dem Orchester kam das Lob auf Olympia Elle a des beaux yeux. Das war doppelt so schnell wie in München. Und nicht zu vergessen: die mussten das in einer fremden Sprache singen. Der poppige Chor bildete ein grandioses Halbrund für Olympias Auftritt. Spalanzani steuerte Olympia von einem Laptop aus, doch die Dame erwies sich als schwierig. Heftigst flirtete sie ihren Schöpfer an und versuchte, ihn statt Hoffmann zu verführen. Dann trieb sie neckische Scherze mit mehreren Choristen. Verdienter Applaus für diesen überzeugenden Auftritt.


Nachdem Cochenille die Gäste mit einem Jeroboam weggelockt hatte, waren Olympia und Hoffmann alleine. Doch Olympia zeigte sich ziemlich spröde und gab Hoffmann eine schallende Ohrfeige. Doch der ließ sich nicht abhalten.


Der betrogene Coppelius rächte sich an Spalanzani, indem er die Augen der Olympia herausriss. Dann griff er Spalanzani selbst an und erstach ihn. Spontaner Applaus für diesen lebhaften Akt und Pause.


Man kann sich nun fragen, ob die Regie in diesem Akt zu viel des Guten tat, als sie den Olympia-Akt doch etwas schrill gestaltete. Beim zweiten Blick nun fand ich ihn akzeptabler als vor sieben Jahren. Man kann diese Gestaltung als Satire auf die maliziös-dekadente Schickeria von Paris und deren Geilheit auf Sensationen deuten. Und unter diesem Aspekt waren die großen Augen auf den Playboy-Ohren der Choristen gut zu verstehen. Also, das Kasperltheater aus meiner ersten Besprechung nehme ich daher zurück.


Niklaus und Antonia


Dramatisch und tragisch kamen die Auftaktakkorde zum Antonia-Akt. Antonia stellte sich mit mädchenhaftem und hellem Sopran vor. Perfekte Besetzung, denn Antonia ist zwanzig Jahre alt. Niklaus half ihr, sich von Olympia zu Antonia zu wandeln und führte dann Hoffmann von Antonia weg, der symbolisch bei ihr gesessen war.


Sechs düstere Leichenträger in Zylindern trugen ein zweimanualiges Cembalo herein, ein Omen für Antonias Schicksal. Dann kam wieder mal ein Franz, zu dessen Auftritt Niklaus den Kopf schüttelte. Niklaus machte sich lustig über Franz, indem sie ihn hinter seinem Rücken nachäffte. Somit bekam dieser Auftritt des Dilettanten, den manche Regisseure streichen, durchaus seinen Sinn. Am Wiesbadener Theater hatte man bei der Übersetzung aufgepasst: Franz mangelte es an der Technik und nicht an der üblichen Methode.


Dann durfte ich wieder einmal meiner geliebten und leider oft gestrichenen Geigenarie lauschen. Hoffmann und Antonia begrüßten sich überschwänglich, doch Niklaus floh enttäuscht. Leidenschaftliche Duette Hoffmann – Antonia folgten. Doch Unheil kündigte sich an. Nach einem dramatisch hohen Ton wurde ihr schlecht.


Deutlich herausgespielt wurde, warum Doktor Mirakel an Antonia eine Ferndiagnose vollziehen musste: Vater Krespel hinderte ihn daran, Antonia selbst zu treffen. Das bleibt sonst meist unerklärt. Auch Antonias an Hoffmann gerichteter Verzicht auf die Gesangskarriere wurde gut dargestellt. Als Mirakel ihr die Karriere ausmalte, streichelte sie versonnen die Tasten des Cembalos. Dazu ging der rückwärtige Vorhang auf, und das auf dem Kopf stehende Innere des Wiesbadener Theaters wurde sichtbar. So wurde man als Zuschauer unauffällig und dezent, doch bestimmt durch die Handlung geführt. So soll Opernregie sein.


Antonia, Mutter und Mirakel


Mirakel führte eine mystisch in Schwarz gekleidete Mutter herein, die mit ihrem dramatischen Mezzo das folgende Terzett dominierte. Die Leichenträger kamen wieder, und diesmal trugen sie Geigen in den Händen. Dazu fing das Cembalo Feuer. Dieses beeindruckende Terzett forderte den Applaus des Publikums heraus, doch trotz spontanem Klatschen ließ der Dirigent weiterspielen.


Nach dem Terzett brach die Mutter tot zusammen. Auch Antonias Schicksal erfüllte sich, und die Totengräber brachten das Cembalo gemessenen Schrittes hinaus. Während Hoffmann noch seine tote Antonia betrauerte, erklang schon die Barkarole. Und endlich hörte ich sie perfekt vom Orchester begleitet. Keine Piccoloflöte kreischte, und das Orchester spielte sinnlich und erotisch akzentuiert. Wenn nur alle Dirigenten so einfühlsam Offenbachs Musik und die Handlung in Einklang brächten.


Niklaus musste Hoffmann von Antonia wegzerren – das nächste Abenteuer wartete. Und Antonia wurde zu Giulietta umgekleidet. Glitzernder Sternenstaub rieselte von oben herab.


Giulietta und Hoffmann vor dem Spiegel


Schwarze Gestalten krochen auf Dappertutto zu, als er die traditionelle Spiegelarie sang. Dann sang Giulietta ihr Klagelied von der eigentlich nur oberflächlich glitzernden Welt des Kurtisanen. Dabei muss ich immer an Balzacs Romantitel Glanz und Elend der Kurtisanen denken.


Drei der schwarzen Gestalten aus Dappertuttos Hofstaat brachten einen großen Spiegel in die Bühnenmitte und verleiteten Hoffmann feixend, sich doch dem Spiegel hinzugeben. Und durch einen optischen Trick verschwand sein Spiegelbild, und das einer der schwarzen Gestalten erschien darin. Dann gab es ein richtiges Degenduell, das Hoffmann zuerst zu verlieren schien. Doch der eroberte Schlüssel zu Giuliettas Boudoir brachte ihm nichts. Sie entschwand.


Dapertutto


Fehlerfrei erklang der ernüchternde Bläserchor. (Hoffentlich schlägt jemand das Wiesbadener Orchester für die Wahl des besten deutschen Opernorchesters vor). Stella wurde vor dem wieder geöffneten rückwärtigen Vorhang bejubelt, doch als sie auf Hoffmann zuging, wies er sie zurück. Lebhaft und ebenso begleitet vom Orchester schleuderte er ihr den Rest des Klein-Zach ins Gesicht.


Niklaus kam nun wieder als Muse mit den schwarzen Todesengelsflügeln zum apotheotischen Abgesang auf Hoffmann. Das war eine bewegende Szene. Hoffmanns Gesicht verklärte sich, und er begann freudig zu schreiben. Er hatte seine Bestimmung wieder gefunden. Doch die Freude dauerte nicht lange. Er sackte zusammen, den Stift noch in der Hand haltend.


Man kann nun spekulieren, ob es nötig war, den Hoffmann sterben zu lassen. Der Regisseur gab mir eine plausible Erklärung. Er bezog sich beim Tod Hoffmanns auch auf Jacques Offenbach und auf sein letztes Werk, das er gerade im Begriff war zu vollenden, als er starb,. Das leuchtet ein. Und E.T:A. Hoffmann wurde ja auch mit 46 Jahren aus der Mitte eines erfolgreichen Schaffens gerissen.


Spontaner Applaus für den Hoffmann, der alleine auf der Bühne stand, und dann natürlich für alle Hauptdarsteller, immer wieder von Bravo- und Brava-Rufen begleitet. Applaus auch für den Chorleiter, Brava-Rufe für die Mutter, Jubel für die Muse und den Widersacher, Stella und den Hoffmann. Jubel auch für den Dirigenten und das Orchester. Sieben Minuten dauerte der Applaus, der durch geschicktere Applausregie noch länger hätte dauern können.


Persönliche Selbstkritik.

Als ich 2008 den Wiesbadener »Hoffmann« zum ersten Mal sah, empfand ich besonders den Olympia-Akt als überzeichnet. Ich frage mich heute, warum ich den damals als Kaspertheater bezeichnete. Nun, ich hatte bis dahin nur 14 »Hoffmänner« gesehen, und die waren alle ziemlich brav. Als einfacher Mensch aus der Provinz war ich wohl etwas überfordert und reagierte spießig auf diesen spektakulären Akt. Ich begriff damals wohl nicht, dass die von Spalanzani abgezogene Schau in der Oper ebenso spektakulär gedacht war und eine Parodie auf die Pariser Schickeria der damaligen Zeit unter dem Usurpator Napoleon III. darstellen sollte. Ich hoffe, Regisseur Peters-Messer, der auch die Neubearbeitung besorgte, sieht mir meine damalige Kritik nach.

Ich hoffe, mit jeder neu gesehenen Inszenierung dazugelernt zu haben.

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Staatstheater Wiesbaden und beim Fotografen Martin Kaufhold. Ich danke für die freundliche und perfekte Zusammenarbeit mit der Presseabteilung.


Eine Premierenfeier gab es nicht, da es ja eine Wiederaufnahme war. Aber die Darsteller und das Regieteam trafen sich anschließend in der Kantine des Theaters. Nur die Muse musste sich schonen, weil sie am nächsten Tag eine anstrengende Probe vor sich hatte.

Bilder von der Wiederaufnahmefeier






Stella aus Moldawien



Hoffmann mit Besucher




Widersacher und Intendant



Krespel und Regisseur





Auf der Premierenfeier erfuhr ich auch, dass ich mit meiner Hoffmannie nicht der einzige bin. Eine Besucherin berichtete mir von einem in Barcelona lebenden Deutschen namens Fiedler, der im Laufe seines Lebens 125 verschiedene Ring-Inszenierungen besucht haben soll. Von einer solchen Zahl kann ich nur träumen. Wiesbaden 2.0 war seit 2007 meine Nummer 78. Noch dazu dauert ein Ring viel länger als ein »Hoffmann«.





Startseite o weiter nach