Das 1956 eröffnete Theater von Münster. Links Reste des zerstörten Theaters



Festlicher »Hoffmann«

zu besonderem Anlass in Münster



www.theater-muenster.de



Besuchte Vorstellung 29. August 2015 (Premiere)







Regie


Ulrich Peters

Dirigent


Stefan Veselka

Chorleitung


Inna Batyuk

Bühnenbild


Bernd Franke

Kostüme


Götz Lanzelot Fischer

Version


Kaye-Keck

Sprache


Französisch




Hoffmann


Adrian Xhema

Muse


Lisa Wedekind

Olympia


Antje Bitterlich

Antonia


Netta Or

Giulietta


Sara Rossi Daldoss

Widersacher


Gregor Dalal









Drei Besucher aus dem Kapuzinerkloster


Fazit Münster: Ein glanzvoller, gefälliger und richtig interpretierter »Hoffmann« mit erstklassigen Solisten, einem intelligenten Bühnenbild, fantastischen Kostümen und begleitet von einem ausgezeichneten Orchester. Erfreulich die Abwesenheit von werksfremden und störenden Bizarrerien. Ein Fest für Augen und Ohren und ein Beispiel für vorbildiche werkgetreue Interpretation. Als ich vor einigen Jahren hörte, dass Dr. Ulrich Peters zum Intendanten in Münster berufen worden war, wusste ich, dass es dort bald einen »Hoffmann« geben und dass der gut werden würde.


Münster ist eine lebhafte und sympathische Stadt von 300.000 freundlichen Einwohnern. Es liegt zwar für uns Bayern im sogenannten Preußen, hat aber dank Katholizismus nichts von der protestantischen Strenge weiter nördlich an sich. Im Publikum waren sogar drei Kapuzinermönche in typischem Habit. Das Theater ist ein gelungener Neubau, der schon 1956 eröffnet wurde, nachdem das alte Theater zur Niederschlagung des Hitler-Faschismus von den Alliierten zerstört werden musste. Man ließ zur Erinnerung eine Fassade mit mehrern Bögen stehen. Über das UFO-ähnliche Äußere des Neubaus mag man streiten, aber bei einem Theater kommt es auf die Inhalte an. An einem Vorgängertheater in Münster war übrigens Albert Lortzing tätig-


Hoffmann und Muse; zum Vergleich Anita (Otto Dix)


Das Parkett steigt stark an, an den Seiten befinden sich mehrere Gondeln und hinten mehrere Ränge. An der Decke über dem Zuschauerraum fehlt der traditionelle protzige Lüster. Stattdessen erzeugen Hunderte von leuchtenden Schirmchen die Illusion eines gestirnten Himmels über uns. Ein richtiges Wohlfühltheater. Platz für 900 Besucher. Weiträumige Foyers machen dieses Theater zu einem der besten in Deutschland. Das Theater war voll besetzt, nur in der ersten Reihe Mitte hatte wohl ein Politikerehepaar seine Freikarten verfallen lassen. Im Orchestergraben zählte ich vier Kontrabässe und fünf Celli.


Pünktlicher Beginn – bei einer Premiere keine Selbstverständlichkeit. Was für eine Wohltat mit den ersten Tönen aus dem Orchester: endlich mal wieder ein Dirigent, der die Auftaktakkorde nicht durchhetzte, sondern schön maestoso entwickelte. Das dem Hoffmann dräuende Schicksal entfaltete sich. gleich musikalisch. Auf Youtube gibt es ein Video von der Sommeroper Selzach, in dem die Auftakte beispielhaft maestoso gespielt wurden – wie auch nun in Münster. Zwischen diesen beiden Produktionen an mehreren Theatern viel Hektik bei den Auftakten.


Der Vorhang ging auf, und eine bohemienhafte Kneipe, in der Intellektuelle, Künstler und Literaten zu verkehren pflegen, wurde sichtbar. Mit klaren Stimmen präsentierte sich der Chor. Eine elegante Muse in Weinrot erfreute mit warmem, samtigem Mezzo. Ihr Kostüm, ein langes weinrotes Kleid, erinnerte mich an ein Frauenbild des Malers Otto Dix der Tänzerin Anita. Nur war die Münsteraner Muse hübscher. Dann riss die Muse ein Plakat der Stella von der Wand. Verständlich.


Lindorf mit Monokel kam auch in Rot und ging auf die Muse zu. Die Ersteigerung des Briefes wurde dramatisch gut dargestellt. Lindorf stellte sich mit gewaltiger und souveräner Stentorstimme vor und bekam gleich den ersten Applaus. Das ist selten. So ein früher Applaus ist wichtig, denn er löst die Premierennervosität ein wenig und beruhigt die in den Kulissen bibbernden anderen Sänger..


Hoffmann, dahinter Niklaus; mit Corps Sadonia


Dann trat der Chor in Studentenwichs auf, aber mit ganz besonderer Note. War es der am gleichen Wochenende stattfindende Christopher-Street-Day mit seiner beliebten SM-Ästhetik, der die Kostümbildner inspirierte? Die Studenten trugen nämlich Kostüme in sündigem schwarzem Lack, behängt mit den üblichen Paraphernalia von schlagenden Corps und Burschenschaften. Ich taufte die mal Corps Sadonia oder Burschenschaft Masochia. Naja, E.T.A. Hoffmann war ja nicht gerade ein Deutschnationaler. Aber geschenkt. Die Burschenschaften entfalteten sich sowieso erst richtig, als E.T.A. Hoffmann schon gestorben war.


Hoffmann sah so aus, wie man sich einen französischen Dichter des 19. Jahrhunderts vorstellt, z.B. Alfred de Musset, der dem Münsteraner Hoffmann ähnlich sah und auch gerne dem Alkohol zusprach wie der Hoffmann dieser Oper. (E.T.A. Hoffmann selbst, als Mitglied des obersten preußischen Gerichts, war wohl kaum Alkoholiker, wie das oft behauptet wird), wohl aber ein Gourmet. Stimmlich wie mimisch eine Idealbesetzung. Den leidenden verlassenen Liebhaber nahm ich ihm sofort ab. Mit hohen Tönen scheint er auch keine Probleme zu haben, denn er setzte gerne ein hohes C drauf, das ihm auch gelang. Für seinen Klein-Zaches bekam er kräftigen Applaus.


Mit einem Maßkrug wollte er auf seinen Rivalen Lindorf losgehen, doch die Muse hinderte ihn daran. Das Vorspiel in Lutters Taverne dauerte grenzwertige, aber noch normale 35 Minuten. Da wurde nichts langweilig, weil man die besten Nummern ausgewählt hatte. Also keine Fausta, Leonore und kein Gretchen. Diese Passagen sind auch musikalisch nicht besonders interessant.


Olympia-Akt Chez Spalanzani´s; ganz links Niklaus, rechts daneben abgewandt Hoffmann



Das Bühnenbild auf zwei Ebenen mit einer Wendeltreppe dazwischen eignete sich für blitzschnelles Umbauen. Der Fuzzy Spalanzani hätte gut in die Zeit seines Namensvetters Lazzaro passen können. Sein Labor schien in den Halles von Paris zu liegen (die abzureißen ein unverzeihliches kulturhistorisches Verbrechen des französischen Präsidenten Pompidou war).


Hoffmann und Olympia


Niklaus, inwischen gestylt wie eine Greta Garbo, sang eine feurige Vogelarie mit einer Büste der Olympia in den Armen. Coppelius kam als Daniel Düsentrieb in einer Art Fliegerkostüm. Sein Utensilienkoffer leuchtete von innen.


Fantastische Gestalten bevölkerten Chez Spalanzani´s, besonders die Frauen. Kompliment an die Kreativität der Kostümbildner. Alles glitzerte und funkelte. Ein gewaltiger Chor erklang. Täuschte ich mich, oder hatte man das Lob auf Olympias Augen gestrichen?


Olympia sah aus wie eine Gestalt aus dem Cleopatra-Film mit Elizabeth Taylor. Tänzelnd stellte sie sich vor. Sie bekam sogar eine richtige Harfe mit Totenköpfchen und leuchtenden roten Augen vor sich gestellt, nachdem man die Harfe gegenüber anderen Instrumenten ausgewählt hatte. Im Hintergrund wurde ein künstlerisches Bild der Stella projiziert, das mich irgendwie an Marlene Dietrich erinnerte. .


Mit perfekter, souveräner Koloratur und sahnigem Glanz in der Stimme trug Olympia ihre Arie vor. Professor Spalanzani lenkte mit einer Fernsteuerung. Jubel und langanhaltender Applaus belohnte sie. Dann kam Coppelius mit einem Hackebeil und zerstörte Olympia. Applaus für diesen Akt.








Antonias Tod; knieend Hoffmann, rechts Mirakel


Ohne Pause und nach blitzschnellem Umbau ging es weiter mit dem Antonia-Akt. Im Zimmer der jungen Sängerin stand ein lebensgroßes Portrait ihrer Mutter. Antonias Auftrittslied wurde kritisch von Niklaus beobachtet. Applaus dafür. Ihr Vater Krespel saß im Rollstuhl.


Franz musste auftreten (nein, den darf man aus Rückscht auf das Pulikum nicht kürzen, was nur wenige Regisseure wagen) und beklagte mal wieder seinen Mangel an Gesangsmethode. Er bekam natürlich Applaus, weil sich das Publikum gefreut hatte.


Dann wurde es dramatischer. Kniend vor Hoffmann sang Niklaus die Geigenarie. Ergreifend gefühlvoll. Allerdings musste ich den Applaus dazu eröffnen. Wunderschöne Duette Hoffmann – Antonia folgten, für die sich das Publikum bedankte. Und das Orchester begleitete einfühlsam. Dann gab es wiederum Applaus für das Terzett Hoffmann – Mirakel – Krespel.


Als der böse Mirakel der Antonia die blühende Karriere ausmalte, wurde im Hintergrund das Treppenhaus einer Oper projiziert. Möglicherweise war das die Opéra Garnier in Paris. Könnte auch die Staatsoper in Wien gewesen sein. Bin mir aber nicht sicher und bitte um Korrektur. Antonias innere Zerrissenheit zwischen Karriere und Kind wurde gut dargestellt. Sie wendete sich an das Portrait ihrer Mutter. Und das begann durch einen raffinierten optischen Trick zu singen.


Dann kam die Mutter leibhaftig hinter dem Bild hervor. Zum Terzett Antonia – Mirakel – Mutter brannte im Hintergrund eine (projizierte) Geige. Diesen musikalischen Höhepunkt der Contes wollte das Publikum unbedingt hartnäckig beklatschen, aber der Dirigent ließ ebenso hartnäckig weiterspielen. Mirakel gab der Antonia eine offenbar tödliche Spritze in den Arm. Niklaus tröstete Hoffmann über Antonias Tod. Nach Ende des Aktes durfte das Publikum endlich kräftig klatschen. Und Pause, in der man den Vollmond bewundern konnte, der an diesem Abend schien.


Giulietta und Dapertutto


Hoffmann und Niklaus saßen zusammen, als die Barkarole begann. Nach ein paar Takten erst kam eine fantastisch kostümierte Giulietta hinzu. Ein verhaltenes Piccolo spielte dazu. Die Herren des Chores trugen Frack, die Damen fantastische Silberkleider mit langen roten Handschuhen und roten Perücken. Eine plastische Darstellung der venezianischen Dekadenz und des Glanzes dieser Stadt. .


Schöne, sonst nicht zu hörende Arien aus der Kaye-Keck-Version erklangen. Es gab endlich mal wieder ein richtiges ausführliches Degenduell. Dapertutto erstach dabei Schlemihl von hinten. Interessante Idee, und nicht weit hergeholt, denn Dappertutto greift bekanntlich auf Hoffmanns Seite in das Duell ein, indem er Hoffmann einen Wunderdegen leiht. Für Hoffmanns Liebeserklärung an Giulietta gab es Applaus. Ebenso für Hoffmanns und Giuliettas hedonistische Hymne an die Erotik.


Giulietta und Hoffmann am Spiegel


Beeindruckend und drohend sang der Chor: Hoffmann, fliehe Venedig, oder es droht dir der Galgen. Als Hoffmann erkannte, dass er von Giulietta betrogen worden war, wurde eine ganz selten zu hörende Nummer dazu gespielt, in der Hoffmann die Kurtisane als Schlange beschimpfte. Giulietta was verzweifelt, als Hoffmann ihren Vertrauten, als Zwerg dargestellten, Pitichinaccio erstach.


Der Hörnerchoral führte uns in die Wirklichkeit zurück. Der schon lange nicht mehr gehörte a cappella Männerchor erklang aus den Kulissen, war aber möglicherweise eine Tonkonserve. Dieser a cappella-Chor ist nur in der Kaye-Keck-Version enthalten. Dann kam Stella, die aber nur ein Wort zu sagen hatte: HOFFMANN !!! Doch der schleuderte ihr nur den Rest des Klein-Zach entgegen. Doch schon stand Lindorf bereit, die Stella abzuschleppen.


Dann saß Hoffmann ganz alleine auf der Bühne, über eine Stuhllehne versunken. Die Muse, nun wieder ganz in Rot, trat ein. Fast sakral mit einer Art Orgel begleitete das Orchester ihren Abgesang auf Hoffmann: Man wird groß durch die Liebe, aber größer durch den Schmerz. Hoffmann, geleitet durch die Muse, setzte sich an einen Tisch und begann fast hektisch zu schreiben – mit einem Gänsekiel. Und die Muse schmiegte sich an ihn. Was für ein rührendes Ende, ganz so wie es dem Libretto entspricht aber leider nur selten inszeniert wird.


Jubel erfüllte das Haus, kaum war der letzte Ton verklungen. Der Applaus danach war gewaltig. Jubel bekam schon der Chor, was selten ist, und auch die kleinen Rollen, wie z.B. Franz. Und natürlich erst die Solisten. Den meisten Jubel bekamen Olympia, die Muse, Antonia, Hoffmann und der Widersacher. Bald stand das Theater auf und applaudierte im Stehen. Applaus gab es auch für das ausgezeichnete Orchester. .

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Theater Münster und beim Fotografen.Oliver Berg. Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Auch das Regieteam wurde bejubelt. Dann gratulierten zwei Damen der Theaterleitung dem Intendanten und Regisseur Dr. Peters zum 60. Geburtstag. Langer Applaus des Publikums, das seinen von der bayerischen Staatsregierung aus München vertriebenen Theaterleiter sehr zu mögen scheint. Während des Applauses fragte ich meine Nachbarin zur Linken, ob sie mitmachen würde, wenn wir Happy Birthday anstimmen würden. Sie war spontan dabei. Unser erster Versuch misslang, weil der Applaus noch zu laut war. Als der aber nach längerer Zeit abflaute, röhrten wir beide aus vollen Hälsen los, und innerhalb einer Sekunde stimmte das ganze Theater ein. Und nach drei Sekunden hatten offensichtlich einige mit absolutem Gehör begabte Orchestermusiker die Tonart aufgegriffen, begleiteten uns und fügten einen Tusch hinzu.



Inzwischen musste ich von einem Orchestermusiker aus dem Capriccio-Kulturforum (Beiträge 409 – 411) erfahren, dass ich damit den geplanten Ablauf des Abends empfindlich gestört hatte. Es war nämlich abgesprochen, dass Chor und Orchester zusammen Happy Birthday in C-Dur anstimmen sollten. Wir beide hatten aber in Es-Dur, einer edleren Tonart, angefangen. Die Profis aus dem Orchester hatten das sofort gemerkt und in der richtigen Tonart in unseren Gesang eingestimmt. Tut mir leid, war nicht bös gemeint von uns. Aber das wurde nun ein seltenes Ereignis, denn wann singt schon einmal das Publikum in einer Oper lauthals? Sollte man mal überlegen, ob man das institutionalisiert. Oper zum Mitsingen. Ich könnte mir da schon einige Nummern vorstellen ...


Mit Gratulation etc. dauerte der Premierenapplaus zwölf Minuten, nicht zuletzt weil man die Solisten immer wieder vortreten ließ. Ein wunderschöner Abend, auch für mich, denn auch ich hatte auch am 29. August Geburtstag (75.) und hätte mir kein schöneres Geburtstagsgeschenk wünschen können als eine gelungene »Hoffmann«-Premiere.



Anschließend war das Publikum zur Premierenfeier eingeladen, auf der die folgenden Bilder entstanden. Konditoren teilten Geburtstagstorte aus.




Ständchen für Dr. Peters (links)



Dr. Peters am Mikrofon mit Ensemble. Ganz links der Widersacher (Nr. 54)


Opernfreund Frank Seemann (links) mit Familie. Herr Seemann ist eifriger Leser dieser Seite.


Antonia, Chorleiterin und Muse. Frau Or (Antonia, die ich in Bonn in allen drei Rollen gehört hatte) sagte, dass sie immer so streng schaue.



Hoffmann



Mutter und Giulietta


Bühnenbildner und Kostümbildner. Der Herr links schaute etwas streng, als er hörte, dass ich Opernkritiker bin. Aber erfreulicherweise kann ich von der Arbeit der beiden Herren nur Gutes berichten.
















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