Klassischer »Hoffmann« auf exzellentem musikalischem Niveau in Bordeaux

www.opera-bordeaux.com



Besuchte Vorstellung 24. September 2019 (Quatrième)





Regie


Vincent Huguet

Dirigent


Marc Minkowski

Chorleitung


Salvatore Caputo

Bühnenbild


Aurélie Maestre

Kostüme


Clémence Pernoud

Version


Kaye-Keck

Sprache


Französisch




Hoffmann


Adam Smith

Muse


Aude Extrémo

Olympia, Antonia, Giulietta


Jessica Pratt

Widersacher


Nicolas Cavallier







Fazit: Ein neuer »Hoffmann« in bester französischer Tradition mit wunderschönen Stimmen, begleitet von einem perfekt spielenden und dirigierten Orchester an einer klassischen Bühne. Das Grand Theatre erfreute mit einer Sopranistin für die großen Frauenrollen, die musikalische Maßstäbe setzte. Auch der Chor war tadellos einstudiert. Eine Inszenierung mit guter Nummernauswahl nach dem Kenntnisstand der »Hoffmann«-Forschung innerhalb eines klassizistischen Bühnenbildes, das in die Renaissance einzuordnen ist. Kompliment an das Grand Theatre, dass es im 200. Jahr nach Jacques Offenbachs Geburt die einzige mir bekannte Neuinszenierung eines »Hoffmann« auf eine französische Bühne gebracht hat.


Im Jahr, in dem sich die Geburt des Komponisten Jacques Offenbach zum 200. Mal jährt, sollte man eigentlich meinen, dass in seiner zweiten Heimat Fankreich zahlreiche Inszenierungen seiner einzig erfolgreichen Oper auf die Bühnen gebracht werden, doch es gibt hauptsächlich Offenbach-Abende mit Potpourris seiner bekanntesten Melodien und einige konzertante Aufführungen. Nur die Oper von Bordeaux machte sich die Mühe einer Neuinszenierung. Dank und Anerkennung dafür.


Das Grand Theatre Bordeaux wurde 1780, also neun Jahre vor der Revolution, eröffnet und stellt einen beeindruckenden Bau mitten in der Stadt dar. Zu Baubeginn wurde E.T.A. Hoffmann gerade geboren. Gegenüber prangt ein Luxushotel mit livrierten Lakajen. Der Zuschauerraum bietet offiziell Platz für 1114 Besucher, wirkt aber innen viel kleiner, so dass man meinen könnten, dass höchstens 700 Leute Platz finden. Er hat eher den Grundriss eines Amphitheaters. Nach erhaltener Auskunft betreibt die Stadt Bordeaux (Mairie) das Theater, das sich aber Opéra National nennt. Das nicht sehr aufwändig gestaltete Programmheft kostete stolze 8 Euro, für Platzmieter 5 Euro. Das Theater war voll. Ein gutes Zeichen für eine vierte Aufführung.



Die Zusammenarbeit mit der Presseabteilung war freundlich und problemlos, was leider nicht immer der Fall ist, auch nicht in Frankreich. Danke dafür von meiner Seite. Im Orchester zählte ich drei Kontrabässe und vier Celli. Das Publikum war eher von der älteren Generation, wie in Deutschland. In Frankreich zieht man sich für die Oper nicht unbedingt fein an. Die meisten Besucher kommen gekleidet wie zu einer besseren Grillparty, ganz anders als ein paar Tage vorher in Brünn.



Französische Operninzenierungen neigen nicht dazu, sich an großen Experimenten oder vertieften Neuinterpretationen zu versuchen. Man hält sich an das Libretto und an die Tradition. Gesungen wurde auf Französich, klar, und dazu gab es französische Übertitel. Für mich eine Gelegenheit, mein dürftiges Französisch aufzufrischen. Auffallend war, dass Hoffmann während der gesamten Oper nicht als Dichter oder Schriftsteller charakterisiert wurde.



Eine besondere Attraktion für mich und eine Motivation für die weite und nicht billige Reise war das Dirigat. GMD Marc Minkowski ist einer der Stardirigenten der Gegenwart und ein ausgewiesener Offenbach-Kenner. Und gleich zu Beginn stellte er sein Können unter Beweis. Die wuchtigen Auftakte werden heutzutage von zahlreichen Dirigenten allegretto durchgehetzt, aber Marc Minkowski ließ sie richtig und werkgetreu maestoso spielen. Auch danach erklang nur Erfreuliches aus dem Orchestergraben: nuanciert, inspiriert und gefühlsmäßig der Handlung folgend.


Ein Männerchor begrüßte uns bei geschlossener Bühne, bevor der wuchtige Auftakt erklang. Ein steinerner Torbogen versetzte uns die Antike, aus der ja die Muse stammt. Das Bühnenbild blieb klassisch und enthielt oft Stilelemente der Renaissance. Die Kostüme dagegen waren meist modern-einfach.


Kauernde Gestalten bevölkerten die Bühne. Stella saß am Schminktisch ihrer Garderobe und wurde für die Aufführung des Don Giovanni an der Scala zurechtgemacht, und Lindorf kam mit einem Rosenstrauß. Ein kultivierter, voller Bariton erklang, und Stella rauschte wie eine zickige Diva über die Bühne. Der Chor der Männer in Lutters Taverne umfasste 25 Männer in legerer Kleidung. Ein ziemlich derangierter Hoffmann im Unterhemd stolperte auf die Bühne. Ein strahlend erfrischender und wohlartikulierter Tenor erklang, der aufhorchen ließ.



Und gleich begann er mit dem Klein-Zaches. Eine Stimme, die man sich merken muss. Als er zu Stella überging, fiel seine Muse in Ohnmacht. Nette Idee. Leider nur kurzer Applaus für diese vorbildliche Präsentation. Zum Anfiesen setzten sich Hoffmann und Lindorf ganz gentlemanlike an einen kleinen Tisch. Doch Hoffmann ließ sich nicht von Lindirf unterkriegen. Zum Ende der Szene in Lutters Taverne werden trois maitresses, trois enchanteresses angekündigt, was also eine durchaus erotische Komponente darstellt. Bei uns wird immer nur von drei Frauen gesprochen. Applaus für diesen Auftakt.



Und sofort erklang die Einleitung zum Olympia-Akt. Drei Diven in langen roten Kleidern kamen auf die Bühne, gekennzeichnet als Norma (Bellini), Violetta (La traviata) und dann Olympia, die auch auf der Bühne blieb. Spalanzani trat als Einstein-ähnlicher Fuzzy in einem schillernden Mantel auf. Diese Analogie empfand ich jetzt als nicht so gelungen, auch wenn sie bisher häufig zu sehen war. Einstein war Mathematiker und kein Betrüger, und schließlich ein musikalischer Mensch, der gerne Geige spielte. Monsieur Spalanzani hingegen n´aime pas la musique. In Rouen hatte man ihn als Karl Lagerfeld und in Mainz als Andy Warhol ausgestattet. Das Bühnenbild bei Spalanzani war ebenfalls klassizistisch.


Eine lebhaft und klangvoll gesungene Vogelarie der Muse wurde leider nicht beklatscht. Coppelius kam unspektakulär ohne Baro- und Hygrometer, aber die Optik hatte er dabei. Das vollständig gesungene Terzett Muse – Hoffmann – Coppelius trois ducats bekam den verdienten Applaus. Musikalischer Glanz machte sich auf der Bühne breit. Lauter schöne Stimmen. Eine strahlend schöne Olympia in langer roter Robe kam herein. Mittelschnell erklag das Lob auf Olympias Augen. Das Event bei Spalanzani fand mediale Aufmerksamkeit und wurde vermutlich live auf Youtube übertragen, denn ein Filmtteam war dabei.



Eine perfekte und strahlende Koloraturstimme erfreute das Ohr mit Olympias Arie. Als sie schwächelte, bekam sie einen Energy-Drink. Eine der besten Olympien aller Zeiten, darf ich konstatieren. Kräftiger Applaus für diese exzellente Darbietung. Spalanzanis Gäste bewunderten und verehrten Spalanzanis Geschöpf und gaben ihr Geschenke. Dann eine Einlage: Violetta bekam den Pokal für die beste Sängerin, und Olympia wurde sauer. Als der Coppelius von seinem geplatzten Scheck des Elias erfuhr, hängte er Olympia an einem Galgen auf. Spalanzani und Coppelius duellierten sich mit Säbeln. Kräftiger Applaus und erste Pause.


Wuchtig-dramatisch kamen die Auftakte zum Antonia-Akt. Jessica Pratt, die uns eben noch mit einer strahlenden Koloratur erfreut hatte, sang nun mit samtig-lyrischer Stimme vor. Ein junger Mann befand sich bei ihr, der sich später als die Domestike Franz herausstellte. Der durfte sich dann auch mal wieder präsentieren, und in Frankreich natürlich von seinem Mangel an méthode klagen, auch in den Übertiteln. Applaus dafür.


Hoffmann begleitete offensichtlich die Geigenarie der Muse auf einer Geige. Das hatte ich zuletzt 2007 in Regensburg erlebt, als sowohl der gescheiterte Premieren-Hoffmann Michael Suttner wie auch der eingesprungene Alexandru Badea die Geigenarie höchstselbst geigend begleiteten. Beide hatten Geige als Fach studiert. Aus vollem Hals sang die Muse eine bewegende Geigenarie. Wunderschöne Duette Hoffmann – Antonia folgten. Der Applaus dafür war viel zu knapp. Hinter einem schwarzen Gazevorhang bewegten sich düstere Gestalten.



Als Mirakel der Antonia ihre mögliche Karriere ausmalte, erschienen die Zuschauerräume berühmter Bühnen vor ihren Augen. Antonias Mutter erschien denn hinter dem Gazevorhang. Für das mit selten zu hörenden hervorragenden Stimmen Terzett Mirakel – Antonia – Mutter gab es kräftigen Applaus. Maeährlichen Milieu. stro Minkowski ließ das Publikum eine Zeit lang gewähren, schritt dann aber ein, indem er weiterspielen ließ. Antonia sang sich leise zu Tode und verschwand hinter dem Gazevorhang. Applaus und zweite Pause.



Sinnlich eröffnete das Orchester die Barkarole, aber auch etwas besinnlich. Wiederum bildete eine Renaissance-Architektur den Rahmen. Leider hatte Maestro Minkowski die Piccoloflöte nicht herausgenommen, aber sie wurde so erträglich leise gespielt, dass sie nicht das lauteste Instrument im Orchester bildete. Giulietta und die Muse standen weit auseinander. Dazu kam ein düsterer Leichenzug von rechts nach links herein. Antonias Sarg wurde eine Geige vorhergetragen. Viel Schwarz war auf den Bühne zu sehen, auch der Chor trug schwarze Kapuzenumhänge, nur Giulietta war in Rot gekleidet.


Endlich war wieder einmal die korrekte von Jacques Offenbach komponierte Diamantenarie zu hören, und zwar die elegantere Variante. (Nach der Vorstellung hörte ich einige Leute schimpfen, dass die ach so schöne Spiegelarie nicht zu hören war. Leider konnte ich auf Youtube keine Aufnahme dieser Offenbach´schen Komposition finden.) Das Publikum kennt wohl nur die von fremder Hand eingefügte Spiegelarie und spendete der gut artikulierten echten Arie keinen Applaus. Dann gab Dapertutto der Giulietta mehrere Spritzen in den Kopf, was ich so verstand, dass sie ganz sein Geschöpf war. Wir bekamen eine begeisternd erotische Giulietta zu sehen und zu hören.

iTA


Die Barkarole wurde wiederholt, und es schien kein Duell mit Schlemihl zu geben, denn Goffmann bekam den Schüssel zu Giuliettas Garderobe auch so. Doch der nützte ihm nicht viel, denn Giulietta ging schnöde mit Dapertutto ab. Schlemihl starb auch so, und Giulietta schickte Hoffmann weg. Hoffmanns Verlust seines Spiegelbildes wurde symbolisch dargestellt, indem Hoffmann seinen Frack auszog. Dann wurde er von der gesamten Entourage Giuliettas bedroht, doch Giulietta begnadigte ihn. Dann brachte Hoffmann Giuliettas Liebling Pitichinaccio um, den die Kurtisane betrauerte. Hoffmann und seine Muse flohen aus dem gefährlichen Milieu.


Nachbemerkung zu diesem dezent inszenierten Akt: Hoffmanns Abenteuer in Venedig wurden zwar korrekt und vollständig dargestellt, aber hier hätte sich eine Anspielung auf die aktuelle Gesetzeslage in Frankreich angeboten, wo männliche Besucher von Prostituierten bestraft werden. Hoffmann hätte sich demnach nicht nur wegen des Mordes an Pitichinaccio sondern auch wegen eines Verstoßes gegen das Gesetz gegen das System der Prostitution schuldig gemacht, da er Giuliettas Salon besucht hatte. Näheres dazu unten. *


Zum Umbau für das Finale wurde die Barkarole zum dritten Mal wiederholt. Der melancholische Bläserchor begann bei noch geschlossenem Vorhang. Ein großes Renaissanceportal erschien, und der a capella-Männerchor erklang sauber intoniert. Hoffmann hielt sich Ohren zu, als seine Freunde bacchantische Trinklieder anstimmten. Stella erschien mit einem Schoßhündchen in der Tasche und winkte verächtlich ab, als sie den trunkenen Hoffmann erblickte. Das Hündchen war aus Stoff, während man in Nordfjord riskiert hatte, einen lebendigen Hund auf die Bühne zu bringen.


Hoffmann sang den Rest des Klein-Zaches an Lindorf und kollabierte dann. Der Chor On est grand par l´amour mais plus grand par le douleur erweckte ihn wieder. Die Bühne füllte sich mit dem gesamten Ensemble, das melancholisch wiederholte On est grand par l´amour, und Hoffmann stand wieder auf, und Vorhang.


Kräftiger AHoffpplaus und Jubel für die Muse, Stella und Hoffmann. Nach vier Minuten ging das Publikum zu rhythmischem Klatschen über, das noch eine Minute andauerte.


Nach der Vorstellung traf ich einige der Solisten am Bühneneingang und nahm folgende Bilder auf.



Hoffmann und Stella


Maestro Minkowski










Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Grand Theatre Bordeaux und beim Fotografen...... Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


* Zum Sexkaufverbot in Frankreich

Seit einigen Jahren werden nämlich bei unseren westlichen Nachbarn Männer bestraft, die Prostituierte besuchen und sich deren sexuelle Dienstleistungen kaufen. Radikale FeministInnen hatten während der Amtszeit des sozialistischen Präsidenten François Hollande diese puritanischen Gesetze durchgedrückt. Das Ergebnis fiel mir ins Auge, als ich in der Grenzstadt Saarbrücken einen »Hoffmann« sah. Alle paar Meter wurde ich auf Französisch von Prostituierten angesprochen. Das Ergebnis der sozialistischen Gesetzgebung war nämlich, dass sich die Prostitution einerseits in den kriminellen französiscchen Untergrund und andererseits in Frankreichs Nachbarländer Belgien, Luxemburg, Deutschland, Schweiz, Italien und besonders Spanien verlagerte, In der spanischen Grenzstadt La Jonquera soll sich das größte Bordell Europas befinden. Präsident Hollandes Reform brachte seiner Parti Socialiste keinen Gewinn. Er selbst war mit 60% der Stimmen gewählt worden. Bei der folgenden Wahl bekamen die französischen Sozialisten gerade mal noch 6% und spielen in der französischen Politik keine Rolle mehr. In der gegenwärtigen Nationalversammlung stellen sie klägliche 30 von 577 Abgeordneten. Bei der letzten Europawahl errangen sie 2 (zwei) von 74 Sitzen. Hollande ist der unbeliebteste französische Präsident aller Zeiten. Ob post hoc oder propter hoc, kann ich nicht beurteilen.

















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