Ein »Hoffmann« als schillerndes Spektakel à l´anglaise in Halle



www.buehnen-halle.de



Besuchte Vorstellung 16. September 2023 (Premiere)






Regie


Walter Sutcliffe

Dirigent


José Miguel Esandi

Chorleitung


Frank Flade, Johannes Köhler

Bühne


Jon Bausur

Kostüme


Dorota Karolczak

Version


Kaye-Keck

Sprache


Französisch




Hoffmann


Dan Karlström

Muse


Gabriella Guilfoil

Olympia


Vanessa Waldhart

Antonia


Franziska Krötenheerdt

Giulietta


Yulia Sokolik

Widersacher


Oliver Zwarg

















Unter diesem Link findet man Bilder der Hallenser Inszenierung:

https://www.buehnen-halle.de/de/program/hoffmanns-erzahlungen/214157



Auf Youtube findet man einen Trailer mit Ausschnitten aus der Hallenser Inszenierung, allerdings nicht chronologisch geordnet sondern wild durcheinander:

https://www.youtube.com/watch?v=5wZIe7PHyrU



Fazit Halle: Ein kaleidoskopischer Hoffmann, dessen Konzept kaum in wenigen Worten zu subsumieren ist. Er steht voll in der englischen Theatertradition, die ihre Wurzeln in Shakespeares Globe Theater hat. Das Hauptziel dort war es, die Zuschauer mit allen möglichen Gags und Schabernack zu unterhalten. Auch heute ist das englische Theater im Vergleich zu unserem viel spektakulärer und weniger moralisch, philosophisch und psychologisch. Und ein gerüttelt Maß davon flößte Sutcliffe seinem »Hoffmann« ein. Die Stärken dieser Inszenierung liegen in der hohen Qualität von Gesang und Orchester, in den kreativen Kostümen und im gelungenen Bühnenbild und in einigen Einfällen der Regie. Über andere müssen wir diskutieren. Auch das fundiert recherchierte Programmheft mit dem Aufsatz des Dramaturgen über das Leben Jacques Offenbachs in Frankreich verdient höchstes Lob. Nur beim Thema sozialistischer Antisemitismus hat er sich vergaloppiert. Die Auswahl der Musiknummern ist stellenweise schlecht nachvollziehbar. Das Publikum ging gut mit und spendete häufigen Szenenapplaus. Der Schlussapplaus dauerte sieben Minuten, bis er vom Intendanten und Regisseur unterbrochen wurde. Kein Buh war zu hören, als das Regieteam auf die Bühne kam. In München wäre es gnadenlos ausgepfiffen worden. Insgesamt eine sehens- und besuchenswerte Inszenierung.

Die Leipziger Volkszeitung titelte: Tolle Sänger, untaugliche Regie, indiskutables Orchester. Diese Einschätzung teile ich nicht. Tolle Sänger, auf jeden Fall;. was die Regie angeht, habe ich schon viel Schlimmeres erlebt, und bis auf ein paar Details wurde die Geschichte ja richtig erzählt. Am Orchester hatte ich außer dem kreischenden Piccolo bei der Barkarole nichts auzusetzen.



Das Opernhaus von Halle ist ein klassischer Bau mit griechischem Portikus auf einem Hügel mitten in der Stadt. Man erreicht es entlang einem riesigen gepflegten Blumenbeet. Es wurde im 2. Weltkrieg von angloamerikanischen Opernfeinden stark beschädigt und schon 1950 wieder eröffnet. Die Fassade wurde rekonstruiert, der Zuschauerraum wurde modern gestaltet: Ein breite Bühne mit Drehbühne, ein ansteigendes Parkett und zwei Ränge, so dass alle gut sehen und hören. Es hat 600 Plätze. Die Zusammenarbeit mit der Presseabteilung war freundlich und problemlos. Die Oper wird von einer GmbH betrieben, hinter der die Stadt Halle steht. Im Orchester zählte ich drei Kontrabässe und vier Celli. Das Theater war fast voll. Die Pandemiedelle scheint also erfreulicherweise überwunden zu sein.



Vor der Premiere gab es eine gut besuchte Einführung durch den Dramaturgen Dr. Boris Kehrmann, der mit verblüffend fundierten Kenntnissen über Jacques Offenbach, seine Zeit und seine Erfolge und Niederlagen brillierte. Ich muss das betonen, weil diese Einführung alles in den Schatten stellt, was ich bisher gehört hatte.



Wunderschön maestoso und dramatisch akzentuiert erklangen die Auftaktakkorde, als der Vorhang aufging. Was für eine pittoreske Szene mit historischen Anspielungen sich uns da bot: Wir befanden uns in einem Pariser Vergnügungslokal in der Zeit des preußisch-französischen Krieges von 1870, als der leichtfertige Napoleon III. (von Jacques Offenbach mehrfach karikiert) den Preußen den Krieg erklärte und der kriegsgeile Kanzler Bismarck diese Idee gerne aufgriff. Den Ausgang kennen wir: Die Preußen gewannen dank schnell schießenden Hinterladern (wie schon 1866 gegen ihre deutschen Brüder), demütigten Frankreich mit einem erniedrigenden „Friedens“vertrag und riefen das Deutsche Reich ausgerechnet in Versailles auf französischem Boden aus. Und der arme pazifistische Jacques Offenbach, der schon an den Contes d´Hoffmann arbeitete, geriet zwischen die Fronten.



In dem Lokal mischten sich französische Kokotten mit pickelhaubenbewehrten preußischen Soldaten, und auf einer Bühne tanzten Balletteusen Cancan. Dieses Eröffnungsbild hätte einen spontanen Szenenapplaus verdient. Und ich ärgere mich jetzt noch, dass ich ihn nicht eröffnete, nachdem sich keine Hallenser Hand rührte. Eine schwarz-rot-goldene Fahne beherrschte das Bild. Aber Moment mal, eigentlich waren Schwarz-Rot-Gold damals die Farben der demokratischen Antimonarchisten und Freistaatler, d.h die Kämpfer für einen Staat frei von nicht demokratisch legitmierten Erbmonarchen. Die Muse war in diese Fahne gehüllt und trug ein Schwert. Die preußischen Farben waren damals Schwarz-Weiß. Und die Reichsfarben nach der Versailler Ausrufung waren schwarz-weiß-rot. Die preußischen Soldaten tranken Bier, die Französinnen Wein. Da der Tag der Premiere mit dem Bieranzapfen in München zusammenfiel, war der Berliner oder Nürnberger Wirt Lutter in südbajuwarische Lederhosen gewandet, wie sie in Nürnberg unüblich sind, und in Berlin schon gleich gar nicht. Wieder so ein Klischee. Lindorf trat als zotteliger Großbürger auf. Hoffmanns Freunde waren identisch gekleidet mit hellblonden Perücken. Sofern sie Brillen trugen, erinnerten sie mich an den legendären bayerischen Ministerpräsidenten Stammel-Stoiber.



Dieser Männerchor bestand aus 16 Herren, die alsbald lebhaft loslegten. Hoffmann war gepflegt gekleidet, mit Fliege am Hals, und erinnerte mich an Grönemeyer. Er bekam den ersten Applaus des Abends für einen strahlend viorgetragenen Klein-Zaches. Dann sang die Muse vom Traum von Glück und Liebe, ebenfalls mit hoher Stimmkultur und angenehmem Timbre. Sie war als pfiffiger und allwissender Kobold gestylt, agierte lebhaft, und trug eine begeisternde Vogelarie vor, für die sie leider keinen Applaus bekam.



Spalanzani war als eine Art Cagliostro gestylt. Coppelius erwies sich als Mitglied der Pariser Schickeria. Überhaupt war Spalanzanis Gesellschaft schick und politisch korrekt, denn auch eine Transe fand sich in ihr. Die grünen Arbitri rerum politicarum sind zwar in Sachsen-Anhalt schwach auf der Brust, aber man weiß ja nie, ob unsere Meinungsmacher eine Zeitgeistliche als Aufpasserin in die Premiere geschickt hatten. Eine junge Dame schien mir höchst verdächtig, so eine Zeitgeistliche zu sein. Für Olympias Auftritt wurde ein Zitat bei Fritz Langs Metropolis bemüht. Sie fuhr in Lichtringen aus dem Untergrund herauf wie Marie und trug auch ein Kostüm wie die Gestalt aus dem Stummfilm. Diese Idee hatte auch Ulrich Peters 2015 in Münster gehabt.



Hoffmann war auch schick gekleidet und trug eine Fliege am Hals, wie es sich für einen angehenden Physiker gehört. Er erinnerte mich in seinem Gehabe an Grönemeyer. Für ihre vielfach variierte Koloraturarie bekam Olympia langanhaltenden und kräftigen Applaus. Coppelius kündigte seine Rache an und verschwand im Untergrund. Als Hoffmann vor Aufregung ohnmächtig wurde, leistete Niklaus erste Hilfe. Olympias Zerstörung durch Coppelius wurde so gezeigt, dass sie im Untergrund verschwindet. Coppelius triumphierte. Und Pause.



Das Publikum erwies sich als altersmäßig gut durchmischt, was auf gute Pressearbeit an die Adresse junger Leute schließen lässt.



Im Antonia-Akt bestand die Bühne aus einem länglichen Tunnel, der optisch und perspektivisch klug gestaltet war. Die Abwesenheit von Schmuck zwang einen, sich auf die handelnden Personen zu konzentrieren. Nebel waberten, und eine Arriflex-Filmkamera stand in der Mitte der Bühne. Ein schwarzer Flügel fuhr lautlos herein. Vater Krespel hielt eine großé Partitur in Händen. Aber wie war Hoffmann gekleidet? In eine feldgraue Offiziersuniform der Wehrmacht, und ein Eisernes Kreuz zierte seine Brust. Welcher Wahnwitz mag wohl das Regieteam befallen haben, den sensiblen Dichter, begabten Zeichner, bedeutenden Juristen, Theaterdirektor und Komponisten in eine Wehrmachtsuniform mit Reithosen und Schaftstiefeln gesteckt zu haben? Kopfschüttel.



Ich kann mir diese groteske Bizarrerie nur mit der Herkunft des Regisseurs und Intendanten erklären. Die Briten werden seit fast 80 Jahren mit billigen Hollywood-Filmchen traktiert, in denen die Deutschen als ewige Militaristen karikiert werden. Sie sind immer klein, fett und plump, sprechen miserables Englisch mit deutschem Akzent und marschieren statt zu gehen. Jeder Engländer kennt aus diesen Filmchen deutsche Ausdrücke wie: Achtung, Herr Hauptmann, swei Bier, du Schweinhund etc. Sogar renommierte Presseorgane wie der Guardian ergehen sich in häufigen Anspielungen auf Nazideutschland, von Daily Express und Daily Mail erst gar nicht zu reden. Ich erlebte mal, wie junge Engländer unbedingt die SS auf der Münchner Leopoldstraße paradieren sehen wollten und maßlos enttäuscht waren, dass die nicht ihren Stechschritt zeigten. Man habe Nachsicht mit Mr Sutcliffe. Er wuchs mit solchen Klischees auf.



Der Leutnant Hoffmann sang nun zusammen mit Antonia keine heroischen Militärmärsche sondern höchst sensible Duette mit seiner Antonia, die vom Publikum gebührend beklatscht wurden. Was für ein groteskes Bild. Und dann noch so eine Bizarrerie, als die Domestike Franz als Hitler gestylt war, oder eher wie Charlie Chaplins Großer Diktator. Hier mag Kovalik Balasz Pate gestanden haben, der in Erfurt vor zwei Spielzeiten einen genial durchkomponierten Hoffmann auf die Bühne brachte, in dem der Olympia-Akt am Hofe von Diktator Hynkel inszeniert war. Allerdings machte in Erfurt das alles Sinn, und die Politisierung dieser Oper zog sich wie ein nachvollziehbarer roter Faden durch die Produktion. Nicht so in Halle, wo mit heterogenen aneinandergepappten Kollagen gearbeitet wurde. Vielleicht hatte die Regie bei dem Ganzen einen metatheoretischen Hintergedanken. Dier wurde aber leider jedenfalls für mich nicht erkennbar.



Ach ja, wieder einmal hatte man die wunderschöne Geigenarie des Niklaus gestrichen., nicht nur zu meinem Bedauern. Noch dazu wäre hier in Halle eine ideale Interpretin zur Verfügung gestanden. Das Terzett der drei Männer Krespel, Hoffmann und Mirakel, die sich gegen die Karrierewünsche der naiven Antonia verschworen hatten, ließ einen frösteln. Gut gemacht. So wurden Antonias Ambitionen von drei Männern sabotiert, wobei jeder sein eigenes Motiv hatte. Antonia war gewandet wie eine griechische Statue mit dem typischen klassischen Faltenwurf. Eine beklemmende Situation entstand, als Antonia konstatieren musste, dass sich die drei Männer gegen sie verschworen hatten. Als Mirakel der Antonia die mögliche Karriere ausmalte, wurde sie als Diva an die Wand projiziert.

Und dann trat die Mutter als Walküre auf. Hatte ich schon mehrfach gesehen, z.B. in Prag 2010. Dazu kam, dass Mirakel als Wotan gestylt war und mit seinem legendären Speer alles bedrohte. Wer meines Speeres Spitze fürchtet …. Man konnte meinen, man wäre in der falschen Oper. Flammende Lohe züngelte aus dem geöffneten Flügel, als das beeindruckende Terzett Mirakel – Antonia – Mutter perfekt gesungen wurde: Antonia-Dämmerung! Wir durften den gebührenden Applaus spenden. Danke, Maestro. Dann sang sich Antonia in Krespels Armen zu Tode. Wotan versetzte der sterbenden Sängerin den Gnadenstoß. Kurzer, ratloser Applaus des Publikums.



Dann folgte ein Ortswechsel nach Berlin statt nach Venedig. Zwei Abschnitte der Berliner Mauer wurden hereingefahren. Einmal die kahle Ostseite, und dann diie wild bemalte Westseite. Grenzsoldaten der Nationalen Volksarmee traten auf. Der Akt begann nicht wie üblich mit der gesungenen Barkarole, sondern mit der gespielten Melodie, und leider pfiff eine Piccoloflöte ohrenbetäubend. Meine Hoffnung, dass sie verstummen werde, sobald Niklaus und Giulietta ihren Gesang anstimmen würden, erfüllte sich leider nicht. Das Piccolo kreischte weiter. Giulietta war neckisch in ein amerikanisches Sternenbanner gekleidet, a star spangled courtesan. Möglicherweise eine Anspielung darauf, dass in den USA Sex als Handelsware kommerzialisiert wurde. Hoffmann war als lässiger Jeans-Typ gekleidet, mit blauem FDJ-Hemd und rotem Halstuch, Dapertutto als dandyhafter Edelhippie. Viele Punks auf der Westseite der Mauer.



Dass man in der gewählten (und sündteuren) Kaye-Keck-Version dann doch die werksfremde traditionelle Spiegelarie singen lässt, ist schon erstaunlich. Die beiden Originalmelodien Jacques Offenbachs sind doch endlich gefunden. Die eine, die harmonische und melodiöse, ist abwechslungsreicher als die Melodie von Andreas Bloch, und die andere, aggressivere mit viel staccato gibt es auch, leider noch nicht auf Youtube. Kurzer Applaus.



Das werksfremde Sextett ist zwar immer ein gewaltiges Hörerlebnis, aber bisher hat noch niemand ein Offenbach´sches Vorbild für Andreas Blochs Komposition gefunden. Statt sonst Giulietta gab in Halle Niklaus den Einsatz nach der Fermate. Zum Duell mit Schlemihl reichte Dapertutto dem Hoffmann eine angebrochene Weinflasche, mit der er seinen Rivalen erledigt.e



Das Ende des Aktes kündigte sich Giuliettas Warnung an Hoffmann an, zu verschwinden, da er von der Polizei gesucht werde, und mit der Mitteilung, dass sie sich leider entfernen müsse. Sie war beleidigt, weil Hoffmann sie vorher verhöhnt hatte. Niklaus versuchte zu beide zu beschwichtigen. Als Hoffmann seine Liebe zu ihr besang, setzte sie sich einen Schuss. Vorher hatte sie schon gekokst. Dann erst bemerkte Hoffmann den Verlust seines Spiegelbildes. Die Polizei erschien in Form eines Schlapphutes à la Gestapo.



Drohende Fanfaren kündigten Gefahr an, und es wurde turbulent auf der Bühne. Hoffmann wollte die treulose Giulietta umbringen, erwischte aber deren Schoßhündchen Pitichinaccio, dessen Tod Giulietta schwer traf. Hoffmann wurde abgeführt. Verhaltener Applaus für diesen Akt.


Der melancholische Hörnerchor läutete das Finale ein, wir waren wieder bei Lutter. Niklaus war wieder zur göttlich-germanischen Muse mit schwarz-rot-goldener Fahne geworden. Die erfreute uns mit einem eindrucksvollen apotheotischen Abgesang auf Hoffmann. Was ich nicht ganz verstand: Wurde Lindorf gemeuchelt? Verdient hätte er es. Doch auch Hoffmann konnte das Flirten nicht lassen. Il cherche la femme. Kein Happy End mit der Muse. Und Vorhang.



Kräftiger Applaus, und einige Bravo-Rufe. Und für den Chor gab es den ersten Jubel und Blumen für dessen Leiter. Jubel auch für Olympia, Giulietta und die Muse. Am lautesten wurden Applaus und Jubel für den ausgezeichneten Hoffmann und den exzeptionell guten Widersacher, der meines Erachtens die souveränste Leistung des Abends in einem insgesamt hervorragenden Ensemble ablieferte. Kein Buh für das Regieteam um Intendant Walter Sutcliffe. Doch was tat der nach sieben Minuten? Er schnappte sich ein Mikrofon, stoppte den Applaus und sprach einen kurzen Dank an alle Mitwirkenden aus. Das war verblüffend. Wir hätten gerne weitergeklatscht. So etwas hatte ich altgedientes Phantom der Oper Hoffmanns Erzählungen noch nicht erlebt. Als seine kurze Ansprache geendet hatte, klatschten wir noch eine Minute weiter. Sagen wir also: acht Minuten Premierenapplaus.



Nach der erfolgreichen Premiere war das hochverehrte Publikum zur Premierenfeier eingeladen, auf der der Intendant und Regisseur erfreulicherweise auf lange Reden verzichtete und nur verkündete, dass die Freunde der Oper Halle frisch zubereitete Häppchen für das leibliche Wohl von Ensemble und Premierengästen gestiftet hatten. Dort entstanden diese Bilder.






Olympia und Antonia



Widersacher und Muse










Startseite o weiter nach Graz