Dieser Text basiert auf einem Artikel für das Heft
Aktuelle Informationen aus Oberbayern Herbst 2003
von PRO BAHN Oberbayern   Bearbeitungsstand: 28.9.2003
 
Studie zur zweiten S-Bahn-Stammstrecke: Mega-Projekt mit fraglichem Nutzen

Seit Anfang des Jahres liegen die Ergebnisse der vertiefenden Untersuchung zur geplanten zweiten S-Bahn-Stammstrecke vor. Untersucht wurde nur noch eine Tunnellösung und nicht die von PRO BAHN schon vor 15 Jahren geforderte S-Bahn-Südumfahrung. Diese wird von Minister Wiesheu aufgrund einer zweifelhaften früheren Studie abgelehnt (siehe PRO BAHN-Post 04/2001).

Die Gutachter der jetzigen Studie schlagen einen Expreß-Tunnel vor. Die neue Stammstrecke beginnt in Laim, hat am Hauptbahnhof und am Marienhof jeweils eine Zwischenstation, und verzweigt sich im Osten zum Leuchtenbergring und zum Ostbahnhof. Alle Züge in und aus Richtung Giesing nutzen die neue Stammstrecke via Ostbahnhof. Weitere durch den neuen Tunnel geführten Linien berühren den Ostbahnhof nicht mehr, sondern fahren direkt über Leuchtenbergring bzw. enden dort.

Haltepunkte an der Friedenheimer Brücke, unter dem geplanten "Arnulfpark" und an der Maximilianstraße wurden von den Gutachtern geprüft, aber negativ bewertet. Die aus Fahrgastsicht wichtigen Umsteigeknoten Donnersbergerbrücke und Max-Weber-Platz standen aufgrund der Vorgaben gar nicht mehr zur Diskussion.

Die Studie untersucht am Hauptbahnhof alternativ eine Station 16 Meter unter der Oberfläche, im Gebiet zwischen Arnulfstraße und Elisenstraße, sowie eine Station 40 Meter unter der Oberfläche rechtwinklig unter dem Bahnhof von U1 und U2. Wegen größerer technischer und juristischer Risiken, bautechnischer Nachteile und der Tatsache, daß die eigentlich notwendige Lösung mit Mittel- und Seitenbahnsteigen nicht machbar ist, schneidet die Alternative nördlich der Arnulfstraße etwas schlechter ab.

Am Marienhof vergleicht die Studie eine Bahnhofslage oberhalb des Tunnels von U3 und U6 und eine Lage unterhalb der U-Bahn-Tunnels. Während für die Fahrgäste die höhere Lage hier eindeutige Vorteile bringt, wirkt sie sich auf die technischen und rechtlichen Risiken nachteilig aus.

Im Hinblick auf ein zukünftiges Betriebskonzept kommen die Gutachter zu den besten Ergebnissen bei einer Aufteilung der S-Bahn-Linien in normale Züge und Expreß-Züge, sowie einer Umstellung auf einen 15/30-Minuten-Takt.

Die geschätzten Investitionskosten liegen jetzt bei 900 Millionen Euro. Im Vergleich zur im März 2001 vorgestellten Studie sind damit die Kosten bereits um 50 Prozent gestiegen.

PRO BAHN hatte zu der vor zwei Jahren durchgeführten Studie erhebliche Zweifel bezüglich der betrieblichen Durchführbarkeit geäußert. Die jetzige Studie beantwortet zwar einige Fragen; die gefundenen Lösungen gehen aber meist auf Kosten des Fahrgastnutzens. PRO BAHN sieht weiterhin die folgenden Probleme:

  • An wichtigen Umsteigeknoten sind für die zweite Stammstrecke keine Halte vorgesehen. Ein Großteil der S-Bahn-Züge umfährt den Ostbahnhof. Die Umsetzung dieser teilweise schon in der Aufgabenstellung enthaltenen Vorschläge richtet Schaden im Gesamtverkehrssystem an.
     
  • Durch die Beschränkung auf nur zwei Innenstadtbahnhöfe besteht die Gefahr, daß diese Bahnhöfe überlastet werden. Der U-Bahnhof Marienplatz und die dortigen U-Bahn-Linien können auch nach den geplanten Ausbaumaßnahmen die Mehrbelastung nicht aufnehmen.
     
  • Eine Lage der Bahnhöfe 40 Meter unter der Oberfläche schafft viele Nachteile. Die Wege zur Oberfläche sind zu lang. Die totale Abhängigkeit von Aufzügen und Rolltreppen, die immer mal wieder ausfallen oder gewartet werden, ist sehr problematisch. Die objektive Sicherheit tief in der Erde liegender Bauwerke ist fraglich; subjektiv verschlechtert sich dadurch die Akzeptanz.
     
  • Ein Bahnhof nördlich der Arnulfstraße schafft zu weite Umsteigewege zum Hauptbahnhof. Auch bei Unterfahrung des Bahnhofs von U1 und U2 sind die Lösungen für Umsteiger unbefriedigend.
     
  • In der Studie werden Tunnelbau und Betriebskonzepte, die weit auf die Außenstrecken hinausreichen, miteinander vermischt. Eine Wertung im Vergleich mit ähnlichen Konzepten für die Nutzung der Südumfahrung wurde nicht gemacht.
     
  • Fahrzeitverkürzung scheint ein Hauptziel der Studie zu sein. Größere Stationsabstände, tief liegende Bahnhöfe und Expreß-Konzept führen aber zu mehr Umsteigevorgängen und längeren Zugangswegen. Daraus folgen verlängerte Gesamtreisezeiten. Diese Zusammenhänge fehlen in der Studie.

Die Liebe der Politik zu Großprojekten scheint auch bei der Tunnelstudie mal wieder die Antriebsfeder zu sein. Wie die Vergangenheit lehrt, werden die Kosten weiter steigen, auch ohne daß die aus Sicht der Fahrgäste vorhandenen Probleme gelöst werden. Der politische Druck läßt zudem ein Hau-Ruck-Verfahren befürchten.

Eine zweite Stammstrecke über die Südumfahrung wäre dagegen auf dem Wege eines mehr kontinuierlichen Ausbaus zu erreichen. Die dadurch freiwerdenden Finanzmitteln könnten dann zur Lösung von Problemen auf den Außenstrecken verwendet werden. Eine Gesamtbetrachtung aller Außenstrecken – eine Art "Masterplan S-Bahn München" – ist überfällig. Statt Einzelfalllösungen brauchen wir eine nachhaltige Verbesserung von Takthäufigkeit und Zuverlässigkeit im Gesamtsystem. Nur gemeinsam mit Maßnahmen auf den Außenstrecken entfaltet jede Art von Stammstreckenausbau einen Nutzen für die Fahrgäste. Politische Absichtserklärungen und Aussagen "unter Finanzierungsvorbehalt" reichen nicht; vielmehr müssen Ausbau von Stammstrecke und Außenstrecken in einen sinnvollen Zeitplan einfließen, an den sich dann auch gehalten wird. Dabei muß von vornherein klar sein, welche Betriebskonzepte angestrebt werden und für welche Störfallmaßnahmen die Infrastruktur ausgelegt wird. Erst einmal bauen und dann ein Betriebskonzept basteln, ist Verschwendung von Steuermitteln.

Die Nutzung der Südumfahrung ist verträglicher für Stadt und Umland. Unter ihr werden andere, in ihrer Gesamtheit ebenso wichtige Maßnahmen im S-Bahn-Netz weitaus weniger leiden, als unter dem Mega-Projekt zweiter Innenstadttunnel.

Edmund Lauterbach, Andreas Barth

Querverweise: Stellungnahme von PRO BAHN zur vergleichenden Untersuchung (Oktober 2001)
 
Neuer S-Bahn-Tunnel besser als Südumfahrung? (A. Barth, Mai 2001)
 
Tunnel ohne Fahrgäste? (März 2001)
 


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