Dieser Text ist eine leicht ergänzte Version eines
Artikels der PRO BAHN Post Dezember 2010.
Bearbeitungsstand: 2.12.2010

 

Streckenskizze

Quellenverzeichnis
 

 
Vom Flughafengutachten zur Bedarfsplanüberprüfung
Flughafenexpress verdrängt S-Bahn

Am 11. November hat Bundesverkehrsminister Ramsauer die Ergebnisse der Bedarfsplanüberprüfung für die Schienenwege des Bundes vorgelegt. Das umfangreiche Werk des Schlussberichts [6] enthält zum Raum München neben einigen Vorbemerkungen (Seite 132 / 5-35) die relevanten Planfälle 5b, 26, 26a und 36.

Rund um den zweiten Stammstreckentunnel und den Flughafenanschluss werden im Wesentlichen bereits bekannte Infrastrukturmaßnahmen wie von der bayerischen Staatsregierung gewünscht übernommen. Es gibt allerdings einige Abweichungen zu bisherigen Veröffentlichungen und neue Erkenntnisse zu den zugrunde gelegten Betriebsprogrammen. Dies soll hier kurz dargelegt werden, unabhängig davon, welchen Planfällen die einzelnen Punkte zugeordnet sind, und wie sie finanziert werden sollen.

Für den Güterverkehr werden im Bedarfsplan Maßnahmen unterstellt, die teilweise auch von PRO BAHN schon lange gefordert werden:

  • Wiederaufbau einer Kurve am Eisenbahn-Nordring zwischen Feldmoching und Milbertshofen (Investition Bestandsnetz, daher außerhalb der Bedarfsplanung des Bundes),
  • Bau einer Kurve zwischen Daglfing und Riem ("Daglfinger Kurve"),
  • Bau einer Kurve zwischen Riem und Trudering ("Truderinger Kurve"),
  • zweigleisiger Ausbau der Verbindung Daglfing – Trudering ("Truderinger Spange"),
  • viergleisiger Ausbau Johanneskirchen – Daglfing (oberirdisch).

Diese Maßnahmen ermöglichen eine Güterzugführung Olching/Feldmoching – Nordring – Daglfing – Riem/Trudering sowie die direkte Zufahrt zum Containerbahnhof Riem aus Richtung Rosenheim. Dadurch bleiben dem durch innenstadtnahe Wohngebiete führenden Südring viele Durchfahrten von Güterzügen erspart. Dies reduziert dort den Lärm und schafft Kapazität für Personenzüge. Alle Neu- und Ausbaumaßnahmen werden natürlich den vorgeschriebenen Lärmschutz erhalten.

Die richtig interessanten Punkte des Schlussberichts zur Bedarfsplanüberprüfung betreffen im Raum München den Flughafenanschluss. Innerhalb von zwölf Monaten haben sich hier entscheidende Daten geändert. Auf Basis des Flughafengutachtens [1] wurde im November 2009 entschieden, den sogenannten Ostkorridor über die Strecke der S-Bahn-Linie S8 auszubauen. Zudem entstand die Bezeichnung überregionaler Flughafen-Express (ÜFEX) für zukünftige Regionalzuglinien, die unter anderem Regensburg, Ulm, Lindau und Salzburg mit dem Münchner Flughafen verbinden, und zum Teil den zweiten Stammstreckentunnel befahren sollen.

Zwei dieser ÜFEX-Linien werden im Flughafengutachten über den Ostkorridor geführt. Weitere zwei Linien nutzen den sogenannten Westkorridor auf der Trasse der S-Bahn-Linie S1. Dazu sind der Bau der "Pasinger Kurve" zwischen Pasing und Moosach, sowie ein Überholgleis nördlich von Oberschleißheim vorgesehen.

Im Februar 2010 wurde ein weiteres Gutachten präsentiert [2], das den Ostkorridor mit einem sogenannten "Nordtunnel light" vergleicht. Die Idee eines zentralen Nordtunnels hatten die Verkehrsberater Vieregg und Rössler in die Diskussion eingebracht [8]. Die Variante Ostkorridor ist nun so modifiziert, dass er von vier ÜFEX-Linien befahren werden soll. Dies ist wohl der Erkenntnis geschuldet, dass die dichte Zugbelegung zwischen München und Neufahrn eine Führung weiterer Züge über den Westkorridor nicht zulässt.

Aufgrund vorangehender Betrachtungen zum zweiten Stammstreckentunnel war bereits klar, dass einige S-Bahn-Linien auf einen 30-Minuten-Grundtakt umgestellt werden sollen. So wurde die S1 in zwei getrennte Takt-30-Linien aufgespalten, von denen eine zum Flughafen und eine nach Freising verkehrt. Wie angesichts des starken Schülerverkehrs zwischen Neufahrn und Freising damit das Aufkommen der Hauptverkehrszeit bewältigt werden soll, bleibt unklar.

Im Februar-Gutachten ist zudem eine S-Bahn-Anbindung des Flughafens über den Ostkorridor im 15-Minuten-Takt vorgesehen. Während noch im November zusätzlich eine S-Bahn-Spange Erding – Flughafen – Freising in der Präsentation auftauchte, fehlt drei Monate später die S-Bahn-Verbindung Freising – Flughafen zugunsten zweier ÜFEX-Linien. Auch dies ist wohl eine Konsequenz aus der dichten Streckenbelegung der Freisinger Strecke und den dadurch notwendigen Ausbauten. Spätestens seit Oktober ist klar, dass der geplante Ausbau des Abschnitts Neufahrn – Freising und des Freisinger Bahnhofs mindestens zehn Jahre später als geplant kommt [9]. Wenn keine S-Bahn verkehrt, entfällt natürlich der von der Gemeinde Neufahrn gewünschte Haltepunkt bei Mintraching. Der Wegfall der S-Bahn-Spange Freising – Erding bedeutet auch, dass die Arbeitnehmer aus diesen Bereichen keine direkte Anbindung zum Fracht- und Logistikbereich des Flughafens an der Station Besucherpark erhalten.

Wie stellt sich die Situation im Schlussbericht zur Bedarfsplanüberprüfung des Bundes dar? Der Plan mit vier ÜFEX-Linien auf dem Ostkorridor wurde übernommen. Entsprechend fällt die "Pasinger Kurve" aus dem Bedarfsplan heraus, da sie nur noch eine langfristige Option ist. Ebenso geblieben sind die beiden ÜFEX-Linien vom Flughafen über Freising nach Landshut und Regensburg.

Einschneidendste Änderung im S-Bahn-Netz ist die Verkürzung der Linie S8 bis Hallbergmoos. Zwischen Hallbergmoos und dem Flughafen verkehrt nur noch der ÜFEX. Die Haltepunkte zwischen Leuchtenbergring und Ismaning verlieren damit ihre direkte Verbindung zum Flughafen. Um Umsteiger aufzunehmen müssen die ÜFEX-Züge in Hallbergmoos halten. Als Konsequenz wird es damit wohl keinen weiteren Halt dieser Züge zwischen Ostbahnhof und dem Flughafen geben. Hallbergmoos wird quasi zur attraktivsten Bahnstation im Münchner Umland. Wie man damit umgehen will, dass dadurch ein enormer Park+Ride-Druck entstehen wird, geht aus den Veröffentlichungen nicht hervor.

Während die Verkürzung der S8 bereits Ausgangssituation der Bedarfsplanüberprüfung ist, also wohl vom Freistaat so angemeldet, ist eine andere Einschränkung Ergebnis der Nutzen-Kosten-Untersuchung: Der Streckenabschnitt zwischen Riem und Markt Schwaben soll nicht mehr viergleisig ausgebaut werden. Damit bleibt es hier beim Mischbetrieb von S-Bahnen mit Regional- und Güterzügen. Die noch im Februar vorgesehene Express-S-Bahn nach Erding wurde wieder durch eine konventionelle Linie mit allen Zwischenhalten ersetzt.

Ebenfalls in den bisher veröffentlichten Dokumenten nicht enthalten ist das Aufspalten einer S-Bahn-Linie in Markt Schwaben. Während ein Ast über Erding den Flughafen erreicht, verkehrt etwa stündlich der andere Ast nach Dorfen. Im Gegenzug sollen die Halte der Regionalzüge München – Mühldorf in Hörlkofen, Walpertskirchen und Thann-Matzbach entfallen.

Getrennt betrachtet wird bei der Bedarfsplanüberprüfung die Option Walpertskirchener Spange. Über die Spange sollen die beiden ÜFEX-Linien von Landshut und Regensburg zum Flughafen weiter nach Mühldorf und Salzburg verkehren. Im Laufe des Jahres war klargeworden, dass im Gegensatz zu den Planungsunterlagen aus 2008 [3] das bayerische Verkehrsministerium nun eine weiter südlich gelegene Trassenvariante verfolgt [4]. Vorteil dabei ist, dass der Erdinger Bahnhof nicht nach Norden verlegt wird, sondern altstadtnah verbleibt und zusätzlich Regionalzughalt wird. Zudem ist für Walpertskirchen und eventuell auch für Thann-Matzbach ein Halt der ÜFEX-Linie Landshut – Mühldorf vorgesehen.

Die Gutachter der Bedarfsplanüberprüfung haben die Walpertskirchener Spange nicht als Einzelmaßnahme geprüft, sondern nur als Bestandteil des vom Freistaat als Maßnahmenbündel "Bahnknoten München" angemeldeten Pakets. Das Ergebnis – "die Verringerung des NKV von 2,7 auf 2,3 deutet auf ein deutlich schlechteres NKV für die Teilmaßnahme Walpertskirchener Spange hin" – ist eher negativ. Erst durch die Bündelung erfolgt insgesamt eine positive Bewertung. Die Gutachter sehen daher weiteren Optimierungsbedarf.

Ob alle genannten Planungen so kommen wie beschrieben, oder gar wann das passiert, lässt sich heute nicht sagen. Nächster Schritt ist die Einarbeitung der Bedarfspläne in den Bundesverkehrswegeplan. Auch lokal wird es das Bestreben geben, die Planungen weiter zu ändern. So wünscht sich die Stadt München einen Bahntunnel im Bereich Daglfing / Johanneskirchen statt des oberirdischen Ausbaus. Eine volkswirtschaftliche Bewertung mit diesem Tunnel würde allerdings den Ostkorridor unwirtschaftlicher machen als den verworfenen Ausbau des Westkorridors via Neufahrn.

Auf dem Abschnitt München – Freising – Landshut wird sich der Druck durch den Güterverkehr weiter erhöhen. Die Deutsche Bahn plant Entlastungstrassen für den sogenannten Seehafenhinterlandverkehr (SHHV) [7]. Dazu gehört auch die Elektrifizierung der Strecke zwischen Hof und Regensburg. Als Folge wird sich der Zulauf auf München aus Richtung Norden von der Relation Würzburg/Nürnberg – Treuchtlingen in Richtung Regensburg – Landshut verlagern; und dies bei insgesamt zunehmender Zahl der Güterzüge.

Selbst ohne diese Aussichten, die mit dem von der DB genannten Wunschtermin 2017 ja nicht mehr ganz so fern sind, wird der Streckenabschnitt zwischen Feldmoching und Freising zum schlimmsten Nadelöhr im Bahnnetz rund um München. Die Politik diktiert den "Bedarf" für Streckenausbau im Norden von München nur mit dem Ziel Flughafen. Bahnreisende auf anderen Strecken, und seien sie noch so überlastet, kommen bei solch eingeengter Sichtweise unter die Räder.

Über die Betrachtung der Münchner Themen hinaus ist zu sagen, dass auch unumstritten notwendige Maßnahmen im Schienennetz unterfinanziert sind [10]. Dies gilt gerade im Vergleich zum Straßennetz, das schon durch die Bewertungsmethodik vorteilhafter abschneidet. Es wäre den Politikern der Mut zu wünschen, die allseits bekannten Floskeln von der Verkehrsverlagerung auf die Schiene in politische Entscheidungen zur entsprechenden Ausgestaltung der Bewertungsverfahren einfließen zu lassen. Das bleibt aber zurzeit nur eine sehr unbestimmte Hoffnung.

Edmund Lauterbach

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Skizze der geplanten und nicht mehr geplanten Ausbaumaßnahmen:

 

 
Quellenverzeichnis:

[1] Gutachten zur Flughafenanbindung – Verbesserung der Schienenanbindung des Münchner Flughafens, Präsentation November 2009 (PDF / 2,9 MB)

[2] Gutachten zur Flughafenanbindung München – Gegenüberstellung der Bewertungsergebnisse für die Planfälle Nordtunnel light und 2. S-Bahn-Stammstrecke + Gesamtplanfall 5 mod, Präsentation Februar 2010 (PDF / 1,7 MB)

[3] Erdinger Ringschluss – Informationen zum derzeitigen Planungsstand, Juli 2008

[4] Erdinger Ringschluss – Präsentation Stadtratssitzung der Stadt Erding am 27.07.2010 (PDF / 4,2 MB)

[5] Ergebnisse der Überprüfung der Bedarfspläne für die Bundesschienenwege und die Bundesfernstraßen, November 2010 (PDF / 3,7 MB)

[6] Überprüfung des Bedarfsplans für die Bundesschienenwege – Abschlussbericht November 2010 (PDF / 34,6 MB)

[7] Wachstumsprogramm DB Netze, November 2009 (PDF / 254 KB)

[8] Materialen zum Nordtunnel von Vieregg-Rössler GmbH Innovative Verkehrsberatung

[9] Pulling – Gleisausbau verschoben, Süddeutsche Zeitung, Landkreisausgabe Freising, 16.10.2010

[10] "Schienenprojekte dramatisch unterfinanziert", Allianz pro Schiene, 11.11.2010

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Querverweise:

Bahnknoten München – warum geht es nicht weiter? (Mai 2013)

Nulllösung für München – Freising? (November 2010)

Der zerstörte Bayerntakt (September 2010)

Flughafengutachen ohne Akzeptanz in der Region (Januar 2010)

München ohne Transrapid – wie kann es weitergehen? (April 2008)

Von Salzburg zum Münchner Flughafen – und dann? (August 2006)

 
 


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