Dieser Text basiert auf einem Artikel
für die PRO BAHN Post Juli 2015.
Bearbeitungsstand: 20.6.2015

 
 

 


S-Bahn in der Abwärtsspirale?

In der Mai-Ausgabe 2014 der PRO BAHN Post erschien unter dem Titel "S‑Bahn München, quo vadis?" eine Liste von Störfällen der Münchner S‑Bahn, die innerhalb der ersten Aprilhälfte 2014 gemeldet wurden. Anlass des Artikels war ein Anstieg der Störungen (ohne Fremdverschulden) auf die Zahl von damals hoch erscheinende Zahl von 24 in 15 Tagen. (Online-Version des Artikels: www.myway.de/e.lauterbach/sqv.html)

Leider war die Entwicklung damit nicht zu Ende, und in den letzten Monaten war abermals ein deutlicher Anstieg der Störfälle zu verzeichnen. In der ersten Junihälfte kamen wir auf 37 Störungen, also über 50 Prozent mehr als im April 2014. Auch diese Zahl enthält keine Störungen durch Fremdverschulden wie Personen im Gleis oder Notarzteinsatz. Quelle für alle Angaben ist der Streckenagent der S‑Bahn München. Die Zahlen sind daher als "ungefähr" zu betrachten; die abzulesende Tendenz wird aber richtig sein, da der S‑Bahn-Service bei Störungsmeldungen sich um gute Arbeit im Interesse der Fahrgäste bemüht.

Bei den Ursachen führen die Störungen an Signalen, Stellwerken oder Bahnübergängen mit insgesamt 14 Störfällen die Statistik an, gefolgt von elf Störungen an Fahrzeugen. Die Zunahme dieser Zahlen gegenüber den Vorjahren gibt Hinweise auf folgende Problembereiche:

  1. Im Bereich Infrastruktur scheinen die Defizite bei der präventiv wirkenden Instandhaltung weiter zugenommen zu haben.
  2. Die Sicherungstechnik ist bezüglich Stabilität nicht auf dem Stand, der für ein Schnellbahnsystem in einem Ballungsraum notwendig ist.
  3. Die eingesetzten Fahrzeuge werden älter, und sind wohl auch nicht auf eine so lange Lebensdauer konzipiert, wie das beim Vorgängermodell der Baureihe 420 der Fall war.

Die weiteren Störfälle teilen sich auf in vier weichen- oder streckenbezogene Ursachen, fünf wetterbedingte Störungen, sowie drei Ausfälle aus nicht näher bezeichneten "betrieblichen Gründen".

Interessanterweise gibt es aber auch eine gegenläufige Entwicklung: Die Pünktlichkeitswerte der Münchner S‑Bahn sind weiterhin gut. Im Januar und Februar maß die DB eine Pünktlichkeit von 96,1 %, im März waren es 96,7 % und nach einem kleinen Einbruch im April mit 95,8 % kam man im Mai auf 97,1 %. Wie erklären sich diese Werte, die weder der Störfallstatistik noch dem Empfinden der meisten Fahrgäste entsprechen?

Zum einen liegt es, wie im Oktober 2012 erläutert ("Pünktliche Fahrgäste statt verspäteter Züge", www.myway.de/e.lauterbach/pstat.html), an den Messmethoden der DB. Zug- und Haltausfälle bleiben in der Statistik unberücksichtigt; es wird nicht gewichtet, dass in der Hauptverkehrszeit erheblich mehr Fahrgäste von Verspätungen und Ausfällen betroffen sind als zu anderen Zeiten.

Zum anderen ist es die Strategie der Münchner S‑Bahn, bei Störungen möglichst frühzeitig Züge und Halte ausfallen zu lassen. Dadurch steht man zwar betrieblich besser da, als wenn man Zugverspätungen zu stark auflaufen lässt. Auf die Verspätungen der Fahrgäste wirkt sich diese Strategie aber negativ aus. Zusammen mit der oben erwähnten Messmethodik wird als Nebeneffekt die Pünktlichkeitsstatistik besser, während die Zug- und Haltausfälle im Streckenagenten zunehmen.

Wie bereits im Januar ("Mein S‑Bahn-Jahr 2014", www.myway.de/e.lauterbach/s2014.html) sei die S‑Bahn-Strategie anhand eines Beispiels von der Linie S1 erläutert, mit der der Autor einiges an leidvoller Erfahrung verbindet.

Nachdem es am 11. Juni auf der S1 vormittags eine Signalstörung gab, wurde gegen 17.20 Uhr gemeldet: "Aufgrund von Personen im Gleis ist der Streckenabschnitt München-Laim bis München-Pasing auf der Stammstrecke gesperrt". Davon wäre die S1 eigentlich nicht betroffen. Trotzdem wurden 20 Minuten später die Zugfahrten zwischen Moosach und Ostbahnhof komplett eingestellt. Nachdem der Abschnitt Pasing – Laim wieder frei war, entfiel aus betrieblichen Gründen die S6 östlich von Pasing, und die S1 endete im Hauptbahnhof, zum Teil ohne Halt von Laim bis Hackerbrücke. Die Beeinträchtigungen der S1 wurden in einer letzten Meldung der Streckenagenten bis 23 Uhr prognostiziert.

Das Ergebnis der Maßnahmen der DB sieht man in einem Ausschnitt aus dem "Live-Fahrplan" der S‑Bahn München. Obwohl die S1 von der Streckensperrung durch "Personen im Gleis" zwischen Pasing und Laim nicht direkt betroffen war, leiden deren Fahrgäste am stärksten unter dem Störfall.

Screenshot Status-Widget Live-Fahrplan
Quelle: http://s-bahn-muenchen.hafas.de/

Die S1 war die am längsten gestörte Linie an diesem Abend und hatte fünf Stunden und 20 Minuten nach der ersten Störungsmeldung eine Pünktlichkeitsquote von null Prozent (alle Züge mindestens sechs Minuten verspätet). Die in der rechten Spalte angegebene Zahl der Störungen enthält für alle Linien Meldungen zu "Verzögerungen" und zusätzlich für die S1 die Meldung der Haltausfälle von Laim bis Hackerbrücke bzw. Karlsplatz bis Ostbahnhof. Stadtauswärts hielt die S1 um diese Uhrzeit bereits wieder zwischen Donnersbergerbrücke und Laim.

Die Schlüsse, die man aus Fahrgastsicht aus solchen Ereignissen ziehen muss, sind immer die gleichen: Es fehlt der DB und auch der Münchner S‑Bahn an politischer Aufsicht. Der Bahnbetrieb wird im Nahverkehr aus Fahrgeldeinahmen und Steuergeldern finanziert. Da es keinen Wettbewerb um den Fahrgast gibt, muss ein von der Politik eingesetztes Regulativ existieren. Wie man am geschilderten und vielen anderen Beispielen sieht, ist das aber entweder politisch nicht gewollt, oder das Versagen wird aus Bequemlichkeit hingenommen.

Eine weitere Forderung zielt auf verbesserte Fahrgastrechte. Auch bei S‑Bahn-Störungen und bei Nutzung von Verbundzeitkarten sind deutliche Entschädigungen zu zahlen. Das verantwortliche Bahnunternehmen muss die Probleme auch finanziell spüren, und die Fahrgäste würden eine Anerkennung für ihren Schaden erhalten. Der Gedanke, dass ein Bahnbetrieb sich von alleine reguliert, und sich automatisch an den Bedürfnissen der Kunden ausrichtet, kann nur der Ignoranz und der Naivität der Verkehrspolitiker entstammen. Dass dieser Gedanke falsch ist, ist seit Jahren offensichtlich. Gehandelt hat die Politik bisher nicht.

Edmund Lauterbach


 
 

Anhang: Liste der gemeldeten Störungen S-Bahn München 1.6. bis 15.6.2015


 
 

Die Vorabveröffentlichung des Textes im Internet hat zu verschiedenen Reaktionen geführt, unter anderem zu zwei Artikeln in Tageszeitungen:


 
 


eXTReMe Tracker     Tweet   Flattr this

Übersicht Publikationen

Gesamtübersicht

© Edmund Lauterbach – 26.6.2015 / Impressum / Kontakt