Dieser Text basiert auf einem Artikel
für die PRO BAHN Post September 2017.
Bearbeitungsstand: 24.8.2017

 
 

 

Baufahrpläne: Geht es wirklich nicht fahrgast­freundlich?

Wieder einmal haben die Fahrgäste der Münchner S1 drei Baustellen­wochen hinter sich. Wieder einmal kam zu den Belastungen, die Schienen­ersatz­verkehr (SEV) mit Bussen, Umsteigezwänge und verlängerte Fahrzeit mit sich bringen, der Eindruck hinzu, dass der Fahrgast bei Baufahrplänen eine noch deutlich niedrigere Priorität hat, als im normalen Leben unserer Bahn­unternehmen und SPNV-Aufgabenträger. Der veröffentliche Fahrplan sieht nicht so aus, als ob der Kunde im Fokus der Bemühungen der Verantwortlichen stände. Und seine Umsetzung zieht das Bild, das sich vorab ergeben hat, noch einmal deutlich nach unten.

Zu den Fakten: Gesperrt war zwischen Moosach und Feldmoching. Die Regionalzüge fuhren eine – teils eingleisige – Umleitung am Rangierbahnhof München Nord vorbei; viele Halte in Moosach und Feldmoching entfielen. Die S‑Bahn fuhr von Norden nur bis Feldmoching; aus der Innenstadt nur bis Moosach. Der Fahrgast hatte die Wahl zwischen SEV Feldmoching – Moosach, oder Umsteigen zur U-Bahn in Feldmoching. Diese Wahl­möglichkeit bestand aber nur bei Start oder Ziel im Innenstadt­bereich; wer beispielsweise nach Laim wollte oder von einem westlichen S‑Bahn-Ast Richtung Freising umsteigen musste, kam um den SEV nicht herum.

Der erste Blick in den Baufahrplan zeigte eine merkwürdige Asymmetrie: Die Gesamtfahrzeit inklusive SEV von Laim nach Unter­schleißheim beträgt 35 Minuten – das bedeutet einen S‑Bahn-Takt mehr und ist bei SEV meist unvermeidbar. Die Gesamtfahrzeit in die Gegenrichtung Unter­schleißheim – Laim wird im Baufahrplan aber mit 56 Minuten angegeben. Man verliert also zwei S‑Bahn-Takte und die Fahrzeit verlängert sich um den Faktor 3,5. Angesichts der im Fahrplan angegebenen 15-minütigen Busfahrt wirken diese Zeiten absolut unverhältnis­mäßig.

Aber wie sieht es aus mit den Verbindungen zur Innenstadt mittels Umsteigen in die U‑Bahn? Auch hier ist das Bild nicht positiv. Im Regelfahrplan kommt die S1 zur Minute 18 in Feldmoching an; im Grundtakt der U‑Bahn (beispielsweise am Wochenende) fährt diese zur Minute 24 ab – eine Umsteigezeit, die gut machbar ist. Im Baufahrplan sieht es anders aus: Die S1 kommt erst zur Minute 23 an. Damit ist die nächste U‑Bahn nicht erreichbar und man wartet zehn weitere Minuten. Zudem gab es während der Bauzeit der S1 mehrfach Einschränkungen im U‑Bahn-Fahrplan, was zu einigen Zielen die Fahrzeit noch weiter verlängert hat. Der Zeitverzug bei der S1-Ankunft führt nicht nur zum Verpassen der U‑Bahn, sondern hat natürlich auch seinen Anteil an den Ursachen für die 40-minütige Fahrt­verlängerung beim Benutzen der SEV-Busse.

Warum aber kommt die S1 verspätet in Feldmoching an? Die Baustelle liegt ja weiter südlich. Die Antwort: Die Züge warten in Ober­schleißheim und teilweise auf freier Strecke die Ausfahrt des Gegenzugs ab. Nun hätte Feldmoching allerdings drei Gleise an Bahnsteigen im Angebot, die alle von beiden Streckengleisen aus erreichbar sind. Man könnte die Züge wechselweise die Gleise benutzen lassen, oder vielleicht sogar über das südliche Streckengleis vor der Baustelle wenden lassen. Stattdessen werden alle S‑Bahn-Wenden auf Gleis 2 abgewickelt.

Die DB nennt dies die "betrieblich stabilste Lösung". Es gibt keinen Konflikt mit den Regionalzügen, die zum Teil auf Einfahrt in den eingleisigen Bereich warten müssen; der Bahnübergang südlich des Bahnhofs ist von den S‑Bahn-Fahrten nicht betroffen. Allerdings hat Feldmoching zwei weitere, bahnsteiglose Durchfahrgleise sowie zwei beidseitig angeschlossene Abstellgleise. Alle diese Gleise werden häufig von Auto­transport­zügen benutzt – im sommerlichen August waren sie allerdings viel öfter einfach leer. Zudem gibt es Abstell- und Zugbildungs­kapazität natürlich auch auf dem Rangierbahnhof Nord. Eine Verlagerung solcher Aktivitäten ist natürlich aufwändig; ebenso wie ein Wenden der S1 über den Bahnübergang.

Zugegeben: als Laie tut man sich schwer, den Zusatzaufwand für die DB zu beurteilen. Es hätte sich vielleicht auch keine gute Lösung für alle S‑Bahn-Fahrten gefunden (z. B. wegen der vier RB/RE-Halte pro Tag), aber vielleicht für die allermeisten. Dass der gefahrene Fahrplan aufwändig bis untragbar für die Fahrgäste ist, ist allerdings für jeden offensichtlich.

So weit, so schlecht. Im Zuge der Bauarbeiten war auch die zeitweise Sperrung des Bahnübergangs Fasanerie notwendig. Dadurch mussten die SEV-Busse einen Umweg fahren, der den Fahrplan so instabil machte, dass der Anschluss zur S1 nur mit Glück noch funktioniert hat. Die Umsteigewege, insbesondere in Feldmoching, waren lang, ein Teil der Fahrgäste musste wegen ungesicherten Anschlüssen (wohlgemerkt: von planmäßigem SEV) weitere 20 Minuten warten; DB-Personal war vor Ort nur anfangs zu sehen. Vom Gleisplan her wäre auch in Moosach ein Wenden der S1 auf Gleis 5 möglich gewesen, was Wege verkürzt und Treppen bzw. Aufzüge vermieden hätte. Auch dadurch wäre aber wohl für die DB zusätzlicher Aufwand entstanden.

Die Haltung der Bayerischen Eisenbahn­gesellschaft (BEG), die für den Freistaat Bayern auch in Zeiten von Bauarbeiten als Auftraggeber der Verkehrs­leistungen auftritt, ist recht einfach. Man geht davon aus, dass die Bahn­unternehmen Ersatzfahrpläne bestmöglich planen, und dass den Fahrgästen weiterhin ein akzeptables Verkehrsangebot zur Verfügungen steht. Aufgrund der Erfahrungen vieler Jahre mit Bauarbeiten und Ersatzfahrplänen muss man aus Fahrgastsicht allerdings davon ausgehen, dass "bestmöglich" kaum das richtige Adjektiv für das Baustellen­management im Schienenverkehr ist.

Was ist es wert, dass Fahrgäste pünktlich ankommen und vernünftig befördert werden? Ist bei bezahlten Dienstleistungen "akzeptabel" überhaupt ausreichend? Das sind Fragen, die von PRO BAHN (und wohl auch von den meisten Fahrgästen) anders beantwortet werden, als von den Verantwortlichen in den Hierarchien des Öffentlichen Nahverkehrs. Man kann vermuten, dass Entscheidungen anders fallen würden, wenn die Fahrgäste ein Anrecht auf finanzielle Entschädigung bei Fahrzeit­verlängerung durch Bauarbeiten hätten.

Mittels Fahrpreisen und Bestellentgelten wandert ja einiges Geld in das System, annähernd unabhängig davon, welche Leistung den Kunden dafür geboten wird. Und die BEG verteilt gerne folgenden Merksatz: "Im Auftrag des Staats­ministeriums des Innern, für Bau und Verkehr plant, kontrolliert und finanziert die BEG den Regional- und S‑Bahn-Verkehr in Bayern." Bei Baufahrplänen gilt aber offensichtlich, dass es nicht nötig ist, zu kontrollieren, ob die Bahn­unternehmen auch wirklich im Sinne der Fahrgäste handeln. Ohne richtigen Wettbewerb um den Endkunden, ohne finanzielle Auswirkungen schlechter Baufahrpläne, ohne Kontrolle und Sanktionen – warum sollte sich etwas ändern? Woher das große Vertrauen des Aufgabenträgers in die Auftragnehmer kommt, ist unbekannt. Auf Basis von Rückmeldungen der Fahrgäste kann es nicht entstanden sein. Man fühlt sich als Betroffener komplett im falschen Film.

Dass es künftig besser wird, ist bei dieser Haltung der Bahn­unternehmen und des Aufgabenträgers nicht zu erwarten. An den beiden auf die Baustelle folgenden Wochenenden wird die S1 wegen Bahnsteig­arbeiten am Ostbahnhof aus dem S‑Bahn-Tunnel verbannt; aus unbekannten Gründen (wahrscheinlich, damit es für die DB nicht zu unbequem wird) wird zudem die Fahrzeit verlängert. 2018 soll die Strecke nördlich von Feldmoching bis Freising mit Auswirkungen bis hinaus nach Landshut für sechs Wochen komplett gesperrt werden. Schon allein dieser Plan zeigt, wie stark man bei der DB den Fokus auf die Kunden verloren hat. Die Leidens­geschichte der Strecke nach Freising, die zu den am besten ausgelasteten im Raum München gehört, gleichzeitig aber ihre Fahrgäste auch ohne Baustellen mit den meisten Störungen quält, geht weiter. Bei der S1 scheint man schon lange nach dem Motto "Ist der Ruf erst ruiniert ..." zu verfahren.

Edmund Lauterbach

 

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