Dieser Text basiert auf einem Artikel
für die PRO BAHN Post Februar 2017.
Bearbeitungsstand: 20.1.2017

 

Quellen und Querverweise
 

 

Betriebskonzepte zweite Stammstrecke
S-Bahn-Pläne und S-Bahn-Realität

Die Süddeutsche Zeitung berichtete vor kurzem darüber, wie die zweite Münchner S‑Bahn-Stammstrecke gebaut werden soll (sz.de/1.3333606). Ebenso interessant ist jedoch, wie sie später genutzt werden soll. Schaut man bei den Projekt-Webseiten 2.stammstrecke-muenchen.de unter Mediathek/Dokumentationen nach, so findet man unter anderem eine aktualisierte Nutzen-Kosten-Untersuchung vom Herbst letzten Jahres. Darin wird wieder einmal von einem veränderten Betriebskonzept mit Express-Linien bis Mering, Buchloe und Landshut ausgegangen.

Blicken wir einmal zurück: In den ersten Überlegungen zum zweiten S‑Bahn-Tunnel ging man davon aus, dass ein Ast des Tunnels von Norden in den Ostbahnhof münden sollte, und ein weiterer unter Umgehung des Ostbahnhofs zum Leuchtenbergring führen sollte. Dieses Konzept wurde verworfen und durch das heute noch gültige mit einer unterirdischen Station am Ostbahnhof und Zusammenführung der Gleise am Leuchtenbergring ersetzt.

Für diese Tunnelpläne wurde 2009 ein Betriebskonzept unter der Bezeichnung "Mitfall 6T" 2009 veröffentlicht. Dieses Konzept wurde auch dazu benutzt, um den Vergleich zwischen Südring und zweitem Tunnel zum gewünschten Ergebnis zu führen. Vorgesehen ist eine Mischung aus Takten im 10/20-Raster und im 15/30-Raster. Die Linien S1 (nur nach Freising), S11 (wie S1 aber nur zum Flughafen) und S6 (Tutzing – Erding) verkehren im neuen Tunnel, und werden durch abschnittsweise als Express fahrende Linien Mammendorf – Ebersberg (S13) und nach Herrsching (S15) ergänzt. Die Linien S2 (Petershausen – Holzkirchen), S3 (Maisach – Grafing) sowie nach Geltendorf (S4), Wolfratshausen/Kreuzstraße (S7) und Herrsching/Flughafen (S8) verbleiben im bestehenden S‑Bahn-Tunnel.

Betriebskonzept Stammstrecken 2009
Linien bestehende Stammstrecke Linien zweite Stammstrecke
S2  Petershausen/Altomünster – Holzkirchen
S3  Mammendorf – Grafing Bf
S4  Geltendorf – Ostbahnhof
S7  Wolfratshausen – Kreuzstraße
S8  Herrsching – Flughafen
S1  Freising – Leuchtenbergring
S6  Tutzing – Erding
S11  Flughafen – Leuchtenbergring
S13  Mammendorf – Ebersberg
S15  Herrsching – Riem

Das Konzept von 2009 sah für den ersten Tunnel 362 Fahrtenpaare je Werktag vor und für den zweiten Tunnel 230 Fahrtenpaare. Das hätte bedeutet, dass auch in der Hauptverkehrszeit (HVZ) nur 12 S‑Bahnen je Stunde und Richtung verkehren – ein 5-Minuten-Takt. Das war dann doch etwas wenig, um die hohen Kosten des Megatunnels zu rechtfertigen. Also erfand man den Überregionalen Flughafen-Express (ÜFEX). Zunächst zwei, später vier ÜFEX-Linien aus Richtung Ulm/Augsburg und Lindau/Memmingen sollten durch den zweiten Tunnel zum Flughafen geführt werden (siehe auch www.myway.de/e.lauterbach/xs.html). Insgesamt hätten sich so 16 Fahrtenpaare pro Stunde auf der zweiten Stammstrecke pro Stunde ergeben, und entsprechend die Nutzen-Kosten-Rechnung positiv beeinflusst.

Durch die ÜFEX-Konstruktion handelte man sich aber andere Probleme ein: Welche Fahrzeuge bieten sowohl auf Regionalstrecken als an S‑Bahnhöfen einen barrierefreien Einstieg? Wie passt die Zuglänge von maximal 210 Metern im Münchner S‑Bahn-System zur starken Auslastung der Pendlerzüge aus der Region nach München? Wandelt man das Ziel eines stabileren Betriebs durch Verspätungsübertragung aus einem viel größeren Netz nicht ins Gegenteil um?

Das Betriebskonzept ging natürlich von einer Umsetzung vor 2025 aus. Immerhin hatte sich München für die Olympischen Winterspiele 2018 beworben, danach hoffte man auf eine zweite Stammstrecke bis 2019, spätestens bis 2021. Entsprechend unterschied man beim S‑Bahn-Betrieb zwischen einem Startkonzept und späteren Iterationen. 2011 ergänzte man das Startkonzept durch ein Konzept "Mitfall 6+" für 2025. Dazu wurden drei Iterationsschritte mit Express-Zügen nach Augsburg (S13), Landshut (S21) und Rosenheim (S11) untersucht. Wie an der Nummerierung zu erkennen ist, sollten die Züge aus Rosenheim über die heutige S1‑Strecke zum Flughafen durchgebunden werden. Die Bewertung für den Ast nach Rosenheim war allerdings zu schlecht, so dass er nicht ins Konzept aufgenommen wurde.

In der Nutzen-Kosten-Untersuchung von 2016 ist nun nur noch vom "Mitfall" die Rede. Inzwischen ist klar, dass die zweite Stammstrecke nicht vor 2025 in Betrieb geht. Es kommen auch keine Iterationen mehr vor, dafür haben die Expresslinien nun ein X in der Linienbezeichnung. Die Linie S13X verkehrt nicht nach Augsburg, sondern zwischen Mering und Ebersberg. Von Herrsching soll die Linie S15X bis zum Flughafen fahren. Neu hinzugekommen sind die Linien S14X Buchloe – Riem, S21X Landshut – Leuchtenbergring und S24X Buchloe – Riem. Dabei sollen sich S14X und S24X wohl durch unterschiedliche Zwischenhalte unterscheiden.

Betriebskonzept Stammstrecken 2016
Linien bestehende Stammstrecke Linien zweite Stammstrecke
S2  Petershausen/Altomünster – Holzkirchen
S3  Mammendorf – Grafing Bf
S4  Geltendorf – Ostbahnhof
S7  Wolfratshausen – Kreuzstraße
S8  Herrsching – Flughafen
S1  Freising – Leuchtenbergring
S6  Tutzing – Erding
S11  Flughafen – Leuchtenbergring
S13X  Mering – Ebersberg
S14X  Buchloe – Riem
S15X  Herrsching – Flughafen
S21X  Landshut – Leuchtenbergring
S24X  Buchloe – Riem

Insgesamt würde so der zweite S‑Bahn-Tunnel mit 15 Zügen je Richtung in der HVZ befahren, und pro Werktag ergäben sich 285 Fahrtenpaare. Es ergibt sich eine Situation, in der man auf die ÜFEX-Züge wieder verzichten kann, und stattdessen mit einer Express-S‑Bahn zum Flughafen fährt. Problematisch erscheint allerdings immer noch, dass am Flughafen bis zu acht S‑Bahnen pro Stunde wenden sollen. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass im Regionalzugteil der Untersuchung nur noch von einer Linie (E12) über die Neufahrner Kurve vom Flughafen Richtung Freising, Landshut und Regensburg die Rede ist. Weiterhin gilt auch, dass eine Express-S‑Bahn bis Ebersberg zum Entfall durchgehender Fahrten zwischen Wasserburg und München führt.

Selbst wenn der zweite Tunnel 2025 oder 2026 in Betrieb geht, ist unklar, wann man das der Nutzen-Kosten-Untersuchung zugrundeliegende Betriebskonzept umsetzen kann. Richtung Flughafen ist beispielsweise ein Ausbau im Bereich Daglfing/Johanneskirchen notwendig, der laut einem Bericht des Münchner Merkurs nicht vor 2037 kommen soll (merkur.de/‑7302616.html). Egal ob 2025 oder 2037 – in jedem Fall ist viel Zeit, um die Betriebskonzepte noch einige Male zu ändern. Abseits aller Zukunftspläne bedeutet das auch, dass die Fahrgäste das S‑Bahn-Elend noch sehr lange ertragen müssen, weil man andere Ausbauten zugunsten des zweiten Tunnels verzögert hat.

Es ist skurril, dass man sich seit 2005 mit Berechnungen für einen nichtexistierenden Tunnel beschäftigt, während sich gleichzeitig das Angebot im S‑Bahn-Netz vom Bedarf immer weiter entfernt. Planer und Entscheider auf der einen Seite und die S‑Bahn-Realität auf der anderen scheinen in verschiedenen Welten zu existieren. Keines der Konzepte hilft den Bahnkunden, die sich durch eingleisige Abschnitte oder Strecken mit Mischverkehr quälen müssen, die täglich durch kaputte Weichen oder Bahnübergänge geschädigt werden. Welche zukünftigen Politiker und Bahnplaner deren Probleme aufgreifen, dafür gibt es leider überhaupt keine Prognose.

Edmund Lauterbach

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