Dieser Text basiert auf einem Artikel
für die PRO BAHN Post Februar 2019.
Bearbeitungsstand: 28.1.2019

 
 

Ausbau von Bahnstationen
Fehler im System

Wer in einem Ballungsraum lebt, kann die Erfahrung in jeder Hauptverkehrszeit machen: Die Fahrgastzahlen im Nahverkehr nehmen zu, die Kapazitäten wurden viel zu lange nicht dem wachsenden Bedarf angepasst. Die Pendler drängen sich auf Bahnsteigen und in den Fahrzeugen, die Schieneninfrastruktur erlaubt häufig keine Taktverdichtung. Alles wirkt, als wäre es für die Fahrgastzahlen von vor zwanzig Jahren gebaut.

Das gilt auch für die Bahnhöfe und S-Bahn-Stationen. Die BAG-SPNV (Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger im Nahverkehr), bei der auch die Bayerische Eisenbahngesellschaf (BEG) eine wichtige Rolle spielt, forderte vor Kurzem, dass Politik und DB die Kapazitäten in den Stationsbereichen ausbauen müssen (siehe z. B. http://spon.de/afoHC). Dazu gehört, insbesondere wo bauliche Erweiterungen schwierig sind, auch die Beseitigung von Hindernissen und weitere intelligente Lösungen, um den Fahrgastfluss zu verbessern.

Der Großraum München mit seinen stark wachsenden Zahlen bei Einwohnern, Arbeitsplätzen und Verkehr ist geradezu ein Paradebeispiel für die Versäumnisse der Vergangenheit und leider auch für die Inflexibilität und den mangelnden Realitätssinn mancher Verantwortlichen. Man hat auch heute zu oft den Eindruck, die Kapazität wird aufgrund von Fahrgastzahlen der Vergangenheit berechnet und das Wachstum ignoriert. 

So hat PRO BAHN bereits 2015 den noch älteren Vorschlag einer zweiten Querung der Bahnsteighalle im Münchner Hauptbahnhof aufgegriffen, und ihm mittels einer Petition bei der Politik Gehör verschafft. Im Prinzip war dies eine sehr erfolgreiche Aktion. Sowohl der Landtag als auch die Staatsregierung haben sich der Forderung angeschlossen. Bayern ist bereit, einen Teil der Planungskosten zu übernehmen, und man erwartete sogar eine vorgezogene Realisierung. Leider war man bei der DB wohl nicht ganz so begeistert. Die übrigen für den Hauptbahnhof geplanten Neubauten versprechen halt mehr Rendite, und da Bayern die Bahnsteigquerung nicht alleine finanzieren möchte, geht es, wenn überhaupt, nur sehr zäh voran.

Foto 605*340 - Hauptbahnhof München

Grafik 559*331 - München Hauptbahnhof

Wer auf der Bremse steht, ist auch drei Jahre nach Annahme der Petition und nach mehrmaligem Nachhaken von PRO BAHN nur schwer zu erkennen. Aber dass bei einem Projekt, das wirklich den Fahrgastfluss am Hauptbahnhof deutlich verbessern kann, und sowohl aus Sicht der Reisenden als auch aus Sicht der Verkehrsunternehmen und der BEG Vorteile bringt, gebremst wird, ist allein schon ein Symbol für die momentane Verkehrspolitik, die man oft nur noch als "Verkehrtpolitik" bezeichnen kann. Statt gemeinsam eine sinnvolle Lösung umzusetzen, wird gegeneinander gearbeitet, und manche Beteiligte sind wohl froh, dass sie aufgrund der Verzögerungen nicht tätig werden müssen. 

Was sich am großen Münchner Hauptbahnhof zeigt, sieht man ebenso an der kleinen S-Bahn-Station Unterschleißheim. Klein ist allerdings relativ: Bezogen auf die Stationen außerhalb der Stammstrecke gehört Unterschleißheim zu denjenigen mit den meisten Ein- und Aussteigern. Klar ist, dass auch hier eigentlich auf Wachstum geplant werden müsste. Das ist allerdings nur fast allen klar – den zuständigen Leuten bei der DB leider nicht.

Seit Anfang 2018 wird der S-Bahnhof umgebaut. Und zwar im Prinzip großzügig, da außer den von der DB mit Fördermitteln umgesetzten Maßnahmen wie Bahnsteigerhöhung und Rampen auch die Stadt Unterschleißheim sich kräftig beteiligt. Es entstehen daher nicht nur auf einer Seite barrierearme Zugänge, sondern sogar auf beiden Seiten. Die Stadt baut dabei unter anderem zwei Aufzüge.

Foto 605*340 - Haltepunkt Unterschleissheim

Leider hat die Großzügigkeit ein Ende, wenn es um die Bahnsteigbreite geht. Das Gefühl, dass die Fahrgäste beim Anblick der neuen Bahnsteige hatten, wurde durch Medienberichte und die Stadt Unterschleißheim inzwischen bestätigt (https://www.merkur.de/-10314850.html, https://www.sz.de/1.4154735). Waren die Bahnsteige früher vier Meter und mehr breit, so wurden sie jetzt auf etwa zwei Drittel der Bahnsteiglänge nur noch 2,80 Meter breit gebaut.

Das hört sich immer noch ausreichend an. Man muss aber beachten, dass die nutzbare Breite durch den Sicherheitsstreifen sowie Einbauten wie Wartehäuschen und Fahrscheinautomaten erheblich eingeschränkt ist. Ein Kinderwagen muss nun zum Beispiel ganz am hinteren Rand stehen, damit noch Leute vorbeikommen, ohne dass permanent über den Sicherheitsstreifen gelaufen wird. Häufig hält die S-Bahn Richtung München so, dass sich die hintere Tür auf Höhe eines Automaten befindet. Bei entsprechendem Fahrgastandrang ist zum einem kein Durchkommen mehr, zum anderen wird der Aufenthalt des Zuges durch das Gedränge beim Fahrgastwechsel verlängert.

Foto 605*340 - Bahnsteig Unterschleissheim

Foto 605*340 - Bahnsteig Unterschleissheim

Betrachtet man das Ganze noch unter dem Aspekt, dass der Umbau der Station Unterschleißheim insgesamt einen zweistelligen Millionenbetrag kostet, und dass die Fahrgäste über ein Jahr lang durch die Bauarbeiten behindert werden – zeitweise durchaus extrem – wird es komplett abstrus. Anstatt auf die Realität des starken Wachstums der Region zu reagieren, werden hier von der DB ihre eigenen Richtlinien zur Umsetzung von aus der Zeit gefallenen Mindeststandards missbraucht.

Man kann der BAG-SPNV nur zustimmen: Wir brauchen nicht nur mehr Schieneninfrastruktur und adäquate Ausstattung mit Fahrzeugen. In den Bereichen, wo die Fahrgastzahlen steigen, müssen ebenso Bahnhöfe entsprechend ausgebaut werden. Das gebietet eigentlich schon der gesunde Menschenverstand; wir bewegen uns aber zugleich in einem sicherheitsrelevanten Bereich. Und auch dabei ist eine individuelle Betrachtung der konkreten Situation nötig, anstatt sich starr an Konzernvorschriften zu halten. Man hofft immer, dass dies den Verantwortlichen bei der DB klar ist. Leider zeigen die genannten Beispiele das Gegenteil.

Es wird endlich Zeit, dass das Laissez-faire bei der Bahnplanung aufhört. Wir brauchen wieder ein aktives Kümmern um die Belange der Fahrgäste auch auf Seiten der DB. Wir brauchen Verantwortliche, die Situationen und Prognosen beurteilen können, und daraus die richtigen Entscheidungen ableiten. Was wir nicht brauchen, sind Leute, die Information mit Marketing verwechseln, die anbieterorientiert statt kundenorientiert denken, und denen die ganze Sache über das Einhalten von Paragraphen und Vorschriften hinaus eigentlich egal ist.

Edmund Lauterbach

 

___________________

Querverweise:

 

 


eXTReMe Tracker   Tweet   Flattr this

Übersicht Publikationen

Gesamtübersicht

© Edmund Lauterbach – 29.1.2019 / Impressum / Kontakt