Dieser Text basiert auf einem Artikel
für die PRO BAHN Post Mai 2023.
Bearbeitungsstand: 12.4.2023

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In der Region München entscheidet sich die Verkehrswende für Bayern
Zu wenig, Herr Bernreiter!

Als die Staats­regierung im September 2022 die riesigen Verzöge­rungen beim Projekt zweite S‑Bahn-Stammstrecke zugeben musste, wurde das "Programm 14plus" für die S‑Bahn München erfunden, und so getan, als wären damit die Probleme weitgehend gelöst. Das Programm reiht sich in eine Reihe vergleich­barer Aktionen ein, bei der zum Teil immer wieder dieselben Projekte (Sendlinger Spange, Wendegleis Weßling, Abzweigung Westkreuz, usw.) neu verpackt wurden. All diese Programme wurden lautstark angekündigt, kamen oft schwer in Gang, und nachdem man sich mit ein, zwei Projekten verausgabt hatte, wurde der Rest mit Schweigen zugedeckt. Viele der wiederholt genannten Maß­nahmen blieben bis heute in irgendeinem Planungs­stadium stecken.

Eingebettet ist das alles in das Programm "Bahnausbau Region München". Dazu gibt es seit 2021 Dialogforen, in denen Fort­schritte und weitere Unter­suchungen der Projekte vorgestellt sind. Fahrgäste sind bei diesen Dialogforen nicht beteiligt. Die Präsen­tationen werden jeweils von der DB erstellt – zur Erläuterung des Status laufender Projekte – sowie von einem Gutachter, der die Bewertung potenzieller künftiger Projekte vorstellt. Dazu wurde eine lange Liste möglicher Maß­nahmen in sogenannte "R‑Projekte" (in Planung oder Realisierung) und "U‑Projekte" (zu untersuchen) unterteilt. Eine Übersicht dazu findet man nicht bei der DB oder beim Verkehrs­ministerium, sondern in einem Zeit­schriften­artikel, den die Firma Intraplan zur Verfügung stellt.

Soweit es um Schienen­infra­struktur geht, enthält das "Programm 14plus" also sehr wenig Neues, sondern eher eine Akzentu­ierung der Prioritäten. Für die Fahrgäste, die bis mindestens zur zweiten Hälfte des nächsten Jahrzehnts auf die zweite Stamm­strecke warten müssen (und seit über 20 Jahren auf deutliche Verbesserungen bei der S‑Bahn warten), ist das Programm letztlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. In Berlin wird gerne das "neue Deutsch­land­tempo" beschworen. In München ist zum Beispiel der ewige Bauzustand von S‑Bahn-Stationen des alten Stamm­strecken­tunnels ein schönes Zeichen dafür, was das normale Tempo der Bahnmodernisierung ist. Was ist von Groß­projekten wie zweiter Stamm­strecke zu erwarten, wenn viel Kleineres seit Jahrzehnten verschleppt wird?

Karte S-Bahn-Netz München
Karte S‑Bahn-Netz München [Lizenz: CC BY‑SA 2.0, S‑Bahn-Netz: Maximilian Dörrbecker (Chumwa), Hintergrund: openstreetmap.org]

Wenn nicht mehr passiert als "14plus" ist eine Verkehr­swende illusorisch. Der hohe Anteil der S‑Bahn München am Gesamt­aufkommen des SPNV in Bayern erlaubt es nicht, fehlenden Ausbau in der Region München durch Maßnahmen in anderen Landes­teilen zu kompensieren. Wir brauchen natürlich Bahn- und ÖPNV-Ausbau überall, wir brauchen Reak­tivie­rungen still­gelegter Strecken, ein beschleunigtes Elektri­fizierungs­programm und einiges mehr. Vieles davon ist deutlich günstiger zu haben als ein S‑Bahn-Ausbau. Aber all das ist ohne einen viel schnelleren Bahnausbau in der Region München nicht ausreichend!

Die bisher für die S‑Bahn München verfolgten Ziele müssen an die neuen Realitäten angepasst werden. Es ist völlig unmöglich, ein für 2026 oder 2028 konzipiertes "Start­programm" für den S‑Bahn-Betrieb mit zweiter Stammstrecke auf die Jahre 2035 oder 2038 zu übertragen. Die Not­wendig­keit deutlich höherer Zugzahlen für 2030 und später sollte selbst der bayerischen Staats­regierung klar sein. Um mehr Züge fahren zu lassen, muss aber die Kapazität der S‑Bahn-Auße­näste verbessert werden. Nicht in einigen Jahren, sondern jetzt müssen Pläne auf den Tisch, damit bis Ende des Jahrzehnts die wichtigsten Strecken im S‑Bahn-Netz ausgebaut werden. Dass S‑Bahnen sich Gleise mit anderen Zügen teilen, ist Grund für viele Verspä­tungen und sollte eigentlich schon seit Jahren der Ver­gangen­heit angehören. Hohe Priorität hat die Verbesserung der Zuverlässigkeit durch robustere Infrastruktur – hier wird das Versagen der DB und das mangelhafte Bahn­verständnis der Politik besonders deutlich.

Die Option, den Südring vor Inbetrieb­nahme der zweiten Stamm­strecke als Bypass für zusätzliche S‑Bahnen zu nutzen, muss auf die Agenda. Zum vor­dring­lichen Ausbau gehört auch die Verlängerung nach Geretsried, die durch die bayerische Verkehrs­politik zu einem eigen­ständigen Desaster entwickelt wurde. Weitere Maß­nahmen wie Bahnsteig­verlänge­rungen und wichtige neue Haltepunkte müssen folgen, damit die zweite Stamm­strecke nicht wie bisher geplant mit einem Spar­programm eröffnet werden muss. Den Fokus auf die Außen­strecken zu legen, ist deutlich wichtiger für die Fahrgäste, als beispiels­weise ein in den Dialogforen erörterter Abzweig der zweiten Stammstrecke Richtig Giesing.

Die durch die Fehlplanung der zweiten Stamm­strecke verlorene Zeit – die 2022 dazugekommenen zehn Jahre sind ja nur die vorläufig letzte aber nicht die erste Verlängerung – muss zwingend für Maß­nahmen an anderen Stellen im S‑Bahn-Netz genutzt werden. Wie im Artikel "Wie soll der nächste S‑Bahn-Vertrag aussehen?" erläutert, müssen diese Maß­nahmen deutlich über das hinaus­gehen, was bisher versprochen wurde. Es ist keine Zeit mehr, um jetzt die Hände in den Schoß zu legen, und zu glauben, mit dem "Programm 14plus" hätte man zunächst einmal genug geleistet. Das kann nur ein erster halber Schritt sein, der jetzt sofort ergänzt werden muss.

Das Schweigen von Minister und BEG zu Betriebs­programm und S‑Bahn-Vertrag und das bisher erkennbare gemächliche Tempo lassen Schlimmes befürchten. Wie schon bei der Schlamperei rund um den Stamm­streckenbau scheint man die Probleme wieder aussitzen zu wollen. Erst einmal bis zur Landtagswahl nichts tun und nichts sagen, und danach kann man es für ein paar Jahre unter den Teppich des Minister­büros kehren – wer auch immer dann dort sitzen wird.

Edmund Lauterbach

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