Ein »Hoffmann« à la Federico Fellini

von Lorenzo Fioroni in Osnabrück

***** Bester »Hoffmann« der Spielzeit 2010/11 *****


www.theater-osnabrueck.de


Besuchte Vorstellung 15. Januar 2011 (Premiere)








Regie


Lorenzo Fioroni

Dirigent


Hermann Bäumer

Chorleitung


Holger Krause

Bühnenbild


Paul Zoller

Kostüme


Annette Braun

Version


Oeser

Sprache


Französisch




Hoffmann


Bernardo Kim

Muse


Eva Schneidereit

Olympia


Ani Taniguchi

Antonia


Natalia Atamanchuk

Giulietta


Sabine Ritterbusch

Widersacher


Genadijus Bergorulko









Fazit Osnabrück: Ein eigenwilliger, anregender, surrealer und gleichzeitig realistischer »Hoffmann« am Theater Osnabrück. Ein kaleidoskopischer »Hoffmann« voller Überraschungen, der mit fast allen Konventionen brach, die man bei Inszenierungen dieser Oper gewohnt ist. Jede Minute ein neuer Gag, eine neue Pointe, die sich aber überraschenderweise zu einem Ganzen zusammenfügten und nicht, wie leider so oft, aufgesetzt und effekthascherisch wirkten. Der wohl überraschendste »Hoffmann«, den ich je gesehen habe. Eine große Portion Fellini glaubte ich zu erkennen (An der Met hatte Bartlett Sher einen »Hoffmann« à la Fellini« angekündigt, doch nicht geliefert. Hier in Osnabrück gab es ihn, öhne eine solche Ankündigung.) Reminiszenzen an Szenen und Stilelemente aus Fellinis Filmen wie 8 ½, Satyricon und Amarcord gingen mir durch den Kopf. Der Osnabrücker »Hoffmann« vermittelte die Handlung der Oper funktional durch intensive Gesten, eindrucksvolle Bilder und überzeugende szenische Interaktion der Darsteller. Er bewegte sich oft an der Grenze zur Farce, überschritt diese aber nicht und verlor solchermaßen nie den Kontakt zur Realität, die wie bei Fellini, überzeichnet, aber nicht unrealistisch dargestellt wird. Ein hervorragendes Orchester spielte, das einen gewaltigen Klang dazu lieferte. Ein »Hoffmann«, der förmlich nach einem Zweit- und Drittbesuch schreit, da man beim ersten Mal nicht aus dem Staunen über diese Vielfalt szenischer Eruptionen herauskommt.

Einen Video-Querschnitt durch die bemerkenswerte Osnabrücker Inszenierung findet man unter http://vimeo.com/21062535

Man beachte die perfekt intonierten Auftakte.

English Summary





Hoffmanns Wohnung


Man könnte meinen, dass man an den großen Theatern die avantgardistischsten Inszenierungen erlebt. Was meine »Hoffmann«-Besuche angeht, stimmt das in keiner Weise. Der Osnabrücker »Hoffmann« hat wieder einmal belegt, was mir schon der vor einem Jahr verstorbene »Hoffmann«-Forscher Josef Heinzelmann sagte: In der Provinz wird ernsthaft gearbeitet. Wenn man nun Osnabrück, eine Stadt mit über 160.000 Einwohnern und einer bemerkenswerten Geschichte überhaupt als Provinz bezeichnen sollte. Schließlich wurde in dieser Stadt und im nahen Münster 1648 der Westfälische Friede unterzeichnet, und sie hat in der Nähe des Theaters zwei wunderschöne mittelalterliche Kathedralen, eine evangelisch und die andere katholisch, ganz im Sinne des Friedenskompromisses.

Das heutige Theater steht an der Stelle des von den Alliierten plattgebombten Altbaus, von dem nur die Fassade überlebte. Innen findet man sich in einem Neubau von unaufdringlicher Eleganz mit guter Sicht von allen 600 Plätzen und hervorragender Akustik, mit zwei Rängen und dezenten Farben. Im Orchester zählte ich drei Kontrabässe und vier Celli.

Wieder mal ein »Hoffmann«, der vom Pech verfolgt war, aber es kam doch noch eine gelungene Premiere zu Stande. Zwei Wochen vorher war nämlich der Regisseur radfahrenderweise bei Schnee und Eis gestürzt und hatte sich den Oberschenkelhals gebrochen. Jan-Richard Kehl sprang als Co-Regisseur ein und pendelte täglich zwischen Krankenhaus und Proben hin und her. Das gelang so gut, dass man dem Osnabrücker »Hoffmann« dieses Pech bei der heißen Endphase der Proben nicht anmerkte.


Die Bühne war offen, und man blickte auf ein Segment eines großstädtischen Wohnblocks, um dessen Treppenhaus sich einige Mietwohnungen gruppierten. Die große Drehbühne ermöglichte Einblicke von allen Seiten. Praktisch fand ich die Projektionsflächen für die Texte, die es je links und rechts von der Bühne als Seitentitel zu sehen gab. Diese Anordnung ist viel sinnvoller als die allgegenwärtigen Übertitel. Straßenlärm mit Tatü-tata tönte herein, so wie der Alltag von Millionen von Menschen klingt.

Dann die Auftaktakkorde, wuchtig und maestoso. Bedeutendes kündigte sich an.



Eine Frau mit Umhängtasche war offensichlich auf der Suche nach etwas. Auf der Bühne schien ein Umzug im Gang zu sein. Kartons standen überall herum, auch einige Flaschen, wie sie zu einem »Hoffmann«-Auftakt nun mal gehören. Und der gefiel mir, denn das Orchester und der Chor stellten sich präzise und gefühlvoll vor. Auch die Muse sang mit voller und kräftiger Stimme.



Es läutete an der Wohnungstür, und ein ziemlich tatteriger Lindorf trat auf. Auf dem Bühnenboden stand ein Telefon, an dem die ganze Zeit ein Licht geblinkt hatte. Lindorf drückte auf einen Knopf, und Stellas Stimme erklang mit der bekannten Botschaft an Hoffmann, dass ihr alles leid tue und dass sie zu ihm zurückkommen wolle. Wir befanden uns also in Hoffmanns Wohnung, in die sich Lindorf eingeschlichen hatte. Der eifersüchtige Alte durchwühlte dann ziellos einige der Kisten, um nach irgendetwas zu suchen.


Coppelius und Spalanzani


Der Chor betrat wieder die Bühne. 18 Männer umfasste er. Hoffmanns Freunde betätigten sich als Umzugshelfer und schleppten Umzugskisten durch die Wohnung. Chor und Muse gefielen weiter mit schönem Gesang.


Dann trat Hoffmann auf, gekleidet in eine lockere Trainingshose. Irgendwie erinnerte mich seine Frisur an die des Popstars Michael Jackson. Ich hoffe, das war Zufall, denn an Parallelen zwischen dem Universalkünstler Hoffmann und dem Popstar Michael Jackson mag ich nicht einmal denken. Als Hoffmann den Klein-Zach sang, machte er dabei den Lindorf an, der so zum Gespött von Hoffmanns Freunden wurde.


Während Hoffmann den Klein-Zach sang, leerten seine Freunde die Wohnung, und Hoffmann stand alleine darin, als er zu Stella überging. Als er wieder zum hässlichen Zwerg zurückkehrte, blickte er dabei in einen Spiegel, der noch an der Wand hing. Das hatte die Regie richtig verstanden. Klein-Zach ist Hoffmanns befürchtetes Abbild. Lindorf trat wieder auf, und die Feindseligkeiten zwischen beiden wurden deutlich gezeigt.



Dann verbrannte Hoffmann ein Papier, vermutlich enthielt es die Geschichte seiner Liebe zu Stella oder gleich die aller drei Lieben, denn nun kam der Olympia-Akt. .






links aufgestützt Cochenille, knieend Spalanzani, Hoffmann, liegend Olympia


Das Bühnenbild blieb das gleiche, doch was für eine Gesellschaft bevölkerte fortan die Bühne. Eine richtige Sause kündigte sich an, eine Karnevalsparty mit festlich-witzig gekleideten Gästen. Flippige Damen kamen die Treppe herab und verbreiteten ausgelassene Partystimmung. Spalanzani trug Teufelshörner und plante von Anfang an einen Betrug. Hoffmann wurde freudig als des Professors Schüler begrüßt. Die Wohnung des Spalazani war in Windeseile eingerichtet worden, und Niklaus, gar nicht androgyn gekleidet, motzte die Wohnung mit Raumspray olfaktorisch auf.


Die Muse (sie blieb weiblich) sang eine schöne Vogelarie, zu der sie hervorragend mimte und bekam dafür auch den verdienten Applaus. Eine energisch-witzige Muse versuchte dann, den Hoffmann zu vernaschen.


In einem Schrank stand eine Olympia mit einem weißen Brautschleier auf dem Kopf. Was dann folgte, war eine exemplarische Opera Buffa mit einem turbulenten Durcheinander, die aber nicht in die Klamotte abglitt.


Olympia litt noch an den frisch eingesetzten Augen. Eine riesige rosarote Brille kam ins Spiel, die dann die Muse trug.


Cochenille wurde als bemitleidenswerte Figur dargestellt, ein schwer zu definierendes Wesen, hässlich, ein Mann in Frauenkleidern, mit schauderhafter Frisur und einem Luftballon in der Hand.


Eine wilde Party entwickelte sich, wie bei Kir Royal in der Episode, in der man Can-Can auf den Tischen tanzt. Und Olympia tanzte mit und schien nicht mehr ganz nüchtern in ihrem Super-Mini-Kleid. Der Chor sang zwar laut aber diszipliniert und tollte dazu wild über die Bühne. Für die Begleitung zu Olympias Arie wurde eine elektrische Ukulele hereingebracht.


Olympia agierte nun gar nicht automatenhaft und machte den Hoffmann richtig an. Sie wirkte schon ziemlich blau, als sie ihre Arie vortrug. Nein, das ist das falsche Wort. Sie tanzte und torkelte dabei über die Bühne und lieferte trotzdem eine schöne und differenzierte Koloratur ab. Das war phänomenal, wie Ani Tanigochi über die Bühne tollte und dazu sang. Wenn sie schwächelte, verlor sie die Kontrolle über sich und knallte mit dem Kopf gegen den Schrank, bis sie sich wieder gefangen hatte. Schießlich landete sie mit Hoffmann im Bett, ihn dort vernaschend und dabei orgiastische hohe Töne trillernd. Was für ein Auftritt, musikalisch wie choreografisch, wofür es auch kräftigen Applaus gab.


Dann lag Olympia, die völlig erschöpft sein musste, auf dem Rücken in der Dusche und streckte die Beine nach oben. Zum Walzer musste Hoffmann sie aufheben. Zu infernalischen Fanfaren des Orchesters tauchte Coppelius aus dem Untergrund auf. Was für ein Kontrast zur ausgelassenen Partystimmung, die bis dahin geherrscht hatte, als Coppelius die Olympia erstach. Olympia hatte nun dunkle Augenhöhlen, torkelte noch ein paar Schritte und fiel tot um. Hoffmann trauerte heftig um sie und umarmte sie, doch die Party war vorbei. Game over.



Herzlicher Applaus für diesen turbulenten Akt, und kurze Umbaupause.


Hoffmann und Krespel


Antonia



Zu Beginn des Antonia-Aktes saß Hoffmann am Klavier und mimte zu den Eröffnungsakkorden, die ganz gewaltig aus dem Orchestergraben ertönten. Überhaupt dieses Orchester; beeindruckend dynamisch und präzise spielend füllte es das doch eher kleine Theater mit gewaltigem Klang.


Hoffmann hörte Antonia von ferne singen und versuchte sie über ein Telefon anzurufen, doch er bekam keine Verbindung. Zu dem Gesang über die entflogene Taube mimte er. Die folgenden Dialoge waren nun auf Deutsch mit gespenstisch verhallten Stimmen.


Vater Krespel war sehr eifersüchtig auf Hoffmann und zeigte das auch deutlich..

Franz trat als Hoffmann-Double auf und sang seine Geschichte vom scheiternden Künstler. Das gleiche Kostüm der beiden sollte wohl Hoffmanns Scheitern als Liebhaber andeuten. Beide bewegten sich synchron zueinander, als ob der eine das Spiegelbild des anderen wäre. Endlich sang mal ein Franz: Mir fehlt die TECHNIK. Gut so. Ich dachte immer, die METHODE ließe sich besser singen, doch das mit der Technik klang auch gut: „Es ist nur die Technik ….“ Da hatte sich mal die Dramaturgie Gedanken gemacht. Dann setzte sich Franz eine Clownsmaske auf und sich in eine Ecke, um das Geschehen weiter zu beobachten. Und Applaus für seinen Gesang.


Als die Muse Hoffmann vor Antonia zu warnen versuchte, indem sie die Olympia in einer gelungenen Mezzo-Koloratur parodierte, wurde dieser Gesang elektronisch so verzerrt, dass einem die Ohren vom Zuhören weh taten. Doch alles half nichts, Hoffmann war trotz der Kakophonie, an seine gescheiterte Affäre mit Olympia anspielend, nicht zu bremsen, sich in ein erneutes Abenteuer zu begeben, denn schließlich war ja Antonia ein lebendes Wesen aus Fleisch und Blut.


Dann erklang wieder einmal meine geliebte Geigenarie, und zwar in voller Länge und gut mit hochdramatischer Stimme gesungen. Wie ich auf der Premierenfeier erfuhr, hatte die Muse wieder einmal für die Geigenarie kämpfen müssen, und erfreulicherweise hatte sie wieder einmal gewonnnen.


Der Applaus dafür wurde von erneuter Kakophonie zerplatzender Klavierseiten gestört, als Antonia plötzlich aus dem Klavier kletterte. Sie sah schon ziemlich eindrucksvoll aus unter ihrer hochtoupierten Frisur, die ihr Selbstbewusstsein unterstrich, und war mondän gekleidet. Sie breitete dann ein Tuch auf dem Boden aus und packte dazu Brot und Wein aus einem Picknickkorb. Wunderschöne Duette Hoffmann – Antonia erklangen. Antonia wirkte weniger ernst, eher leichtfertig und lustig. Doch zum Chanson d´amour begann es draußen zu blitzen und zu donnern. Der noch als Clown maskierte Franz kam dazu herein und betrachtete neugierig die traute Zweisamkeit der beiden Liebenden. War denn alles nur Zirkus, wie die Clownsmaske wohl andeuten sollte?


Als Krespel die Türe bewachte, kletterte der dämonische Mirakel einfach über den Balkon ins Zimmer. Seine anfangs scheinheilig-einschmeichelnde Stimme wurde immer drohender. Gut die fahle Beleuchtung, als es Hoffmann und Krespel fröstelte. Mirakel untersuchte Antonia hinter einem Vorhang, das heißt er tat so, denn als der Vorhang aufging, war keine Antonia zu sehen.


Mirakel verschrieb der Antonia einen Berg von Medikamenten, die Antonia gierig in sich hineinstülpte. Danach brach sie zusammen – kein Wunder. Der mephistophelische Mirakel wedelte stolz mit seinen Präparaten.


Hoffmann betrachtete das alles verständnislos. Seinen Kommentar verstanden nur Koreaner, denn er sprach koreanisch, das ich leider nicht beherrsche.


Dann versprach Antonia, nicht mehr zu singen, tat das aber mit solcher Leichtfertigkeit, dass man merkte, dass sie nicht vorhatte, dieses Verprechen auch zu halten. Die inneren Konflikte der Charaktere wurden von der Regie deutlich und nachvollziehbar dargestellt und durch entsprechende Gesten unterstützt. Und dazu wehte ein gespenstischer Wind. Man hatte in Osnabrück auch an anderen Stellen als beim Franz eine eigene Übersetzung angefertigt, z.B. als Mirakel auf Antonia eindrang: „Im bürgerlichen Glück wollen sie dich einkerkern ….“ Und Antonia erkannte selbstkritisch: „Wer rettet mich vor mir selbst?“ Nicht nur Hoffmann war der von seinen Gefühlen Getriebene.


Mirakel triefte nun vor Blut, als die Mutter in schwarzem Kleid und mit schwarzer Sonnenbrille auftrat. Krespel war natürlich wie Oprheus erfreut, seine verstorbene und vom falschen Arzt zu Tode behandelte Frau wieder zu sehen und gesellte sich gleich zu ihr.

Doch zum Terzett erschien schon ein Leichenzug im Treppenhaus.


Zu ihrem Schwanengesang trug Antonia ein grellfarbenes Tüllkleid und schien diesen Gesang zu genießen. Wohl um seine symbiotische Abhängigkeit von Antonia zu symbolisieren, hatte man Hoffmann in ein identisches Kleid gesteckt.


Antonia verließ das Zimmer und ging eine Treppe hinauf, dem Publikum ihren Rücken zuwendend – ein altes Traumsymbol für Tod. Ihre Mutter sank dann am Flügel zusammen. Von oben herunter schwebte dann eine Antonia-Puppe in das bereitstehende Grab.



Kräftiger Applaus für diesen Akt voll von düsterem Symbolismus, und Pause.



Ebenso kräftiger Applaus empfing das Orchester nach der Pause, und den hatte es sich redlich verdient. Eines der besten Theaterorchester, das ich bisher erleben durfte.


Hoffmann und Giulietta


Ein glitzernde und funkelnde Lagune wurde auf einen Ganzevorhang projiziert, als die Barkarole erklang. Doch hinter dem Vorhang geschah Schlimmes: Die tote und blutige Antonia wurde von einem Sanka-Team umständlich auf eine Trage gebracht. Giulietta war platinblond und trug ein hellblaues Abendkleid mit tiefem Dekolleté. Ein richtiger Vamp. Wie es sich gehört, standen Giulietta und die Muse eng beeinander, als sie die Barkarole sangen. So klingt die gut, noch dazu ohne Piccolo. Doch die Sezne war schon makaber. Vorne die Liebesnacht, gesungen von zwei Vamps, dahinter der Abtransport der toten Antonia.


Das Bühnenbild und die Kostüme waren nun sehr aufwändig, aber ohne Gondeln, und die Auswahl der Musiknummern gelungen. Es gibt gute Alternativen zur umstrittenen Spiegelarie, und die wurden in Osnabrück nahtlos passend aneinandergefügt.


Schlemihl, gestylt wie ein Yakuza-Gangster, schien mehr zu dominieren als Dapertutto, und um beide herum eine feine venezianische Gesellschaft, wie sie auch an den Hof Silvio Berlusconis passen würde. Zum Farao-Spiel erklang ein gewaltiger Chor, in dem das Kartenspiel besungen wurde. Eine hervorragende und selten zu hörende Alternative zum ebenfalls umstrittenen Sextett, dessen Ursprung immer noch nicht völlig geklärt ist.


Giulietta, Hoffmann, Dapertutto, Pitichinaccio, Schlemihl


Hoffmann war nun als läppischer Clown geschminkt, denn er hatte sich in seiner Abhängigkeit von Giulietta völlig zum Narren gemacht. Er griff kaum mehr in das Geschehen ein und wirkte eher wie ein passiver Zuschauer. Während Giulietta ihr scheinheiliges Klagelied sang, trat eine „Kollegin“ der Kurtisane nach der anderen mit aufreizendem Po-Wackel-Gang hinter sie, blies jeweils eine Kerze aus und legte dann ihr Pelzjäckchen auf einem Haufen hinter Giulietta ab. Auch deren Zeit schien abzulaufen. Doch noch kniete ein ihr ausgelieferter Hoffmann vor ihr.


Ganz ausgezeichnet einstudiert, wie Hoffmann seine Liebe zu Giulietta besang. Er tat das nicht strahlend schön, sondern voll Verzweiflung. Welch gelungene Paradoxie zwischen den poetischen Worten und dem verzweifelten Gesichtsausdruck des Freiers.


Die fiese und dekadente Welt des Dapertutto wurde anschaulich dargestellt. Überraschend einfach auch, wie Hoffmanns Verlust seines Spiegelbildes veranschaulicht wurde. Man hatte ein kleines, flaches Wasserbecken auf die Bühne gestellt, und als Hoffmann hineinblickte, sah sich der Narziss nicht mehr.


Das Duell Hoffmann – Schlemihl fand als Ringkampf statt, an dessen Ende Hoffmann den Rivalen in dem Wasser ertränkte. Doch auch Giulietta überlebte den Tod ihres Liebhabers nicht. Ohne ihre Perücke lag sie glatzköpfig da. Ein elendes Bild bot sich dem Zuschauer, mit zwei Leichen und viel Unrat am Boden. Vorbei die venezianische Glitzerwelt.



Zum Epilog zwitscherten die Morgenvögel, die Liebesnacht war vorbei, und sie hatte nicht schön geendet. Gewaltig erklang der ernüchternde Bläserchor, als die Sonne aufging. Im Treppenhaus stand eine schwarzgekleidete Trauergesellschaft mit Blumengebinden und Kränzen. Während Stella Hoffmann anrief, lauschte die Trauergesellschaft neugierig an der Tür. Ein immer noch tatteriger Lindorf in einfachster Hauskleidung tapste herein. Die Muse führte nun Regie – laut Programmheft ist sie Bestattungsunternehmerin – und übernahm des Rest des Klein-Zaches. Und dann triumphierte sie: Hoffmann ist geheilt. Mit großer Dramatik in ihrer Stimme mit großem Umfang sang sie: Ich liebe dich, vertraue dich mir an.



Doch die gefühlvolle Stimmung dauerte nicht lange. Die Muse ging, und wie am Anfang erklangen Straßengeräusche und auch ein Tatü-tata. Die Bühne war leer, aber der Vorhang noch offen. Spannung: was kommt jetzt? Ein Immobilienmakler kam herein und besichtigte die geräumte Wohnung zur Abnahme. Vom Lautsprecher erklang das Finale des Don Giovanni. Danach herrschte gespannte Stille im Theater. Was würde jetzt geschehen?

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Fotografen Klaus Fröhlich und beim Theater Osnabrück. Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Dann läutete das Telefon, das am Boden lag. Der letzte vorhandene Gegenstand in Hoffmanns ehemaliger Wohnung. Der Makler bückte sich und nahm ab: „Meier“. Stella hatte angerufen. „Hoffmann? Nein, Hoffmann gibt’s hier nicht.“ Gespenstisch., Und Vorhang.

Wie man den Schluss in Osnabrück verstand, wurde mir nicht ganz klar. Richtig tot sah man den Hoffmann ja nicht, andererseits ging er die gleiche Treppe hinauf wie vordem Antonia, und die sollte sterben. Dazu kam, dass eine veritable Trauergesellschaft unter Führung der Muse aufmarschiert war. Außerdem wurde Hoffmann im Giulietta-Akt immer elender und konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten. Nun gefallen mir tote Hoffmänner prinzipiell nicht. (siehe hier und hier). Hoffmann muss ja noch die Geschichten aufschreiben, die er seinen Kumpanen schon mal erzählt hat, sonst würde es ja diese Oper gar nicht geben.

Andererseits traue ich dieser an Anspielungen und Symbolismen überreichen Inszenierung durchaus zu, dass sie den gescheiterten Hoffmann symbolisch sterben ließ, um eine Art Wiedergeburt nach seinen selbstverschuldeten Reinfällen anzudeuten. Der junge Leichtfuß hat dazugelernt und widmet sich nun geläutert an der Seite der Muse der Dichtung und lässt die Finger von den Geschichten mit liederlichen Weibern. Diese Interpretation des Osnabrücker Schlusses wäre mir wesentlich sympathischer, also dass Hoffmann sich von seinem alten Milieu verabschiedet hat und nun in höhere und ihm angemessenere Sphären umgezogen ist. Dass ihn dabei die zickige Stella mit ihren Allüren nicht mehr erreicht, würde durchaus zu einer solchen Interpretation passen. Mit einem Star ist noch selten jemand glücklich geworden. Und genau das erzählen ja auch die drei Episoden dieser Oper.



Spontaner kräftiger Applaus. Jubel für Olympia, den Star des Abends. Und auch für Antonia und die Muse. Kräftiger Applaus für alle, auch für das Orchester. Ein paar ersterbende Buhs für das Regieteam, die aber schnell verebbten. Der Regisseur kam auf Krücken auf der Bühne. Zehn Minuten lang dauerte der Applaus. Der ungewöhnlichste und dabei voll gelungene Hoffmann, den ich je gesehen habe, war zu Ende. Kompliment an das Osnabrücker Publikum, dass es diesem gewagten Theaterexperiment seine Unterstützung gab.



Der erfolgreichen Premiere schloss sich eine Feier im oberen Foyer an, zu der alle Premierenbesucher eingeladen waren. Es gab ein reichhaltiges Buffet und wie immer viele interessante Gespräche mit Beteiligten. Ich erfuhr z.B. dass die Olympia deswegen besoffen auftrat, weil sie ein Lied mit einem derart bescheuerten Text zu singen hat, der nur durch ihren Rausch zur rechtfertigen war. Dieser »Hoffmann« wird noch bis Juni immer wieder gespielt. Ich muss da wieder hin, wenn es auch 650 km von München aus sind, denn ich hatte den Eindruck, dass ich nur die Hälfte aller Feinheiten dieses blumigen Circus Fioroni mitbekommen hatte.



Und so geschah es. Ich sah mir diese Inszenierung zum zweiten Mal an, begleitet von meiner Bekannten Hannelore Noltenius aus Bremen, die mich 2007 auf den »Hoffmann«-Trip gebracht hatte. Siehe Geschichte dieser Seite.




Bilder von der Premierenfeier


Regisseur sitzend, dahinter Olympia, ganz rechts Giulietta und Antonia



Regisseur und Muse









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