Ehrlicher »Hoffmann« in Darmstadt

www.staatstheater-darmstadt.de

Besuchte Vorstellung 28.April 2012 (Premiere)





Das neue Staatstheater Darmstadt mit Oper (links) und Schauspielhaus

Auf dem Banner steht: Jeder Mensch ist ein Abgrund

Regie


John Dew

Dirigent


Elias Grandy

Chorleitung


Markus Baisch

Bühnenbild


Heinz Balthes

Kostüme


José-Manuel Vásquez

Version


Oeser

Sprache


Deutsch




Hoffmann


Joel Montero

Muse


Erica Brookhyser

Olympia, Antonia, Giulietta


Julie Davies

Widersacher


Olafur Sigurdarson






Das alte Darmstädter Theater, heute ein Archivgebäude


Fazit: Ein gelungener »Hoffmann«, wie ich ihn gerne sehe. Die Regie hat die Geschichte von Hoffmanns Beschwerden richtig verstanden und ohne Flucht in Bizarrerien konsequent und handwerklich kompetent auf die Bühne gebracht. Nur ein paar wenige und nicht weiter störende Slapstick-Einlagen verrieten den britischen Hintergrund des Regisseurs und Intendanten John Dew. Das Bühnenbild war klassisch und wohltuend für´s Auge, die Kostüme aufwändig gestaltet. Viele liebevolle Details, z.B. die aufmerksame Beleuchtung machten den Opernabend zu einem schönen Erlebnis. Alle Rollen waren stimmlich gut bis sehr gut besetzt, wobei natürlich Julie Davies mit den drei großen Sopranrollen herausragte. Die Titelrolle sang Joel Montero, den ich schon vor zwei Jahren in der bemerkenswerten Inszenierung des Opernvereins Vaduz erlebt hatte. Vom Orchester und Dirigat her war alles in bester Ordnung.

Eine zutreffende Besprechung der Darmstädter Inszenierung findet sich im Feuilleton der Zeitung Darmstädter Echo.


Mein Onkel Friedrich Wiesend (1909 - 1972)


Das Staatstheater Darmstadt ist mir seit meiner Kindheit ein fester Begriff. In den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wirkte dort mein Onkel Fritz (Bild siehe links) als Ballettmeister, bis er schließlich in gleicher Position nach Berlin wechselte. Und Onkel Fritz, den ich in liebevoller Erinnerung halte, erzählte gerne von den Aufführungen, auch Opern, in denen er getanzt hatte. Jetzt gab mir der »Hoffmann« endlich die Gelegenheit, das Darmstädter Theater kennenzulernen.

Der Dichter Georg Büchner wurde 1813 in der Nähe Darmstadts geboren, wenige Jahre bevor Jacques Offenbach in Köln das Licht der Welt erblickte. Sein Elternhaus stand gleich in der Nähe des heutigen Theaters, bis es wie fast ganz Darmstadt gegen Ende des zweiten Weltkriegs zerstört wurde. Über den Eingang des Staatstheaters war ein Banner mit einem Büchner-Zitat gespannt: Jeder Mensch ist ein Abgrund.




Das alte Theater, ein klassizistischer Bau neben dem Hessischen Landesmuseum, wird heute als Archivgebäude genützt. Das großzügige neue Theater, eher ein Theaterkomplex, wurde 1972 eröffnet und danach erweitert und umgebaut. Es ist in futuristischem Stil gestaltet, und Esoteriker wie Erich von Däniken könnten es als Landeplatz für außerirdische Raumschiffe deuten. Das Theater mit großzügigen Foyers ist intelligent entworfen, und die ungefähr eintausend Zuschauer haben überall gute Sicht auf die breite Bühne. Die Akustik ist ausgezeichnet. Die Beschriftung zu den einzelnen Teilen des Theaters könnte man etwas deutlicher und sichtbarer gestalten. Als Erstbesucher kann man sich in den weiten Fluchten leicht verlaufen.



Die Premiere war fast ausverkauft, nur einzelne Plätze waren frei geblieben. Im Orchestergraben zählte ich drei Kontrabässe und vier Celli. Wuchtig und schön differenziert kamen die Auftaktakkorde. Der Vorhang glitt auf, und der Zuschauer blickte in eine imposante Taverne Lutters. Ein Kellerlokal mit vielen Säulen und Bögen, perspektivisch gelungen gestaltet. Dieses Bühnenbild blieb während der gesamten Aufführung das gleiche, was ja auch Sinn macht, denn Hoffmann erzählt ja seine Geschichten in Lutters Taverne. Rechts vorne befand sich eine Türe, auf der Bühne stand. Sie führte direkt in´s Theater, und Lutters Wirtschaft war sozusagen das zugehörige Theaterlokal. Neben der Tür zur Bühne hing eine Kuckucksuhr, die von Lutter aufgezogen wurde und auch gleich Laut gab. Links hing ein ungefähr lebensgroßes Portrait Stellas.


Eines der Foyers


Die Muse, als Engel gekleidet, erschien aus dem Untergrund. Gesungen wurde auf Deutsch, und erfreulich für die Zuschauer wurden auch die Übertitel auf Deutsch projiziert. Alle Kostüme waren der Zeit des 19. Jahrhunderts angepasst. Lindorf erschien in einem schwarzen Umhang. Er bekam den Brief Stellas schon für 30 Dukaten. Die Preise dafür scheinen nachzugeben. Hoffmanns Kumpane waren gepflegt in Frack und Zylinder gekleidet, ihre Damen in wunderschön geschneiderten langen Roben und mit sorgfältig gestylten Frisuren mit vielen Locken. Unter Hoffmanns Freunden sah man auch einige Verbindungsstudenten in vollem Wichs.


Die zu Niklaus gewordene Muse trug nun auch einen schwarzen Frack und war gekleidet wie Hoffmann, der gleich ganz melancholisch sang: Leid kommt von ganz allein. Den Klein-Zach mimte er an Lutter, der dabei ganz ordentlich durchgeschüttelt wurde. Als Hoffmann zu Stella überging, stellte er sich vor das große Bild Stellas. Verwunderte Blicke seiner Freunde richteten sich auf ihn. Der erste Applaus des Abends belohnte Hoffmann.


Das Vorspiel bzw. der erste Akt dauerten 30 Minuten. Dramaturgie und Regie hatten sinnvolle Kürzungen vorgenommen. Wie auch im weiteren Verlauf der Oper ging jeder Akt nahtlos in den nächsten über, ohne dass sich ein Vorhang senkte. Das haben die gut hingekriegt.


Einer der Verbindungsstudenten unter Hoffmanns Freunden wurde zu Professor Spalanzani, und die übrigen Kumpane Hoffmanns wurden zu Spalanzanis Gästen. Olympia befand sich noch hinter der Türe zur Bühne. Niklaus warnte Hoffmann vor Olympia mit der hübschen Vogelarie, doch vergebens. Dabei zeigte die Sängerin bemerkenswertes choreografisches Talent. (Auf der Premierenfeier bestätigte sie mir, dass sie eine Tanzausbildung genossen hatte.)


Die Beleuchtung folgte konsequent der Handlung. Immer wenn Hoffmann seine Zauberbrille aufhatte, war die Bühne in rosa Licht getaucht. Etwas lang war die Interaktion zwischen Coppelius und Hoffmann. Sonst erfreute die Oper durch straffe Handlungsführung.



Die Lobpreisung der Gäste auf Olympia und deren Augen Schönheit nahm man schnell, und Chor und Orchester blieben im Takt. Olympia trug – wie Stella auf dem Portrait - ein prächtiges blaues Abendkleid, das bis zum Boden reichte. Lutter war zu Cochenille geworden, und als Olympia schwächelte, holte er einen großen Schlüssel und zog sie wieder auf. Dazu gab es ein paar Slapstick-Einlagen à l´anglaise. Beim zweiten Schwächeln kam Cochenille mit einer Ölkanne und schmierte die Puppe Olympia, auch unter ihrem Rock, was die Zuschauer ziemlich erheiterte. Für ihre souverän vorgetragene Arie bekam Olympia kräftigen und langandauernden Applaus. Sie sang jedenfalls perfekt wie eine Sopranistin, die auf Koloratur spezialisiert ist.



Coppelius zerstörte Olympia hinter der Bühne, und ihr Kopf wurde hereingetragen, danach der Körper zerlegt, und der bertrogene Hoffmann klammerte sich verzweifelt an die herumliegenden Gliedmaßen. Freundlicher Applaus für diesen Akt.



Dann war Pause, und man konnte sich in den weiten Foyers und auf dem riesigen Balkon ergehen, denn der Premierenabend fand bei sommerlichen Temperaturen statt.


Das Bühnenbild war zum Antonia-Akt gleich geblieben, auch das prächtige Kleid der Antonia, die anfangs wie leblos auf dem Boden lag und sich nur langsam erhob. Welche Wandlungsfähigkeit die Sängerin bewies, als sie von der gekonnten Koloratur zu einem lyrisch-dramatischen Charakter mutierte! Für ihr Auftrittslied von der Taube bekam sie den verdienten Applaus.


Lutter trug immer noch das gleiche Gewand und war nun zum Franz geworden, der mäßig lustig sang: Alles mit Methode nach neuester Methode. (In einem solchen Zusammenhang kann ich die Methode akzeptieren.) Für seinen slapstickhaften Auftritt bekam er donnernden Applaus.


Überraschenderweise leitete das Multitalent Niklaus die Geigenarie selbst auf einer Geige ein, und zwar sehr gekonnt. (Zuletzt hatte ich Ähnliches in Regensburg bewundert, als die dort auftretendenTenöre die Auftakte zur Geigenarie spielten.) Für meine Lieblingsarie gab es kräftigen Applaus.



Schöne, gefühlvoll gesungene Liebesduette von Antonia und Hoffmann folgten, die auch verdientermaßen beklatscht wurden. Als der misstrauische Vater Krespel erschien, floh Antonia durch die Türe auf die Bühne. Ein netter werkskonformer Einfall.



In fahles grünes Licht wurde die Bühne getaucht, als Mirakel seine Pseudodiagnose vorführte. Verzweifelt hielt sich Vater Krespel die Ohren zu, als Mirakel die Antonia zum Singen verleitete. Seine Medizin hatte er in einem blechernen Flachmann mitgebracht.


Antonias depressive Stimmung schlug deutlich um, als ihr Mirakel die Aussichten auf eine glänzende Bühnenkarriere ausmalte. Ein guter Einfall der Regie: Als Mirakel die Mutter beschwor, erschien diese hinter dem lebensgroßen Gemälde der Stella, das offensichtlich auf semitransparentes Material gemalt war. Auch die Mutter trug das gleiche Kleid wie Stella und Antonia, so dass sich zwei ähnlich aussehende Gestalten innerhalb des Bilderrahmens überlagerten. Antonia steigerte sich zu einer überragenden Leistung im Terzett mit den beiden hervorragenden Stimmen der Mutter und Mirakels. Wie immer der musikalische Höhepunkt der Oper.


Als Antonia sich in Krespels Armen zu Tode gesungen hatte, spendeten die Gäste aus dem Olympia-Akt, die sich im Hintergrund aufgehalten hatten, Beifall für die tragische Sängerin. Für diesen gelungenen Akt gab es keinen Applaus, was aber nicht am Publikum lag, denn auch dieser Akt ging nahtlos in den nächsten über, und die Barkarole erklang; erfreulicherweise ohne Piccoloflöte.


Antonia stand auf und wurde zu Giulietta. Meerblaues Licht ergoss sich über die Bühne, und glitzernde Wellen schaukelten dazu. Auf eine Gondel hatte man auch in Darmstadt verzichtet. Sie wurde nur durch Ruderbewegungen angedeutet. In dieser virtuellen Gondel befanden sich Hoffmann, Giulietta und Niklaus. Eng beieinander, wie sie am besten klingt, sangen die beiden die Barkarole. Für dieses gefühlvolle Gondellied gab es Applaus.


Dapertutto sang die Diamantenarie zu der Originalmelodie Jacques Offenbachs und nicht nach der von der fremden Hand Andreas Blochs eingefügten Ohrwurmmelodie aus der Ouvertüre zu Jacques Offenbachs Operette »Reise zum Mond«.


Giulietta ließ strahlende Dramatik erklingen, als sie das Klagelied der Kurtisane zelebrierte. Dann warnte sie Hoffmann schon frühzeitig, dass ihm Gefahr drohte, lange bevor er Schlemihl getötet hatte. Für das wunderschöne Duett Giulietta – Hoffmann gab es wieder den verdienten Applaus.


Die Rivalität Hoffmann – Schlemihl wurde gut herausgespielt. Als Hoffmann im Duell den Schlüssel zu Giulietta erobert hatte und diesen an der Bühnentür ausprobieren wollte, versagte der. Hoffmann blieb hilflos vor der Türe stehen.


Unvermittelt befanden wir uns wieder in Lutters Taverne, als der ernüchternde Bläserchor erklang. Stellas Auftritt wurde gut vorbereitet. Eine Stimme forderte eine Synthese der drei Geliebten Hoffmanns. „Stella“, kam die spontane Antwort. Und schon betrat sie wie selbstverständlich die Bühne durch den Türrahmen, der vorher dem Hoffmann verschlossen geblieben war.


Hoffmann erkannte Stella nicht. Dafür fanden sich Stella und Lindorf, und Hoffmann drängte ihnen den Rest des Klein-Zach auf und brach danach verzweifelt zusammen.


Nun erschien die Muse wieder als Engel. Schön durchsichtig und zart leiteten die Streicher im Orchester den Abgesang der Muse auf Hoffmann ein. Dem noch besinnungslosen Hoffmann stellte sie ein Tintenfass und eine Schreibfeder vor das Gesicht. Daraufhin erwachte Hoffmann langsam, und freundlicher Applaus erklang nach dem gewaltigen Schlusschor.


Den ersten Jubel heimste Lutter/Cochenille/Franz ein. Jubel gab es auch für die Muse, den Widersacher und Stella/Olympia/Antonia/Giulietta. Freudig beklatscht wurden natürlich auch Hoffmann und der Dirigent, sowie wiederholt das wirklich gute Orchester. Auch für das Regieteam gab es Applaus und einzelne Bravo-Rufe. Acht Minuten dauerte der Premierenapplaus.



Aus urheberrechtlichen Gründen ist es leider nicht möglich, Bühnenfotos der Darmstädter Inszenierung auf dieser Seite abzubilden. Die Rechte an Aufnahmen können bei der Fotografin Barbara Aumüller gegen Honorar erworben werden.



Erfreulicherweise wie die meisten deutschen Opernhäuser lud das Darmstädter Theater sein Premierenpublikum zu einer fröhlichen und zwanglosen Feier ohne Ansprachen ein. Dabei entstanden folgende Bilder.

Auf meinem Heimweg zum Hotel hörte ich eine Nachtigall im Gebüsch singen. Ein melodischer Ausklang eines schönen Opernabends.







Dirigent



Chorleiter und Muse



Olympia/Antonia/Giulietta, Regisseur und Hoffman









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