Freiluft - »Hoffmann« im Park des Schlosses Rheinsberg/Brandenburg

www.kammeroper-schloss-rheinsberg.de

Besuchte Vorstellung 2. August 2013 (Premiere)






Schloss Rheinsberg


Die Garderoben der Musiker

Regie und Bühnenbild


Matthias Oldag

Dirigent


Leo Siberski

Chorleitung


Gotthard Pranke

Kostüme


Barbara Blaschke

Version


Guiraud-Choudens

Sprache


Deutsch




Hoffmann


Matthew Pena

Muse


Meredith Nicoll

Olympia


Ji-Hyun An

Antonia


Justyna Samborska

Giulietta


Lingyuan Gao

Lindorf


Kongseok Choi

Mirakel


Younjin Kim

Coppelius


Tobias Peschanel

Dappertutto


Jorge Alberto Martinez

Spalanzani


Timo Rößner





Fazit Rheinsberg: Ein gelungener »Hoffmann« auf bestem professionellem Niveau in einer traumhaften Umgebung im Park des Schlosses Rheinsberg, veranstaltet vom Rheinsberg-Festival. Kreatives Bühnenbild, fantasievolle Kostüme, straffe Regie, gutes Orchester und eine ausgezeichnete Beleuchtung. Dank dem schönen Wetter ein unvergessliches sinnliches Erlebnis. Rheinsberg mit gut 8000 Einwohnern ist der bisher kleinste Ort, an dem ich je einen »Hoffmann« sah.

Eine Besonderheit war die Besetzung mit jungen Sängern, von denen keiner älter als 32 war. Bis auf Olympia war es für alle ein Rollendebut. Alle sangen schön, auch in den kleinen Rollen. Die schaupielerische Qualität war bemerkenswert gut. Dank an die Kammeroper Rheinsberg, dass sie in dieser weltweiten Wagner- und Verdi-Wüste des Jahres 2013 einen »Hoffmann« auf den Spielplan setzte. Wagner kam im Sommerprogramm nur als Parodie vor.

Einen Film mit Ausschnitten von der Generalprobe kann man hier sehen. Die Premiere war bis auf wenige Restpätze ausverkauft.


Das Theater im Park


Einen romantischeren Ort für eine Aufführung dieser Oper kann man sich nicht vorstellen. Das Schloss Rheinsberg war ehemals im Besitz der fatalen Hohenzollern-Dynastie und wurde vom preußischen Militärfreak und Aggressor Friedrich II, dem sogenannten Großen, nach seiner Thronbesteigung an seinen jüngeren Bruder Heinrich verschenkt. Der spätere Alte Fritz verbrachte dort die „glücklichsten Jahre seines Lebens“. Es liegt in einem riesigen Park und Barockgarten an einem See in traumhafter Lage. Das Schloss samt Nebengebäuden ist schön restauriert. Literarisch geadelt wurde Rheinsberg von Theodor Fontane und Kurt Tucholsky. Jeden Sommer findet dort ein Opernfestival mit mehreren Opern und symfonischen Werken statt. Die Oper findet bei gutem Wetter im sogenannten Heckentheater statt. Bei schlechtem Wetter steht eine Halle als Spielort zur Verfügung. 900 Sitzplätze auf Klappstühlen stehen im Park.. Wegen des Freiluftambientes werden Orchester und Sänger mit einer perfekt funktionierenden Lautsprecheranlage verstärkt. Man merkte nicht, dass hier die Musik zum großen Teil aus Lautsprechern kam. Im Orchester zählte ich vier Celli und drei Kontrabässe.


Das war nun mein zweiter Freiluft-»Hoffmann« nach Pafos auf der Insel Zypern vor zwei Jahren. Das Wetter war an beiden Orten gleich gut, aber der Spielort Rheinsberg war der mit Abstand schönste und romantischste, an dem ich je einen »Hoffmann« sah. In Pafos hatte man an einer alten Burg eine riesige Arena mit über 2000 Sitzplätzen aufgebaut und kämpfte mit den Tücken der Verstärkeranlage, in Rheinsberg diente ein von geometrisch gestutzten Hecken eingerahmtes Naturtheater im Schlosspark, umgeben von hohen alten Bäumen als Spielstätte. Aufgestellte Schilder wiesen passend darauf hin, dass heute Abend Don Giovanni gegeben würde. Neben dem Theater hatte man einen Bereich für die Gastronomie aufgebaut. Perfekte Organisation und Technik allerorten. Sogar für die Örtchen hatte man gesorgt, allerdings nahm man 50 Cent für deren Benützung. Geschenkt.


Die Gastronomie


Die Besetzung der Rollen stellte auch eine Besonderheit dar. Das Rheinsberg-Festival widmet sich jungen Sängern. 450 Kandidaten aus mehr als 40 Ländern für die Rollen mussten sich einem Wettbewerb stellen, und der jeweils erste Preis war eine Rolle in der Oper. Die Gewinner kamen aus 19 verschiedenen Ländern. Keine schlechte Idee, denn was kann einen jungen Sänger mehr motivieren als zum ersten Mal vor einem größeren Publikum auftreten zu dürfen. Also alles Andere als professionelle Routine wie im täglichen Theaterbetrieb. Nur die Sängerin der Olympia hatte diese Rolle schon einmal gesungen, und zwar in der Inszenierung von Köln. Der Chor wurde neben einigen Profis in der Hauptsache aus Sängern der Region zusammengesetzt, und die erfüllten ihre Aufgabe ganz ausgezeichnet.



Die Kammeroper Rheinsberg unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg gibt es seit 23 Jahren und wurde nach dem Ende des SED-Regimes gegründet., während der über die implodierte DDR hereingebrochene westdeutsche Rasenmäher unter Helmut Kohl zahlreiche Operntheater und Orchester rasierte. Gespielt wird nur im Sommer. Einen Eindruck von der Organisationsstruktur bekommt man hier. Unter den Sponsoren findet sich auch die Firma Gazprom. Aber Gerhard Schröder was not here. Im Kuratorium finden sich berühmte Namen wie Daniel Barenboim, Harry Kupfer, Kurt Masur und Christian Thielemann.










Kurz vor acht trat der Gründer und August Everding des Festivals Siegfried Matthus an´s Mikrofon. Statt einer ermüdenden Rede bat er seine Frau, ihren Platz einzunehmen, und den Dirigenten zu beginnen. Vorbildlich! Und auf die Sekunde genau um acht Uhr tat er das. Leider schien der es ziemlich eilig zu haben, denn in unziemlicher Hast hetzte er die Auftaktsakkorde durch, welche in der Partitur mit maestoso bezeichnet sind. Doch fortan gab es an Orchester und Tempi wenig auszusetzen.


Der Hintergrund des Bühnenbildes bestand aus dem Faksimile eines Tagebucheintrags von E.T.A. Hoffmann, dessen Text im Programmheft abgedruckt war:

Warum denke ich schlafend und wachend so oft an den Wahnsinn? Ich meine, geistige Ausleerungen könnten wie ein Aderlass wirken.




Hoffmann mit Freunden beim Klein-Zach


Große rote Buchstaben S – T – E – L – L – A füllten die Bühne. Die Muse in Schwarz beklagte Hoffmanns Verzweiflung über den Verlust der geliebten Stella. Doch sie sagt auch: Aus der Asche deines Herzens entzünde ich deinen Traum. Akustisch ging Don Giovanni zu Ende, und die erstaunlich sichere und von jeder Nervosität freie Muse grämte sich über Stellas Erfolg. Mit wunderschönem vollem und warmem Mezzo sang sie, als hätte sie das schon immer getan. Dabei war das ihr Rollendebut.


Die Freunde Hoffmanns traten in traditionellem Studentenwichs auf und legten einen dynamischen und stimmkräftigen Chor vor, obwohl sie nur zu acht waren. Die Muse setzte sich eine Mütze auf und wurde zu Niklaus in Intellektuellen-Schwarz.

Hoffmann trat auf und begann bald mit seinem Klein-Zach. Als er zu Stella überging, legte ihm Niklaus einen Umhang über die Schultern. Am Schluss legte er noch ein paar besonders höhe Töne drauf und bekam Applaus.


Das gegenseitige Anfiesen Hoffmann – Lindorf hatte man sinnvollerweise gestrichen, aber wieder musste man Leonore, Hermann, Gretchen, Fausta erwähnen.


Erstaunlicherweise begann man mit dem Antonia-Akt. Diese Reihenfolge habe ich noch nicht erlebt. Die originale Reihenfolge nach Jacques Offenbachs Absicht war zweifelsfrei Olympia – Antonia – Giulietta. Im Rahmen der korrumpierten und jahrzehntelang gespielten Guiraud-Choudens-Version wurde auch die Reihenfolge Olympia – Giulietta – Antonia gespielt. Aber die Rheinsberger Reihenfolge mit Antonia als Auftakt war neu. Ich fand sie nicht störend, und die Regie mag ihre Gründe dafür gehabt haben.



Antonia in grünem Kleid stand vor vielen Noten und bekam für ihr Auftrittslied kurzen Applaus. Der schien ihr gut zu tun, denn sie legte ihre anfängliche Nervosität ab und sang hinfort schön und erfreulich gut. Wieder mal trat ein trotteliger Franz in diesem tragischen Akt auf und beklagte seinen Mangel an Gesangs-Methode.




Mirakel und Antonia


Danach hob Niklaus ziemlich unvermittelt mit der Geigenarie an. Das freute mich natürlich besonders. Diese meine Lieblingsarie ist eigentlich nicht Teil der Guiraud-Choudens-Version, aber eine kluge Regie hatte sie vom Rechteinhaber Alkor aus der Oeser-Version dazugekauft. So viele Theater, die sich die Oeser- oder gar Kaye-Keck-Versionen leisteten, strichen diese Arie, die integraler Bestandteil dieser Versionen ist, aber Rheinsberg fügte sie ein. Für mich ist ein »Hoffmann« ohne Geigenarie wie ein »Hamlet« ohne Monolog. Ganz wunderbar gefühlvoll und ausdrucksstark sang Niklaus diese dramatische Nummer. Erstaunlich für eine so junge Sängerin. Ich war richtig bewegt und gerührt von dieser großartigen Leistung. Auch die Londoner Inszenierung John Schlesingers am Royal Opera House Covent Garden von 1980 hatte die Geigenarie in die Guiraud-Choudens-Version eingefügt.


Antonia sang zusammen mit Hoffmann schöne Duette, und beide wurden mit verdientem Applaus belohnt. Doktor Mirakel mit wunderschöner sonorer Stimme wurde nicht vom gleichen Sänger wie Lindorf gegeben. Man hatte die Rollen des Widersachers mit vier verschiedenen Sängern besetzt, so dass jeder Bassbariton eine Chance bekam.


Höhepunkt jedes Antonia-Aktes ist das Terzett Antonia – Mutter – Mirakel, das selten schön erklang. Nur die Stimme der Mutter hätte man etwas mehr verstärken sollen. Das wird man sicher korrigieren. Für diese Glanzleistung gab es den verdienten Applaus.

Leider zog sich dieser Akt wie so oft etwas hin. Man hätte ihn straffen können, indem man den Franz gestrichen hätte, wie das einige Regisseure zum Vorteil des Antonia-Aktes getan haben.


Die Pause war leider viel zu kurz. Als zum Ende geblasen wurde, standen noch Schlangen an den Essens- und Getränkeständen. Die Gastronomie wird nicht amüsiert gewesen sein.


Olympia – Spalanzani - Hoffmann


Mit dem Ende des Antonia-Aktes war auch die Sonne untergegangen, und nun begann die große Stunde der Beleuchter. Kompliment an die Lichtregie, die fantasievoll und effektiv die optische Umgebung des Freilufttheaters in das Bühnenbild einbezog. Die hohen alten Bäume hinter der Bühne waren nun in wechselnden Farben beleuchtet, und eine zauberhafte Atmosfäre entstand.


Gut wurde die Auseinandersetzung Spalanzani – Coppelius gesungen und gespielt, wie sie sich über die Vaterschaft an Olympia stritten. Festlich gekleidete Gäste Spalanzanis traten auf. Die Damen waren aufwändig frisiert.


Olympia war weiß geschminkt und trug einen durchsichtigen Reifrock. Leichtfüßig tänzelte sie über die Bühne und blinzelte heftig ins Publikum. Lautstark forderten die Gäste „Harfe“ als Begleitinstrument. Originell. Die Bäume im Hintergund waren zu Olympias Arie nun blau beleuchtet. Wir durften ein bravouröse Olympia erleben, die mit langem Applaus belohnt wurde. In gefühlvollem Legato präsentierte sie ihre Koloratur.


Dann wurde Olympia krachend hinter der Bühne vom betrogenen Coppelius zerstört, der dann als Dreingabe auch noch den Spalanzani erschoss.


Flugs ging es weiter mit dem Giulietta-Akt. Nebel wallten in Venedig. Die Bühne hatte nun keinen optischen Abschluss nach hinten mehr. Sie setzte sich in die Landschaft fort. Keine Gondel auf der Bühne. Dafür wurde das wallende Wasser durch ein von zwei Personen gezogenes blaues Tuch symbolisiert. Kokotten flirteten mit dem Publikum und näherten sich anzüglich einigen Herren.


Giulietta und Hoffmann


Zur Barkarole wurde Niklaus rot beleuchtet. Giulietta kam als Domina in einem gelben Korsett mit ihrem Sklaven Pitichinaccio an der Leine. Aha, da kennt sich jemand aus. Wunderschön wurde die Barkarole gesungen. Giuliettas Stimme passte perfekt zu dieser Rolle. Mit ihrem weichen, vollen und warmen Sopran vermittelte sie die Sinnlichkeit einer Kurtisane. Meistens wird ja eine Giulietta mit einer hochdramatischen Sängerin besetzt. Ich finde, ein weicher und voller Sopran mit einem Mezzo-Timbre vermittelt mehr Sinnlichkeit.

Dann gab es wieder einmal eine Spiegel-Arie des Dapertutto.


Für das Duett Hoffmann – Giulietta gab es den verdienten Applaus. Diesen Akt halte ich für den bestinszenierten dieser Einstudierung. Die korrupte Welt des Dapertutto und der Giulietta mit allen ihren Gefahren und Unwägbarkeiten für den naiven Hoffmann wurde überzeugend präsentiert. Alle haben sich gegen ihn verschworen. Die gesamte Welt war nur mehr ein Trugbild für ihn. Richtig erkannt und gut gemacht.


Das Sextett wurde gesungen, und alle brachten die schwierigen Einsätze und Pausen präzise hin. Eine nette Idee wurde beim Duell Hoffmann – Schlemihl verwirklicht. Die beiden Kampfhähne traten in langen weißen Unterhosen gegeneinander an. Was für ein lächerlicher Anblick, wenn sich zwei dergestalt gekleidete erwachsene Männer um den Schlüssel zum Boudoir einer Kurtisane prügeln. Eine treffende Parodie auf testosterongesteuerte Männchen in ihrer Lächerlichkeit.


Etwas wackelig kam der ernüchternde Bläserchor im letzten Akt. In der Schlusszene dieses in der gewählten Version kurzen Aktes waren die Muse und Hoffmann wieder vereint. Doch Hoffmann, erschöpft von der Wucht seiner Abenteuer, fiel um und schien zu schlafen oder gar tot zu sein. Stella kam, um Hoffmann zu suchen, doch er reagierte nicht auf auf die Verzweifelnde. „Zu spät!“, rief die Muse ihr verächtlich zu. Während sich die Muse zu Hoffmann gesellte, stritten sich Lindorf und Stella schon, nachdem sie sich gerade gefunden hatten. Diese Idee hatte schon die Inszenierung von Linz aufgegriffen.









Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen bei der Kammeroper Rheinsberg und bei der Fotografin Jacqueline Schulz. Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Ob Hoffmann nun tot sein sollte oder nur betrunken, erschloss sich mir nicht. Tote Hoffmänner finde ich unlogisch, denn Hoffmann soll ja aus seinen Fehlern lernen. Diese Oper wird üblicherweise als fantastisch klassifiziert. Ich halte sie eher für eine realistische, denn jeder begeht seine Fehler, und wenn er nicht auf´s Hirn gefallen ist, lernt er daraus und wiederholt sie nicht. Und schließlich hat Hoffmann seine die Vernunft symbolisierende Begleiterin, die ihn oft vergeblich ermahnt, aber ihn doch letztendlich in die Wirklichkeit zurückholt und rettet. Da wäre ein toter Hoffmann demoralisierend und für die optimistisch gestimmte zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts inkonsequent. Hoffmann soll und muss leben. Außerdem bekommt er die Muse, die ihn liebt. Was kann sich ein Mann mehr wü



Die Oper war aus, und es gab kräftigen Applaus, der gut neun Minuten dauerte. Besonders gefeiert wurden Olympia und die Muse. Auch alle anderen bekamen ihren verdienten Applaus, denn das stimmliche Niveau in Rheinsberg lag deutlich über Stadttheaterdurchschnitt. Schade, dass München so weit von Rheinsberg liegt. Diese Oper hätte ich gerne noch einmal gesehen.



Nach der Vorstellung lud der Ratskeller Rheinsberg zur Premierenfeier. Der Festivalsintendant Matthus pries in volksdemokratischer Weise fast alle Mitwirkenden. Von den Stars bis zu den Näherinnen wurden alle einzeln namentlich aufgerufen und beklatscht, sogar alle Mitwirkenden des Chores. Nur die ausgezeichnete Beleuchtung hatte er vergessen. Das Ganze dauerte natürlich seine Zeit, und als er endlich fertig war, begann sich die Premierenfeier schon langsam aufzulösen.




Der Chef mit seinen Stars



Mutter – Hoffmann - Antonia


Olympia – Giulietta - Muse







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