»Hoffmann« als biedermeierliches fantasy-Spektakel am Niederrhein

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Besuchte Vorstellung 23. November 2014 (Premiere)







Regie und Ausstattung


Hinrich Horstkotte

Dirigent


Alexander Steinitz

Chorleitung


Maria Benyumova

Version


Oeser

Sprache


Französisch




Hoffmann


Max Jota

Muse


Eva-Maria Günschmann

Olympia


Sophie Witte

Antonia


Izabela Matula

Giulietta


Janet Bartolova

Widersacher


Johannes Schwärsky







Ein gefälliger und märchenhafter »Hoffmann« mit vielen optischen Überraschungen, hervorragend choreografiert und nicht zuletzt musikalisch brilliant umgesetzt in einem eleganten modernen Theater. Kompliment an das ausgezeichnete Niederrheinische Symphonieorchester und den Dirigenten Alexander Steinitz, an den hervorragenden Chor und ebenso gute Solisten. Das Publikum war begeistert. Es gab elf Minuten Premierenapplaus, der zum Schluss stehend und mit rhythmischem Klatschen gespendet wurde.


Es kommt nicht so oft vor, dass Regisseure innerhalb weniger Jahre die gleiche Oper zwei Mal inszenieren. Christian von Goetz brachte 2008 einen avantgardistischen »Hoffmann« auf die Bühne des Teatro Nacional de São Carlos in Lissabon, und schon in der Spielzeit 2011/12 einen völlig anderen in Magdeburg heraus, der mit dem ersten nicht das Geringste gemein hatte. Hinrich Horstkotte hatte 2010 für das Nordharzer Städtebundtheater einen »Hoffmann« auf die Bühne gebracht und präsentierte uns nun eine Neuinszenierung, die sich stark an seinen früheren »Hoffmann« anlehnte, den ich in Halberstadt gesehen hatte. Als ich in den Ankündigungen den Namen des Regisseurs gesehen hatte, rief ich in Mönchengladbach an, ob Hinrich Horstkotte den gleichen »Hoffmann« wie in Halberstadt auf die Bühne bringen würde, doch man versicherte mir, es gebe eine Neuinszenierung. Was ich sah, war eine fast identische Präsentation dieser Oper wie in Halberstadt. Nur in einer Szene war etwas verändert worden. Juristisch ist Horstkotte auf der sicheren Seite, denn als Urheber beseitzt er alle Rechte an seiner Inszenierung. Er hätte aber den Mönchengladbachern sagen können, dass sein »Hoffmann« weitgehend seiner früheren Inszenierung gleichen würde. Auch das Bühnenbild glich weitgehend dem des Städtebundtheaters.


Theaterfreunde im Biedermeierkostüm


Vorherrschende Tendenzen waren das Märchenhafte, das Mysteriöse und das Fantastische. Letzteres bietet sich an, denn die Contes tragen den Untertitel Opéra fantastique. Und Hinrich Horstkotte begann seine Karriere im Marionettentheater. Was wir zu sehen bekamen, war ein bunter Reigen von optischen Genüssen, straff arrangiert und lebhaft choreografiert. Die Geschichte von Hoffmanns Irrungen und Wirrungen wurde nachvollziehbar und verständlich erzählt.


Das Theater von Mönchengladbach ist Teil des Fusionteaters (Theaterverbund) mit dem gut 20 km entfernten Krefeld. Das Mönchengladbacher Theater liegt im Stadtteil Rheydt, das bis 1975 eine selbständige Stadt bildete. Die Zusammenarbeit beider Städte soll dem Vernehmen nach gut funktionieren.


In der eleganten marmorverkleideten Eingangshalle wurde ich von einem Paar in Biedermeierkleidung empfangen, die für die rührigen Theaterfreunde Mönchengladbach warben. Im angenehm dezenten Inneren sitzt man auf bequemen Sesseln in Rot. Im Orchestergraben zählte ich drei Kontrabässe und vier Celli.


Das Theater in Rheydt ist ein moderner Bau mit einem breiten, stark ansteigenden Parkett und einem ebenso breiten Balkon. Ich mag diese modernen Theater, die vielleicht nüchterner aussehen als die pittoresken Barocktheater, aber sie bieten allen Zuschauern gute Sicht und meistens auch hervorragende Akustik. In Rheydt hat man viel dunkles Hartholz verbaut, so dass keine Wünsche an Wohlklang offen blieben. Das Theater hat 750 Plätze. Ihm angeschlossen ist ein eigenes Opernstudio.


Das Theater war quasi voll besetzt. Nur in der ersten Reihe waren Plätze frei. Dabei hatte doch Borussia Mönchengladbach schon am Abend vorher gespielt, allerdings zu Hause verloren. Vor dem Souffleurkasten lagen ein Totenschädel und ein Tintenfass mit Federkiel. Im Publikum sah ich mehr jüngere Besucher als an anderen deutschen Theatern.




Ein wuchtiger Auftakt erklang. Vielleicht eine Idee zu schnell, aber noch erträglich. Viele Dirigenten hetzen heutzutage die Auftaktakkorde zu, als wäre der Teufel hinter ihnen her. Unter diesem Link findet man auf Youtube eine Gesamtaufnahme mit Dietrich Fischer-Dieskau, Julia Varady und Siegfried Jerusalem. In dieser Aufnahme wird der Auftakt noch richtig schön maestoso gespielt. Aber es gab wesentlich schnellere Sprinter als den Dirigenten von Mönchengladbach. Heute muss wohl Alles schneller gehen. Sogar ein maestoso.

Wir befanden uns, wie in Halberstadt, in einem Zimmer aus der Zeit E.T.A. Hoffmanns, dessen Tisch voller Weinflaschen stand. Hoffmanns Freunde waren in zeitgenösischen Kostümen, meist als farbentragende Studenten, gekleidet. Die Muse kam als orientalische Prinzessin aus 1001 Nacht. Ganz hervorragend singend stellte sie sich vor. Eva-Maria Günschmann hatte mich schon im Theater Trier als Muse überzeugt. Sie gehört zur Spitzenklasse unter den Musen. Inzwischen wechselte sie nach Mönchengladbach – Krefeld.


Spalanzani und Coppelius


Hurtig zog sie sich zum Niklaus um. Lindorf kam zusammen mit dem Boten herein, der sich Stellas Brief an Hoffmann ohne Widerstand abnehmen ließ. Mit wohlklingender sonorer Bass-Bariton-Stimme stellte sich Lindorf vor, obwohl sich der Sänger vor der Vorstellung wegen einer Erkältung entschuldigte. Davon merkte ich nichts, denn viel besser kann man kaum singen.


Den ersten Applaus gab es für den lebhaft und präzise singenden Chor. Das kommt selten vor, aber war auf jeden Fall verdient. Hoffmann bezog Niklaus in seine Mimik beim Klein-Zach ein und schwärmte ihn/sie an, als er zu Stella überging, und küsste sie, wofür er aber eine Ohrfeige erhielt. Und dann der zweite Applaus der Premiere für den Klein-Zach.


Das Vorspiel in Lutters Taverne dauerte passende 30 Minuten. Länger sollte es auch nicht sein. Ein schneller und effizienter Umbau bei offenem Vorhang brachte uns in Spalanzanis Werkstatt. Mit einer wunderschön gesungenen Vogelarie erfreute Niklaus das Publikum, überzeugte aber Hoffmann nicht.


Olympia, Hoffmann, Spalanzani, Niklaus. Hinter Olympia und Hoffmann Cochenilles Kopf mit Antennen


Auf der Bahre lag nun nicht die werdende Olympia, sondern eine Art Frankensteins Kreatur, welche von der Regie in die Handlung eingefügt worden war. Die Ästhetik des Monsters war an die Verfilmung mit Boris Karloff angelehnt. Dieses Monster stand dann auf und packte den armen Hoffmann. Spalanzani und Cochenille waren als bizarre Gestalten aus einer fantasy-Welt gestylt. Oben unter der Decke säumte ein Reihe Medaillons die Wand, in denen Büsten standen. Als Olympia kam, erschienen in den Öffnungen große Augen, die sich fleißig drehten.


Coppelius trat als irrwischender Magier auf, der auch in einen Harry-Potter-Film gepasst hätte. In einem Fenster im Hintergrund erschien ein schöne Olympia. Spalanzanis Gäste kamen als Blindentruppe hereingetapst. Sie bekamen künstliche Pupillen auf ihre schwarzen Brillen geklebt. Die Herren trugen Frack und Zylinder, die Damen lange Kleider mit Biedermeierhauben oder -schuten auf ihren Köpfen.


Ganz präzise und schnell kam der Chor elle a des beaux yeux, und völlig im Takt mit dem Orchester. Das hatte man gut geübt. Die schöne Olympia wurde nach vorne gebracht. Automatenhaft sang sie ihre Arie mit vollem, warmem Sopran. Als Gag schnipselte sie dabei aus übereinandergefaltetem Papier eine Reihe von Faltschnittpüppchen, die sie während ihrer Arie auseinanderzog. Was diese Olympia doch alles konnte. Dann schälte sie noch einen roten Apfel, den sie dem Hoffmann wohl als Liebesfrucht wie weiland Eva überreichte. Dieser Apfel wurde noch dazu von einem Liebespfeil durchdrungen. Da musste der Hoffmann doch kapitulieren. All das hatte ich schon in Halberstadt gesehen.



Spalanzanis Gäste waren begeistert von dieser tollen Olympia, und ebenso das Publikum. Es gab stürmischen Applaus für diesen perfekten Auftritt. Bei ihrem Walzer bewies sie auch tänzerische Qualitäten. Dann machte sie den Hoffmann lächerlich, vernaschte sie ihn bei einem schnellen Quickie, wofür er auch noch Ohrfeigen bekam.


Im Hintergrund rächte sich Coppelius an Spalanzani, in dem er sich Olympias Augen zurückholte und dabei ihr Gesicht zerstörte. Hoffmann wurde kräftig verlacht und stand gelackmeiert dar.


Krespel und Antonia


Übergangslos ertönten die wuchtigen und unheilverkündenden Akkorde des Antonia-Aktes. Links und rechts hingen goldgerahmte Portraits, wohl der Mutter Antonias. Mit beeindruckender und dramatischer Stimme stellte sich Antonia vor. Krespel, eigentlich Geigenbauer und Gast der philharmonischen Gesellschaft, trat gekleidet wie ein Waldschrat auf. Schon wieder Harry Potter in Hoffmanns Erzählungen. Eine andere Gestalt aus diesen Romanen, nämlich ein Zauberer mit hohem Hut, kündigte sich schon mal im Türrahmen an. Das war natürlich der homöopathische Quacksalber Mirakel.


Franz bemühte sich um Komik, doch es fehlte ihm an der Methode. Methode auch in den Übertiteln! Muss das sein? Dabei verlustierte er sich an einer Kleiderpuppe, denn Beate Uhse gab es zu E.T.A. Hoffmanns Zeiten noch nicht. Sein Auftritt wurde beklatscht. Dann kam meine geliebte Geigenarie in voller Länge. Kräftiger Applaus für diese seelenvolle Interpretation.


Niklaus verließ konsequent die Bühne, als sich Hoffmann und Antonia begrüßten. Es gab Applaus für die Duette Hoffmann-Antonia, bei denen Antonia eindeutig mit ihrer schön-mächtigen Stimme dominierte.


Antonia und Mirakel


Bei der Pseudo-Diagnose ließ er ein Herz unter einem weißen Tuch schlagen, das dann rotes Blut durch das Tuch verspritzte. Das war neu gegenüber Halberstadt. Mirakel war gestylt wie ein mystischer Magier aus Harry Potter. Nebel waberten.


Antonias Mutter erschien im gleichen Fenster, in dem wir schon Olympia erblickt hatten. Arme wuchsen dabei aus der Wand heraus und ließen das Portait der Mutter wogen. Auch die Kleiderpuppen bewegten sich geheimnisvoll. Und dazu erhob sich die zerstörte Olympia aus dem Deckel des Flügels. Gespenstisch.


Das Publikum versuchte lange, dem schönen Terzett zu applaudieren, aber das Orchester war stärker und trotzte dem Applaus. Eva Günschmann hatte auch die Stimme der Mutter gesungen. Nach Antonias Tod war Pause, und nun durfte das Publikum kräftig klatschen.


Im Publikum war auch deutlich hie und da Niederländisch zu hören. Die Grenze ist nur ein paar Kilometer entfernt. Jenseits derselben könnte man eigentlich wieder einmal einen »Hoffmann« auf die Beine bringen. Die Niederlande haben doch ein paar Opernhäuser. Der letzte wurde vor sieben oder acht Jahren von einer reisenden Operntruppe aufgeführt. Wir kommen gerne.


Hoffmann und Giulietta


Die Barkarole erklang ohne Piccoloflöte, wie es sich gehört. Es war Vollmond in Venedig, und ein Lüster schwang im Takt hin und her. Zwei wunderschöne Frauenstimmen sangen nahe zusammen diese bekannteste Melodie Jacques Offenbachs. Giulietta trug ein rot glitzerndes Corsagenkleid, dazu lange tizianrote Haare. Wer könnte ihr widerstehen? Erotische Gestalten lagen um die beiden herum, ein Panoptikum von Karnevalsfiguren in Venedig. Giuliettas Pitichinaccio war als Faun gekleidet.


Dapertutto kam gerade von einer fantasy-Performance und sang eine Spiegelarie. Sechs teuflisch glitzernde Reptiliengestalten krochen aus seinem weiten Umhang hervor. Ein Herr der Ringe von J.R.R. Tolkien könnte so majestätisch aussehen. Ein großer roter Diamant leuchtete in einer Kristallkugel. Er bekam kräftigen Applaus für diesen Ohrwurm. Und dann ertönte auch noch die tatsächliche Diamantenarie, wie sie Jacques Offenbach vorgesehen und komponiert hatte. Für Alle, die sie vor lauter Spiegelarien nicht kennen, hier ein Youtube-Link.


Die erotische Giulietta sang mit hochdramatischer voller und warmer Stimme. Sie warnte den Hoffmann allerdings schon vor der ihm drohenden Gefahr, bevor er den Schlemihl umgebracht hatte. Für ihre Duette mit Hoffmann gab es verdienten Applaus.


Hoffmanns Verlust des Spiegelbildes wurde so dargestellt, dass man ihm eine schwarze Gesichtsmaske verpasste, durch die er natürlich nichts mehr sah. Es gab dann noch ein kurzes Degenduell, doch Giulietta war schon verschwunden.


In Lutters Taverne


Zum Epilog oder fünften Akt las Hoffmann in seinen Erzählungen, doch die Muse nahm sie ihm aus der Hand. Ein ziemlich betrunkener und aggressiver Hoffmann versuchte, seine Niederlagen zu vergessen. Eine elegant in Rot gekleidete Stella kam mit einer großen roten Biedermeier-Schute auf dem Kopf, doch Hoffmann erkannte sie nicht. Lindorf musste Stella vor dem torkelnden Hoffmann retten. Hoffmanns Rausch wurde gut dargestellt.


Ein bewegender Abgesang der Muse auf Hoffmann folgte. Der Sturm der Leidenschaften, der falschen Gefühle soll vorbei sein. Zu diesem schönen Gesang musste Hoffmann einfach wieder zum Leben erwachen. Als sie ihm ihre Liebe erklärte, war er wieder bei Sinnen. Sie nahm sein Buch und sang von der Asche seines Herzens. Das war ergreifend. Dann küsste sie ihn. Er blätterte in seinem Buch und riss ein paar Seiten heraus. Dieser Akt war der überzeugendste der gesamten Inszenierung.


Kräftiger Applaus erhob sich, bevor die letzten Töne verklungen waren. Erste Bravo-Rufe, als die Solisten erschienen. Der Chor bekam kräftigen Applaus und Bravo-Rufe, die auch voll verdient waren. Den ersten starken Jubel bekam Olympia, und dann auch die anderen Solisten. Starker Jubel für die Muse, und Applaus für Hoffmann, der den Bühnenboden küsste, denn dieser Abend war die Deutschlandpremiere für diesen brasilianischen Tenor. Immer wieder Jubel, auch für den Drigenten und das Orchester. Bravo-Rufe und Jubel auch für den Regisseur, der ja quasi das gesamte Regieteam verkörperte. Das Publikum erhob sich langsam, nur die Herrschaften auf den teuren Plätzen blieben vornehm sitzen. Der Applaus ging in rhythmisches Klatschen über und dauerte elf Minuten. Das ist deutlich über dem Durchschnitt.

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Theater Krefeld-Mönchengladbach und beim Fotografen Stutte. Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Mir gefiel auch das Happy End für Hoffmann. Im Programmheft fand sich zwar ein Text von Fritz Oeser, der die erste quellenkritische Ausgabe dieser Oper verfasst hatte, in dem er das Ende Hoffmanns offen ließ. Aber zum Text passt eindeutig die Rettung Hoffmanns durch die Muse. Der große Denker Ernst Bloch mag ein Happy End als Kitsch geschmäht haben, aber das war nicht der einzige Irrtum in seinem Leben. (Ich denke da an eine Lobpreisung Stalins.) Außerdem hat er ein Werk über das Prinzip Hoffnung verfasst.





Nach der Premiere lud das Theater, unterstützt von den Theaterfreunden, zu einer Premierenfeier ein, die lange dauerte. Dabei entstanden folgende Bilder




Muse und GMD



Von links: Antonia, Giulietta, Muse, Hoffmann, Olympia



Zwei Opernfreunde vom Niederrhein. Der Herr rechts kennt diese Seite gut.


Die Chorleiterin aus Krasnojarsk



Giulietta



Olympia





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