Bejubelter »Hoffmann« an einem

gefährdeten Theater


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Besuchte Vorstellung 18. März 2017 (Premiere)






Regie


Manfred Straube

Dirigent


Sebastian Tewinkel

Chorleitung


Gotthard Franke

Bühne


Peter Sommerer

Version


Felsenstein

Sprache


Deutsch




Hoffmann


Sebastjan Podbregar

Muse


Lena Kutzner

Stella


Laila Salome Fischer

Widersacher


Sebastian Naglatzki



Gute Nachricht aus Neustrelitz

Die eigenständige Oper am Neustrelitzer Theater ist gerettet. Man hat in der Schweriner Regierung eingesehen, dass man kein Geld spart, wenn man zu jeder Opern- und Operettenaufführung das gesamte Ensemble samt Bühnenbild von Stralsund nach Neustrelitz karrt.




Fazit Neustrelitz: ein erfrischend lebhafter »Hoffmann« mit gelungenen Einfällen, einem überragend geleiteten und perfekt spielenden Orchester, einer vitalen Stella und einem engagierten Ensemble. Alles passte, und das Publikum ging begeistert mit. Die Oper war straff inszeniert. Es gab keine Längen, auch nicht im Antonia-Akt, wie leider so oft. Nach Meiningen hat wieder einmal die oft kaum beachtete Provinz gezeigt, dass die Musik auch außerhalb der Metropolen spielt, wenn man engagierte und gelungene Interpretationen dieser Oper sucht. Es würde einer Tragödie für die Musiktheaterszene in Deutschland gleichkommen, wenn die Pläne des Kultusministeriums von Mecklenburg-Vorpommern verwirklicht würden, diesem engagierten Haus das Musiktheater wegzunehmen.




Ich muss zugeben, dass ich Neustrelitz erst auf der Landkarte suchen musste. Ein Städtchen, mitten in der Natur gelegen, mit gerade mal 20.000 Einwohnern kann stolz auf sein regelmäßig und häufig bespieltes Dreispartentheater sein, das aber leider wesentliche Teile verlieren soll, wenn die Landesregierung bzw. deren Kultusministerium sich durchsetzen. Das bislang eigenständige Neustrelitzer Musiktheater soll nämlich aufgelöst und mit denen von Greifswald (115 km entfernt) und Stralsund (130 km) zusammengelegt werden. Neustrelitz soll die Produktion von Opern und Operetten verlieren, Schauspiel und Orchester aber behalten. Dafür würde die zentrale Theaterwerkstatt nach Neustrelitz verlegt. Musiktheater würde dann im fernen Stralsund inszeniert und in Neustrelitz als Gastspiel gegeben werden. Theaterpraktiker halten diese Reform so sinnvoll wie Dobrindts Ausländermaut. Die nächste Spielzeit 2017/18 ist noch gesichert, aber danach kann es ernst werden.


Man kann ja Böses über den Feudalismus sagen, aber die meisten Fürsten förderten die Künste und unterhielten Theater, so dass es auch in der kleinen Residenzstadt Neustrelitz ein Theater gibt. Idyllisch an einem Park und nicht weit von einem See glegen, hat es heute 397 Plätze. Unaufdringliche und zweckmäßige Eleganz bestimmt den Bau. Man fühlt sich sofort wohl und sitzt auf bequemen Sesseln. Das Parkett hat 11 Reihen, und darüber befindet sich ein breiter Balkon mit sieben Reihen, ist also eher ein Amphitheater, das von allen Plätzen freien Blick auf die Bühne bietet. Im Orchestergraben zählte ich zwei Kontrabässe und drei Celli. Das Publikum war altersmäßig gut durchmischt, wenn auch die ältere Generation überwog. Aber auch die wichtige mittlere Generation war gut vertreten.



Man muss ja zugeben, dass selbst im Opernland Nr. 1 der Welt nicht viele Städte mit 20.000 Einwohnern ein eigenständiges Dreispartentheater haben, aber die Theaterbesucher, mit denen ich sprach, waren empört über die geplante Schließung des Musiktheaters vor Ort. „Für kulurfremde Einwanderer aus fremden Kontinenten ist Geld da, für einheimische Kultur nicht.“ Es gab auch deutlicher formulierte Kommentare. Mecklenburg-Vorpommern ist aber leider noch keine blühende Landschaft geworden, und auch Neustrelitz ist kein florierender Industriestandort. Die polnische Grenze ist nicht weit, und das Theater ist der zweitgrößte Arbeitgeber am Ort – nach der öffentlichen Verwaltung. In der laufenden Spielzeit werden 14 verschiedene Bühnenstücke gegeben, dazu Konzerte und Liederabende, sowie zwei Musiktheaterstücke als Festspiele im Sommer. Es findet fast jeden Tag eine Aufführung statt.


Die gespielte Fassung war die von Felsenstein, die der Regisseur wohl aus Verehrung für seinen weltberühmten Lehrmeister gewählt hatte. Regisseur Straube, auch ausgebildeter Sänger, war früher selbst Intendant in Neustrelitz gewesen. Felsensteins Fassung war der erste seriöse Versuch, diese vielfach verhunzte Oper wieder auf die Beine zu stellen. Damals hatte Josef Heinzelmann das Originallibretto noch nicht entdeckt, und erst spätere Bearbeitungen von Oeser und schließlich Michael Kaye und Jean Christophe Keck gaben ihr die heutige Gestalt, die den Absichten Jacques Offenbachs am nächsten kommt.



Die alte Bühnenweisheit „verkorkste Generalprobe, gelungene Premiere“ bewahrheitete sich wieder einmal in Neustrelitz. Eigentlich gab es überhaupt keine richtige Generalproble, denn noch drei Tage vor der Premiere hatten Hoffmann und Spalanzani keine Stimme gehabt, aber rechtzeitig zur Premiere waren sie wieder voll da.


Das Haus war voll besetzt mit den üblichen kleinen Lücken. Pünktlichst um 19:30 trat der Regisseur vor den Vorhang und bat um Nachsicht für die zwei eben gesundeten Sänger. Schön wuchtig und richtig maestoso erklangen die Auftaktakkorde. Das dezente Bühnenbilld stellte eine surrealistisch-schräge Welt dar. Die Muse, als griechische Göttin gekleidet, beschrieb die ihr zugewiesene Rolle und kündigte das Geschehen an. Und schon gab es den ersten Applaus. Ein eleganter Lindorf trat auf und luchste dem Boten Stellas Brief ab. Ein zwölfköpfiger Männerchor agierte und sang lebhaft. Im Hintergrund blickten riesige drohende Männergesichter auf Hoffmann herab. Gut dargestellt, denn Hoffmann lebt in einer bedrohlichen Welt voll böser Männer. Und auf die Frauen kann er sich auch nicht verlassen.



Ein melancholischer Hoffmann trat auf und beschrieb seinen inneren Zustand: In dieser Welt bleibt uns der Traum als einzige Wahrheit. Als heller Tenor, der uns viele strahlende Töne schenkte, trug er den Klein-Zach vor. Als er zu Stella überging, merkte ich, was für ein hervorragendes und perfekt dirigiertes Orchester diese Aufführung begleitete. Vom kecken Charakter des Klein-Zach wechselte die Stimmung zu Sinnlich-Schwelgerisch, als Hoffmann von Stella schwärmte. Ich war im Verlauf des Abends immer wieder fasziniert, welches reiche Spektrum an nuancierten Klängen an meine Ohren schwebte. Das hatte ich in meinen inzwischen 97 verschiedenen »Hoffmännern« noch nie in dieser perfekten Enfühlsamkeit erlebt. Von forderndem staccato bis zu sinnlichem dolce bot dieses Orchester die kongenialste Begleitung, an die ich mich erinnern kann. Danke Maestro Tewinkel. Schon alleine dieses Klangerlebnis ist die Reise nach Neustrelitz wert. Applaus für den Klein-Zach. 25 Minuten dauerte das Vorspiel in Lutters Taverne. Genau richtig.




Im Olympia-Akt ertönte glucksendes Lachen im Publikum, als Spalanzanis Festgäste einzogen, und bald lachte das ganze Haus und spendete Szenenapplaus, als klar wurde, wer sich da alles bei Spalanzani zur Party eingefunden hatte: Die überwiegend weibliche Politprominenz von Berlin. Von der wie üblich griesgrämig blickenden Hosenanzugträgerin höchstpersönlich angeführt sah man Sahra Wagenknecht, Claudia Roth, Manuela Schwesig, Andrea Nahles und die hervorragend getroffene Ursula von der Leyen. Der grüne Anton Hofreiter und der fromme Waffenlobbyist Volker Kauder (CDU) repräsentierten die Männer. Leibwächter durften da nicht fehlen. Zwar hatte ich in Meiningen einen Donald Trump, in Rouen einen Karl Lagerfeld und in Essen einen Silvio Berlusconi jeweils als Spalanzani gesehen, aber dieses vielköpfige Panoptikum war einmalig. Da muss die Maske voll beschäftigt gewesen sein. Auf die Politik ist man in Neustrelitz aus verständlichen Gründen zur Zeit nicht besonders gut zu sprechen. Da darf es einen nicht wundern, dass eine solche Persiflage gezeigt wird.


Spalanzani und Olympia


Niklaus warnte Hoffmann, dass er gerade ein Opfer der Physik werde, doch der wollte nichts verstehen. Dann betrat ein freches Girlie in weißem Minikleid die Bühne. Locker und lebhaft trug sie die Arie der Olympia vor. Das Schwächeln hatte man auf ein Mal reduziert. Reicht auch. Während der Arie blickte sich die Politprominenz irritiert und verständnislos an. Was soll das denn wieder sein, schienen sie sagen zu wollen. Ist das nun Rap im Dreivierteltakt oder was? Die Regie hatte wohl andeuten wollen, dass die Politik immer weniger mit Kunst am Hut hat, denn mit Oper lässt sich keine Rendite erzielen, und noch keine Operngesellschaft ist an der Börse notiert. Immer wieder muss ich an das fatale Jahr 1982 denken, als CDU-Kohl und FDP-Genscher das kuluturfreie Privatfernsehen einführten. Seitdem geht es mit der einst edlen Kulturnation Deuschland beständig bergab, und Neustrelitz wird womöglich eines der nächsten Opfer. Auf der Bühne nahm die Rache des Coppelius ihren Lauf, und Olympia wurde nun als leblose Puppe hereingebracht und von Hoffmann, nun seiner Zauberbrille beraubt, verzweifelt als solche erkannt. Kräftiger Applaus für diesen Akt und Pause.


Antonia und Hoffmann; unten Mirakel und Antonia


Zwischen den Akten kennt die Felsenstein-Fassung ein jeweils kurzes Intermezzo in in Lutters Taverne, in dem Hoffmanns Freunde ziemlich bedrückt von den Ereignissen sitzen und die Entwicklung der Dinge diskutieren.


Im Antonia-Akt sah man in einer Vitrine das Bühnenkleid von Antonias Mutter, zwei Geigen und ein Bild der Diva Maria Callas. Die Fassade des Neustrelitzer Theaters formte einen Teil des Bühnenbildes. Antonia stellte sich ziemlich lebhaft vor. Ihr innerer Konflikt wegen des erzwungenen Verzichtes auf Gesang wurde überzeugend dargestellt. Franz beklagte mal wieder seinen Mangel an Methode statt an Technik, aber geschenkt. Sein Couplet hatte man gekürzt. Man könnte auch ganz darauf verzichten, außer man gibt ihm einen Sinn. Hoffmanns und Antonias Zuneigung füreinander wurde überzeugend dargestellt und entsprechend sensibel musikalisch untermalt. Als Vater Krespel seine Tochter und Hoffmann beinahe miteinander überraschte, floh sie in das auf der Bühne nachgebildete Neustrelitzer Theater. Viele nette kleine Ideen, die bewiesen, dass sich die Regie und die Ausstattung kreative Gedanken gemacht hatten.


Antonia stand völlig unter dem Bann des dämonischen Mirakel. Zu seiner Pseudodiagnose ging das Portal zum Theater auf, doch Antonia erschien nur virtuell. Krespel warf Mirakel aus dem Haus, doch der tauchte sofort wieder aus dem Untergrund auf und klimperte mit seinen homöopathischen Fläschchen. Antonias erneut geäußerter Verzicht auf Gesang klang nun nicht mehr so überzeugend, als sie von Mirakel an die mögliche Untreue des Hoffmann erinnert wurde. Treu ist nur die Kunst. VITA BREVIS ARS LONGA wussten schon die alten Römer.




Als Mirakel die Mutter heraufbeschwor, erschien die im gleichen Kleid, wie es auch in der Vitrine zu sehen war. Ein bewegend gesungenes und musikalisch hervorragend begleitetes Terzett folgte, dem das Publikum jubelnd und begeistert applaudierte. Endlich mal wieder ein Dirigent, der den Applaus für den musikalischen Höhepunkt dieser Oper zuließ. Aber irgendwann war auch hier Schluss mit Klatschen, und das Schicksal der Antonia nahm seinen Lauf. Antonia wurde von zwei Geigern eingerahmt, die dem früheren Kultusminister Meck-Pomms, Mathias Brodkorb (SPD), verblüffend ähnlich sahen. Der hatte die Enthauptung des Neustrelitzer Theaters eingeleitet. Sicher kein Zufall, denn hier wurde eine musikalische Künstlerin zu Tode gegeigt. Nun ist Brodkorb Finanzminister und zieht auch in seinem neuen Ressort die Schlinge zu. Kräftiger und langanhaltender Applaus und Pause.


Giulietta und Hoffmann unter den Spiegeln


Es ging weiter mit dem nächsten Zwischenspiel in Lutters Keller. Danach wurde die Barkarole, wohl getreu nach Felsenstein, nur aus den Kulissen gesungen. Schade. Mehrere Gondeln schwebten herein. Verführerisch und schön gekleidete Damen füllten die Bühne. Im Mittelpunkt natürlich die feurige Giulietta mit einem Schlitz im Silberkleid. Höchst attraktiv, diese Kurtisane. Kein Wunder, dass Hoffmann ihr verfiel. „Die hohe Liebe ist vorbei.“ Nun wollte er sich der Sinnlichkeit hingeben. Für die in dieser Version notwendige Spiegelarie gab es den verdienten Applaus. Dann weckte Dapertutto in Giulietta den Wunsch, Hoffmann zu erobern. Die willigte sofort ein und vergaß ihre Hemmungen: „Vergesst die Tränen der Kurtisane.“ Die Interpretin der Stella war in der Rolle der Giulietta mit ihrem dramatischen Sopran voll in ihrem Element. Dann gab es ein richtig gut einstudiertes Degenduell, wie man es nur selten zu sehen bekommt. Zu diesem wurde die Barkarole voll wiederholt – ohne Piccoloflöte.


Auf einem roten Lotterbett, über dem zwei Spiegel hingen, wurde Hoffmann dann vernascht. In diese Spiegel verlor er offensichltich seine Seele. Hoffmanns Verfallenheit an Giuliettas Reize wurde überzeugend dargestellt. Ein bedauernswerter Pitichinaccio wuselte um Giulietta herum. Und ausgerechnet er überreichte seiner Herrin den für Hoffmann gedachten Giftbecher, der als Schlaftrunk gedacht war. Giuliettas Sklave verzweifelte nach seinem Versehen. Noch nie hatte ich die Rolle des Pitichinaccio und die Abhängigkeit eines Krüppels von einer schönen Kurtisane so überzeugend interpretiert gesehen. So etwas gibt es auch im wirklichen Leben.


Zu den Klängen der Barkarole führte uns die Drehbühne wieder in Lutters Taverne, in der Bedrücktheit herrschte. Hoffmann wurde gefragt: „Sind deine Geschichten wahr?“ - „Sie sind der Traum, aus dem unser Leben besteht. Die Liebe ist eine falsche Gottheit. Zum Teufel mit der Liebe. Ich verfluche dich.“ Da muss man an den Spruch aus Dietls Film Rossini denken. „Es gibt keine Liebe, es gibt nur Sex. Und Sex ist Sch****!“


Hoffmann und Stella

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Theater Neustrelitz und beim Fotografen Jörg Metzner. Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Stella erschien und suchte nach Hoffmann. „Warum lässt du mich warten?“ Doch Hoffmann stieß sie weg und übergab sie dem Teufel Lindorf. Hoffmann war nun ganz alleine auf der Bühne. Die Muse kam, nun wieder in griechischem Kostüm. Sie pries die wahre Liebe, nicht die ekstatische. Alleine schritt sie eine Treppe hinauf und verschwand hinauf in den Parnass. Hoffmann sang nun die Apotheose auf sich selbst, die sonst die Muse vorträgt. Es gab, wie es aussah, keine traute Zweisamkeit, sondern die Oper endete mit einem narzisstischen, auf sich selbst geworfenen Hoffmann.


Spontaner Applaus, der sich immer mehr steigerte. Zuerst traten die Bühnenarbeiter vor, dann einzeln die Chorsänger, bis dann die Solisten kamen. Schon nach einer Minute begann das Publikum rhythmisch zu klatschen. Als die Solisten ihre Verbeugungen machten, stand das Parkett. Auch das Regieteam wurde beklatscht. Neun Minuten dauerte der Applaus, der locker die zehn Minuten übersprungen hätte, wäre er nicht durch den Vorhang beendet worden.




Nach der Premiere gab es eine gut besuchte Premierenfeier im Theaterkeller, auf der ich interessante Gespräche führen konnte. Unter anderen traf ich auch eine Mitwirkende der einmalig gelungenen DSDS-Parodie Die Hoffmann-Show von Hannover, die dort die Muse alias Michelle gesungen hatte. Der Intendant und der Regisseur verzichteten dankenswerterweise auf lange Reden. Das sollte Schule machen. Folgende Bilder entstanden.




Hoffmann und Stella



Dirigent, Regisseur, Muse und Hoffmann


Widersacher und Dirigent



    Muse und Michelle = Muse aus Hannover







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