Geistreich interpretierter, hervorragend begleiteter und ausgezeichnet gesungener »Hoffmann« im schönen Ljubljana/Laibach


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Besuchte Vorstellung 11. Oktober 2018 (Premiere)







Regie


Aleksandar Popovski

Dirigent


Simon Krečič

Bühnenbild


Numen

Kostüme


Beate Borrmann

Chorleitung


Georgeta Caprarolu

Version



Sprache


Französisch




Hoffmann


Branko Robinšak

Muse


Robina Radovan

Olympia


Nina Dominko

Giulietta


Rebeka Radovan

Antonia


Martina Zadro

Widersacher


Peter Marcinčič










Fazit Ljubljana: Ein »Hoffmann«, wie man ihn sich zu sehen wünscht. Dramaturgie und Regie haben alles richtig gemacht, was die Interpretation von Hoffmanns Lieben und Leiden angeht. Ein ausgezeichnet spielendes und dirigiertes Orchester begleitete, und eine wunderschöne Stimme nach der anderen erklang, auch im sorgfältig einstudierten Chor. Gesang und Orchester lagen deutlich über dem durchschnittlichen deutschen Stadttheaterniveau und können sich auch an ersten Opernadressen sehen und hören lassen. Dazu kam ausgefeilte Schauspielkunst, wie man sie nur selten zu sehen bekommt. Künstlerisch hochstehende Videoprojektionen dienten als Bühnenbild, und die Kostüme ergänzten den optischen Genuss. Dieser »Hoffmann« sollte auf Reisen gehen. Opernagenturen aufgepasst! Am 23. November wird er wieder gespielt. Glückwunsch an die Oper Ljubljana und alle Mitwirkenden.


Ljubljana besuchte ich zuletzt 1960, als wir dort mit Studenten der Universität diskutierten. Jugoslawien war ein blockfreier Staat, regiert vom ehemaligen Partisanenführer Tito. Heute ist Ljubljana eine moderne europäische Großstadt, deren elegante Straßen sich in keiner Weise von denen anderer Haupststädte unterscheiden. Aber der Charme des alten Laibach aus der k.u.k.-Zeit ist noch an vielen Stellen spürbar. Ich bin der Oper Ljubljana dankbar, dass sie mich mit ihrem »Hoffmann« wieder in ihre schöne Stadt geführt hat. Die Oper wurde 1896 von den damaligen österreichischen Kolonialherren eröffnet, die überall in ihrem Herrschaftsbereich Opernhäuser und Theater hinterließen. Von den früheren Besatzern des Balkans, den türkischen Osmanen, sind heute nur mehr Moscheen übrig, aber keine Theater, Universitäten und Bibliotheken.


Die staatliche Oper liegt am Rand der Innenstadt. Gleich gegenüber sind die zwei Kunstnuseen der Hauptstadt, die 280.000 Einwohner hat. Das ganze Land Slowenien hat gut zwei Millionen Einwohner und zwei Opern, Ljubljana und Maribor. Den »Hoffmann« von Maribor sah ich im bulgarischen Sofia. War auch nicht schlecht. Die neoklassizistische Oper von Ljubljana ist mit 548 Plätzen ziemlich klein, hufeisenförmig und wurde von zwei tschechischen Architekten entworfen. Es gibt ein Parkett mit 12 Reihen, einen Parkettrang und darüber noch einen Rang und eine Galerie. Im Orchester zählte ich drei Kontrabässe und fünf Celli. Der Orchestergraben war vollgepackt, wie auch das Theater. Ich hatte einen Platz in der Proszeniumloge bekommen, direkt über dem Orchester, der eine großartige Akustik garantierte. Vor Beginn wurde das Publikum per Lautsprecher über das laufende Programm der Spielzeit informiert.


Wie in den slawischen Ländern üblich, bildeten auch in Ljubljana einheimische Künstler das Ensemble, während in Deutschland inzwischen die Germanen meist in der Minderheit sind. Nur die Kostümbildnerin Beate Borrmann kam aus Deutschland.


Ballerina=Stella und Muse


Hoffmann


Vor Beginn sah ich im Foyer einen Herrn in lässigem dunklem Anzug, mit Brille und längerem Haar, der sich angeregt mit anderen Leuten unterhielt. Ich dachte mir, der sieht so aus, als ob er der Regisseur sein könnte. Aber ein Regisseur ist doch so kurz vor der Premiere hinter dem Vorhang und gibt letzte Anweisungen in einer Situation, in der alle vor Nervosität platzen. Doch meine Neugierde überwog. Ich nahm allen meinen Mut zusammen und fragte auf Englisch: Excuse me, are you the director of the opera? Er war es. Wir verabredeten uns für die Premierenfeier, und ich wünschte ihm Glück für die Premiere.


Im Publikum erblickte ich zu meiner Freude eine Reihe junger Leute und auch solche mittleren Alters. In den slawischen Ländern wird es vermutlich auch in einem Jahrhundert noch Opern geben, während bei uns die letzten Musentempel zu Eventlocations für Helmut Kohls CDU-Privatfernsehen und Trash-Shows à la DSDS umfunktioniert sein werden.


Schön maestoso kamen die Auftaktakkorde, was einen allegrogeplagten »Hoffmann« Freund natürlich gleich für den Dirigenten einnimmt. In der gegenüberliegenden Proszeniumsloge stand die Muse, ganz in Weiß. Vom Lautsprecher kam Applaus für Stella als Donna Anna im Don Giovanni. Mit voluminöser Stimme stellte sie sich feurig vor. Die Übertitel wurde auf Slowenisch und Englisch geboten. In einem ebenfalls langen weißen Kleid tanzte eine Ballerina. Da sie in allen Akten auftauchte, vermute ich, dass sie die permanente Präsenz der Stella darstellen sollte.


Viel Bühnenbild gab es in der gesamten Oper nicht. Nur die tatsächlich benötigten Utensilien wurden auf die Bühne gebracht. Den Rest besorgten ästhetisch gelungene Videoprojektionen. Das kannte ich von den Theaterinszenierungen Ingmar Bergmans am Stockholmer Dramaten, die zu sehen ich das Glück hatte. Diese Sparsamkeit an Bühnenbild macht diese Inszenierung interessant für Gastspiele an anderen Bühnen, da nur wenig Transport nötig wird. (Ein Extrembeispiel in die andere Richtung war der absurde Madrider »Hoffmann« Joël Brands, den ich in Bergen/NO sah. Das Bühnenbild und die Kostüme benötigten 17 große Transportcontainer.)


Hoffmann, und Olympia in statu nascendi


Olympia und Hoffmann


25 lebhaft agierende ebenso singende Männer bevölkerten die Bühne. Ljubljana hat keine Drehbühne, aber einen variablen Bühnenboden. Aus dem hob sich quer über die ganze Breite ein Tisch, der mit einem weißen Tuch bedeckt wurde und Lutters Taverne bildete. Effektvoll mit einfachen Mitteln. Für den Gesang des Chores gab es den ersten Applaus. Hoffmann sang den Klein-Zach auf dem Tisch und mimte dazu, ebenso der gesamte Chor. Ein strahlender Tenor erfreute das Ohr. Als er zu Stella übergeangen war, schliefen einige seiner Freunde ein. Mit Höhen hatte er keinerlei Probleme und zum Abschluss legte er ein hjohes C drauf, das ihm keinerlei Probleme bereitete. Applaus für die erste große Arie der Premiere.


Lindorf trat als lässiger Dandy im Pelz auf. Gut getroffen. Das Orchester spielte präzise, nuanciert, nuancenreich und jederzeit der Stimmung auf der Bühne entsprechend. 35 Minuten dauerte das Vorspiel in Lutters Taverne. Gerade noch richtig. Die nervtötend langen Auseinandersetzungen Hoffmann – Lindorf hatte man sinnvoll gekürzt.


Der Olympia-Akt begann mit dem Einzug der Gäste. Dazu tanzte die Ballerina als Olympia. Spalanzani führte die Puppe dem Hoffmann vor und demonstrierte, dass sie sein willfähriges Geschöpf war. Dann verschwand die Ballerina, und aus einem roten Muttermund räkelte sich die richtige Olympia. Hoffmann stand gebannt davor. Mit einer beeindruckenden Vogelarie, stimmlich wie histrionisch, warnte Niklaus Hoffmann, doch vergeblich.


Ein mystischer Coppelius in Trenchcoat und Sonnenbrille trat auf. Er verpasste Hoffmann eine Glitzerbrille à la Elton John. Dann kamen die überkandidelten Gäste Spalanzanis, die Frauen in schreiend buntem Tüll. Hinter ihnen blies sich eine riesige Fruchtblase aus dem roten Muttermund heraus auf. Schnell und präzise kam das Lob auf Olympias Augen. Da hatte man viel geübt. Chor und Orchester waren in absolutem Gleichtakt. Und dazu tanzte der Chor auch noch.


Als die inzwischen riesige Fruchtblase platzte, wurde Olympia in die Welst gestoßen. Olympia war als Ballerina in grünem Tüll gestaltet. Wenn man mich gefragt hätte, hätte ich da einen Vorschlag zur Verkörperung der Olympia gehabt. In der Nähe von Ljubljana wurde nämlich die gegenwärtige First Lady der USA geboren. Und an der ist ja auch Einiges künstlich. Und Spalanzani hätte gut als Spalanzani getaugt. Diese Idee hatte schon Meiningen umgesetzt, als nämlich gleichzeitig mit der dortigen »Hoffmann«-Premiere der größte Präsident aller Zeiten Donald Trump in Washington vereidigt wurde. In Essen hatte man Spalanzani als Berlusconi maskiert. Und Monsieur Spalanzani n´aime pas la musique hätte auch auf Trump gepasst, den ich mir nur schwer in einer Oper vorstellen kann. Früher zeigte er sich gerne bei Catchern.



Mit strahlender Koloratur begeisterte Olympia. Meistens sang sie legato. Spalanzani steuerte sie mit einem Laptop. Niklaus musste Hoffmann streng anblicken, damit er sich nicht auf Olympia stürzte. Dann holte Olympia den Hoffmann zu sich, legte ihn auf den Rücken und ritt ihn zu einem Orgasmus, den sie mit trillernden Höhen anzeigte. Heftiger langer Applaus belohnte diese vorzügliche Olympia. Doch Niklaus war verzweifelt und empört.




Giulietta und Niklaus bei der Barkarole


bei Giulietta, rechts Schlemihl


Dann erfolgte der Crash des Elias. Olympia wurde zerstört, indem Coppelius dem Hoffmann seine Zauberbrille wegnahm und der erkennen musste, dass er einer Illusion aufgesessen war. Olympia sackte zusammen. Und erste Pause.


Niklaus lag müde auf der leeren Bühne. Ein Gondoliere stakte melancholisch über die Bühne, denn nun folgte der Giulietta-Akt. Eine weiblich üppige und tief dekolletierte Giulietta trug ein glitzerndes Diadem im Haar. Erfreulicherweise kreischte kein Piccolo zur sinnlich gesungenen Barkarole, für die es Applaus gab. Die machten wirklich alles richtig in Ljubljana. Ein lasziv gekleideter Chor trat auf. Pitichinaccio war wohl eine Art Fußfetischist, und riesige rote Phallen senkten sich vom Bühnenhimmel herab und pendelten hin und her. Niklaus führte einen erotischen Moonwalk auf. Applaus für Hoffmanns Ode an die Lust. Als Hoffmann auf Giulietta zustürzen wollte, riss ihn der ölige Zuhältertyp Dapertutto weg.


Dann sang Dapertutto die unvermeidliche Spiegel-Arie, die natürlich dem Publikum gefiel. Schöne Stimmen allerorten, dazu eine volle weinige und erotische Giulietta. Applaus auch für das Duett Hoffmann – Giulietta. Hoffmanns Verlust des Spiegelbildes wurde symbolisch mit einer Glitzerkugel dargestellt. Hoffmann beklagte den Verlust: Ich verfluche die Liebe, die mich auffrisst.


Dann folgte das Sextett, dessen schwierige Stelle nach der Fermate einigermaßen gemeistert wurde. Was für eine schwelgerische Musik, die auch beklatscht wurde. Schlemihl trat als eleganter Herr auf. Wie ich später erfuhr, soll Marcello Mastroianni Pate gestanden haben. Das Duell war kurz und knapp und wurde mit Dolchen ausgefochten. Doch Hoffmann verzweifelte sofort wegen seiner unüberlegten Tat. Und Giulietta war er auch los.

Applaus und zweite Pause.




Dapertutto und Hoffmann


Antonia war in blauen Tüll gekleidet, vor ihr die Ballerina auf leerer Bühne. Lyrisch und sensibel begann Antonia. Als sie ihr Auftittslied beendet hatte, legte sie sich wie ein sterbender Schwan auf den Boden. Es musste auch hier einen Franz geben. Bei den Übertiteln hatte man aufgepasst. Im Englischen fehlte dem Franz die technique, im Slowenischen allerdings metodi.


Zu meiner freudigen Überraschung sang Niklaus dann eine emotionale und dramatische Geigenarie. Begeisterter Applaus. Freudig begrüßten sich Antonia und Hoffmann. Wir erlebten eine mädchenhaft romantische und verliebte Antonia. Hoffmann saß an der ungesicherten Bühnenkante und ließ seine Beine in den Orchestergraben baumeln. Dazu sang er wunderschöne Duette mit Antonia, fiel aber nicht hinunter. Erleichtert klatschte das Publikum.


Der gesamte Akt fand auf schwankendem Boden statt. Die Bühne war mit einer dunklen Folie belegt, die wie die aufgewühlte Oberfläche eines stürmischen Ozeans wirkte. Ein dämonischer Mirakel trat mit Doktortasche auf. Applaus für das Terzett Hoffmann – Krespel – Mirakel. Schon hier wurde Antonia geradezu euphorisch durch Mirakels Einflüsterungen. Dann beschuldigte sie Hoffmann, sich zu einfach auf die Seite ihres Vaters gestellt zu haben, der ihr die Gesangskarriere verboten hatte. Gehorsam versprach sie, nicht mehr zu singen.


Doch dann kam Mirakel mit den Versprechungen einer glänzenden Laufbahn. Vergeblich wehrte sich Antonia. Als Mirakel ihr die Stimme der Mutter beschwor und die auch als samtig-voller Mezzo erklang, wurde die Ballerina kopfüber auf den Hintergrund projiziert. Antoinias Welt wurde auf den Kopf gestellt. Ein berückend schön gesungenes Terzett Mutter – Antonia – Mirakel erklang. Die Ballerina erschien wieder real im Hintergund, und die sterbende Antonia fiel rücklings auf das große weiße Plumeau, die einzige Requisite auf der Bühne.



Zum Beginn des Finales war die Ballerina alleine auf der Bühne, und offensichtlich litt sie. Fehlerfrei kam der Hörnerchor. Dann folgte ein bacchantischer Tanz und Gesang Hoffmanns und seiner Freunde. Dann legt er sich trunken auf den Bauch. Skeptisch blickte seine Muse auf ihn herab. Doch keine Angst, die Oper Ljubljana ließ ihn nicht sterben. Die Muse klagte: „Und ich, dein treuer Freund?“ Dann erweckte die Muse Hoffmann mit ihrer Liebeserklärung den trunkenen Dichter wieder zum Leben. Er zu ihr: „Deine Stimme hat mich wieder belebt.“



Hoffmanns drei verflossene Frauen standen im Chor. Die Muse zu Hoffmann: „Ich gehöre ganz dir. Ich werde deinen Schmerz heilen.“ Innige Umarmung der beiden und Vorhang. Heftiger Applaus frür diese gelungene Inszenierung Jubel für die Solisten, wobei die feurige Giulietta etwas mehr verdient hätte. Großer Jubel auch für das ausgezeichnete Orchester und den Dirigenten. Auch das Regieteam wurde mit Applaus bedacht. Rhythmisches Klatschen setzte bald ein. Leider ließ die Applausregie, einem neuen europäischen Trend folgend, die Solisten nicht mehr einzeln vortreten. Hätte man das getan, wäre die magische 10-Minuten-Marke beim Applaus locker überschritten worden. So blieb er bei gut acht Minuten.

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen bei und bei der Fotografin Darja Štravs Tisu Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.

Die abgebildeten Interpreten stammen aus beiden Besetzungen.


Nach der erfolgreichen Premiere fand eine gut besuchte Premierenfeier auf der Bühne statt, auf der folgende Bilder entstanden. Erstaunlicherweise gab es bei der Premierenfeier nur alkoholfreie Getränke. So etwas hatte ich noch nie in einem slawischen Land erlebt. Nach deren Ende trafen wir uns noch in der Opera Bar gegenüber.


VLNR: Ballerina, Giulietta, Widersacher, halb verdeckt Muse Dirigent, Hoffmann, Antonia, Olympia, Franz







Hoffmann, Regisseur, Widersacher



Muse



Antonia mit Besucher










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