Pittoresker »Hoffmann« mit brillanten Stimmen in Graz





https://oper-graz.buehnen-graz.com/



Besuchte Vorstellung: 30. September 2023 (Premiere)





Das dräuend erigierte Schwert an der Oper Graz, unfairerweise dem sensiblen Dichter Franz Kafka unterschoben. Vorne eine Wagner-Büste.- Hojotoho! Klammheimliche Wünsche nach einem Ikonoklasmus oder Blitzeinschlag verbieten sich natürlich.

Regie


Tobias Ribitzki (Rahmenakte)

1927 (Olympia)

Neville Tranter (Antonia)

Nanine Linning (Giulietta)

Dirigent


Johannes Braun

Chorleitung


Johannes Köhler

Bühne


Stefan Rieckhoff

Kostüme


Silke Fischer; Irina Shaposhnikova

Version


Kaye-Keck

Sprache


Französisch




Hoffmann


Matthias Kozlorowski

Muse


Anna Brull

Olympia


Tetiana Zhuravel

Antonia


Tetiana Miyus

Giulietta


Mareike Jankowski

Widersacher


Petr Sokolov









Ein weitgehend gelungener Hoffmann in einem prächtigen Opernhaus. Schöne Stimmen, fantasievolle Regieeinfälle und ein kongeniales Orchester trugen zu einer gelungenen Premiere bei. Das Publikum war begeistert und spendete mindestens neun Minuten Applaus.

Vier verschiedene Regieteams hatten die fünf Akte gestaltet. Graz hatte diese Idee von Wuppertal (2016) übernommen. Warum man den tragischen Antonia-Akt zu einer Karikatur mit Schlümpfen als Spitting Image mit Gesang veranstaltete, muss das Geheimnis der Dramaturgie und des niederländischen Teilregisseurs bleiben. Originell war die Gestaltung des Olympia-Aktes als projizierter Zeichentrickfilm. Ein optischer Genuss war der Giulietta-Akt, in dem ebenfalls neue gestalterische Wege beschritten wurden. Hoffmanns Erlebnisse wurden richtig erzählt und vom Publikum begeistert aufgenommen. Nach sieben Minuten wurde stehend applaudiert. Doch leider beendete ein brutaler Vorhang den Applaus.


Anschauliche Ausschnitte aus Graz, vom Regionalsender mema.tv aufgenommen, sieht man hier: https://www.youtube.com/watch?v=SssFbTIxSZQ

Über ein paar kleinere Details des Berichterstatters schweigen wir großzügig.


Die Grazer Oper ist ein beeindruckender Bau aus der k.u.k. Monarchie und kann was prächtige Dekorationen angeht sich durchaus mit der Pariser Garnier-Oper messen lassen. Sie steht stadtnah am Opernring und wird von einer ungewöhnliche Plastik überragt, die man eher am Tor einer Panzerfabrik vermuten würde. Auf einem strommastenähnlichen Gestell ragt ein Schwert drohend senkrecht nach oben. Eine Konzession an den Operntitanen Richard Wagner? Weit gefehlt.

Die offizielle Erklärung sieht das anders. Der Strommast wurde dem inneren eisernen Gestell der New Yorker Freiheitsstatue des Gustav Eiffel nachgebildet und entbehrt nur deren Bronzehülle. Statt der Fackel dräut in Graz ein wotanisches Schwert. Zur ideologischen Entlastung wird ein einschlägiger Vers Franz Kafkas zitiert. Den englischen Text sollte man mal sprachlich überarbeiten. Die Oper wird von der Stadt Graz und dem Land Steiermark betrieben. Der halbrunde besucherfreundliche Zuschauerraum besteht aus einem ansteigenden Parkett mit Mittelgang und drei Rängen. Das Theater war voll. Im Orchestergraben zählte ich drei Kontrabässe und vier Celli. Das Grazer Premierenpublikum war wie in Österreich üblich schick gekleidet. Altersmäßig war das Publikum gut durchmischt.




Die Zusammenarbeit mit der Presseabteilung war freundlich und vorbildlich. Vor der Vorstellung gab es eine Einführung durch die Dramaturgin der gesamten Inszenierung, die allerdings etwas gestrafft und strukturiert gehört, obwohl alles richtig war, was sie sagte. Auch wunderte mich, dass die Dramaturgin fortwährend von Hoffmanns Erzählung sprach. Ich kenne diese Oper nun schon ein halbes Jahrhundert, aber üblicherweise lautet der Titel im Plural Hoffmanns Erzählungen. Da es immer mal wieder problematische Einführungen gibt, habe ich auf meine Internetseite einen Vorschlag für eine Einführung gestellt, ohne beanspruchen zu wollen, dass dieser Vorschlag der einzig Richtige oder Mögliche ist.

Die Dramaturgin berichtete, dass als eine Art Running gag durch alle vier Akte und als verbindendes Element ein roter Vorhang gewählt worden war.



Schön maestoso erklangen die Auftakte. Der Dichter Hoffmann zündete eine Kerze auf einem Tisch an. Hoffmann saß vor diesem kleinen roten Vorhang. Seine Muse betrat als androgyne Gestalt die Bühne und beeindrckte gelich mit einer bewegenden Vorstellung. Indem sie ein Jackett anzog, betonte sie ihre Wandlung zum Mann. Sie berichtete von einem Dichter, der sich schutzlos in das Leben stürzte. Die Muse sah Stella als Rivalin, die Hoffmann von seiner Bestimmung abbringen solle. Da verstand man doch gleich, dass hier jemand die Botschaft der Oper verstanden hatte. Und in den Übertiteln, die gut übersetzt waren, las man: Frauen sind die Herren eurer Herzen. So ist es oft, ob man will oder nicht.



Beim Klein-Zaches überzeugte Hoffmann sofort mit strahlendem, leichtem und hellem Tenor. H0ffmann trug eine hässliche Maske, die ihn als unattraktiven Zwerg und Versager kennzeichnen sollte. Als er zu Stella überging, trat sie im langen Schwarzen auf, blieb aber stumm. Für den Klein-Zaches gab es den wichtigen ersten Applaus. Nur der erste Rahmenakt war eine Idee zu lange geraten. Aber geschenkt. Bisher alles in bester Ordnung.



Kaum hatte Hoffmann den Namen der Olympia ausgesprochen, befanden wir uns schon mitten im Olympia-Akt. Was nun kam, fand ich vorbildlich. Ich hatte schon oft angeregt, statt der Übertitel oder zusätzlich zu den Übertiteln in kurzen Worten die gerade stattfindende Handlung einer Szene zu beschreiben, also z.B. Coppelius verkauft Hoffmann eine Zauberbrille. Leider habe ich damit noch keine Regie überzeugen können. Im Olympia-Akt in Graz wurden nun mehrmals ähnliche Hinweise auf die Handlung in großen Buchstaben auf den Vorhang projiziert: Courage, Hoffmann, als er sich in sein erstes Abenteuer stürzte.


Ein Schlüsselloch erschien, das andeuten sollte, dass er Olympia zum ersten Mal heimlich beobachtete. Solche bildlichen Hinweise sind einfach, leicht und schnell zu verstehen als viele Worte. Zur Vogelarie des Niklaus begann ein optisches Feuerwerk an bewegten psychedelischen Zeichentrickszenen in einer Vielfältigkeit und Fanstasie, wie ich sie seit Heinz Edelmanns Yellow Submarine nicht mehr gesehen hatte. Das Operngenie Barrie Kosky hatte an der Komischen Oper Berlin eine Zauberflöte mit ähnlichen Elementen verziert, aber die Zeichentricks von Graz überteffen die bei Weitem. Das war der optisch aufregendste Olympia-Akt, den ich je sah. Für die Vogelarie gab es Applaus, der sicher nicht nur der gesanglich wie histrionisch überragenden Muse auch der blendenden Idee mit den projizierten Bildern galt. Doch leider spielte das Orchester schnöde weiter.Und wieder wurde ein die Handlung erläuternder Hinweis auf den Vorhang projiziert: Hoffmann, pass auf!


Auch die im Text erwähnten damals aktuellen Messinstrumente wie Thermometer, Hygrometer und Barometer wurden auf die Innenseite von Coppelius´ ausgebreitetem Mantel projiziert. Eine Augenweide für alle Eidetiker, dieser Akt. Und sofort wurde anschualich dargestellt, wie sich Hoffmanns Wahrnehmung veränderte, kaum hatte er die Zauberbrille aufgesetzt. Der Splanzanis Gesellschaft darstellende Chor agierte ganz lebhaft dazu. Splanzani selbst wurde als Conferencier gezeichnet, der durch den Akt führt, und sein Cochenille als Hotelpage. Von der Rokoko-Olympia sahen wir nur ihren Kopf hoch oben. Sie schwebte über Allem in einem psychedelischen Zaubergarten aus mechanischen Uhrwerken und paradiesischen Pflanzen. Eine präzisem Koloratur folgte mit viel schwierigem Staccato. Es gab kräftigen und langanhaltenden Applaus.



Schließlich schwebte Olympia herab, doch Unheil kündigte sich an: Es regnete, als Olympia für Hoffmann Realität geworden war. Olymppia stellte sich nämlich als Räderwerk heraus, das sich schließlich in einer gewaltigen Explosion auflöste. Spontaner und langanhaltender kräftiger Applaus für diesen originellen und fantasievollen Akt, der alleine schon eine Reise nach Graz wert war. Doch war die Oper noch nicht zu Ende. Im Video von mema.tv gibt es ein paar Szenen aus diesem Akt, den man in seiner Einmaligkeit gerne ganz auf Youtube stellen könnte.



Und übergangslos befanden wir uns schon im Antonia-Akt. Aber was musste ich sehen? Eine hässliche zwergenartige Figur kauerte auf der Bühne, und neben Antonia kam ein ebenso gestalteter Vater Krespel auf die Bühne. Der australische Puppenspieler Neville Tranter, Regisseur dieses Aktes, hatte Vater Krespel, Doktor Mirakel und den Franz als „Klappenmaullfiguren“ gestaltet. Sie bestanden aus Plastikköpfen mit beweglichen Mündern und wurden von jeweils zwei Menschen gehalten, einmal vom zugehörigen Sänger und dann von einer zusätzlichen Stützperson, die die Lippen der Puppen bewegten. Antonia, Hoffmann und die Muse durften erfreulicherweise in natürlicher Gestalt auftreten. Schön anzusehen waren diese Schlümpfe wie aus Spitting Image nicht. Mir erschloss sich auch während des gesamten Aktes nicht, warum man diesen Aufwand betrieben hatte, um die drei Männer als groteske Puppen zu gestalten. Dieser Akt wurde durch sie zur Farce, und er eignet sich von allen Akten am allerwenigsten dazu.


Und wieder einmal glaubte man, auf den Franz nicht verzichten zu können. Aber immerhin hatte man bei der Übersetzung aufgepasst und ließ ihn von mangelnder Technik singen. Als Niklaus Hoffmann vor Antonia warnte, hielt sich der die Ohren zu. Dann folgte eine seelnvoll gesungene Geigenarie, wobei Niklaus eine der Puppen ansang. Erfreulicherweise wurde die Geigenarie in voller Länge gebracht, und es gab kräftigen Applaus dafür. Antonia wurde als unbekümmertes Mädchen vorgestellt. Seelenvolle Duette mit Hoffmann folgten. Beim Terzett Hoffmann – Krespel – Mirakel wirkte Ersterer wie ein Fremdkörper zwischen den abstoßenden Karikaturen.



Ein gewaltiges stimmliches Erlebnis war das Terzett Antonia – Mirakel – Mutter. Dank der guten Akustik im Theater wirkten sie höchst präsent. Und das Orchester begleitete kongenial. Kräftiger Applaus für diesen Akt.


Wegen mir könnte die Oper Graz gerne auf die Puppen in diesem Akt verzichten und hätte immer noch einen durchschnittlich guten Antonia-Akt. Da die Sänger der Rollen ohnehin auf der Bühne stehen, wäre dieser Akt vollständig und nachvollziehbar dargestellt, wenn diiese Klappmaulpuppen einfach in die Kulissen verbannt würden. Der Antonia-Akt ist musikalisch so anspruchsvoll, dass er gut ohne diesen Gag auskommen kann.


Der Giulieetta-Akt in Venedig wurde wieder zu einem optischen Genuss. Wie es der Theatermagier Ingmar Bergman am Königlichen dramatischen Theater (Dramaten) in Stockholm mehrfach vorgemacht hatte, geht’s auch ohne Bühnebild, wenn man die darstellenden Personen entsprechend anleitet. So nun auch in Graz. Außer einem großen Glaskasten hab es überhaupt kein Bühnenbild, dafür aber einen choreografisch hervorragend agierenden Chor und ebenso gute Beleuchtung.



Kräftiger Applaus und Jubel begrüßten den Dirigenten nach der Pause. Synchron schwankende Gestalten stellten die Meereswogen von Venedig dar, die aus einer kleinen Öffnung im Hintergrund hereinströmten. Sinnlich und schwelgerisch intonierte das Orchester die Auftakte zur Barkarole. Aber leider wured die Piccoloflöte wieder zum lautesten Instrument, das aus dem Orchestergraben erklang.



Niklaus saß rechts vorne am Bühnenrand. Giuliettas Gesellschaft vollführte dazu einen langsamen Ausdruckstanz. Im riesigen Glas- und Spiegelkasten erschien ein Double der Giulietta.´Sie war in ein silberglänzendes Kleid gehüllt uns bewegte sich aufreizend lasziv. Da musste Hoffmann schwach werden, wenn er von einer solch erotischen Frau umgarnt wurde. Schlemihl, seines Schattens beraubt, wurde schon mal hinausgeschleift, da vorerst nicht mehr benötigt.


Ein riesiger weißer Vorhang wurde heruntergelassen und bildete ein Halbrund, in dem der Chor ekstatische Tänze vollführte. Raffiniert wurde Hoffmanns Verlust seines Spiegelbildes dargestellt: Die Spiegelfläche in dem Glaskasten zerfiel in einzelne Elemente, und Hoffmann konnte sich nicht mehr sehen. Der Widersacher = Dapertutto hatte in den bisherigen Akten eher unauffällig agiert, konnte aber nun endlich seine mimischen Qualitäten demonstrieren und zeigen, was für ein Meister des körperlichen Ausdrucks er ist. Missstimmung kam auf, als Hoffmann Giulietta beschimpfte, und es regnete in Venedig. Und Hoffmann erwürgte Giuliettas Schoßhündchen Pitichinaccio. Melancholisch wurde die Barkarole wiederholt. Und Ende des Aktes in Venedig.


Stella saß am Tisch, mit dem im ersten Akt die Oper eröffnet wurde. Die Kerze war nach all den Erzählungen Hoffmanns heruntergbrannt. Hoffmann wirkte gebeugt und gebrochen. Leise erklang der melancholische à cappella-Männerchor. Hoffmann zu Stella: Was willst du? Dann reduzierte Hoffmann die zickige Stella auf das, was sie für ihn nun war: ein Unperson, eine Frau, die mit Männerherzen spielt. Hoffmann warf die hässliche Maske weg, die er beim Klein-Zaches getragen hatte. Seht her, ich bin gereift, ich lass mich nicht mehr benützen.


Die Kerze auf dem Dichtertisch war inzwischen ausgegangen, aber die Muse zündete sie wieder an. Der große rote Theatervorhang war in zwei Teile zerbrochen. Sollte dies symbolisieren, dass die Talmi-Welt des Hedonismus für ihn nun kaputt war und er in die reale Welt zurückgekehrt war, in die ihn die Muse geführt hatte? Und die Oper endete damit, wie sie auch enden soll: Hoffmann hatte seine Schreibhemmung überwunden und war wieder zum Dichter geworden. Ein trautes Happy End mit der Muse und Hoffmann als Paar konnte ich allerdings nicht erkennen.


Spontaner Applaus und Jubel für diese brilliant gelungene Premiere. Wie üblich gab es Riesenapplaus für die Gesangsrollen, wobei der für Hoffmann und die Muse am lautesten klang. Auch für das umfangreiche Regieteam gab es Applaus. Nach sieben Minuten spendete das Publikum stehend Applaus, aber nach neun Minuten würgte ein brutal herabfallender Vorhang wie eine Guillotine den Vorhang ab. Wir hääten gerne weitergeklatscht, aber ein Opernbesucher in meiner Nachbarschaft meinte trocken: Die wollen auch irgendwann nach Hause kommen.


Nach der erfolgreichen Premiere war das hochverehrte Publikum zur Premierenfeier eingeladen, auf der der neue Intendant die zweitlängste Danksagung an die Mitwirkenden inszenierte, die ich je miterleben durfte. Als er endlich geendet hatte, wurde das Publikum mit Quiche und Nudeln gestärkt. Auf dieser Premierenfeier war meiner Erinnerung nach mehr Besucher als auf allen anderen, an denen teilzunehmen mir vergönnt war. Unten ein paar dabei entstandene Bilder.


Touristischer Hinweis:

Hinter der Oper findet an Wochentagen bis 13:00 der Kaiser-Josef-Markt statt, ein breitgefächerter Lebensmittelmarkt mit mehreren Imbissen und Cafés. Er ist benannt nach Kaiser Josef II., Sohn der Maria Theresia, der die Aufklärung in Österreich förderte.




Olympia und Giulietta



Muse und Antonia



Kostümbildnerin und Widersacher

















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