Fakten und Thesen zur Neufahrner
Spange / Juli 1995
In den nächsten Jahren wird in
Form der Neufahrner Spange eine zweite S-Bahn-Verbindung von München
zum Flughafen entstehen. Damit diese Verbindungsspange zwischen den Linien
S1 und S8 den optimalen Nutzen für die Fahrgäste bringt, müssen
rechtzeitig die Konsequenzen der zu treffenden Planungsentscheidungen klar
sein. Einige aus Sicht des Fahrgastverbandes PRO BAHN wichtige Aspekte
sind im Folgenden aufgezählt.
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Für Fahrgäste aus dem Raum München
ist der Flughafen besser mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar
als die meisten anderen Ziele im MVV-Außenbereich. Eine weitere Verbesserung
des Flughafenanschlusses ist im Sinne der Mitarbeiter der am Flughafen
sitzenden Firmen und der Fluggäste. Diese beiden Gruppen sind bei
weitem nicht die Mehrheit der Fahrgäste im Raum München. Der
Flughafen nimmt beim Fahrgastaufkommen keine herausragende Sonderrolle
ein.
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Der Ausbau einzelner S-Bahn-Strecken auf
einen 10-Minuten-Takt ist nicht sinnvoll, solange auf anderen stark belasteten
Teilstrecken tagsüber nur alle 40 Minuten eine S-Bahn fährt.
Damit eine Taktverdichtung während der Hauptverkehrszeit nicht zu
Lasten anderer S-Bahn-Linien erfolgt, ist eine entsprechende Ertüchtigung
der Stammstrecke hierfür Voraussetzung. Welche Strecken zuerst auf
einen 10-Minuten-Takt verdichtet werden, sollte aufgrund der Belastung
in Spitzenzeiten entschieden werden.
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Die Neufahrner Spange ist ein erster Schritt
zur Abkehr vom derzeitigen Sternnetz bei der Münchner S-Bahn. Die
seit Jahren geforderte Südumfahrung der Innenstadt ist sowohl für
die Fahrgäste als auch aus städtebaulicher Sicht wichtiger. Eine
weitere Verzögerung der Realisierung dieser Südtangente wegen
des Baus der Neufahrner Spange darf nicht eintreten.
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Eine Querverbindung zwischen zwei S-Bahn-Linien
ist auch im Norden Münchens sinnvoll. Eine Verbindung die stadtnäher
liegt als die Neufahrner Spange (S-Bahn-Nordring) würde dem Großraum
München allerdings mehr Vorteile bringen.
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Die S1-Nord erschließt Wohn- und
Gewerbegebiete und ist daher in beide Richtungen und über die gesamte
Betriebszeit gleichmäßiger ausgelastet als andere Linien. Die
Vorteile einer Verknüpfung mit einer anderen Linie kommen dadurch
besser zum tragen.
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Eine Verbindung zum Flughafen über
die S1 ist sinnvoll, da sie als Flughafenzubringer ganz andere Gebiete
erschließt als die S8. Dieser Effekt wird durch die Verknüpfung
zwischen S1 und U-Bahn in Feldmoching noch verstärkt.
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Die S1-Nord ist stärker belastet
als alle anderen S-Bahn-Linienäste (Tagesdurchschnitt inkl. DB-Nahverkehr
bis Freising).
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Die Neufahrner Spange wird schon in der
Planungsphase entscheidende Anreize zum Ausbau der S1-Nord geben. Leider
ist es bei der Deutschen Bahn AG immer noch so, daß Entscheidungen
wesentlich häufiger zugunsten von betrieblichen Verbesserungen fallen,
als zugunsten von Fahrgastinteressen. Im Falle der Neufahrner Spange entsteht
durch den politischen Willen, den Flughafenanschluß zu verbessern
ein, ein Ausbaudruck auf die S1-Nord. Dieser Druck - zusammen mit der Forderung
der betroffenen Gemeinden nach einer integrierten Gesamtplanung für
Neufahrner Spange und S1-Ausbau - ist anscheinend wesentlich stärker
als der seit langem existierende Bedarf aufgrund des hohen Fahrgastaufkommens.
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Wird die Neufahrner Spange gebaut, muß
die S1 bis Neufahrn ganztägig im 20-Minuten-Takt fahren. Dies kann
bei dieser bereits gut ausgelasteten Bahnstrecke zu betrieblich Konflikten
zwischen Fernverkehr und S-Bahn führen. Eine nachhaltige Lösung
ist - ebenso wie im Osten auf der S8-Trasse - nur durch Trennung von S-Bahn
und Fernverkehr zu erreichen. In beiden Fällen existieren Forderungen
nach einem Tunnel, der bei der Lage der öffentlichen Haushalte nicht
zu realisieren ist. Außerdem binden Tunnelbauten Gelder, die für
andere dringende Maßnahmen im öffentlichen Nahverkehr sinnvoller
und effektiver eingesetzt werden können.
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Bei der Neufahrner Spange besteht - im
Gegensatz zu einer verstärkten Flughafenanbindung durch die S8 - eine
Alternative zum Ausbau der vorhandenen Strecke: Fernverkehr und Güterzüge,
die hauptsächlichen Lärmquellen, werden aus den Siedlungen herausgenommen
und auf eine Trasse entlang der Autobahn A92 verlegt. Dieser Vorschlag,
den PRO BAHN bereits vor einigen Jahren betroffenen Gemeinden gemacht hat,
wird inzwischen auch durch eine Studie des Planungsbüros Vieregg &
Rößler gestützt. 1) 2)
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Der überwiegende Anteil der Reisenden
zum Flughafen kommt aus dem Raum München. Hierbei darf der Anteil
der Nicht-Fluggäste nicht unterschätzt werden. Insbesondere aus
dem Einzugsgebiet der durch die Neufahrner Spange anzuschließenden
Bahnstrecken kommen viele Mitarbeiter der Flughafenfirmen. Hier besteht
ein Potential für eine echte Verlagerung von Verkehrsleistung von
der Straße auf die Schiene, das genutzt werden sollte. Voraussetzung
ist eine Flächenerschließung durch Buslinien als Zubringer zu
den S-Bahnhöfen.
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Die Fahrzeiten der S1 und der S8 zum Flughafen sind ab Innenstadt etwa gleich.
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Bei einem vernünftigem Fahrplan kann
man ab den Innenstadtbahnhöfen immer die nächste S-Bahn nehmen,
egal ob S1 oder S8. Am Marienplatz sind wegen unterschiedlicher Bahnsteige
technische Informationsmaßnahmen notwendig.
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Die beiden Linien sollten am Flughafen
und im Bereich Hauptbahnhof / Stachus jeweils um 10 Minuten versetzt fahren.
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Die meisten Fahrgäste aus dem S-Bahn-Bereich
wollen in den Raum Innenstadt. Daher macht es auf der S1 zur Zeit wenig
Sinn, wertvolle Fahrplantrassen für Züge zu opfern, die nicht
dorthin fahren. Eine zusätzliche Anbindung zum Beispiel nach Pasing
ist zu begrüßen, kann aber erst durchgeführt werden, wenn
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auf der S1-Strecke alle 10 Minuten eine S-Bahn fahren kann,
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im Bereich Nymphemburger Kanal /
Laim ein Umsteigebahnhof existiert, an der von jedem nicht in die Innenstadt
fahrenden Zug am gleichen Bahnsteig und ohne Zeitverlust in Richtung Innenstadt
umgestiegen werden kann.
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Die Neufahrner Spange muß so gebaut
werden, daß über eine Verbindungskurve nach Norden ein Anschluß
in Richtung Freising sowie in die Region Nord-Ost-Bayern möglich ist.
Die nördlich von Freising angedachte Marzlinger Spange brächte
für den Raum Freising strukturelle Nachteile und ließe sich
nur mit starken Eingriffen in die Natur (Isarhangkante) realisieren. Sie
wird daher von PRO BAHN abgelehnt. Ein weiterer Vorteil einer Verbindungskurve
südlich von Freising ist, daß sofort ein Umsteigeanschluß
zum Flughafen in Freising hergestellt werden kann, für den andernfalls
ein zusätzlicher Fernzughalt in Neufahrn erforderlich wäre.
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Eine Verbindungskurve Freising - Flughafen
wird zusammen mit dem geplanten Ringschluß vom Flughafen in Richtung
Erding eine Schieneninfrastruktur für die Entwicklungsachse Freising
- Erding schaffen. Die Nutzung der Verbindung nach Erding bei einem Weiterbau
in Richtung Mühldorf auch für den Fernverkehr würde jedoch
unter anderem eine Erweiterung Flughafenbahnhofs erfordern.
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Es wird auf absehbare Zeit keinen wesentlichen
Fernverkehr zum Flughafen geben. Der Bedarf hierfür ist verglichen
mit dem Ziel München Hauptbahnhof äußerst gering. Es führt
zu einer Verärgerung der Mehrheit der Fahrgäste, wenn man sie
zwingt, in Pasing oder Augsburg umzusteigen, um das Ziel München Hauptbahnhof
zu erreichen.
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Die Neufahrner Spange wird zum Teil mit
Geld gebaut, das dem öffentlichen Verkehr (ÖV) anders nicht zur
Verfügung stände. Da diese Maßnahme politisch begründet
ist und nicht durch einen Bedarf im Sinne des öffentlichen Nahverkehrs,
ist darauf zu achten, daß auch die Folgekosten zum Teil durch ÖV-externe
Quellen abgedeckt werden. 3)
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Wenn die politische Konstellation zur
Zeit so ist, daß für den Anschluß des Flughafens Gelder
bereit gestellt werden, die für den Ausbau hochbelasteter S-Bahn-Strecken
nicht zur Verfügung stehen, und wenn in Form der Neufahrner Spange
die Deutsche Bahn AG eine Planung vorlegt, die es gestattet, daß
eine auf diese Art finanzierte Maßnahme auch "normalen" Fahrgäste
zugute kommt, kann PRO BAHN die Realisierung dieses Projekts nur begrüßen.
Eine politische Konstellation, bei der Entscheidungen auf mehr rationaler
Basis getroffen würden wäre uns allerdings lieber. Fehlentscheidungen,
wie der U-Bahn-Bau nach Riem, binden Investitionsmittel und erzeugen Folgekosten,
die an anderer Stelle - z. B. beim S-Bahn-Ausbau - dringend benötigt
werden.
Als Fazit der aufgelisteten Fakten und Thesen ergibt sich aus Sicht von PRO BAHN:
Auch wenn die Neufahrner Spange nicht
die dringlichste Maßnahme zur Verbesserung des öffentlichen
Verkehrs im Raum München darstellt, enthält sie jedoch Potentiale,
die es für die Fahrgäste zu nutzen gilt. Damit diese Potentiale
auch wirklich genutzt werden, müssen jetzt die richtigen Entscheidungen
getroffen werden. Parallel dazu müssen andere dringend notwendige
Ausbaumaßnahmen im S-Bahn-Netz mit verstärktem Einsatz aller
Beteiligten weiterverfolgt werden.
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1) "Untersuchung von Alternativen
zum geplanten Ausbau der Bahnstrecke München - Freising", Vieregg
& Rößler GmbH Innovative Verkehrs- und Umweltberatung, Dezember
1994, Herausgeber: Gemeinde Unterschleißheim.
2) Zur Lärmschutzproblematik und Autobahntrasse:
Eine Führung entlang der Autobahn
hätte auch für autobahn-nahe Gebäude Vorteile: Durch den
zwingend vorgeschrieben Lärmschutz bei Neubaumaßnahmen wird
nicht nur der Bahnlärm, sondern auch der Autolärm reduziert.
Ein weitergehender Lärmschutz
für die Anwohner der bestehenden Strecke wäre durch aktive Lärmschutzmaßnahmen
an den S-Bahn-Fahrzeugen zu erreichen. Diese Maßnahmen kämen
- im Gegensatz zu einem nur lokal wirksamen Tunnel - allen Anwohnern von
S-Bahn-Strecken und auch den Fahrgästen zugute.
Bei der Autobahntrasse bietet sich
eventuell auch eine integrierte Planung gemeinsam mit einer aus Richtung
Ingolstadt zu erfolgenden Einführung der ICE-Neu- bzw. Ausbautrasse
in den Großraum München ein. Auch entlang der geplanten ICE-Trasse
gibt es bereits massive Anwohnerproteste.
3) Zu Folgekosten bei politisch gewollten Investitionen:
Diese Problematik spielt auch bei
der S8 und bei der U-Bahn zur Messe Riem eine große Rolle und wird
uns vermutlich in Zukunft - bei knapper werdenden öffentliche Kassen
- noch häufiger beschäftigen.