Dieser Text basiert auf einem Artikel
für die PRO BAHN Post August 2016.
Bearbeitungsstand: 22.7.2016

 

Quellen und Querverweise
 

 

S-Bahn ohne Halt

Ende Juni tauchten mehrere Presseberichte zu S-Bahnen auf, die an Haltestellen durchgefahren waren. Dabei lag kein Fehler des Lokführers vor, sondern es handelt sich um eine Variante der Reaktion der DB auf Verspätungen und Störfälle. Genannt wurde zunächst die S3 nach Maisach; seitens der DB wurde aber klar gemacht, dass man diese Maßnahme auch auf anderen Strecken durchführt.

Bei dem in der Presse angeführten Beispiel wurde in der abendlichen Hauptverkehrszeit von Lochhausen ohne Halt bis Maisach gefahren. Zum einen ist das in Lastrichtung, zum anderen haben zwei der ausgelassenen Stationen – Gröbenzell und Olching – jeweils ein deutlich höheres Fahrgastaufkommen als Maisach.

Aus Sicht der Fahrgäste ist es zunächst keine große Zumutung, bei einem 10-Minuten-Takt auf den nächsten Zug zu warten. Man muss aber davon ausgehen, dass die folgende S-Bahn ebenso verspätet ist wie diejenige, die man verlassen muss. Außerdem wird der Folgezug deutlich voller sein.

Natürlich hat die S-Bahn Gründe für ihr Vorgehen. Zunächst will man, dass ein verspäteter Zug möglichst schnell wieder pünktlich wird. Kommt er das nächste Mal von Maisach nach Pasing, soll er sich in die Stammstrecke einfädeln, ohne andere Züge zu behindern. Und zumindest für die Fahrt ab Maisach gegen die Lastrichtung muss man keine Pönale zahlen. Allerdings liegt es auch am Zuschnitt der Infrastruktur – an dem die DB nicht ganz unschuldig ist –, dass vorzeitiges Wenden oft nicht dort möglich ist, wo es aufgrund der Fahrgastzahlen sinnvoll wäre. Diese Tatsache zeigt sich auch bei Baustellen, wenn viel zu lange Streckenabschnitte gesperrt werden müssen, weil Wendemöglichkeiten fehlen.

Die Zahl der betroffenen Zugfahrten soll in Relation zum gesamten S-Bahn-Betrieb nur im Promillebereich liegen. Aber was heißt das bei der üblichen Zählweise der DB schon? Es ist fast immer die Hauptverkehrszeit (HVZ) betroffen – ein Zeitraum, in dem wohl zehnmal mehr Fahrgäste unterwegs sind, als in Schwachlastzeiten. Aber auf Kunden statt auf Züge zu schauen setzt eine Kundenorientierung voraus, die man bei der DB leider in vielen Bereichen vermisst.

Entsprechend hat PRO BAHN aufgrund der Vorfälle erklärt, dass man trotz der Begründung der DB kein Verständnis für das Vorgehen hat, insbesondere wenn gut frequentierte Bahnhöfe betroffen sind und es über Einzelfälle hinaus geht.

Die Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG) sieht laut Süddeutscher Zeitung im Auslassen von Haltestellen "zumindest kein größeres Problem". Es sei Aufgabe der S-Bahn, die "hierfür richtige Entscheidung eigenverantwortlich und wohlüberlegt zum Vorteil der Mehrzahl der Fahrgäste" zu treffen.

Diese Haltung der BEG ist nicht gerade ein Ansporn dafür, dass es bei der Münchner S-Bahn besser wird. "Eigenverantwortlich" ist ein Freibrief des eigentlich verantwortlichen Auftraggebers an die DB. Und es kann auch nicht immer nach der "Mehrzahl der Fahrgäste" gehen. Die S-Bahn lässt ja systematisch immer die gleichen Halte aus – es trifft also immer wieder dieselben Fahrgäste. Das gilt auch für das häufig vorkommende vorzeitige Wenden von Zügen, dass im Gegensatz zu den beschriebenen Beispielen auch im 20-Minuten-Takt die Fahrgäste an den Stationen stehen lässt.

Alle Fahrgäste – egal ob sie an Abschnitten zu- oder aussteigen, die der S-Bahn das Auslassen von Stationen einfach machen, oder nicht – zahlen nach dem gleichen MVV-Tarif. Es ist sogar so, dass weiter draußen, wo eher mal ein Zughalt wegen vorzeitigem Wenden oder Vorbeifahren am Bahnsteig entfällt, die Fahrgäste im Durchschnitt deutlich mehr für ihre Fahrkarten zahlen, als im inneren Bereich rund um München. Sie sind damit eigentlich die treueren Kunden der S-Bahn und werden umso öfter dafür bestraft. Die Fahrgastrechte des Staatskonzerns DB sind leider so aufgebaut, dass S-Bahn-Pendler praktisch keine Chance haben, für ausgefallene Halte oder Züge einen Ausgleich zu bekommen.

Wenn aber der monetäre Druck fehlt, und gleichzeitig die BEG einen Freibrief erteilt, kann es nur immer schlechter werden. Genau das beschreibt aber die Entwicklung der letzten Monate und Jahre.

In einem Merkur-Artikel liest man auch die Aussage "Ich will an dieser Dispositionsentscheidung festhalten" von S-Bahn-Chef Weisser. Aber heißt das nicht gleichzeitig: "Ich will an diesem Spar-Fahrplan festhalten"? Man kann nicht erwarten, dass ein System wie das der Münchner S-Bahn mit fünf Minuten Wendezeit an Endstationen stabil funktioniert. Um das zu ändern müsste man halt mehr Züge fahren lassen, und man hätte in der Vergangenheit etwas sorgfältiger planen müssen: zum Beispiel mehr Wendegleise, damit man auch Platz für längere Wendezeiten hat, oder den immer wieder verschobenen Umbau am Pasinger Bahnhofs-Westkopf.

Letztlich hat sich die DB unter Anleitung diverser bayerischer Verkehrsminister in diese Situation hinein manövriert. Mehr als zehn Jahre lang wird einseitig auf einen zweiten Stammstreckentunnel gesetzt. Kleinere Ausbauten zur Stabilisierung des Fahrplans gab es viel zu wenige. Angefangen mit der Lage in Pasing, über den Ostbahnhof, das Werk in Steinhausen, bis zu den Außenstrecken.

Mit viel Pomp wurde vor vielen Jahren dort, wo es möglich war (und nicht unbedingt da, wo es nötig wäre), der 10-Minuten-Takt in der Hauptverkehrszeit eingeführt. Heute ist eigentlich klar, dass man damit ein Fahrplankonstrukt geschaffen hat, das nicht dauerhaft stabil fahrbar ist. Was wir erleben, ist ein Fahrplan auf Abruf. Wenn es gut läuft, fährt man die Taktverdichter, wenn man Probleme hat, lässt man es sein, oder lässt Stationen aus. Und Probleme hat man fast täglich!

Es ist im Prinzip ein positives Ziel, Züge so schnell wie möglich wieder pünktlich zu bekommen. Aber zu einen kann das nicht die oberste Maxime sein, sondern es muss darum gehen, den Schaden der auf Kundenseite entsteht, zu minimieren. Da muss man auch mal eine längere Verspätung in Kauf nehmen, wenn im Gegenzug Fahrgäste mitgenommen werden können, die sonst stehen bleiben. Und zum anderen wären die Ziele der DB akzeptabler, wenn eine Rückkehr zum Fahrplan wirklich flott gelingen würde. In Realität ziehen sich die Störungen aber über Stunden hin, obwohl man mittels vorzeitiger Wenden und Auslassen von Halten sehr viele Menschen stehen lässt. Für viele Fahrgäste verstärkt die DB durch Störfallprogramme die negative Wirkung, statt sie abzumildern!

Natürlich ist die ingenieurmäßige Sicht auf die S-Bahn als technisches System wichtig. Nur so kann das Zusammenspiel von Infrastruktur und Fahrplan erfasst und geplant werden. Für ein Unternehmen, das mit Kunden zu tun hat, ist aber die andere Sichtweise mindestens ebenso wichtig: es geht um Fahrgäste, um real existierende Menschen, um deren Nöte und Erwartungen. Würde man diese Sichtweise anwenden, hätte man sofort erkannt, dass für sowieso schon unter Verspätung leidende Kunden ein am Bahnsteig vorfahrender Zug, oder der Zwang, den Zug kurz vor Erreichen des Ziels zu verlassen, eine ziemliche Provokation ist. Noch schlimmer wird es, wenn jemand eine Durchsage nicht mitbekommt oder versteht, und zwangsweise zu einer Station befördert wird, wo er nie hin wollte.

Der allergrößte Teil der Probleme der DB besteht darin, dass sie diese Sichtweise nicht beherrscht, dass sie nicht in der Lage ist, die Perspektive ihrer Kunden anzunehmen. Die dann immer wieder aufflammende teils extrem negative Berichterstattung ist die unmittelbare Folge dieser Unfähigkeit. Im ÖPNV stehen die DB und die S-Bahn München damit leider nicht alleine – auch andere Verkehrsbetriebe weisen entsprechende Mängel auf. Bezeichnend ist beispielsweise, dass man erst in diesem Jahr den Branchentreff "Deutscher Nahverkehrstag" unter das Motto "Entdeckung des Fahrgastes" stellte. Das ist sicher nicht nur für PRO BAHN um Jahrzehnte zu spät.

Edmund Lauterbach

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