Dieser Text basiert auf einem Artikel
für die PRO BAHN Post Dezember 2017.
Bearbeitungsstand: 14.11.2017

 
 

 

Verkehrswende in Zürich – mehr Autos in München

Anfang November konnte man in einer Pressemitteilung lesen, dass die Stadt Zürich den selbst gesetzten Ziele einer Reduzierung des motorisierten Individual­verkehrs (MIV) sehr nahe ist. Zitat:
"Der Anteil des ÖV, Fuss- und Veloverkehrs als Haupt­verkehrs­mittel am Stadtzürcher Gesamt­verkehr ist zwischen 2010 und 2015 um gesamthaft 5 Prozent­punkte auf total 75 Prozent gestiegen. Vor allem der ÖV und der Velo­verkehr haben zugelegt. [...] Der Anteil des motorisierten Individual­verkehrs als Haupt­verkehrs­mittel nahm zwischen 2010 und 2015 um fünf Prozent­punkte ab und liegt nun bei 25 Prozent – dem tiefsten Anteil aller Städte im Städte­vergleich. Auch europaweit erreicht Zürich mit 25 Prozent MIV-Anteil einen Tiefstwert und belegt damit einen absoluten Spitzen­platz."

Auch anderen Schweizer Städten ist etwas gelungen, von dem deutsche Städte träumen: das Verkehrs­wachstum wurde durch Öffent­lichen Verkehr und Radverkehr aufgefangen. Nicht nur, dass wir in Deutschland weit weg von solch einer Entwicklung sind, die Tendenz läuft dank stümper­hafter Verkehrs­politik von Bund, Ländern und Kommunen genau in die falsche Richtung: Der Autoverkehr wächst.

Beispiel München: Die Abend­zeitung vermeldet "Immer mehr Autos im Stadtgebiet", der Bayerische Rundfunk nimmt sich den Nöten der Autofahrer an: "Bremst München die Autofahrer bewusst aus?" und auch in den Stadtvierteln gibt es Zustimmung dazu, etwas zu opfern, um "Mehr Platz für Autofahrer" (also eigentlich für Autos) zu schaffen.

Dagegen kommt man in der bayerischen Hauptstadt mit dem Trambahn­ausbau nicht weiter und der U-Bahn-Bau ist bekanntlich nicht ganz billig und dauert auch eine Weile. Der einzige Bereich, in dem man sofort etwas tun kann – mehr Buslinien, mehr und längere Busse – hilft bei Stau nicht sonderlich weiter (selbst der Sinn von Busspuren wird in München angezweifelt), und führt zu Platz­problemen an Knotenpunkt-Haltstellen. Bezüglich Fahrrad­freund­lich­keit kann die selbsternannte "Radl­haupt­stadt" viel besser schöne Konzepte aufstellen, statt wirklich etwas zu tun.

Überhaupt kein Rezept hat München gegen Gehsteig­parker in Wohn­gebieten. Es gibt Gegenden, da ist man als Fuß­gänger – insbesondere mit Gepäck oder Kinder­wagen – gezwungen, auf der Fahr­bahn zu laufen, weil der Gehweg von immer größer werdenden PKW blockiert ist. Jede Art von Unrechts­bewusst­sein prallt am vermeint­lichen Recht ab, sein Auto in Reich­weite zu parken, also letzt­lich am Recht des Stärkeren – eine Philosophie wie im Mittel­alter, bei der die Rück­sichts­losig­keit zunimmt und die Stadt München zuschaut. Dass nebenbei dann auch Halte­stellen und Tram­trassen zugeparkt werden, ist ein dem ÖV-Nutzer bekannter Neben­effekt.

Warum geht es nicht nur in München, sondern in fast allen deutschen Städten, in die falsche Richtung? Es entsteht der Eindruck, dass man sehenden Auges in ein immer größeres Dilemma hinein rennt. Finden "Lobby-Manöver", wie sie die Auto­industrie erfolgreich in Brüssel veranstaltet, um ihre miesen Abgas­werte behalten zu können, auf allen Ebenen statt? In Rathäusern, Ämtern und Ministerien? Liegen die Ursachen des Versagens mehr in der Unfähigkeit der Verantwortlichen in Stadt und Land begründet, oder in deren mangelndem Willen? Oder sind die Deutschen einfach anders gestrickt als die Schweizer und die Verkehrs­wende bleibt hier ein unerreich­bares Ziel?

Für Leute und Verbände, die etwas ändern wollen, sind die Verhält­nisse extrem mühsam. Die Politik ist inzwischen sehr geübt darin, Forderungen zwar zuzustimmen, und sie mit Worten zu unter­stützen, aber wenn es um konkrete Aktionen geht, passiert so gut wie nichts. Diese demotivierende politische Strategie hat dazu geführt, dass ehren­amtliches Engagement sehr kräfte­zehrend geworden ist. Man braucht einem langem Atem und möglichst viele Verbündete. PRO BAHN Ober­bayern ist Mitglied im Aktions­bündnis für saubere Luft in München, beim dem die Verkehrs­wende das Ziel aller Bemühungen ist. Der Ausbau des Öffent­lichen Personen­verkehrs (ÖPNV) ist dabei einer der wichtigsten Bausteine.

Zürich werden wir nicht mehr einholen – die Schweizer kann man ob ihrer Haltung zu Verkehrs­fragen und ihrer Verkehrs­politik nur beglück­wünschen und beneiden. Daran, dass sich auch das Autoland Deutschland und die BMW-Stadt München in Richtung Verkehrs­wende bewegt, arbeiten wir. Und je mehr Unter­stützung wir bekommen, umso besser sind unsere Chancen.

Edmund Lauterbach

 

Querverweise (zum Teil bereits im Text)

 


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