Gnadenlos lebensechter »Hoffmann« in Basel

www.theater-basel.ch

Besuchte Vorstellung 17. September 2014 (Premiere)







Regie


Elmar Goerden

Dirigent


Enrico Delamboye

Chorleitung


Henryk Polus

Bühnenbild


Silvia Merlo, Ulf Stengel

Choreografie


Galina Gladkova-Hoffmann

Kostüme


Lydia Kirchleitner

Version


Kaye-Keck

Sprache


Französisch




Hoffmann


Rolf Romei

Muse


Solenn´ Lavanant-Linke

Olympia


Agata Wilewska

Antonia


Maya Boog

Giulietta


Sunyoung Seo

Widersacher


Simon Bailey






Fazit Basel: Ein echter Paukenschlag zum Saisonauftakt. Nachdem der Schweizer Regisseur Christoph Marthaler in Madrid diese Oper unter entwürdigenden Umständen beerdigte, ließ sie Elmar Goerden aus Viersen am Niederrhein, tätig u.a. in München und Bochum, in Basel glanzvoll wieder auferstehen. Er inszenierte einen »Hoffmann« voller Esprit mit einem Feuerwerk an werkskonformen Einfällen, allerdings völlig illusionslos. Ausgefeilte Schaupielkunst und Bewegungsregie sowohl in Komödiantik wie auch Tragik. Es gab keinen Leerlauf, jede Sekunde war was los. Es wurde gut gesungen und hervorragend musiziert. Besonderes Lob verdient auch der präzise singende Chor, der 2012/13 zum Opernchor des Jahres gewählt worden war. Dazu ein zwar spartanisches, leicht existenzialistisch-trashiges aber passendes Bühnenbild mit ein paar ungewöhnlichen Lokationen. Vom Stil der Inzenierung her ein Grenzgang zwischen Schauspiel und traditionellem Musiktheater, wobei von beiden Genren das Beste präsentiert wurde. Viel Romantik gab es nicht, dafür aber knallhartes Leben in allen seinen Facetten. Die Basler Inszenierung ragt durch ihre offene und lebensnahe Darstellung menschlicher Situationen ohne Schnörkel und werksfremde Chinoiserien aus der Masse der »Hoffmänner« heraus.

Besprechung in den Badischen Nachrichten hier.



Vor zwei Jahren sah ich einen »Hoffmann« im Festspieltheater Selzach und stieg dabei in Basel um, schlenderte durch die Stadt und bewunderte das schöne neue Theater im Zentrum von außen. Nun besuchte ich es zu einer »Hoffmann«-Premiere. In den 70er Jahren beschloss man, das alte Theater abzureißen und einen Neubau zu wagen, der 1975 eröffnet wurde. Ein gelungenes modernes Haus mit ungefähr 1000 Plätzen in einer Stadt mit 180.000 Einwohnern im Dreiländereck Schweiz – Deutschland – Elsass. Vor dem Theater ist ein größerer Teich mit beweglichen Eisenstrukturen des Basler Künstlers Jean Tinguely.



Während man von den Presseabteilungen der Theater in den lateineuropäischen Ländern wie Paris, Lyon, Barcelona, Monaco, Mailand und Madrid keine Antwort auf die Bitte um eine Pressekarte zu bekommen pflegt (Ausnahmen Nizza, Dijon und Rouen), antwortete das Theater Basel innerhalb von Stunden. Das war schon mal ein guter Auftakt, der sich bis zum Schlussvorhang in Begeisterung steigerte. Die Schweiz ist sehr fleißig, was das Inszenieren von »Hoffmännern« in den letzten Jahren angeht: Luzern, Genf, Bern, Zürich, Selzach, Winterthur (Gastspiel Magdeburg) und nun endlich Basel. In keinem Land außer dem viel größeren Deutschland sah ich, der Fantomas der Oper Hoffmanns Erzählungen, seit Ausbruch meiner Hoffmannie mehr »Hoffmänner«. Bitte weiter so. Es gibt noch die eine oder andere eidgenössische Opernbühne ohne »Hoffmann« in den letzten Jahren. Alle Schweizer »Hoffmänner« waren in ihrer Art gut. Aber der Basler war der avantgardistischste. Auch die Luzerner Interpretation Peter Carps ging erfolgreich in diese Richtung, verzichtete aber auf ein Bühnenbild, was beim Publikum nicht gut ankam. Psychologisch vertieft war die Berner Inszenierung.


Ein Basler Journalist hatte mir geflüstert, dass ich mich auf einen experimentellen »Hoffmann« freuen könne. Der Basler Intendant Georges Delnon, unter dessen Leitung das Basler Theater zwei Mal hintereinander von Kritikern der Fachzeitschrift Opernwelt zur Opernbühne des Jahres im deutschsprachigen Raum gewählt worden war, hatte gemeint, er wolle etwas riskieren, da er in der nächsten Spielzeit ohnehin als Intendant an die Staatsoper Hamburg wechseln werde.



Der Bericht aus Basel ist mir eine höchst angenehme Pflicht, zu der ich mich gerade mit einem Schluck ausgezeichneten Bio-Federweißen (Sauser) aus einer Flasche mit dem Etikett »Hoffmann« einstimme. Das moderne und stilvoll mit viel mittelbraunem Holz gestaltete Theater war voll bis auf ein paar wenige Plätze, die üblichen No-Shows. Vom Stil erinnerte es mich an die großartige neue Oper in Oslo. Das Publikum war altersmäßig gut durchmischt und meist elegant gekleidet. Im Orchestergraben zählte ich vier Kontrabässe und fünf Celli und außerdem ein paar Dutzend Chorsänger, wenn ich mich nicht täuschte. Die Übertitel waren auf Englisch und Deutsch.


Freundlicher Applaus empfing Maître Enrico Delamboye, italienischer Vorname und französischer Nachname, mit Eltern aus den Niederlanden in Deutschland geboren und auch dort aufgewachsen, den ich schon in Köln als »Hoffmann«-Dirigent erlebt hatte. Er war wesentlich an der Erarbeitung der Spielversion des Basler »Hoffmann« beteiligt. Der Vorhang der breiten Bühne ging auf. Ein unglücklich wirkender Hoffmann stand auf der Bühne. Zwei silberne Damenschuhe fielen vom Himmel herab. Eine Reverenz an die Verfilmung dieser Oper mit der Ballerine Moira Shearer 1951, die ich als Jugendlicher in der danach hergestellten deutschen Version sah und mich für diese Oper begeisterte?



Energisch und noch erträglich schnell, dann aber fein nunanciert in Tempo und Lautstärke kamen die Auftaktakkorde. Hoffmann hob die Schuhe auf, und goldener Staub rieselte aus ihnen. Eine intellektuell wirkende Frau mit einem Hauch einer Domina saß auf einem Müllcontainer. Die konnte nur die Muse sein. Mit feuriger Stimme stellte sie sich vor und bewarf Hoffmann mit Sternenstaub. Dann gab Hoffmann der spärlich bekleideten Muse eine Hose und eine Jacke zum Anziehen. .


Hoffmann und Lindorf


Dann gab Hoffmann höchstpersönlich den ersteigerten Brief Stellas an Lindorf. Daraufhin übergab er ihm auch noch den Schlüssel zu Stellas Garderobe. Das war eine neue Konstellation. Ein lebhafter Lindorf stellte sich mit eher hellem Bariton vor. Und schon gab es den ersten Ansatz zu einem Szenenapplaus, aber das Orchester spielte weiter.


Die im Orchestergraben stehenden Herren waren tatsächlich ein Teil des Chors gewesen. Dann hatten sie sich schnell umgezogen und standen einheitlich gekleidet auf der Bühne, die Muse unter ihnen. Höchst dynamischer Gesang erfreute das Ohr. Eine mir bisher unbekannte Trias Hoffmann+Muse+Lindorf stand friedlich zusammen. Das war neu. In Dmitri Bertmans richtungsweisender Inszenierung für die Moskauer Helikon-Oper, die ich in Tartu gesehen hatte, kollaborierten die Muse und der Widersacher, identisch gekleidet. Das macht auch Sinn, denn Hoffmann soll von seinen aussichtslosen Abenteuern abgebracht und seiner eigentlichen Bestimmung, der Kunst, zugeführt werden. Ich darf vorausschicken, dass in Elmar Goerdens Basler Inszenierung Hoffmann offensichtlich mit seiner Bekehrung einverstanden war und sich den beiden in einer Art Psychoanalyse und/oder Exorzismus auslieferte. Das hatte ich so noch nicht erlebt. Und es macht auch Sinn.



Als Hoffmann zum Klein-Zach anhob, hielt die Muse den Rahmen einer Puppenbühne in die Höhe, aus dem heraus sie eine Kasperlpuppe agieren ließ. Als Hoffmann zu Stella überging, streichelte der Kasperl den traurigen Hoffmann. Nun gab es den ersten richtigen Szenenapplaus, für den Klein-Zach. Dann ging Hoffmann an den Müllcontainer, holte seine weggeworfenen Manuskripte wieder heraus, musterte sie und warf sie wieder weg. Damit endete der erste Akt/das Vorspiel. Es dauerte erträgliche 31 Minuten. Der Sänger des Basler Hoffmann war ideal für diese Rolle. Er sang mit schönem leichtem Tenor und viel Schmelz, und agierte ideal für diese Rolle, nämlich als sensibel-fragiler Charakter,


Spalanzani


Übergangslos befanden wir uns im Olympia-Akt. Der Bühnenhintergrund war bisher schwarz gewesen. Dann ging ein großes helles Rechteck auf, und wir befanden uns in Spalanzanis Labor. Im Hintergrund entstand Olympia als Projektion. Hoffmann tauchte als Student auf und trug eine große Mappe unter dem Arm. Die Muse schien bei Spalanzani als Putzfrau angestellt zu sein. Sie erfreute das Publikum mit einer lebhaft vorgetragenen Vogelarie, die mit spontanem Applaus belohnt wurde. Dann besang Hoffmann die Olympia, obwohl die gar noch nicht zu sehen war. Na, waren wohl projektive Männerfantasien. Und es gab lebhafte Interaktionen Hoffmann – Muse – Coppelius. Spalanzani saß übrigens im Rollstuhl. Scheint eine Schweizer Spezialität zu sein. In Luzern war er blind gewesen.


Noch eine weitere Szene verstand ich nicht gleich: Eine Gruppe Kinder mit zugeklebten Augen kam herein. Sie hatten eigentlich keine Aufgabe in diesem Akt, die ich erkennen konnte. Opernfreund und -experte Herbert klärte mich auf: Spalanzani kann zwar Automaten herstellen, aber für die Augen benötigt er die Expertise des Coppelius. Die Kinder waren also noch nicht fertig. Spalanzanis Gäste waren wie die Muse in Arbeits-Blau gekleidet. Endlich kam Olympia herein. Sie war gestylt als ziemlich bescheuertes Doofchen, das auf einem in knallig pink gestrichenen Pferdchen hereinrollte. Präzise wie selten und schnell sang der Damenchor: Elle a des belles yeux … Anstelle einer Harfe hielt Cochenille eine CD hoch.


Olympia und Hoffmann


Hoffmann konnte sein Glück gar nicht fassen, als ihm Cochenille einen Strick in die Hand gab, dessen anderes Ende am neonleuchtenden Pferdchen befestigt war. Sein Strickende steckte er samt seiner Hand in die Hosentasche. Coppelius gab dem Verliebten eine Rose, die er mit verklärtem Gesicht der Olympia schenkte. Doch die entfernte schnöde alle Blätter und benützte den Stängel als Reitpeitsche.


Auf dem Pferdchen hopsend sang Olympia eine strahlende Arie, die mit kräftigem und verdientem Applaus und Jubel belohnt wurde. Als die Gäste zum Souper gingen, blieb die Musik bei dem begleitenden Takt hängen, der immer wiederholt wurden. Brilliant. Ein Feuerwerk von Einfällen.


Als Coppelius seine Rache wegen des geplatzten Schecks ankündigte, ging er mit einer Kettensäge in der Hand über die Bühne und schwenkte sie drohend. Die hätte er noch anwerfen können. Nun war dieser Akt in der Nähe einer Farce angelangt. Doch das Massaker fand abseits der Bühne statt, und Coppelius kam lediglich mit den Augäpfeln der Olympia zurück. Spalanzani wirkte völlig verzweifelt über den Verlust seiner Schöpfung. Hoffmann dagegen schien nicht weiter beeindruckt. Ein Anflug von Realitätsbewusstsein schien ihn erfasst zu haben. Game and act over, dann Pause.

Gang durch das schöne Theater mit seinem großen Foyer und gepflegter Gastronomie auf bestem Schweizer Niveau (und dank drastischer Euro-Abwertung gegenüber dem Schweizer Franken mit für Bundesdeutsche fast unerschwinglichen Preisen). Von den aufgeschnappten Wortfetzen her schien das Publikum zwar überrascht vom Stil der Inszenierung, aber durchaus angetan.


Antonia


Der Antonia-Akt zeigte uns eine nüchterne Baustelle, die von einem rotierenden Blaulicht nervös gemacht wurde. Der Müllcontainer stand wieder da, diesmal vor einem Bauzaun. Daneben eine kalte Imbissbude, deren Wirtin die Muse war. Auch hier keinerlei Romantik, und die Antonia sah eher aus wie eine Rockerbraut denn eine verträumte Nachwuchssängerin.


Voller Emotion sang sie ihr ergreifendes Auftaktslied von der entflohenen Taube. Ihr Vater war gestylt wie ein Musikant in einem jiddischen Schtetl, mit einer Geige unter dem Arm. Ich musste dabei an Jacques Offenbachs Vater denken, der Kantor in der jüdischen Gemeinde von Köln war, doch der Sohn geriet gar nicht auf die religiöse Schiene, komponierte nur ein einziges religiöses Stück und konvertierte schließlich gar zum Katholizismus, dem er aber auch keine Musik hinterließ. Ein echter pazifistischer Freigeist also.


Ein identisch gekleideter und gestylter Franz trat auf und sang von der METHODE ! Das hätte ich in einer sonst so sorgfältig gestalteten Inszenierung nicht erwartet. Die Muse applaudierte mitleidig, als Franz seinen Auftritt beendet hatte. Doch zum Ausgleich gab es meine geliebte Geigenarie. Dazu holte Hoffmann die Geige wieder aus dem Müllcontainer, die Vater Krespel vorher zertrümmert hatte. Sowohl für den Franz auch für die Muse gab es Applaus. Während der Geigenarie streute die Muse dem Hoffmann Sternenstaub ins Haar.

Dank an die Regie, Dramaturgie und musikalische Leitung, dass diese wunderschöne Arie, die erst ein Jahrhundert nach der Uraufführung dieser Oper auf die Bühne kam, nicht wie so oft gestrichen wurde. Sie ist in der Oeser- und in der in Basel gewählten (teuren) Kaye-Keck-Fassung enthalten, kann aber für die Guiraud-Choudens-Fassung dazugekauft werden.


Mirakel (dunkel) – Mutter und Antonia


Spontane Begrüßung Antonia – Hoffmann. Dann folgten schöne Duette der beiden, eifersüchtig beobachtet von der Muse, die übrigens durchgehend als Frau gekleidet war. Wie schon im Olympia-Akt wandelte ein Brautpaar in voller Montur über die Bühne.


Eine stumme Frau in einem Revuekleid kam auf die Bühne und heftete ein Säckchen mit einem Pulver an den Bauzaun. Das verstand ich auch nicht gleich. Auch hier wusste Opernfreund Herbert Rat. Die Dame könnte die Mutter gewesen sein, die hier als Drogenkurierin einen Beutel Crack oder Heroin in einem toten Briefkasten deponierte. Und der wurde auch geleert. Auf der Premierenfeier erfuhr ich, dass Amy Winehouse als Vorbild für die Basler Antonia gedient hatte. Ansonsten hauchte die Regie diesem Akt, der bei einigen anderen Inszenierungen gerne Längen entwickelt, pralles Leben ein. So entwickelte sich zwischen Mirakel und Vater Krespel eine heftige Kontroverse. Die dominante Rolle des Mirakel wurde knapp dargestellt: Mit einer herrischen Kopfbewegung scheuchte er z.B. den Hoffmann weg. Ansonsten war der Widersacher in der ganzen Oper ein eher sympathischer Charakter ohne Dämonie. Das alltägliche Böse ist eben immer und überall und fällt meist nicht auf.

Simon Bailey ist außerdem ein begnadeter Schauspieler, der dieser Rolle erstaunliche Farbe gab. Sonst werden die Widersacher meist ziemlich statisch gegeben.



Muse und Mirakel kollaborierten offensichtlich gegen Antonia. Als die Mutter erschien, gab der Quacksalber dem Mädchen eine Heroinspritze in den Arm. Antonia wurde richtig high. Die Mutter war strahlend gestylt wie eine Diva à la Marilyn Monroe in silbernen Schuhen und mit einer Federboa um den Hals. Das folgende Terzett wurde zu einer fröhlichen Revuenummer. Das Publikum wollte applaudieren, doch der Dirigent spielte weiter, wie die meisten an dieser Stelle. Das war irgendwie schade, denn dieses Terzett ist der musikalische Höhepunkt dieser Oper und verdient immer Applaus. Jedoch ist die Handlung an dieser Stelle an einem dramatischen Wendepunkt angelangt, und eine längere Pause für den zu erwartenden Applaus würde den Ablauf stören. Ein echtes Dilemma.



Hoffmann musste hinter dem Bauzaun mit ansehen, wie seine Antonia starb. Die Muse deckte die Tote zu. Erst dann durfte Hoffmann zu ihr. Mirakel schnippte triumphierend mit den Fingern, als Antonias Schicksal erledigt war. Mission accomplished. Nach einer Umbaupause ging es weiter mit dem Giulietta-Akt.


Hoffmann an der Zapfsäule


Der fand nun in der ungewöhnlichsten Lokation statt, in der ich je einen Giulietta-Akt sah: zwischen den Zapfsäulen einer Tankstelle. Dahinter wechselten Verkehrsampeln im Nebel mechanisch von Rot zu Grün. Eine Verkehrssituation also. Die Barkarole wurde mit Piccoloflöte begleitet. Giulietta war in ihrem schmucklosen Blümchenkleid nun nicht besonders erotisch gestylt. Dafür sang sie umso feuriger und mitreißender. Als Anstandswauwau befand sich ein Bischof in vollem Ornat auf der Bühne. Naja, es sollen ja schon Erzbischöfe in Bordellen den Liebestod erlitten haben, allerdings ohne Ornat.


Hoffmann erwies sich auch hier als Versager. Nachdem er einen Zapfschlauch genommen und Benzin auf den Boden gespritzt hatte, versuchte er vergeblich, das Benzin zu entzünden. Keines der Streichhölzer zündete, und Hoffmanns Selbstmordanschlag misslang.. Dappertutto spuckte eine Menge Diamanten aus, die von den Damen in Giuliettas Tankstellen-Boudoir begierig aufgesammelt wurden. Dann musste er die Spiegel-Arie singen, damit das Publikum nicht durch deren Ausbleiben verstört wurde. (Ich erlebte schon Premierenfeiern, auf denen Sänger von erbosten Besuchern angeraunzt wurden, weil sie statt der werksfremden Spiegel-Arie Jacques Offenbachs Originalmelodie aus der Kaye-Keck-Version zum Text gesungen hatten.)


Eine feurige Giulietta warnte den Hoffmann vor ihm drohenden Gefahren. Doch sie handelte nach Regieanweisungen Dappertuttos, die dieser hinter Hoffmanns Rücken gab. Natürlich merkte Hoffmann nicht, wie Giulietta immer wieder fragend zu Dappertutto blickte, was sie als Nächstes tun sollte. Doch Hoffmann wollte nicht hören, klar. Im Bordell denkt ein Mann auch nicht daran, dass er nur eine Schau abgezogen bekommt. Der Katzenjammer kommt später.


Dann hielt Dappertutto Hoffmann einen gerahmten Spiegel vors Gesicht. So wurde Hoffmanns Spiegelbild geraubt. Dappertutto nahm den Spiegel, verschwand damit und zerschlug ihn. Höhnisch hielt er den leeren Rahmen vor Hoffmanns Gesicht: du hast deine Seele verloren.



Dann folgte wieder einmal ein Sextett. Danach klatschte Dappertutto in die Hände: das Ensemble setzte sich in Positur, und Dappertutto fotografierte ein Gruppenbild mit Muse. Zum Duell Hoffmann – Schlehmihl erklang die Barkarole nun ohne Piccoloflöte. Eigentlich wäre es andersrum sinnvoller: zum Duett Muse – Giulietta ohne Piccolo wegen der romantischeren Atmosfäre, zum Duell mit Piccolo wegen der dadurch entstehenden Schärfe.



Das Duell war nun auch ungewöhnlich und unfair. Schlemihl ging am Rollator, und Hoffmann stülpte ihm unter Anleitung Dappertuttos eine Plastiktüte über den Kopf. Das war nun nicht ritterlich. Aber so ist das Leben. Doch Hoffmann wurde nicht glücklich mit dem Schlüssel zu Giuliettas Herz.



Während der a cappella-Chor erklang, streckte Hoffmann seinen Kopf aus dem Müllcontainer, und die Choristen schlugen entsetzt ihre Hände vor ihre Gesichter. Hier hätte nun die Oper auch aus sein können, doch nach einer kurzen Pause ging sie weiter. Ein ernüchternder Abgesang folgte. Wieder hatte es den Anschein, dass die Oper aus war, und zögernder Applaus begann. Doch dann erklang der ernüchternde Bläserchor.



Eine Greisengesellschaft zog über die Bühne und setzte sich in Positur. Das Ambiente hätte trister nicht sein können. Plattenbauten im Hintergrund, Müllcontainer und ein verlassener Bolzplatz. Hoffmann und Lindorf kamen zu der Greisengruppe, und Hoffmann hörte wieder nicht auf die Muse, die nun ein rotes Kleid trug. Dann tanzte Hoffmann mit Lindorf einen wilden Rock and Roll. Lindorf und Hoffmann tranken Sekt zusammen, dann ließ Lindorf die Sektflasche spritzen wie bei der Formel 1.


So ungefähr muss das von Dappertutto aufgenommene Bild geworden sein. Links von der Mitte vorne Hoffmann mit dem leeren Rahmen.




Doch eine göttliche Muse gibt so schnell nicht auf. Sie kam wieder und sang: Les cendres de ton coeur … und der gesamte Chor stimmte gewaltig ein. Dazu legte die Muse von hinten ihre Arme um Hoffmanns Hals und ihre Hände auf seine Brust. Und nun waren Hoffmanns Erzählungen aus.

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Theater Basel und bei der Fotografin Tanja Dorendorf von T+T Fotografie. Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Spontaner Applaus brandete auf. Der steigerte sich zum Jubel, als Hoffmann als erster und alleine auf die Bühne kam. Auch der ausgezeichnete Chor heimste Bravorufe und Jubel ein. Lauter Jubel auch für Olympia, Antonia, Giulietta und die Muse sowie für den souveränen Widersacher. Erneuter Jubel für Hoffmann, danach für Orchester und Dirigent. Auch das Regieteam bekam Applaus, in den sich ein paar wenige Buhrufe mischten, die aber schnell erstarben, weil niemand mit einstimmte. (Naja, bei einem bundesdeutschen Regisseur muss der eine oder andere Schweizer schon mal ein bisschen chauvinistisch sein). Dieser Applaus war gut inszeniert und dauerte neun Minuten.

Touristischer Hinweis für Basel: In der Fondation Beyeler findet zur Zeit eine Courbet-Ausstellung statt, die man vergessen kann, da sie fast nur unbekannte zweit- und drittklassige Werke des Malers enthält, die bestenfalls für Spezialisten der Maltechnik interessant sind. Außerdem sieht man die Standardwerke der Fondation nicht. Rausgeschmissene 19 Euro bzw. 25 Franken Eintritt. Geht noch bis Januar. Die permanente Sammllung war nicht zugänglich, der Eintritt der gleiche.






Nach der Premiere lud das Theater Basel sein Publikum zur Premierenfeier im Foyer ein. Es ergaben sich interessante Gespräche mit Besuchern und Mitwirkenden. Dabei entstanden folgende Bilder.




Man beachte die Namen der gastronomischen Kreationen. Sowas hatte ich noch nie gesehen.



Hoffmann


Der kompetente Dirigent aus den Niederlanden, mit dem sich trefflich über diese Oper fachsimpeln ließ.



Giulietta aus Korea



Englischer Widersacher und französische Muse erschrecken den Hoffmann


Antonia aus der Schweiz





Marc Lahó (vorne) aus Belgien, der auch den Hoffmann singt, mit Besucher auf der Premierenfeier, fotografiert von Frau Lahó.


Der Intendant (links mit Mikrofon) bedankt sich bei seinem erfolgreichen Ensemble. Rechts neben ihm mit Fliege der Regisseur, rechts neben Elmar Goerden mit roter Krawatte der Dirigent. Vorne die Choreografin.





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