Intelligenter »Hoffmann« mit überragender Stella, aber drastischem Ende in Lübeck



www.theater-luebeck.de



Besuchte Vorstellung am Freitag, dern13. November 2015

Premiere






Regie


Florian Lutz

Dirigent


Ryusuke Numajiri

Chorleitung


Joseph Feigl

Bühnenbild


Martin Kukulies

Kostüme


Mechthild Feuerstein

Version


Kaye-Keck

Sprache


Französisch




Hoffmann


Jean-Noël Briend

Muse


Wioletta Hebrowska

Stella, Olympia, Antonia, Giulietta


Fabienne Conrad

Widersacher


Gerard Quinn

Mutter


Raffaela Lintl











Fazit Lübeck: Das war mal wieder ein »Hoffmann« nach meinem Geschmack. Mutig und kreativ interpretiert, noch im Rahmen der Botschaft dieser Oper, mit einem Feuerwerk von Einfällen garniert, musikalisch perfekt begleitet, mit hervorragenden Stimmen in allen Rollen. Dazu ein einfallsreiches Bühnenbild mit passenden Kostümen. Zugegeben, das Ende ist gewöhnungsbedürftig und ist im Libretto so nicht vorgesehen, aber die Logik dieses Schlusses lässt sich nachvollziehen. Star des Abends und die beste unter den Guten war Fabienne Conrad, die alle drei Rollen großartig sang. Ich hatte sie schon vor einem guten Jahr in Rouen als Stella bewundern dürfen.


Es sind nun gut acht Jahre, dass ich fast alle »Hoffmänner« in Europa und manchmal darüber hinaus besuche. Erfreulicherweise darf ich feststellen, dass die Qualität der Interpretationen zunimmt und die Ausreißer seltener werden. Die letzten beiden waren die Bayerische Staatsoper 2011 und das Königliche Theater Madrid 2014, dessen Marthaler-Inszenierung im März in Stuttgart wiederaufgenommen wird und hoffentlich überarbeitet wurde. Nun hat das Theater Lübeck einen weiteren gelungenen, in Teilen sogar avantgardistischen »Hoffmann« präsentiert und wieder einmal bewiesen, dass die sogenannte Provinz oft kreativer ist als die Metropolen. Wenn es nicht so weit wäre von München nach Lübeck, würde ich mir den lübscher »Hoffmann« gerne noch ein paar Mal ansehen.


Das Lübecker Theater liegt in der Altstadt, wurde 1908 in Jugendstil erbaut und im 2. Weltkrieg nur beschädigt, während rundum die Altstadt in Trümmer fiel. Im 3. Reich hatte man die artfremden Dekorationen übertäfelt, aber jetzt sind sie wieder zu sehen. Das Theater ist ein Halbrund mit Rängen und bietet knapp 800 Zuschauern Platz. Im ziemlich großen Orchester (über 40 meist junge Musiker) zählte ich vier Kontrabässe und fünf Celli. So viele Musiker findet man sonst nur in viel größeren Häusern. Auch der Chor bestand aus über 40 wohlklingenden Kehlen. Der Lübecker Regisseur Florian Lutz hatte schon in Berlin im Theater am Halle´schen Ufer einen Hoffmann inszeniert. Ähnlichkeiten zwischen beiden Inszenierungen konnte ich nicht feststellen.



Vor dem Theater bekam ich mit, dass das Lübecker Theater wegen mangelnder Subventionen die Zahl seiner Vorstellungen kürzen muss. Während die Kosten zunehmen, steigen die Zuschüsse der öffentlichen Hand, in diesem Fall der Stadt Lübeck, nicht. Die Hanse kann man auch nicht anzapfen, denn die gibt es schon seit vier Jahrhunderten nicht mehr, außer auf den Autoschildern der ehemaligen Hansestädte. Freunde des Theaters Lübeck sammelten vor der Vorstellung Unterschriften an den Stadtrat, damit die Stadt ihre Zuschüsse anpasst. Man muss natürlich wissen, dass nur wenige Länder ihre Theater und Opernhäuser im gleichen Umfang wie bei uns in Deutschland üblich subventionieren. Ohne die Zuschüsse würde eine Opernkarte vielleicht 500 Euro kosten. Dafür können wir stolz darauf sein, dass wir bei uns die Hälfte aller regelmäßig bespielten Opernhäuser der gesamten Welt beherbergen. In den USA haben nur 18 der 50 Staaten überhaupt eine Oper. Das ehemalige Opernland Italien bietet ein tristes Bild. Hat schon jemand mal von der Oper in Rom gehört? Angeblich ist sie geschlossen. Die Mailänder Scala inszeniert kaum mehr selbst und spielt nur mehr ältere Inszenierungen oder Übernahmen von anderen Theatern. In Frankreich ist auch nicht viel los, und in England, dem Land ohne Musik (Händel) schon gleich gar nicht. Nur der deutschsprachige Raum, Skandinavien und das Gebiet der ehemligen k.u.k.-Monarchie können sich mit uns vergleichen.


Hoffmann und Muse


Als ich die Umgebung meines Hotels in der Fischergrube erkundete, hörte ich aus einem Souterrainfenster, wie eine weibliche Stimme die Vogelarie aus dem Olympia-Akt übte. Da wusste ich, dass ich nur in die Parallelstraße gehen musste, um ins Theater zu kommen.


Das Theater war gut besetzt, aber ein paar freie Plätze sah man schon, auch in der ersten Reihe, in der oft die Lindorfs mit Freikarten sitzen. Das ist für eine Stadt mit über 200.000 Einwohnern ungewöhnlich. Dabei hatte es in Lübeck schon lange keinen »Hoffmann« mehr gegeben.


Die Bühne war offen, und die Oper begann eigentlich schon drei Minuten früher, denn der Chor sang hinter den Kulissen die Stimmen der Geister des Weines und Bieres. Dann, welche Wonne für meine manchmal gequälten Ohren, erklangen wuchtige und wunderschön maestoso gespielte Auftaktakkorde. Danke, Maestro Numajiri. Im Hintergrund wurde die Vorstellung des Don Giovanni angedeutet und eine Stella, mit dem Rücken zu uns Zuschauern, in Bühnenkostüm mit Rokokoperücke verbeugte sich als Donna Anna in das Theater


Eine elegante Dame im kleinen Schwarzen stellte sich als Staatsministerin für Kultur vor und zitierte Thesen von Andorno über Kunst, Künstler und ihre Beziehungen zur Gesellschaft. Das tat sie auf Deutsch, damit man das auch verstand. Ich war zu verblüfft über diese wiederholten Mini-Vorlesungen, als dass ich mitstenografieren konnte.


Diese Adorno-Zitate scheinen ein Faible des Regisseurs Florian Lutz zu sein. Wie mir Frank Seemann, treuer Besucher dieser Seite, freundlicherweise mitteilte, besuchten seine Frau und er im Mai 2014 in Bielefeld die originale (= französischsprachige) "Médée" von Cherubini, inszeniert von Florian Lutz. Und was kam darin vor? Video-Einspieler, in denen die Kinder der Medea – zwei Knaben im Grundschulalter – Adorno-Texte deklamierten (auf deutsch). Es sieht ganz so aus, als ob Herr Lutz ein Faible für die Frankfurter Schule habe – und wer weiß, vielleicht waren gar die Textpassagen dieselben.


Lindorf


Hoffmanns Kumpane traten als Hippie-Truppe auf. Mit schönen Stimmen und lebhafter Mimik und Gestik präsentierten sie die Trinklieder. Dafür gab es schon mal den ersten Applaus. Das ermuntert und lockert doch gleich die gesamte Truppe. Die Dame in Schwarz, die sich später als Muse erweisen sollte, zitierte wieder Adorno, wie es sich wohl für eine gebildete Muse gehört.


Lindorf kam im Rollstuhl sitzend auf die Bühne. Naja, je suis vieux … Mit Geldscheinen demonstrierte er seine finanzielle Potenz. Mit wohlklingender und sonorer Stimme stellte er sich vor. Für seinen Auftritt gab es schon wieder Applaus. Der Sänger überzeugte mit einer selten stabilen, wohlklingenden, kultivierten und samtigen Stimme.


Hoffmann trat ohne Muse auf und stritt sich gleich lebhaft mit Lindorf. Aber die Muse war schon auf der Bühne, denn sie war die Staatsministerin für Kultur. (Man kann sich eigentlich nur wünschen, dass Kultus- und Kulturministerien mit musisch begabten Menschen besetzt werden. Im heimischen Bayern ist das jedenfalls selten der Fall.)



Ein lebhafter Hoffmann mit runder, angenehmer Stimme sang den Klein-Zach und benützte dabei den unwirschen Lindorf als Verkörperung des hässlichen Zwerges. Als er zu Stella überging, verschwand Lindorf, und Stella erschien im Hintergrund. Und Hoffmann demonstrierte seine Hilflosigkeit gegenüber der verloren geglaubten Liebe, indem er sich selbst in den Rollstuhl setzte. Dabei sang er die Muse an. Intelligente kleine Details, die sorgfältige und durchdachte Regiearbeit beweisen. Die zeigte auch die lebhafte Gestik und Minik des Chores. Für den guten Klein-Zaches gab es natürlich Applaus. Erträgliche 25 Minuten dauerte der erste Akt in Lutters Taverne.



Eine knackige junge Dame in knappem Stringbikini und mit einer pink-grellen Perücke kam auf die Bühne und zeigte sich von allen Seiten. Doch es gab nicht nur was für männliche Voyeure. Ein braungebrannter, muskelbepackter Arnold Schwarzenegger präsentierte seine schwellenden Bi- und Trizepse. Ich vermisste spitze Entzückensschreie der anwesenden Damen. Locker stemmte er Gewichte. Derweilen stellte sich die nur zu ca. 1% Bekleidete auf Platz 1 des Siegertreppechens.


Auf der Bühne befanden wir uns in einer Art Wellness- und Schönheitsklinik. Spalanzani war der medizinische Leiter. Die PatientInnen erholten sich auf Liegen, wurden massiert oder sonstwie verschönert. Das war mal eine neue Idee statt der üblichen Einstein-Klone. Dann sang die Muse eine schöne Vogelarie, deren Probe ich schon in der Fischergrube mitbekommen hatte. Hoffmann spielte sich mit dem Publikum, indem er nach der Vogelarie aufmunternd ins Publikum blickte und dabei auf die Muse deutete: Applaudiert doch. Das taten wir dann auch.


Olympia und Hoffmann


Ja, war das knapp bekleidete Playgirl nun die Olympia? Spalanzani stellte sie als seine Tochter vor. Eine quasi Nackte hatte es ja schon bei Olivier Py in Genf gegeben. Schnell und präzise kam das Lob auf Olympias Augen durch den Chor. Doch dann kam Stella aus dem Don Giovanni im Kostüm der Donna Anna auf die Bühne und parlierte mit den herumstehenden Darstellern. Sie nahm ihren Rokokokopfputz ab und stellte sich frech auf Platz 2 neben die Bikinischönheit.


Dann schubste sie die von Platz 1 und nahm ihr die pink-grelle Perücke ab. Olympia sollte dann umoperiert werden. Nach ihren Wünschen malte sie sich Operationsmarken auf die Haut, wo die Chirurgen ansetzen sollten, probierte verschiedene Brustimplantate aus und wählte natürlich die größten. Dann wurde sie einbandagiert.


Dann sang sie ihre Arie. Das tat sie berückend schön, akzentuiert mit silberheller Stimme und agierte ganz lebhaft dazu. Ich war ganz hingerissen von diesem perfekten Auftritt. Langsam dämmerte mir, dass ich diese Stimme und Sängerin kannte. Nun habe ich nicht alle Sängerinnen vergangener »Hoffmänner« im Kopf, aber ein schneller Blick ins Programmheft gab mir Gewissheit: das war Fabienne Conrad, die sensationelle Stella aus Rouen in der Normandie, wo sie vor einem guten Jahr in dieser Rolle debutiert hatte. Nun tat sie das noch viel lockerer als vor einem Jahr, denn nun hatte die Sicherheit der Erfahrung. Langer und kräftiger Applaus belohnte sie.



Überall wurden Fitnessprodukte verkauft und konsumiert. Die Rolle des Coppelius war ziemlich zusammengestrichen worden. Das störte nicht weiter. Olympia wickelte den Hoffmann nun in ihre Bandagen ein, so dass er wie ein Unfallopfer aussah. Dann ein kurzer Ausflug in die SM-Szene: Hoffmann wurde zum Hündchen, das um Olympia herumhüpfte und Männchen machte.



Dann auch wieder eine neue Idee. Coppelius zerstörte Olympia nicht, sondern baute sie einfach wieder zur Stella um. Und weg war die singende Illusion, und Hoffmann wurde derb ausgelacht. Kräftiger Applaus für diesen Akt. Der Übergang zum Antonia-Akt geschah fließend, und Hoffmann genehmigte sich ein Bier aus der Dose.



Zu Beginn des Antonia-Aktes war die gerade wieder hergestellte Stella auf der Bühne, die sich an den Flügel setzte und mit nun perfekt lyrischer Stimmcharakterisitk ihr Auftrittslied sang. Dann warf sie das Bühnenkleid der Donna Anna aus Don Giovanni ab. Kräftiger Applaus. Mimisch gut dargestellt der Konflikt zwischen der jungen unternehmungslustigen und verliebten Antonia sowie ihrem mahnenden Vater Krespel.



Dann erlebten wir in diesem tragischen Akt einen lustigen Franz, und dem fehlte auch hier wieder einmal in den Übertiteln die (Gesangs-)Methode. Oh je. Witzig, wie er sich Stellas Tüllkleid anzog.



Vor der Geigenarie erfolgte zur intellektuellen Ertüchtigung des Publikums wieder eine kurze Belehrung über Kunst, was ja in diesem Akt nicht unpassend ist. Ich finde, es ist eine gute Idee, die Geigenarie an den Anfang dieses Aktes zu legen, denn sie bildet ja sozusagen einen inhaltlichen Rahmen für diese Episode. Ich muss auch erfreut feststellen, dass sie immer seltener gestrichen wird, außer man spielt die kostenlose Guiraud-Choudens-Version, in der sie nicht enthalten ist. Kräftiger Applaus belohnte die Sängerin für ihre hohe Ausdruckskraft.



Freudig begrüßten sich Hoffmann und eine kokette Antonia. Beide Duette wurden ergreifend gesungen und kräftig beklatscht. Nettes Detail: Als Antonia ihrem Geliebten versprochen hatte, mit dem Singen aufzuhören, packte sie ihre Noten zusammen und schloss den Flügel. So verstehe ich sorgfältige Regiearbeit. Und kongeniale und für den Zuschauer verständliche bildliche Umsetzung der Handlung.



Immer wieder bewunderte ich die schauspielerische und mimische Begabung Fabienne Conrads. Mit ungläubigem Staunen reagierte sie, als ihre Mutter im Bühnenkostüm aus dem Hintergrund erschien. Die Mutter hatte für Antonia auch eine Bühnenrobe in Form einer Tournure mitgebracht, welche die Tochter nun begeistert anlegte. Drei großartige Stimmen interpretierten nun den musikalischen Höhepunkt der Oper mit perfekter Dramatik. Wieder mal ein Genuss. Normalerweise lassen die Dirigenten gnadenlos weiterspielen, aber das Publikum klatschte so heftig noch vor dem letzten Ton, dass der Dirigent klein beigeben musste.



Antonias Leben erstarb in einem fast gehauchten pianissimo, was nur wenige Sängerinnen mit stabiler Stimme hinbekommen. Applaus und Pause.



Am Ende des Antonia-Aktes waren schon die hohen Strukturen des Giulietta-Aktes auf die Drehbühne gerollt worden. Giulietta trug noch die Robe aus dem Antonia-Akt. Die Piccoloflöte aus dem Orchester war noch erträglich laut, zumal sowohl Muse wie Giulietta vom vorderen Bühnenrand aus die Barkarole sangen. Für die gab es Applaus.


Was dann folgte, war nicht zu jedermanns Gefallen. Das Lübecker Theater hat nicht nur eine Drehbühne, sondern kann auch die gesamte Bühne anheben. Eine Unterbühne erschien, aus der eine Art Heavy-Metal-Band verzerrt kreischte. Und Hoffmann war ihr Lead-Sänger. Da dröhnten einem die Ohren, als er Jacques Offenbachs Musik verrockt vortrug und dazu den Hedonismus pries. Die rotgekleideten Gäste der Giulietta hielten sich die Ohren zu, und aus dem Publikum ertönten erboste Rufe: R U H E !!!


Doch bald ging es mit Jacques Offenbachs harmonischer Musik weiter. Dann gab es wieder einmal eine publikumswirksame Spiegelarie, obwohl die Kaye-Keck-Fassung Jacques Offenbachs Originalkomposition enthielte. Gurrend und verführerisch sang Giulietta „Die Liebe sprach: du Schöne ...“ Unglaublich wie viele vokale Nuancen Fabienne Conrad aufbieten kann. Eine Stimme zum Niederknien. Für die Duette Giulietta-Hoffmann gab es wiederholten Applaus.


Zum Duell hatte man den Schlemihl als spanischen Torero verkleidet. Zuerst kämpften beide mit Säbeln, doch dann kramte Hoffmann psychologische Kriegführung heraus und warf mit Spielkarten, wie es aussah. Und der Torero haute ab aus dem Kampf. Hoffmann wurde beklatscht für seinen Preis der Leidenschaft: Heute Tränen, morgen der Himmel.


Hoffmann und Giulietta


Was dann geschah, war schon gewöhnungsbedürftig: Hoffmann band sich zuerst die Handgelenke ab. Was hat er vor? Will er sich die Pulsadern aufschneiden und langsam verbluten? Doch nein, blitzschnell entmannte er sich, und seine weiße Unterhose färbte sich blutrot. Die bisher kokette Giulietta, nun wohl Stella, floh mit einem Entsetzensschrei. Eine Mischung aus ungläubigem Staunen, Ekel und Entsetzen herrschte auf der Bühne. Erstaunlich wie echt Giulietta und der Chor diesen abrupten Stimmungsumschwung darstellten, während Hoffmann langsam verblutete. Dass Giulietta ihr Entsetzen so glaubhaft ausdrückte, verlieh ihr schon fast wieder mernschliche Züge.


Ein merkwürdiger Kontrast entstand, als der Chor die Trinklieder fortsetzte. Eine selten zu hörende Nummer erklang von Stella: Umsonst verhöhnst du meine Liebe … (Hoffmann, tu peux faire risée de mon amour, mais tu regrettera ma beauté). Dann sang die Muse gefühlvoll oben auf der Treppe Les cendres de ton coeur … und stieg herab, um den Verblutenden zu trösten. Dann beugte sie sich über ihn. Ein gewaltiger Schlusschor erklang.


Spontaner Applaus und Jubel, noch während der letzte Ton verklang. Der erste große Jubel für den Chor, dann für die Muse, die eine beliebte Sängerin des Lübecker Theaters ist, ebenso für Krespel und den Widersacher, riesiger Jubel für Stella, kleiner Jubel für Hoffmann. Und das Ensemble wurde rhythmisch beklatscht. Für Stella wurde sogar getrampelt.


Als das Regieteam auftrat, gab es doch einige unüberhörbare Buh-Rufe, wohl von Männerstimmen, die sich aber allmählich beruhigten. Naja, Kastration ist schon eine Urangst von Männern, und auch die Metal-Rocker in einer Oper sind nicht jedermanns Sache. Der Schlussapplaus dauerte knapp zehn Minuten und hätte sicher noch länger angehalten, wenn nicht plötzlich abrupt der große Vorhang zugegangen wäre. Aber immerhin hatte man in Lübeck die Solisten oft alleine auftreten lassen. Wir hätten gerne weitergeklatscht. Ich glaube, ich muss mal ein Seminar über die Ausschöpfung des Applauspotenzials abhalten.



Diesen drastischen Schluss muss man schon diskutieren, denn er hat keinerlei Verankerung im Libretto. Im Programmheft des Lübecker Theaters findet sich ein Hinweis auf den österreichischen Aktionskünstler Rudolf Schwarzkogler (1940 – 1969), der sich den Wiener Aktionskünstlern um Hermann Nitsch angeschlossen hatte, bei denen auch blutige Rituale mit Tierkörpern inszeniert wurden. Außerdem hatte sich Schwarzkoglers Vater an der Ostfront nach einer schweren Verletzung das Leben genommen. Schwarzkogler wurde fälschlicherweise unterstellt, er habe sich in einer Kunstaktion selbst kastriert.



Wie nun der Lübecker Regisseur Schwarzkoglers angebliche Selbstentmannung mit Hoffmann verband, darüber kann man nur spekulieren. Für Männer wie für Frauen sind wohl die Probleme mit Liebe, Sex und Partnerschaft gewöhnlich die einschneidendsten im Leben. Dass sich Hoffmann an der Wurzel seiner Übel das Leben nimmt, nachdem er nur Niederlagen bei Frauen erlitt, erscheint daher nicht unlogisch. Das war jetzt das zweite drastische Ende neben dem Ende des »Hoffmann« von Reichenberg/Liberec des tschechischen Regisseurs Martin Otava, jetzt Intendant in Pilsen. Der ließ die Muse den Hoffmann vergiften und dann Selbstmord begehen, aus enttäuschter Liebe. Ähnlich in Pforzheim, wo die RegisseurIn den Hoffmann sterben ließ, weil er sich immer die falschen Frauen suchte.



Dann gibt es noch die Mythen. Klingsor in Wagners Parsifal entmannt sich selbst, und auch vom Kirchenvater Origines sagt man das, damit er Gott näher komme. Diese beiden Hinweise verdanke ich Opernfreund Herbert.



Mir persönlich ist es am liebsten, wenn Hoffmann lebt und seine Muse bekommt, wie es auch im Originallibretto geschieht. Aber geschätzt ein Drittel der Regisseure lässt den Hoffmann sterben oder im Suff enden. Manche Regisseure lassen das Ende offen, indem sie Hoffmann einfach bewusstos am Boden liegen lassen, ohne seinen Tod ausdrücklich darzustellen. Muss das mal nachzählen, oder will das jemand für mich erledigen? .

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Theater Lübeck und beim Fotografen Oliver Fontitsch Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Nach der erfolgreichen Premiere fand im Theaterrestaurant eine Premierenfeier statt, auf der die folgenden Bilder entstanden.









Widersacher und Muse



Stella und Hoffmann



Operndirektorin/Dramaturgin und Regisseur





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