Marthalers Erzählungen

als musikalisches Fest in Stuttgart


www.staatstheater-stuttgart.de



Besuchte Vorstellung 19. März 2016 (Premiere)






Dieses raffinierte künstlerische Plakat verdient einen Platz in einem Museum. Das Foto im Hintergrund zeigt die Choreografin und Stella Altea Garrido. Die Gestaltung des Plakats stammt von http://www.discodoener.de in Stuttgart im Auftrag der Staatsoper. Auf der Internetseite von Discodöner kann man weitere Grafiken bewundern.

Regisseur


Christoph Marthaler

Dirigent


Sylvain Cambreling

Bühne und Kostüme


Anna Viebrock

Chorleiter


Christoph Heil

Choreografie und Stella


Altea Garrido

Version


Oeser

Sprache


Französisch




Hoffmann


Marc Laho

Muse


Sophie Marilley

Widersacher


Alex Esposito

Olympia


Ana Durlowski

Antonia


Mandy Fredrich

Giulietta


Simone Schneider

Luther und Krespel


Roland Bracht












Fazit Stuttgart: Eine Übernahme der Inszenierung des Königlichen Theaters Madrid auf höchstem musikalischem Niveau, sowohl vom Orchester her wie auch von den Stimmen, die mit Ausnahme des Protagonisten und des Widersachers aus dem Hause stammen. Das Marthaler´sche Konzept ist anspruchsvoll, wenn auch problematisch, da es für den Opernbesucher nur schwer verständlich ist. Die Inszenierung ist voll mit werksfremden Bizarrerien, deren Bedeutung sich nicht ohne Weiteres erschließt. Es waren eigentlich nur die Arien, Duette und Terzette, welche dem Besucher die Contes wiedererkennen ließen. Wer diese Oper zum ersten Mal sah, würde beim Besuch einer anderen Inszenierung kaum glauben, die gleiche Oper gesehen zu haben. Die Hauptgestalt bleibt ein wenig detailliert gezeichneter flat character. Die Berichte der Kritiker nach der Madrider Premiere waren ziemlich ratlos. Dort hatte es viele Buhrufe gegeben. In Stuttgart nun nur vereinzelte Buhs und ein paar Pfiffe, als das Regieteam auf die Bühne kam. Dafür umso mehr Applaus für die Interpreten, der fast zehn Minuten andauerte. Zum vollständigen Inhalt dieser Inszenierung siehe die Besprechung der weitgehend identischen Madrider Aufführung www.myway.de/hoffmann/1314-madrid.html


Interessante Kritiken: Ulmer Südwestpresse; im Bayerischen Rundfunk, Schwäbische.de, Stuttgarter Nachrichten, Stuttgarter Zeitung (m.E. zu negativ)




Die Zusammenarbeit mit der Stuttgarter Oper war anfangs nicht einfach. Mitte Januar schickte ich eine Email mit der Bitte um eine Pressekarte an die Presseabteilung, erhielt aber keine Antwort. Das bin ich von spanischen, italienischen und einigen französischen Opernhäusern wie Paris, Lyon und Toulon gewohnt, außerdem von der Münchner Staatsoper. Opernhäuser nördlich der Alpen und östlich des Rheins pflegen innerhalb von Stunden auf meine Bitten um eine Pressekarte zu reagieren, bisher ausnahmlos positiv. Aber vielleicht ist auch eine Internetseite die Ausnahme unter denjenigen Medien, die Opernkritiken bringen.


So rief ich also etwas beunruhigt drei Wochen vor der Premiere in Stuttgart an. Ja, meine Email habe man bekommen, und man werde antworten. So erhielt ich also ein paar Tage später die erfreuliche Mitteilung, dass ich zu einer dritten oder späteren Vorstellung eine Pressekarte bekommen könne, da die knappen Pressekarten für die Premiere den Fachmedien und Feuilletons der regionalen und überregionalen Medien vorbehalten seien.


Nachdem ich für die Seite www.hoffmannserzählungen.de nun erst bescheidene 89 verschiedene Hoffmann-Inszenierungen diesseits und jenseits des Atlantiks besucht und besprochen habe, zähle ich verständlicherweise noch nicht zum erlauchten Kreis der Fachmedien. Und meine Seite ist auch erst in lediglich 47 Ländern angeklickt worden.


Da ich aber gerne die Premiere besuchen wollte, weil man dabei anschließend mit Sängern und dem Regieteam sprechen kann, kaufte ich mir eine Premierenkarte, was ich mir leisten kann, da Anreise und ggf. Übernachtung sowieso den Großteil der Spesen für meine »Hoffmann«-Reisen zu verschlingen pflegen. Ich möchte aber hier gleich erwähnen, dass meine übrigen Erfahrungen mit Beschäftigten der Stuttgarter Oper höchst erfreulich waren, so dass mich deren Herzlichkeit, Auskunftsfreude und Hilfsbereitschaft zu einem Fan dieses Hauses machten. Mehr dazu in meinem Bericht über die Premierenfeier.



Dieser »Hoffmann« aus Madrid war nicht der erste, der auf Reisen ging. Nicolas Joël hatte für das Teatro Real einen bühnentechnisch aufwändigen »Hoffmann« produziert, der rund um´s Mittelmeer gespielt wurde und sieben große Seecontainer zum Transport des Bühnenbildes benötigte. Ich sah ihn schließlich in Bergen in Norwegen. Diese Inszenierung war ziemlich spektakulär, aber ohne psychologische Tiefe. Der Marthaler´sche »Hoffmann« nun war weniger spektakulär, aber dafür umso enigmatischer. Erst nach langen Diskussionen mit anderen »Hoffmann«- und Opernexperten gelang es uns, einen Sinn in dieser Hieroglyphe zu entdecken. Die professionellen Kritiker waren ebenso verwirrt und taten, was sie in solchen Situationen zu tun pflegen: sie redeten wolkig daher, lobten die Sänger und schrieben etwas über die Handlung und die komplizierte Aufführungsgeschichte der Contes. Von Aldous Huxley gibt es einen Aufsatz, in dem er sich über die Unverständlichkeit moderner Kunst erregt, die anders als die klassische Kunst den breiten Publikumsgeschmack nicht mehr trifft und oft auch gar nicht treffen will. Anhänger dieser Kunstesoterik verständigen sich laut Huxley nicht mehr verbal, sondern nur mehr mit nonverbaler Kommunikation wie hochgezognenen Augenbrauen und anderen Gesten, die nur Eingeweihten verständlich sein sollen. Hier haben wir nun ein weiteres Beispiel für eine »Hoffmann«-Inszenierung, die zwar in sich Sinn macht und nicht ohne intellektuellen Reiz ist, aber nur nach einem mehrtägigen Einführungsseminar verständlich wird. L´art pour l´art, mais pas pour les spectateurs. Aber immerhin gab es in Stuttgart eine ausführliche, qualifizierte und sehr gut besuchte Einführung durch die junge Assistenzdramaturgin Johanna Danhauser.



Die alten Römer kannten den Spruch QVIDQVID AGIS PRVDENTER AGAS ET RESPICE FINEM (Was immer du tust, tue es überlegt und denke an die Auswirkungen). Auf das Theater angewendet könnte man sagen: QVIDQVID AGIS PRVDENTER AGAS ET RESPICE SPECTANTES. (… das Publikum). In Luzern hatte ich 2008 einen intelligenten und hervorragend gesungenen »Hoffmann« von Peter Carp gesehen, der aber beim Publikum schlecht ankam. Wie in Madrid und Stuttgart blickte man fünf Akte lang auf das praktisch gleiche nüchterne Bühnenbild, Vieles der Handlung wurde mit Chiffren verschlüsselt, die aber in Luzern leichter zu verstehen waren. Madrid/Stuttgart war in dieser Hinsicht wesentlich extremer. Das Publikum in Luzern jedenfalls blieb ratlos und zu Hause. Peter Carp kommt wie Christoph Marthaler ursprünglich aus dem Schauspiel. Marthaler lässt am Ende seine Stella den modernen Kunstbetrieb beschimpfen. Ich stimme ihm zu. Er hat mit seinem »Hoffmann« gerade ein lebendiges Beispiel für die Zulässigkeit dieser Kritik geliefert.



Es ist ja verständlich, dass ein Opernregisseur sich bemüht, ausgetretene Wege zu verlassen und Neues zu wagen, weil er sein Publikum nicht mit einer 08/15-Inszenierung langweilen will. Ein solcher Versuch kann aber auch daneben gehen, wenn die Avantgarde zu weit vor dem Publikum marschiert. Es gibt aber auch gelungene Kombinationen von Publikumsnähe, Werktreue und Avantgarde, wie sie vor Kurzem Barrie Kosky an der Berliner Komischen Oper vorstellte, oder Calixto Bieito 2013 in Oslo. Anschließende Gespräche mit den in meiner Nähe sitzenden Zuschauern jedenfalls verrieten Unverständnis über das Bühnengeschehen, wobei aber alle von Gesang und Orchester begeistert waren. Ansonsten: Die Artisten unter der Circolo-Kuppel ratlos.



Marthaler und sein Regieteam ließen ihren »Hoffmann« in einem Raum eines Künstlerhauses stattfinden, der sich in einem Gebäude namens Circolo de Bellas Artes in Madrid befindet. In diesem Haus finden vielfältige künstlerische Aktivitäten Raum. Es gibt Aktzeichenkurse, Ausstellungen, Führungen für Besuchergruppen, Bars und Restaurants – und auch einen Billardsaal. All dies haben Marthaler und Viebrock in ihrem Einheitsbühnenbild vereint, das einen großen quadratischen Raum mit allerlei Mobiliar darstellte. Links war eine Bar, im Hintergrund ein Podest für die Aktmodelle, und vorne eine lebendige Darstellung der Skulptur El Salto de Léucade (Der Sprung der Leokadia) von Moisés de Huerta y Ayuso, die seit 1930 im Café des Circolo steht. Diese Skulptur erinnert mich etwas an das Gemälde Le cattive madri (Die bösen Mütter) von Giovanni Segantini (1894), das im symbolistischen Stil gemalt wurde.



Während es noch verständlich und nachvollziehbar ist, dass man für ein Madrider Publikum eine lokale Institution wie den Circolo des Bellas Artes als Austragungsort und Rahmen für diese Oper wählt, bleibt es unverständlich, wie man ein Stuttgarter Publikum veranlassen will, sich in in dieses fast 2000 km entfernte Gebäude geistig zu versetzen. Solche Versuche, etwas Lokalkolorit in einen »Hoffmann« zu bringen, gibt es gelegentlich. Die irische Regisseurin Orpha Phelan stylte ihren Widersacher im »Hoffmann« an der Oper im schwedischen Malmö als Hermann Göring, da der nach dem 1. WK eine Zeitlang dort gelebt hatte. Naja, da fiele mir noch ein, dass für einen zukünftigen Münchner »Hoffmann« Schloss Neuschwanstein ein geeigneter Ort wäre, mit einem Ludwig II als unglücklichem Hoffmann und einem Franz Josef Strauß als Widersacher, einer Sisi als Muse, Ilse Aigner als jodelnde Olympia auf einer Alm und einer Lola Montez als Giulietta, etc. Genug der absurden Gedankenspiele. Diese Oper stellt das universelle Drama eines eines an seiner Gefühlswelt scheiternden Genies dar und benötigt keinen wie auch immer gearteten Lokalbezug.




Lindorf – Muse - Hoffmann


So, nun habe ich genug kritisiert. Ab jetzt nur mehr Gutes über die Stuttgarter Premiere. Also, die Stuttgarter haben ein ganz hervorragendes Opernhaus. Es liegt wunderschön mitten in der Stadt, neben dem Schauspielhaus, nur ein paar Meter von den Kunstgalerien und der Staatskanzlei sowie der Fußgängerzone entfernt. Das Haus wurde Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut und besteht aus reiner Jugendstilarchitektur. Zahlreiche glitzernde und luxuriöse Lüster hängen überall im Haus. Der Zuschauerraum ist intelligent gestaltet. Jede Sitzreihe liegt stark erhöht hinter der vorderen, so dass jeder der möglichen 1404 Zuschauer gut sieht. Außerdem ist der Grundriss ein Halbrund und kein Hufeisen, wie z.B. in München, Zürich oder Wien. Die Oper bildet bildet mit Schauspiel und Ballett das Staatstheater Stuttgart. Ich finde, dieses Gebäude gehört zu den besten Opernhäusern der Welt. Und auch der Opernbetrieb darin erfreut sich eines hervorragenden Rufes. Die Stuttgarter Oper wurde nach der großen Renovierung in den 80er Jahren mehrfach zur besten Oper Deutschlands gewählt. Bis auf die Sänger des Hoffmann (Marc Laho) und des Widersachers (Alex Esposito) traten nur ensembleeigene Stimmen auf.


In diesem Raum des genannten Zirkus der schönen Künste in Madrid fand – als erster Blickfang – ein Aktzeichenkurs statt, während dessen die Modelle alle paar Minuten wechselten. Ab und zu wurde eine Besuchergruppe durch diesen Raum geführt. Links an der Bar werkelte Meister Lutter, der auch die Muse mit alkoholischen Getränken versorgte. Dann ein ziemlich schneller Auftakt aus dem Orchestergraben, in dem ich vier Kontrabässe und sechs Celli gezählt hatte. Der Auftakt war viel schneller als in Madrid und wunderte mich um so mehr, als Maître Camberling als genauer »Hoffmann«-Kenner gilt. Was danach folgte, gehört zu den besten Begleitungen dieser Oper, die es je gab. Gefühlvoll, dynamisch, nuanciert, fein ziseliert. Beispielhaft, was aus dem Orchestergraben zu mir hochdrang. Und dabei mit selten zu hörender Perfektion gespielt.


Lindorf wird von Lutter bestrahlt


Das Einheitsbühnenbild für alle Akte entsprach weitgehend dem von Madrid, war aber in Stuttgart etwas farbiger und wirkte nicht so nüchtern. Ein paar Details hatte man verändert, außerdem musste es seitlich etwas komprimiert werden, da die Madrider Bühne breiter ist als die Stuttgarter. Hervorzuheben ist, dass der Stuttgarter Chor wesentlich präziser sang als der in Madrid, wo er mehrfach böse aus dem Takt gekommen war. Zu meinem Erstaunen hatte man die kapriziöse Passage aus dem Olympia-Akt ellle a des beaux yeux in Stuttgart ziemlich langsam genommen. Dafür waren die Auftakte am Beginn der Oper meinem Gefühl nach zu schnell und nicht mehr so schön maestoso wie in Madrid. (Ich schreibe jetzt, was sich meiner Erinnerung nach von Madrid unterschied und was mir zusätzlich auffiel)


Dann eine der vielen skurrilen Szenen: der Widersacher setzte sich links vorne in einen Sessel. Jemand legte ihm ein Blatt Papier, in das man eine Ellipse geschnitten hatte, um das Gesicht. Aus der Wand kam eine Lampe wie von der Behandlungseinheit eines Zahnarztes, die den darunter sitzenden Lindorf bestrahlte. Was sollen solche nicht nachvollziehbaren Bizarrerien? Dienen Sie nur dem Plaisir des Regietams, während das Publikum ratlos bleibt? Oft fallen den Theaterleuten während der Einstudierung solche vermeintlichen Gags ein, die aber nicht vermittelbar sind. In Luzern wurde der Spalanzani z.B. als Blinder mit Blindenstock dargestellt. Ich fragte dann den Regisseur, ob das was bedeuten sollte. Antwort: nein. Das sei jemandem eingefallen, und wir fanden das lustig. Ich verstand auch nicht, warum irgendwann der Stuttgarter Widersacher unmotiviert in konvulsivische Zuckungen wie die Kellner verfiel. Auch die Muse machte beim Veitstanz mit.


Hoffmann mit Olympia


Hoffmann sang den Klein-Zach im Sitzen ohne Mimik. Das Publikum wollte dem schönen Gesang applaudieren, doch Maître Cambreling ließ weiterspielen.


Im Olympia-Akt war Spalanzanis Publikum anders und freakiger gestaltet als in Madrid. Mehrere Damen mit Bärten waren darunter. Aha, Conchita Wurst ließ grüßen. Dann ging plötzlich zur Verwunderung des Publikums nach und nach das Licht im Zuschauerraum an. Wie in Madrid bekam Ana Durlovski jubelnden Applaus für ihre souveräne Arie der Olympia. Und wieder gab es ein absurdes Ballett mit bizarren Verrenkungen. Obwohl Olympia laut Text von Coppelius zerstört werden sollte, saß sie wohlbehalten vorne links in einem Sessel. Kräftiger Applaus für den Olympia-Akt. Und erste Pause. Während des Rundgangs fiel mir auf, dass das Stuttgarter Publikum im Vergleich zu anderen Adressen eher im Seniorenalter anzusiedeln war, was vielleicht an der Premiere lag.


Antonia sang eher lyrisch als dramatisch mit wunderschön ausdrucksvoller Stimme. Wie typisch für den Regisseur Marthaler bewegten sich die Charaktere wie Automaten ohne miteinander zu interagieren. Der ganz hervorragend singende Krespel musste auch wie später der Franz und der Widersacher gemessenen Schrittes im Quadrat gehen. Da denkt man doch gleich an eine konzertante Aufführung. Und dann geschah ein kleines Wunder. Die Übersetzung des vom Franz gesungenen Textes sprach tatsächlich von der [Gesangs-]Technik, während >95% aller Theater von einer dem Franz fehlenden Methode titeln lassen. Auf der Premierenfeier konnte ich die Gestalterin der Übertitel ausdrücklich loben. Für die schön gesungene Geigenarie gab es den verdienten Applaus. Erfreulich, dass man meine Lieblingsarie nicht gestrichen hatte, wie so oft, wobei sie doch sowohl in der Oeser- wie in Kaye-Keck-Version enthalten ist. Die Königliche Oper am Covent Garden, die die Guiraud-Choudens-Version wählte, hatte die Geigenarie extra beim Rechteinhaber dazugekauft.


Antonia und Krespel


Dann wieder typisch für diesen Regiestil: Als sich das (angebliche) Liebespaar Hoffmann und Antonia nach langer Trennung wieder trafen, blieben sie weit voneinander stehen und sahen sich nicht einmal an. Das ist schon absurd. Auch später streckte Antonia ihrem Geliebten die Hand hin, doch der nahm sie nicht. Ans Herz gehende Duette Hoffmann – Antonia folgten. Doch wir durften wieder nicht applaudieren. Das Männnerterzett, als Hoffmann sich vor Krespel verstecken muss und als Mirakel auftritt, habe ich noch nie so schön und klangvoll gehört wie in Stuttgart. Ein sublimer Hörgenuss. Und der beste Krespel aller meiner 90 Hoffmänner.


Antonia trat barfuß auf, was im Volksaberglauben nichts Gutes bedeutet. Als der falsche Doktor Mirakel der Antonia ihre mögliche Karriere ausmalte, wurde sie auf ein Podest gestellt, und sie durfte in zwei glitzernde Schuhe schlüpfen. Leider durften wir auch nach dem hervorragend gesungenen und begleiteten Terzett Antonia – Mutter – Mirakel nicht applaudieren. Antonia musste einsam im Sitzen sterben. Applaus und zweite Pause.

Bewunderung für das schöne Opernhaus, und auch für die gepflegten Roben zahlreicher Zuschauerinnen und Zuschauer. Die kamen schon fast an das Niveau der Wiener Staatsoper hin.


Giulietta


Nach der Pause sah ich einige leer gewordene Plätze. Dann ein Gag vor dem Vorhang: Hoffmann versucht vergeblich mit einer Fernbedienung, den Vorhang zum Giulietta-Akt zu öffnen. Dann trat Spalanzani auf und löste locker das Problem. Dazu erklang die Barkarole ohne Piccoloflöte, wie sich das gehört. Hoffmann bekam immer mal wieder einen weißen Bademantel verpasst, warf ihn aber immer wieder weg. Das Mysterium des weißen Bademantels.


Im Salon der Giulietta standen mehrere Billardtische. Auf der Premierenfeier erfuhr ich, dass die eine Anspielung auf den Billardsaal im Madrider Circolo des Bellas Artes seien und auch Gondeln darstellen können, da wir uns ja in Vendeig befänden. Aha. Von unter einem der Billardtische ragten ca. acht Beine hervor, deren zugehörige Körper sich langsam unter den Tischen hervorschoben. Was das nun wieder Wichtiges bedeuten sollte?


Tänzer im Giulietta-Akt


Giulietta war gekleidet wie Antonia, sang aber rollengemäß feuriger und dramatischer. Und was für eine umwerfende Erotik diese Giulietta stimmlich wie vom Agieren her ausstrahlte! Ein Gesang wie ein funkelnder schwerer Chateau neuf du Pape schmecken soll. Ein Genuss. Giuliettas Gäste trugen 3D-Brillen, wie ich das schon mehrfach gesehen hatte.


Hoffmann durfte nun zum ersten Mal Gefühle zeigen und machte sich begeistert an Giulietta ran. Nun gab es zum ersten Mal eine richtige Interaktion. Zu meinem Erstaunen sang er eine Arie auf die Liebe, die sonst die Giulietta zu singen pflegt. Und dann gab es wieder ein Veitstanzballett an einem der Billardtische.


Im Duell mit Schlemihl bekam Hoffmann zwei Flaschen, die er auf Schlemihls Kopf zertrümmerte, bevor er den in den Billardtisch versenkte. Der gesamte Giulietta-Akt war ein musikalischer Höhepunkt. Dann kamen – wie in Madrid – die vier Aktmodelle aus dem Untergrund durch einen sich öffnenden Billardtisch. Dann begann Stella auf Spanisch die Beschimpfung des Kunstbetriebes. Der Text wurde in den Übertiteln auf Deutsch wiedergegeben. Er findet sich in der Madrider Besprechung. Dort kam er bei einem Teil des Publikums gar nicht gut an, denn die Nähe Pessoas zum Futurismus und dem daraus hervorgegangenen Faschismus ist spanischen Intellektuellen wohl bekannt. Und der Spanische Bürgerkrieg und die jahrzehntelange faschistische Herrschaft (1936 – 1975) sind in Spanien ebenso wenig vergessen wie uns die eigene Vergangenheit.


Stella

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Staatstheater Stuttgart und beim Fotografen A.T. Schaefer. Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Dann sang Hoffmann den Rest des Klein-Zach, und nun folgte eine musikalisch selten schön gestaltete Apotheose, perfekt gesungen und begleitet. Sie begann mit den auf besonders sensible Art ohne Vibrato gestrichenen drei Auftakttönen zum Abgesang der Muse. Der ging ans Herz. Danke dafür, Sophie Merilley.


Der leblos auf dem Rücken liegende Hoffmann erwachte dazu wieder zum Leben, und ein grandioses musikalisches Finale erklang, wie das nur wenige Orchester und Dirigenten hinbekommen.


Kräftiger und begeisteter Applaus mit einigen Jubelrufen belohnte die Musiker und Sänger. Anschwellenden Applaus gab es auch für die kleineren Rollen. Das Theater tobte für Olympia, und bejubelte auch die Antonia, Giulietta und die Muse. Hoffmann bekam kräftigen Applaus. Jubel auch für den Dirigenten und sein Orchester. Besonderer Jubel nochmal, als sich die drei Sopranistinnen zusammen verbeugten. Es gab einzelne Buhrufe und Pfiffe, als das Regieteam auftrat, aber der Protest setzte sich anders als in Madrid nicht fort.



Anschließend war das verehrte Publikum zur Premierenfeier im schönen Foyer im 1. Rang eingeladen. Viele kamen, und der Intendant Jossi Wieler und die Operndirektorin Leonie Grimm bedankten sich bei den Mitwirkenden.



Ab 22:15 Uhr, gab es eine Premierenfeier, die bis in die frühen Morgenstunden ging, was mir sehr entgegenkam, denn mein Zug zurück nach München fuhr erst um 3:36, und so konnte ich lange mit den Stuttgartern feiern und diskutieren. Die waren alle so nett, auskunfts- und hilfsbereit, dass ich die Kommunikation mit der Presseabteilung locker wegstecken konnte. Und die Premierenkarte im 3. Rang links mit freier Sicht auf die Bühne und ausgezeichneter Akustik unter dem Dach hatte samt Versand auch nur 18,50 gekostet.


Mitten in der Nacht, also lange nach Dienstschluss, besorgte mir die freundliche Operndirektorin ein Plakat aus einem Büro, das ich als das gelungenste und kreativste aller mir bekannten Hoffmann-Plakate bezeichnen möchte. Es ist auf der Seite der Stuttgarter Oper anzusehen:

http://www.oper-stuttgart.de/spielplan/4447/hoffmann und oben abgebildet. Im Opernshop des Stuttgarter Staatstheaters kann man es erwerben.


Das Foto zeigt das Gesicht der Choreografin und Darstellerin der Stella, Altea Garrido (aus Costa Rica), über deren Selfie man die Vignette einer Tänzerin gelegt hatte. Genial. Das bekommt einen Ehrenplatz bei mir unter den vielen »Hoffmann«-Plakaten, die schon im Treppenhaus hängen. Aber auch ohne dieses kreative Plakat wäre der Abend in der Stuttgarter Oper schon alleine wegen der schönen Musik unvergesslich geblieben. .

Da leider wieder einmal eine Digitalkamera ihren Geist im falschen Augenblick aufgab, konnte ich nur diese drei Bilder von der Premierenfeier in Schwarz-Weiß retten. Sollte jemand noch ein paar Bilder von der Stuttgarter Premierenfeier haben und mir schicken wollen: hoffmann/ätt/operamail/Punkt/com. Eine Größe von ca. 1000 Pixeln ist ausreichend.





Dirigent und Regisseur



Antonia



Hoffmann





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