Lupenreiner »Hoffmann«

am Theater Schwerin


www.mecklenburgisches-staatstheater.de


Besuchte Vorstellung 28. Oktober 2016 (Premiere)







Regie


Toni Burkhardt

Dirigent


Daniel Huppert

Chorleitung


Ulrich Barthel, Helmut Sonne

Bühnenbild


Wolfgang Kurima Rauschning

Kostüme


Adriana Mortelliti

Version


Kaye-Keck

Sprache


Deutsch




Hoffmann


Rodrigo Porras Garulo

Muse


Antigone Papoulkas

Olympia, Antonia, Giulietta, Stella


Elena Puszta

Widersacher


Sebastian Kroggel









Fazit Schwerin: Ein »Hoffmann«, den ich als als Wegweiser für und Mahnung an alle Interpreten dieser Oper empfehle, die den »Hoffmann« für eine Art Christbaum halten, den man beliebig mit allerlei Glitzer behängt, bis er unter werksfremdem Firlefanz unkenntlich wird oder zusammenbricht. In Schwerin ging man man einen besseren Weg: Man erzählte glasklar und unverfälscht, worum es in dieser Oper geht, nämlich um die Irrungen und schließlich die Rettung eines fehlbaren homo sapiens. Das tat man nun nicht in gepflegter Routine, sondern setze eigene kreative Akzente. Straffe Epik ohne Leerlauf und werksfremde Schnörkel. Besonders gelungen fand ich die Rolle, die man dem Chor zugewiesen hatte. Er fungierte als Hoffmanns Über-Ich und erinnerte an die Funktion des Chores in der griechischen Tragödie. Anders als an mehreren anderen Theatern pfropfte die Regie ihrem »Hoffmann« keine persönlichen Probleme, Vorlieben und Ideologien wie Feminismus (Pforzheim), sexuelle Orientierung (Bregenz etc.) oder persönliche Identitätsprobleme (Madrid/Stuttgart) auf. Die Geschichte von Hoffmanns Irrungen und Lernprozessen wurde aus sich heraus dargestellt. Musikalisch alles auf höchstem Niveau, ein gut geleitetes vorzügliches Orchester, hervorragende Sänger in allen Rollen, und als I-Tüpferl eine überragende Stella. Ein gleichzeitig moderner wie auch klassischer »Hoffmann«. Klassisch, weil er das Libretto authentisch umsetzte. Modern, weil er sich knapper, aber effizienter Stilmittel bediente. Hingehen und genießen. Ein junges und hauseigenes Ensemble erfreute uns mit dieser Inszenierung. Es gab gut neun Minuten begeisterten Applaus.


Die Landeshauptstadt Schwerin liegt 100 km östlich von Hamburg in einer verträumten Landschaft, durchzogen von viel Wasser. 100 Meter vom Theater liegt ein Schloss, das eine Besucherin als das mecklenburgische Neuschwanstein bezeichnete. Chambord könnte einem auch einfallen. Heute beherbergt das Schloss den Landtag des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern.


Das Theater wurde vor 130 Jahren in klassizistischem Stil gebaut und hat ca. 550 Plätze. Die Akustik ist auch im Parkett ausgzeichnet. Klugerweise baute man es als Halbrund und nicht in Hufeisenform, sodass man von allen Plätzen gut sieht. Es hat drei Ränge. Der Orchestergraben ist flächenmäßig groß, wohl auch für die Erfordernisse einer Wagner-Oper gebaut. Da die Stadt im 2. Weltkrieg von den britischen Bomberflotten weitgehend verschont blieb, ist alles weitgehend im Originalzustand. Die Bühnentechnik ist modern, und es gibt eine praktische Drehbühne.



Im Orchester zählte ich drei Kontrabässe und vier Celli. Zur Premiere war das Theater voll. Im Publikum überwog deutlich die ältere Generation. SPD-Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig gehörte eher zur jüngeren Schar der Premierenbesucher.



Dieser »Hoffmann« war die erste Schweriner Premiere dieser Spielzeit. Der neue Operndirektor Toni Burkhardt gab mit dieser Inszenierung seinen erfolgreichen Einstand. An den meisten Theatern werden heute Gastregisseure tätig. Das kann gut gehen, kann aber auch zu Spannungen mit dem übrigen Ensemble führen. In Schwerin war alles hauseigen, und das war gut so. Ungewöhnlich war nur, dass man auf Deutsch sang. Aber seien wir ehrlich, meistens versteht man eh nur wenig, ob Französisch oder Deutsch. Und in Schwerin wurde gesungen und nicht gesprochen.


Hoffmann


Die Bühne ging auf, und ein betrübter Hoffmann saß lange im Regen. Der Zuschauerraum war noch hell, Hoffmann blieb so einer von uns. Viele lange Sekunden herrschte Totenstille im Theater. Niemand wagte zu husten oder zu knistern. Flüsternde Stimmfetzen wurden hörbar, verschwommene, angsterregende Bilder spiegelten Hoffmanns innere Zustände wieder. Seine Gefühle fuhren Achterbahn mit ihm, Stress drang auf ihn ein. Als dann noch schön maestoso gespielte Auftaktakkorde das Schweigen beendeten, ahnte ich, dass nun ein guter »Hoffmann« folgen würde.


Ein großer Chor von geschätzt 40 Frauen und Männern drang auf Hoffmann ein. Im Hintergrund drohte ein Monster. Diese anschauliche Darstellung von Hoffmanns innerem Zustand war neu. Dann begann die Muse mit der vorgezogenen Apotheose auf Hoffmann, wie sie in der Kaye-Keck-Fassung vorgesehen ist. Es bestand also Hoffnung für ihn, bevor er sich in seine Abenteuer stürzte. Gefühl- und ausdrucksvoll hob sie an.


Anschaulich wurde dargestellt, wie Lindorf den Briefboten aufhielt: Er hielt seinen silberbekopften Gehstock in den Weg des Boten. Laut Programmheft stellte der gemischte Chor das Premienpublikum des Don Giovanni dar. Für das sang Hoffmann mit strahlender und ausdrucksvoll nuancierter Stimme den Klein-Zach. Applaus. 35 Minuten dauerte das Vorspiel in Lutters Taverne.



Und schon befanden wir uns im Olympia-Akt. Niklaus erfreute mit einer lebhaften Vogelarie. Die Entstehung der Olympia wurde anschaulich dargestellt. Offensichtlich war sie nicht Professor Spalanzanis einziges Produkt, denn mehrere beleuchtete bettenförmige Brutkästen standen auf der Bühne.



Coppelius wurde als eine Art hektischer Daniel Düsentrieb dargestellt, Spalanzani trat als Chirurg auf. Der Chor war farbenfroh gekleidet, passend zur Schickeria, die Spalanzanis Party besuchte. Olympias Frisur erinnerte mich an die der Stummfilmstars. Sie trug ein silberglänzendes Glitzerkleid. Der große Chor brachte die schwierigste Passage, das Lob auf Olympias Augen, schnell und präzise.


Für ihre Arie hatte die weiblich-erotisch-vitale Olympia eine Mikrofonattrappe bekommen. Von Spalanzanis Gästen wurde sie ausführlich bestaunt. Für ihre souverän vorgetragene Arie bekam sie kräftigen Applaus. Spektakulär komplimentierte Hoffmann dann seinen Freund Niklaus von der Bühne, um mit Olympia alleine zu sein.



Cochenille steuerte Olympia mit einer Fernbedienung, die aber in Flammen aufging. Olympia begann zu zucken. Dank Zauberbrille bemerkte Hoffmann nichts von dem Malheur. Der böse Coppelius platzierte eine tickende Zaitbombe hinter Olympia, die nun an eine Art Herz-Lungenmaschine angeschlossen war. Danach prügelten sich der betrogene Coppelius und Spalanzani.


Hoffmann und Niklaus


Olympia war nun leblos, und Hoffmann wurde ausführlich vom Chor verlacht. Ende einer Legende und des Aktes. Doch gleich ging es weiter mit Antonia. Keine Zeit für Hoffmann, seine Wunden zu lecken. Und wenig Zeit für Olympia, zu Antonia zu werden.


Viele Geigen hingen vom Himmel für das junge Paar. Wunderschön lyrisch stellte sich Antonia vor. Ich muss das lobend anmerken, denn zu viele Antonien singen zu dramatisch. Franz trat als Krankenpfleger auf und fuhr eine Badewanne auf die Bühne. In die lud er große Augäpfel, die auf Säulen standen-


Das war nun zum ersten und einzigen Mal in diesem »Hoffmann«, dass ich nicht sofort verstand, was diese Symbolik bedeuten sollte. Augen spielen ja im Olympia-Akt eine gewisse Rolle. Sollte damit gezeigt werden, dass diese Episode nun zu Ende war, aber eine gewisse Kontinuität zwischen den Akten angedeutet werden sollte?


Dann sang Franz sein witziges Couplet, und die Dramaturgie hatte wohl aufgepasst, denn er beklagte das Fehlen seiner Technik, und nicht der Methode wie so oft. Dabei sang er doch in Wirklichkeit so schön. Kräftiger Applaus.



Guter Einfall der Kostümerie: Das Oberteil von Antonias weißem Kleid bestand aus Stoffrippen, so dass ihr Oberteil an ein Skelett erinnerte. Dann gab es endlich wieder einmal meine geliebte Geigenarie, die verdient beklatscht wurde. (Ich wusste, dass sie kommen würde, denn vor Beginn hatte der erste Geiger Teile daraus geübt.)


Stürmische Begrüßung Hoffmann – Antonia, und dann Applaus für die Duette der beiden. Während Hoffmanns Widersacher Coppelius eher witzig interpretiert war, wurde er nun richtig dämonisch. Für Antonia stand ein Krankenbett auf der Bühne. Eines der vielen Beispiele, wie die Regie unaufdringlich die Atmosfäre des jeweiligen Aktes charakterisierte,


Nachdem Antonia unter Mirakels Einfluss zusammengesackt war, lebte sie wieder auf, als Mirakel ihr die Karriere ausmalte. Im Hintergrund kündigte sich die Mutter im Hintergrund drohend als tanzendes und immer größer werdendes Schattenspiel an. In einem Rokokokleid und Hochfrisur erschien sie dann. Applaus gab es dann für ein perfekt gesungenes Terzett, den musikalischen Höhepunkt dieser Oper. Dann schnitt die Mutter der Antonia mit einem Geigenbogen die Kehle durch. Die vom Himmel hängenden Geigen, die bisher braun beleuchtet waren, sahen plötzlich alle schwarz aus. Kräftiger Applaus für diesen Akt und Pause.


Giulietta und Hoffmann



Zwei kreisrunde Scheiben formten das Bühnenbild bei Giulietta. Eine senkrechte im Hintergrund, eine leicht nach vorne geneigte in der Bühnenmitte. Erst kaum hörbar, dann immer mehr crescendo flirrten die Geigen. Erstaunlicherweise gelang es dem Piccolo, so gedämpft zu spielen, dass es nicht störte. Zahlreiche sich umarmende Paare füllten die Bühne. Eine sinnlich gesungene Barkarole folgte. Hoffmann lag im Schoß der Muse. Giulietta wirkte höchst kokett.


Dann gab es, vermutlich als Konzession an das Publikum, eine traditionelle Spiegelarie, obwohl die Kaye-Keck-Version die musikalisch anspruchsvolleren Originalnummern Jacques Offenbachs enthält. Es gab verhaltenen Applaus. Das folgende, ebenfalls nicht originale Sextett wurde zu einem gewaltigen musikalischen Erlebnis, dem natürlich applaudiert wurde. Das Duell Hoffmann – Schlemihl wurde mit Taschenmessern ausgetragen.


Feurige Duette Hoffmann – Giulietta folgten. Giulietta sang nun hochdramatisch. Erstaunlich, wie wandlungsfähig diese Stimme ist, und das trotz anzunehmender Premierennervosität. Der Verlust des Spiegelbildes wurde angedeutet, als auf der senkrechten runden Fläche ein Fenster in Stücke brach. Der Chor warnte Hoffmann eindringlich, doch der hörte nicht.


Gut wurde herausgespelt, wie Hoffmann von Giulietta hintergangen wurde. Daraufhin erschlug Hoffmann Pitichinaccio mit einem Handspiegel, doch der stand bald wieder auf und verlachte Hoffmann. Der befand sich nun in einer Welt, in der nichts mehr stimmte und in der er sich auf nichts mehr verlassen konnte.



Dann kam Stella in einem roten Kleid. Anschaulich wurde dargestellt, wie alle anderen Personen außer Hoffmann sich wie in der Realität bewegten. Das wurde symbolisiert, indem alle Damen ihre Rokokoperücken abgelegt hatten und nun wie normale heutige Menschen aussahen. Nur Hoffmann träumte noch seinen Wahn. Das war beispielhaft visualisiert. Stella sang. Dann verschwanden dank Drehbühne alle Personen von der Bühne.


Nur Hoffmann und Niklaus befanden sich erschöpft und bedrückt vorne auf der Bühne. Die Muse wiederholte mit bewegender Intensität die Apotheose auf Hoffmann. Der Chor kam zurück in Alltagskleidung und sang energisch auf Hoffmann ein. Langsam erhob sich Hoffmann wieder und schien ins Leben zurückzukehren, wenn auch angeschlagen. Das war ein gewaltiges und korrektes Ende, das unter die Haut ging. Die wohl intensivste Szene der Aufführung. Vorhang und Ende.


Kräftiger Applaus und Jubel, als der Vorhang wieder aufging. Großer Jubel brandete auf, als die Solisten auf die Bühne kamen, und den hatten sie sich verdient. Kräftiger Applaus auch für das Regieteam. Nach fünf Minuten wurde rhythmisch geklatscht. Die Applausregie des Schweriner Theaters ließ die Solisten mehrfach vortreten, was bekanntlich die Gesamtdauer des Schlussapplauses deutlich verlängert. Zwischendurch fiel mal wie ein Fallbeil ein schwarzer Vorhang herunter, doch das Publikum ließ sich nicht beeindrucken und klatschte weiter. Nach gut neun Minuten fiel der schwarze Vorhang erneut und endgültig. Wir hätten gerne weitergeklatscht. Meinem Gefühl nach wären deutlich mehr als zehn Minuten drin gewesen.

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin und bei der Fotografin Silke Winkler. Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Dann lud das Schweriner Theater sein Publikum zu einer Premierenfeier, und jeder Besucher bekam ein Glas Prosecco. Die Reden von Intendant und Operndirektor/Regisseur waren erfreulich kurz und launig. Interessante Gespräche mit Ensemblemitgliedern folgten.






Intendant mit Solisten auf der Premierenfeier












Startseite o weiter nach Dresden