Motiv aus: www.hpvorlagen-24.de



Vier Kaffee in der Wiener Staatsoper



www.staatsoper.at





Besuchte Vorstellung: 19. Juni 2007





Die Staatsoper in Wien

Regie


Andrei Serban

Dirigent


Michael Halácz

Bühnenbild

und Kostüme


Richard Hudson

Version


Oeser




Hoffmann


Marcus Haddock

Muse


Sophie Marilley

Olympia


Jane Archibald

Antonia


Simina Ivan

Giulietta


Nadia Krasteva

Widersacher


Franck Ferrari








Fazit Wien: Vier Kaffee. Was soll das bedeuten? Es gibt eine Anekdote über die Wiener Philharmoniker, wie sie ambitionierte Dirigenten auflaufen lassen, die alles ganz genau vorschreiben und erläutern. Die Musiker hören geduldig zu und sagen dann zum Nachbarn: „Vier Kaffee." Damit spielen sie auf einen Kellner in einem Wiener Kaffeehaus an, der an einem Tisch mit vier Gästen die Kaffeebestellung aufnimmt. Der erste will einen resch gerösteten Arabica mit viel frisch geschlagenem Obers, der nächste einen milden Mokka ganz süß, der dritte einen magenfreundlichen Schonkaffee usw. Der Ober schreibt alles geduldig auf, geht zur Theke und bestellt vier Kaffee.

Ich hatte den Eindruck, dass diese Inszenierung schon ein Jahrzehnt oder noch älter ist und immer wieder runtergespult wird, weil sich keiner die Mühe einer Neuinszenierung machen will. Schlecht war sie nicht, die Musiker spielten meist gut, aber ohne Brillianz, der Hoffmann war stimmlich der beste aller von mir bis dahin besuchten Aufführungen, die Olympia klasse, und die Antonia ergreifend. Aber der Inszenierung fehlte ein Gesamtkonzept, ein roter Faden, der erkennen ließ, wie der Regisseur die Oper verstand.

Dadurch, dass man eine ziemlich volle Version spielte, entstanden Längen, besonders im Vorspiel. Wien hätte ich mir schenken können, da ich Jahre zuvor schon eine Fernsehübertragung gesehen hatte, die mich von weiteren Theateraufführungen meiner Lieblingsoper abschreckte. Immerhin zählt sich ja die Wiener Staatsoper gerne zu den fünf besten Häusern der Welt. Mich hatte ihr »Hoffmann« nicht überzeugt. Irgendwelche neuen Aspekte der Oper bot diese Inszenierung nicht. Und die Akustik in diesem berühmten Opernhaus ist nicht die beste, jedenfalls war sie es nicht an meinem unbequemen Platz. Das riesige Orchester - allein sechs Celli und sechs Kontrabässe - war gut zu hören, aber die Stimmen der Sänger verloren sich im Raum. Gelegentliche schräge Einsätze erstaunten mich allerdings.

Lobend hervorzuheben sind die LCD-Bildschirme an jedem Platz, auf denen man die Übertitel verfolgen kann. So einen Komfort erlebte ich später erst wieder an der Met.



Nach Berlin, Bremen, Hannover und Zwickau sollte meine »Hoffmann«-Serie einen vorläufigen Höhepunkt am 19. Juni in der Wiener Staatsoper erreichen, in den Räumen, in denen der legendäre jährliche Opernball stattfindet und an einem Theater, das zu den besten der Welt gerechnet wird. Außerdem fand in Wien am Ringtheater einst die deutschsprachige Erstaufführung der Contes statt. Allerdings mit tragischen Folgen.




Der Anfang war schon mal vielversprechend. Mit ausgesuchtem Wiener Charme bekam ich meine vorbestellte Karte überreicht. Die zahlreichen Bediensteten lächelten alle freundlich aus ihren Livrees. Ein Programm gab es nicht, außer einem Waschzettel mit den Sängern des Abends und viel Reklame für 90 Cent. Naja, die Staatsoper braucht auch Geld. Ein Piccolo-Fläschchen Schampus kostete 26 Euro für 0,2 Liter. Das Innere der Oper ist prächtig, fast wie das der Garnier-Oper in Paris.


Die Vorstellung war ausverkauft. In Wien war Festspielzeit. Viele Ausländer waren im Publikum. Gespannte Erwartung lag in der Luft. Die Zuschauer und besonders die -innen waren gut gekleidet. Mit ausgesuchter Höflichkeit wurde ich zu meinem Platz, ja fast, eskortiert. Erster Eindruck: Der rote Plüschsitz war äußerst unbequem. Ich saß gekrümmt, wenn ich was sehen wollte, und wenn ich mich bequem zurücklehnte, sah ich nichts. Immerhin konnte ich dann auf das Display vor mir blicken. Naja, so eine Oper dauert ja nicht ewig. Und wann kommt man schon mal in die Wiener Staatsoper. Gespannte Erwartung also. Das Orchester stimmte sich ein, der Dirigent wurde freudig begrüßt, und die Musiker im Frack legten los.





Bald war man in Lutters Keller, der etwas modernistisch-karg ausgestattet war, aber durch eine gute perspektivische Einteilung Größe vermittelte. Der Chor sang gut, das Orchester spielte wacker, wenn auch leicht gelangweilt, ohne richtigen Schwung. Nach ein paar Minuten merkte ich, dass ich diese Inszenierung schon von einer Fernsehübertragung kannte, und dass mir jene Inszenierung alles andere als gefallen hatte.

Rat Lindorf trat in kakanischer Offiziersuniform auf; zwei Soldaten eskortierten ihn. Es wurde somit gleich klargestellt, wem die Stella gehören sollte: dem Hofrat und nicht dem Dichter.


Die erste positive Überraschung: Der Hoffmann (Marcus Haddock) war ein lebhafter junger Kerl mit einem brillianten Tenor, frisch und fröhlich sang er los. Man hatte ihn für die Festspielzeit eingeflogen. Allerdings nahm ich ihm den intellektuellen Dichter nicht ab. Sein Hoffmann in dieser Inszenierung war eher ein Playboy als ein Poet.


Der Olympia-Akt begann. Spalanzanis Labor war fast surrealistisch eingerichtet, mit einem riesigen Auge, mystisch wie in den siebziger Jahren. Aber ohje, wie hatte man den armen Spalanzani angezogen! Er trug einen weißen Laborantenkittel, was ja noch anging. Über den Kopf hattte man ihm kunstvoll einen langen roten Gummischlauch drapiert, dazu eine Taschenlampe auf den Kopf montiert, die seinen hektischen Bewegungen folgend in der Gegend herumleuchtete. Also wie ein Physiker um 1800 sah er nicht aus mit seinem roten Gummischlauch um den Kopf. Eher wie ein Krankenpfleger, der jemandem einen Einlauf verpassen soll und dazu einer gerichteten Lichtquelle bedarf. Der Wiener Spalanzani war ein hektischer, fast hysterischer Typ, der lebhaft auf der Bühne hin und her wetzte. Merkwürdig auch der Cochenille, dessen Kopf vor Glühlampen nur so strotzte.


Institution im Umfeld der Wiener Staatsoper


Dann trat Olympia auf mit einem mächtigen Koloratursopran. Sie schien das verehrte Publikum wissen lassen zu wollen, dass sie mit dieser Rolle unterfordert war, denn sie hing ihrer Arie noch allerlei Kringel und Schnörkel an und legte auf Offenbachs höchste Note noch einen Riesenlöffel Wiener Schlagobers drauf. Gekonnt der Gesang, und begeistert der verdiente Applaus für diese Olympia, die sich als zickiges Püppchen gab. Mozart soll sich ja mal lustig gemacht haben über eine damalige Kollegin der Wiener Olympia, die ihre Arie ebenfalls mit allerlei Schnörkeln verziert hatte. Hier hätte er ein weiteres Opfer ausgemacht.


Das Wiener Publikum war das applaudierfreudigste meiner bisherigen Serie. Ein lebhafter Gegenpol zu den drögen Hannoveranern. Zweimal allerdings spielte das Orchester mitten in den Applaus hinein, obwohl die Leute noch gerne weitergeklatscht hätten. Möglicherweise wollte der Dirigent früher nach Hause.



In der bisher eher bizarren Szenerie des Olympia-Aktes wartete ich vergeblich auf die Festgäste, die zu Olympias Präsentation ja auch zum Souper gebeten werden. Ein paar Mädchen in langen weißen Spitzenunterhosen, wie sie unsere Urgroßmütter trugen, bildeten die Gästeschar, der Rest versteckte sich eher in einer Galerie am oberen Bühnenrand. Diese Mädchen verbargen ihre Gesichter hinter dichten weißen Schleiern, die über ihre Antlitze fielen und blickten durch ausgeschnittene Augenlöcher. Und um dem Bizarren noch eins draufzusetzen, hatte ihnen jemand Tropenhelme aufs Haupt gestülpt. Ku-Klux-Clan mit Tropenhelm war die einzige Assoziation, die ich meinen Gehirnwindungen abringen konnte. Zur Musik führten sie täppische Tänze auf, wobei sie den Gleichtakt nicht halten konnten, weil sie durch die kleinen Augenlöcher ihre Mitstreiterinnen nicht sahen. Wenigsten fiel keine in den Orchestergraben, was gut war, denn man brauchte sie noch im letzten Akt als Huren im Bordell – daher die Unterwäsche. Dort aber zeigten sie endlich ihre Gesichter. Aber was gesichtslose Mädchen in Unterwäsche und Tropenhelmen in Spalanzanis Labor sollen, weiß vermutlich nur der Regisseur.








Leider war es der Staatsoper Wien nicht möglich, uns Fotografien dieser Produktion zur Verfügung zu stellen.


Der Antonia-Akt lebte von der ausgezeichneten Stimme der Namensträgerin. Einmalig gelungen ihre Sterbeszene. Ich habe noch nie gesehen, wie eine Antonia mit ersterbender Stimme singend ihr Leben aushaucht. Einfach ergreifend. Dieser Akt rettete die Inszenierung vor der Lächerlichkeit, die sich im ersten Akt abzeichnete.


Der Giulietta-Akt war etwas blass und in wenigen Minuten heruntergenudelt, auch die Ausstattung des Edelbordells in Venedig war ziemlich dürftig. Außer den obligatorischen Gondeln war der Regie nicht viel eingefallen. Eine Bordellatmosphäre kam nicht rüber. Der Giulietta nahm ich die Kurtisane nicht ab. Sie wirkte eher wie eine biedere Hausfrau, die sich zu einem Cocktail-Empfang herausgeputzt hatte. Aber gut, keine Peinlichkeiten wie im ersten Akt, und die Freudenmädchen waren ganz putzig anzusehen und hüpften nun etwas koordinierter durch das Bühnenbild, denn sie brauchten jetzt nicht mehr durch kleine Gucklöcher in die Gegend zu schauen. Schön sangen Niklaus und Giulietta die Barkarole.


Nach dem Ende wollte ich mich in einem Büro erkundigen, in dem man die Abendplakate verkaufte, wann denn diese Oper inszeniert worden war. Keiner wusste es. Wahrscheinlich sind schon alle im Ruhestand, die sie einst kreierten. Von einem freundlichen Opernbesucher aus Nürnberg erfuhr ich, dass diese Inszenierung von 1993 stammt. Sie wurde 2014 wieder aufgenommen.


Diese Inszenierung wurde vor einigen Jahren im deutschen Fernsehen übertragen. Den Fernsehgewaltigen möchte ich raten, sich genauer zu überlegen, welche Opern sie übertragen. Es scheint, dass sie sich eher vom Glanz der großen Häuser und Namen blenden als von der Qualität der Inszenierungen leiten lassen. Im gleichen Jahr sah ich mehrere »Hoffmänner«, die es viel eher verdient hätten, ins Fernsehen zu kommen als dieser. Tipps: Berlin - Komische Oper 2007, Aachen 2008, Bern 2008, Tartu 2009/10 und Breslau 2009/10. Keinen dieser Geniestreiche konnte man je im Fernsehen bewundern.

Aber man kann ja aus solchen Erfahrungen lernen. Seit Wien weiß ich, dass große Häuser oft mehr mit eingeflogenen Stars glänzen als mit durchdachten und einfühlsamen Inszenierungen. Die findet man eher an kleineren Theatern. Leider bekommen diese Avantgardisten selten die Aufmerksamkeit und Förderung, die sie eigentlich verdienen.

Nach einigen Erfahrungen und Gesprächen mit Opernprofis lernte ich, dass von Operninszenierungen immer mehr Details verloren gehen, je länger die Oper gespielt wird. Was bei der Probenarbeit mühevoll an Gesten einstudiert wurde, geht dann verloren, wenn in späteren Aufführung jemand anderes die Rolle übernimmt, oder der ursprüngliche Sänger nicht mehr so motiviert ist.

Jemand steckte mir auch die Insider-Information zu, dass es bei den Wiener Philharmonikern immer mal wieder vorkommen soll, dass ein Stammmusiker sich schon mal von einem Musikstudenten vertreten lässt, wenn er anderweitig engagiert ist. So lassen sich wohl einige schräge Einsätze und die mangelnde Brillianz des Orchesterklangs erklären.

Unzufriedener mit einem Orchester war ich nur noch bei der Derniere in Köln.



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