Verschränkter »Hoffmann« mit himmlischen Stimmen bei den Salzburger Festspielen

www.salzburgfestival.at

Besuchte Vorstellung (Dernière) 30. August 2024






Regie


Mariame Clément

Dirigent


Marc Minkowski

Ausstattung


Julia Hansen

Chorleitung


Alan Woodbridge

Version


Kaye-Keck

Sprache


Französisch




Hoffmann


Léo Vermot-Desroches

Muse


Kate Lindsey

Olympia, Antonia, Giulietta. Stella


Kathryn Lewek

Widersacher


Christian Van Horn









Fazit Salzburg: Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht? Das war ein »Hoffmann« für Insider. Wer diese Oper nicht gut kannte, wurde spätestens im Antonia-Akt mit verblüffenden Verfremdungen konfrontiert. Kannte man die Oper gut, bot sie einige überraschende Gags. Mehrere Zitate aus anderen Inszenierungen fielen auf. Der an sich einfachen und klaren Handlung dieser Oper – Vor- und Nachspiel in Lutters Taverne sowie drei Zentralakte mit Hoffmanns phantastischen Erlebnissen – wurde die von der Regie dazugedichtete Inszenierung einer Verfilmung überlagert. Außerdem hatte man am Libretto herumgebastelt. Eine psychologische Interpretation der Oper zu Hoffmanns Scheitern fand kaum statt, die Charaktere blieben beliebig. Die Auswahl der Nummern war gut; traditionell Falsches wurde weggelassen, Die Länge war allerdings ungewöhnlich: vier Stunden und fünfzehn Minuten mit zwei Pausen waren schon fast wagnerianisch. Zu loben war die mimisch und choreographisch liebevolle Detailarbeit des Regieteams.

Tadellos und ein Genuss war die musikalische Seite. Eine souveräne Stella sang alle Sopranrollen, der Weltstar Benjamin Bernheim sang die Titelpartie, musste aber die Derniere absagen, da er schon an der Met gebraucht wurde. Das Publikum ging gut mit und spendete häufigen Szenenapplaus. Die Tempi des Dirigenten wurden von einigen Kritikern als zu behäbig empfunden.


Es gibt zahlreiche Kritiken im Netz, denn was in der Opernkritik Rang und Namen hat, war zur Premiere nach Salzburg angereist. Diese Inszenierung sollte den Höhepunkt der disejährigen Festspiele darstellen und wurde deren größter Flop. Allerdings kamen die meisten Opernexperten bei der korrekten und originalen Diamantenarie des Jacques Offenbach ins Schleudern, weil sie die selten gesungene Version nicht kannten und das Implantat Spiegelarie erwartet hatten. Einhelliges Lob für die inhaltliche Interpretation von Hoffmanns Erlebnissen gab es nicht. Als das Regieteam auf die Bühne kam, soll laut gebuht worden sein.

Zu den Kritiken einfach in eine Suchmaschine wie z.B. www.ecosia.org eingeben: Salzburg 2024 Hoffmanns



Die Salzburger Festspiele in ihrer gegenwärtigen Form gibt es schon ein Jahrhundert lang .Nach dem 2. Weltkrieg wurden sie von Herbert von Karajan zu einem internationalen Kunstereignis ausgebaut. Es gibt drei große und einige kleinere Spielstätten. Auch das Salzburger Landestheater, eigentlich eher ein Stadttheater, wird einbezogen.


Der Salzburger »Hoffmann« wurde im großen Festspielhaus gegeben, das an die 2200 Plätze hat. Alles ist bestens organisiert, das Publikum war auch zur Derniere festlich gekleidet; viele Damen waren in lange Kleider gewandet. Zur schon lange ausverkauften Premiere waren viele Spitzen der Gesellschaft angereist. Auch die Elite der Opernkritiker aus Deutschland war gut vertreten, angeführt von Jürgen Kaube von der FAZ, der wie ich bekennender »Hoffmann«-Fan ist. Eine freundliche Mitarbeiterin der Festspiele hatte mir eine Karte für die Generalprobe besorgt, die mich leider im Krankenhaus erreichte. Aber dann bekam www.hoffmannserzählungen.de noch eine Pressekarte für die Derniere. Danke dafür. Schließlich gehört diese Seite nicht zu den etablierten Opernmedien.


Eine Pressekarte für die Premiere hatte dagegen das Kulturmagazin der ARD ttt (Titel-Thesen-Temperamente) bekommen, Die hatten keinen Aufwand gescheut und keine Geringere als die renommierte Kindersendungsmoderatorin Sahima El-Maimouni zur Premiere nach Salzburg geschickt, woselbst sie fröhlich vor dem Großen Festspielhaus einer staunenden Öffentlichkeit verkündete, dass man gerade dabei sei, die Salzburger Premiere von Jacques Offenbachs einziger Oper (sic!) zu erleben. Diese Fernsehberühmtheit Maiomai hielt es in ihrer narzisstischen Verliebtheit offensichtlich nicht für nötig, wennigstens die Volksenzyklopädie Wikipedia zu konsultieren, in der alle Opern Jacques Offenbachs deutlich lesbar aufgeführt sind. Man verlangt von Kulturjournalisten von ttt und 3sat gar nicht mehr Fachliteratur gelesen zu haben. Offensichtlich ist für diese zwangsgebührenfinanzierte Kulturträger eine Wikipedia schon zu anspruchsvoll. Und in der Redaktion von ttt scheint dieser lächerliche Irrtum auch niemandem aufgefallen zu sein. Jedenfalls sendete man das so in der ARD. Hier ein Link zum Auftritt dieser Opernexpertin.


Erstaunlich, dass auch die sonst gut informierte Fachzeitschrift Opernglas von Offenbachs einziger Oper schrieb. Also, nochmal zum Mtschreiben: Jacques Offenbach komponierte mindestens zwei vollgültige Opern, die Rheinnixen und Hoffmanns Erzählungen. Bei zwei anderen kann man darüber streiten, ob sie nun eine Opera bouffe oder zu kurz sind. Die Rheinnixen werden aber nur ganz selten aufgeführt und floppten schon nach der Premiere. Offenbach versuchte sich darin, ähnlich wie Wagner zu komponieren, und das war nun nicht sein Metier.



Die Derniere in Salzburg war nicht ausverkauft, was man daran merkte, dass die Ticketdealer vor dem Theater ihre gehorteten Karten nicht mit dem erhofften Gewinn verkaufen konnten sondern sie nur mit Abschlägen loswurden, falls überhaupt. Das mochte zum einen daran liegen, dass der internationale Startenor Benjamin Bernheim zur Derniere schon auf Proben an der Met benötigt wurde, zum anderen, dass die Kritiken in den Medien alles andere als begeistert waren und in einigen sogar massive Kritik geübt wurde.



Aber die Salzburger Festspiele zählen als internationales Kulturereignis, und dort muss frau und man gesehen werden, wenn man dazugehören will. Die Besetzung war erste Sahne. Die vielseitig begabte Amerikanerin Kathryn Lewek sang alle Sopranrollen, der Offenbach-Spezialist Marc Minkowski dirigierte die Wiener Philharmoniker und der nun auch Kommerzsportadepten vertraute Tenor Benjamin Bernheim sang in den meisten Vorstellungen den Hoffmann, nachdem er bei der Eröffnung der Pariser Sportschau brilliert hatte.



Das Große Festspielhaus wurde 1960 eröffnet und bietet über 2200 Besuchern Platz. Vom Hauptbahnhof fährt man mit der Linie 1 zum Karajanplatz, und schon ist man fast dort. Es ist innen in warmem Holz gehalten, was allerdings die Akustik etwas dämpft. Aber sie ist insgesamt noch gut. Die Bühne ist riesig breit, und im Orchestergraben zählte ich vier Kontrabässe und sechs Celli. Das Programmheft (10.-) war reich bebildert, und die Texte waren auf Deutsch und Englisch, ebenso die Übertitel.


Dem Regiekonzept der Madame Clément muss ich einige Anmerkungen widmen, denn es wurde nicht jedem sofort klar. Da ich zusammen mit Opernfreund Herbert die Fernsehübertragung auf dem französischen Sender Arte gesehen hatte, versuchten wir, diese Interpretation zu interpretieren. Madame Clément schien der Oper das Konzept übergestülpt zu haben, dass Hoffmann in Teilen der Oper sein eigenes Leben verfilmt und dabei gleichzeitig sein eigener Hauptdarsteller ist. Eine an sich interessante Idee und gar nicht abwegig. Schließlich ähnelt sie dem Konzept der beiden Autoren des dem Opernlibretto zugrundeliegenden Schauspiels von Michel Carré und Jean Paul Barbier. Die hatten nämlich den Schriftsteller Hoffmann zur Hauptperson seiner eigenen Novellen gemacht.


Als Vorbild für den Hoffmann als Regisseur könnte sie sich den genialen Schweden Ingmar Bergman genommen haben, denn wenn der Salzburger Hoffmann filmte, trug der eine Strickmütze wie sie auch Ingmar Bergman bei seiner Filmarbeit trug. Siehe den Artikel über Ingmar Bergman in der schwedischen Wikipedia. Der Salzburger Hoffmann trug immer mal wieder Bergman´sche Züge in seiner Ambivalenz und inneren Zerrissenheit. Was aber die Regiearbeit von Ingmar Bergman und Mariame Clément unterscheidet: Bergman bediente sich immer klarer und gut verständlicher Bild- und Verbalsprache. Man verstand immer sofort, was er aussagen wollte. Und das war leider in Salzburg nicht immer der Fall. Ingmar Bergman schätzte übrigens die Contes und wollte sie verfilmen. Leider kam er nie dazu. In einem seiner letzten Filme Larmar och gör sig till (Shakespeare, Macbeth 5, 5) reflektiert er auch über sich selbst,.



Man erlebt es nur selten, dass Leute nach der ersten Pause ihre teuren Karten verschenken und nach Hause gehen. Genau das bekam ich zufällig vor dem Großen Festspielhaus mit. Ich sprach die beiden Deserteure an und erkundigte mich nach deren Motiven. Sie führten einerseits die unverständliche Verschränkung zweier Handlungen und andererseits den zum Slapstick heruntergekommenen Olympia-Akt an. Satire und Parodie gut und schön, aber das war schon alles eher Farce statt menschlicher Tragödie. Dazu mehr später. Die beiden Enttäuschten erwiesen sich zu allem Verdruss noch als gewiefte Opernkenner. Für mich wurde das Regiekonzept nach dem zweiten Ansehen klar und verständlich, aber ich habe diese Oper inzwischen an die 150 Male gesehen, und das hat nicht jeder. Und Ingmar Bergmans Werk kenne ich auch von zahlreichen Kino- und Theaterbesuchen am Königlichen Dramatischen Theater in Stockholm.



Frau Clément hatte sich ein anspruchsvolles Konzept ausgedacht und hatte damt einen Anlauf zu einem hohen Sprung genommen. Aber sie sprang so hoch und entkam dabei in wolkige Höhen, so dass sie irgendwo landete, aber nicht bei den Zuschauern. Die meisten der zahlreichen zur Premiere eingeladenen Starkritiker hatten dieses Konzept auch nicht verstanden und schrieben einfach irgendwas. Es bleiben ja immer noch das Bühnenbild, die Kostüme, das Orchester und der Gesang, und daran gab es kaum etwas auszusetzen.


Ziemlich pünktlich hob Maestro Minkowski seinen Taktstock, und wie in Bordeaux 2019 ließ er die Auftaktakkorde schon wuchtig und maestoso spielen. Schon mal gut. Der Vorhang schwebte zur Seite, und eine riesig breite Bühne wurde sichtbar. Die war ziemlich leer, und ein Penner pennte unter einem Einkaufswagen. Nun verstand ich Jürgen Kaubes Überschrift über den Salzburger . »Hoffmann«: Penner trifft Rampensau. Den Penner hatten wir schon mal, die Rampensau kam später.



Dass ein »Hoffmann« in ein Penner- und Drogenmilieu verlegt wurde, ist nicht neu. Das gab es schon mal in Basel 2014 von Elmar Goerden und dann etwas abgemildert 2018 in Gera. Thilo Reinhardt verlegte seinen Trierer Hoffmann auch in eine triste und feindliche Welt, die durch die Kunst zum Leben erweckt wird. Auf dieser riesigen Bühne mit nackten, nicht mehr ganz neuen Mauern wirkte der Hoffmann noch verlassener bemitleidenswerter.


Wie im Libretto vorgesehen kam die Muse aus einer Tonne, diesmal aber nicht aus einem Fass des Diogenes sondern aus einer Mülltonne aus Plastik. Der Chor sang das Gluck-Gluck aus dem Orchestergraben, räumte dann aber denselben. Es begann ein ziemlich langes Vorspiel bei Lutter, das man ohne inhaltliche Verluste um mindestens zehn Minuten hätte kürzen können. Wie beim »Hoffmann« in Halberstadt und Mönchengladbach füllte sich die Bühne mit allerlei Fantasiegestalten aus allen Epochen und Ecken der Welt, u.a. mit römischen Soldaten, die vermutlich gerade in einem Kostümfilm mitwirkten. Zum Klein-Zaches stand eine stumme Stella vorne links und wurde hell angestrahlt, als Hoffmann zur Stella abschweifte. Für die wirklich gute Interpretation des Klein-Zaches gab es den ersten Szenenapplaus. Von der Stimmcharakteristik her ähnelte der Einspringer verblüffend nah dem Benjamin Bernheim.


Nach dem zu langen und ereignislosen 1. Akt bei Lutter waren wir schon beim Physiker Spalanzani angekommen. Der ähnelte für meinen Geschmack zu sehr, aber immerhin nicht ganz, dem Mathematiker Einstein. Passend zur Handlung hatte man die Muse die Weise vom Traum von Liebe und Glück an dieser Stelle singen lassen, um Hoffmanns Verliebtheit zu illustrieren .



Eine Penner-Atmosphäre war bei Spalanzani nicht mehr zu sehen sondern eine Mischung aus einem billigen Western-Saloon und einem Science-Fiction-Filmset, denn eine simples Raumschiffmodell wurde hereingebracht, Eine gute und lebhaft vorgetragene Gockel- (oder Vogel-) Arie der Muse wurde beklatscht. Überhaupt wurde von Anfang sichtbar, dass sich die Regie sehr viel Mühe gab, ausgefeiltes Mienen- und Gestenspiel zu präsentieren. Das Lob auf Olympias Augen ließ Maestro Minkowski ziemlich behäbig singen.



Dann folgte ein Auftritt der Olympia, der wohl einige Zuschauer veranlasste das Theater zu verlassen, was ich auch verstehen kann. Die Olympia sang zwar eine perfekte Koloratur-Arie, aber die Regie hatte ein billiges Tingel-Tangel auf die Bühne gebracht. Der Olympia-Akt spielte nicht in der schicken Pariser Haute Volée sondern in einer Honky-Tonk-Spelunke im Wilden Westen, und Madame Clément ließ keinen noch so billigen Slapstick-Gag aus, um Spalanzanis Vorführung seiner Tochter zu illustrieren. Eine zweite fliegende Untertasse blinkte an einer Angel, Olympia ballerrte mit Pistolen herum, hantierte mit einem Dildo, und dann krachte und schepperte es, als an ihrem Bustier Knallerbsen explodierten und der Busen selbst blinkte, Also, alles was recht ist, aber das war zu viel des Banalen. Hier geht es doch um ein menschliches Drama, in dem ein verirrt verknallter und vorsätzlich getäuschter Hoffmann vorgeführt wird und nicht um einen Klamauk-Event. Und am Schluss wurde die ferngesteuerte Olympia gar nicht zerstört sondern blieb quicklebendig. Begeisterter Applaus für die Olympia, Und das Ganze wurde von einer Filmcrew von einem Gerüst aus auf Zelluloid festgehalten. Hoffmann wurde getäuscht und verlacht. Dsss die Olympia nicht zerstört wurde, sondern plötzlich wieder herumsprang, hatten wir schon 2008 in Luzern. dann Pause.


Auch im Antonia-Akt befanden wir uns auf einem Filmset. Eine Filmkulisse für Antonia war links aufgebaut. Dieser Akt wurde noch verwirrender, weil Hoffmann einmal der Regisseur, dann auch wieder sein eigener Hauptdarsteller war. Keiner beachtete Antonia, um die es doch eigentlich ging. Man glaubte in Salzburg nicht, auf einen Franz verzichten zu können und machte aus ihm eine Witzfigur. Irgendeinen Bezug zur Entwicklung der Handlung verlieh man ihm nicht. Auf der Bühne befanden sich im Antonia-Akt fast nur mehr Personen, die überhaupt nichts mit der eiigentlichen Handlung dieses Aktes zu tun hatten.



Die Muse trug eine witzige Parodie auf Olympia vor, die zu Recht beklatscht wurde. Eine korrekt gesungene Geigenarie erfreute die Kenner dieser leider vierl zu oft gestrichenen Nummer, Aber dann setzte sich die confusio omnipraesens fort: Die Muse und Vater Krespel begüßten sich herzlich. War das nun das Aufeinandertreffer zweier Darsteller oder hatte das mit der Handlung des Aktes zu tun? Laut Libretto mag Vater Krespel den Hoffmann überhaupt nicht Die 20jährige Antonia war gekleidet wie eine Matrone. Sie setzte sich an den Flügel und sang zusammen mit einem Statisten, der vermutlich ein Double des Hoffmann sein sollte, denn der echte Hoffmann war ja mit der Filmerei vollauf beschäftigt. Ein leeres Bühnenkleid der Mutter wurde an einem Galgen hereingetragen, um ihre Ankunft zu anzukündigen..



Die Dämonie des Doktor Mirakel wurde durch zwei Teufelshörnchen auf seiner Stirn symbolisiert. Ansonsten strahlte er gelangweilte Lässigkeit aus. Als Mirakel die Antonia beschwatzte, trug er ein dekolletiertes T-Shirt wie der intelligente Regisseur Tobias Kratzer auf der Premierenfeier in Amsterdam, darüber Hosenträger. Dämonie geht anders. Ja, und wer sang die Mutter? Einige Kritiker meinten sie sänge aus dem Off, aber sie schien vorher das Scriptgirl der Filmcrew gewesen zu sein und stand auf der Bühne. Das musikalisch perfekt vorgetragene Terzett Antonia – Mirakel – Mutter durfte beklatscht werden. Danke, Maestro Minkowski. Während im Text der Tod der Antonia beklagt wurde, turnte dieselbe quicklebendig über die Bühne, jedoch starb Hoffmann in den Armen seiner Muse. Applaus und zweite Pause.



Nun kann man sich fragen: Warum stirbt gegen jedes Libretto der Hoffmann? Der wird doch noch für den Rest der Oper gebraucht. Ich kann mir nur denken, dass es ja eigentlich die reale Person Hoffmann ist, die eine verheerende emotionale Niederlage erlitt. Aber die hätte man auch mimisch andeuten können. Nun ist auch der Regisseur und Hauptdarsteller tot oder zumindest bewusstlos. Wie soll es ohne ihn weitergehen?







Giuliettas Kurtisanenboudoir wirkte alles andere als plüschig oder gar puffig. Vier riesige Lattenkonstruktionen bewegten sich auf der Bühne und wurden rot angestrahlt. Sonst herrschte tristes und unromantisches Ambiente. Hoffmann pennte noch, war aber offensichtlich nicht gestorben. Leider hatte es Maestro Minkowski versäumt die Piccoloflöte zu streichen. Wie so oft war sie das lauteste Instrument aus dem Orchestergraben, als die Muse und Giulietta die Barkarole sangen. Zu den Klängen der Barkarole erwachte Hoffmann aus seinem Koma.






Die Primadonna Kathryn Lewek mit einem von ihrem berückenden Gesang begeisterten Besucher, fotografiert von ihrem Vater nach der Vorstellung


In diesem Ambiente einer Baustelle tummelten sich wieder allerlei exotische Gestalten. Das hatten wir schon in Halberstadt bei Hinrich Horstkotte erlebt, Auch zwei Augenmännchen mit riesigen Pupillen wie bei Jakop Ahlbom in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin tänzelten über die Bühne. Die hätten aber, wie Opernfreund Herbert anmerkte, besser in den Olympia-Akt gehört. Schwarze Gugelmänner kündigten Unheil an. Warum man den Dapertutto grotesk ausgestopft hatte wie die Muse in Göteborg, erschloss sich mir nicht. So jedenfalls stellt man sich einen venezianischen Hauptmann nicht vor. Aber er trug noch seine Teufelshörnchen zu seinem Anzug mit Krawatte. Was dann folgte, sollte Schule machen: Dapertutto sang eine der beiden Originalarien aus der Komponistenfeder des Jacques Offenbach, und zwar die melodiösere Variante. Vielleicht folgen nun weitere Opernhäuser dem Salzburger Beispiel, und die von fremder Hand des Andreas Bloch implantierte Spiegelarie gerät allmählich in Vergessenheit. Hier eine Aufnahme des Originals mit Laurent Naouri. Diese korrekte erste Kompostition Jacques Offenbachs wurde in Salzburg gegeben. Offenbach hinterließ eine weitere Variante mit viel staccato, die aber noch seltener gesungen wird.


Giulietta wirkte überhaupt nicht kurtisanenhaft. Sie trug einen knöchellangen seidenen Morgenmantel. Und plötzlich sah sie wieder aus wie die Olympia, als sie den abgeworfen hatte. Dann erfreute uns Giulietta mit einem erweiterten Loblied auf die Freuden der Liebe – mitsamt den raffiniertesten Koloraturen, welche die Opernwelt zu bieten hat. Ein Ohrenschmaus, wie man ihn nur ganz selten zu hören bekommt. Klar, meistens wird die Giulietta separat von einer dramatischen Sopranistin gesungen, und die kann nicht immer Koloratur. Große Applaus für Kathryn Lewek.


Giulietta und Hoffmann landeten im Doppelbett, aber ohne irgendwelche Unzüchtigkeiten. Dann massakrierte Hoffmann den Schlemihl ziemlich unspektakulär mit einem römischen Kurzschwert, das er sich vermutlich von einem der römischen Komparsen ausgeliehen hatte. Dieser Akt zog sich nun etwas zäh mit allerlei Längen hin. Hoffmann filmte sich und Giulietta mit seinem Handy. Endlich endete der Akt, und Hoffmann war wieder einmal erledigt.


Wieder bei Lutter richtete die treue Muse ihren Hoffmann auf, und der elegische à cappella-Männerchor erklang. Stella erschien im kleinen Schwarzen und kümmerte sich null um ihren Freier Lindorf, dessen rote Blumen wie in Linz auf dem Boden landeten.


Bewegend erklang die melancholische Weise von der Asche seines Herzens, und ein indifferentes Ende fand statt. Hoffmann saß an einem Klapptisch, und so allmählich setzten sich die Muse und Stella zu ihm zu einem unflotten Dreier. Was die Drei aber miteinander vorhatten wurde nicht angedeutet. Unspektakulär legten die Muse und Giulietta ihe Hände auf Hoffmanns Schultern, und die Oper war aus.


Begeisterter Applaus und Bravo-Rufe belohnten das Ensemble, auch das Orchester wurde gewürdigt. Sechs Minuten Dernierenapplaus wurden gespendet.



















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