»Hoffmann« als grandiose Parodie auf unsere hässliche Neue Welt


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Besuchte Vorstellung 14. Oktober 2017 (Premiere)







Entwurf zum Plakat. Oben Muse, unten Hoffmann. Dieses Plakat wurde möglicherweise inspiriert von einer Szene aus dem Film Faust (1960), in dem Mephisto und Faust ein einer Szene in ähnlicher Position zu sehen waren. Siehe hier. Links Will Quadflieg als Faust, rechts Gustav Gründgens als Mephisto.

Regie


Thilo Reinhardt

Dirigent


Victor Puhl

Chorleitung


Angela Händel

Bühnenbild


Paul Zoller

Kostüme


Katharina Gault

Version


Kaye-Keck

Sprache


Französisch




Hoffmann


Hugo Mallet

Muse und Mutter


Fritz Spengler

Olympia


Frauke Burg

Antonia


Eva Maria Amann

Giulietta


Bernadette Flaitz

Widersacher


Laszló Lukács









Fazit: Eine in jeder Hinsicht außergewöhnliche Inszenierung durch einen Regisseur, der schon vor einem Jahrzehnt an der Komischen Oper Berlin einen bemerkenswerten »Hoffmann« auf die Bühne gebracht hatte. Sein zweiter nun ohne die geringste Anleihe beim ersten. Eine überwältigende Kaskade von optischen wie psychologischen Ereignissen auf der Bühne, die höchste Konzentration vom Zuschauer erforderte. Eine Fülle neuer Ideen wie im Zeitraffer, ohne die Botschaft dieser Oper zu verfremden und sich in Bizarrerien zu flüchten. Das war keine leichte Opernkost und kein gefälliger »Hoffmann«, aber einer der sich unauslöschlich ins Gedächtnis einprägt. Besonders den Olympia-Akt halte ich für den gelungensten, den ich je sah. Fünf Sterne für eine Inszenierung vergebe ich selten, aber diesmal waren sie selbstverständlich. Musikalisch war alles in bester Ordnung, sowohl was Gesang wie auch Chor und Orchester angeht. Kleine Premierennervositäten sind normal. Das Publikum war begeistert. Trotz der zeitweise anstrengenden Kost kein einziger Buh-Ruf, als das Regieteam auf die Bühne kam. Zusammen mit Barrie Koskys Berliner »Hoffmann« ist Thilo Reinhardts Interpretation in Trier die zur Zeit beste auf europäischen Bühnen.


Hier eine Kritik des Trierer Volksfreundes, und hier ein Zusammenschnitt des Theaters Trier. Die kritischen Passagen des Volksfreundes kann ich nicht nachvollziehen. Zwar gab es eine Fülle von theatralischen Elementen, aber den berühmten roten Faden konnte ich durchaus wahrnehmen.



Wenn ein Regisseur eine Oper zum zweiten Mal inszeniert, kann dies zu unerwarteten Ergebnissen führen. In Trier konnte ich nun zum dritten Mal die Deuxième eines Regisseurs erleben. Christian von Götz hatte 2008 in Lissabon und 2012 in Magdeburg zwei völlig verschiedene »Hoffmänner« vorgestellt, wobei mir der zweite deutlich besser gefiel. Hinrich Horstkotte hatte 2010 in Halberstadt einen »Hoffmann« produziert und 2014 eine Neuinszenierung für Mönchengladbach angekündigt, die sich aber als fast exakte Kopie seines Halberstädter Puppenspiels für Erwachsene erwies. Johannes Erath hatte 2008 einen aufrüttelnden und psychologisch tiefsinnigen »Hoffmann« in Bern inszeniert, aber in Dresden 2016 routinierte Hausmannskost präsentiert. Wiesbaden hatte korrekt angekündigt, dass es 2015 eine überarbeitete Neuauflage der Inszenierung von 2008 bringen werde. In der Tat war der Antonia-Akt neu gestaltet worden.


Nun war ich also gespannt, was Thilo Reinhardt inzwischen neu zu diesem Stoff einfallen würde. Im April 2007 hatte mich an der Komischen Oper sein schonungsloser »Hoffmann« so fasziniert, dass ich damals beschloss, diese Oper so oft wie möglich zu sehen und schrieb ein knappes Jahr später aus dem Gedächtnis die erste Opernkritik meines Lebens. Inzwischen waren 100 verschiedene »Hoffmänner« in aller Welt gefolgt. Ich hatte bei Herrn Reinhardt angefragt, ob er auch wirklich eine Neuinszenierung bringen würde. Ja, gewiss, kam die Antwort. Um jede Wiederholung zu vermeiden, habe er niemanden aus seiner damaligen Berliner Truppe nach Trier mitgenommen. Und so wurde es auch. Kein Fitzelchen erinnerte an den »Hoffmann« von 2007. Beide waren sie gesellschaftskritisch. 2007 wurde vorgeführt, wie Hoffmann, in die korrupte Adenauer-Republik versetzt, von seiner Umwelt schamlos betrogen wurde, und nun in Trier wurde auf weiten Strecken gezeigt, wie sich die inzwischen eingetretene geistige Verflachung und gesellschaftliche Normierung auf uns alle auswirken.



Der leider verstorbene »Hoffmann«-Forscher, Dramaturg und Entdecker des Originallibrettos Josef Heinzelmann hatte mir »Hoffmann«-Anfänger in Erfurt erklärt, dass in der sogenannten Provinz viel ernsthafter als an den sogenannten ersten Adressen am Thema gearbeitet wird. Das können meine Erfahrungen bestätigen. An der Scala, an der Met und an der Münchner Staatsoper wurde durchschnittliche Hausmannkost inszeniert, garniert mit Weltstars, die volle Kassen garantieren. Gewagte Avantgarde ist dagegen auch in der Provinz eher selten. In der Stadt Trier (mit gut 100.000 Einwohnern) wurde nun eine nach meinen subjektiven Maßstäben ganz wenigen gelungenen avantgardistischen Inszenierungen dieser Oper auf die Bühne gestellt, die sowohl die Botschaft dieser Oper rüberbrachte, wie auch ein Feuerwerk werkskonformer aber durchaus neuer Ideen zeigte.



Ich lernte bisher nur einen Regisseur kennen, der so viele verschiedene Elemente in einen »Hoffmann« packte. Das war Stefan Herheim bei den Bregenzer Festspielen 2016. Doch während sich Herheims »Hoffmann« auf individuelle Identitätsprobleme konzentrierte, wahrte Thilo Reinhardt immer auch noch den gesellschaftlichen Bezug. Außerdem blieb er viel näher an der eigentlichen Botschaft dieser Oper. Ich fürchte nur, dass ich nur einen Teil dieser dichten Folge von Bildern mitbekam, denn kaum blickte ich durch mein Fernglas auf eine Person, geschah ich einer anderen Ecke schon wieder etwas Aufregendes. Ich bitte also um Nachsicht, wenn ein paar wichtige Aspekte übersehen habe. Ein baldiger Zweitbesuch ist geplant.



Das Trierer Theater ist ein Neubau, der 1964 eröffnet wurde. Das alte Theater stammte aus napoleonischer Zeit und musste von der königlich-britischen Luftwaffe zur Befreiung der Deutschen vom Naziregime zerstört werden. Die Umwandlung des Trierer Theaters in eine Spielstätte für Gastspiele auswärtiger Theater wurde vor einigen Jahren aus Kreisen der FDP und AfD angeregt. Doch erfreulicherweise griffen die anderen Parteien SPD, CDU und Grüne diesen Antrag nicht auf, und Trier behielt sein eigenes Ensemble. (Lt. Auskunft des Trierer Stadtrates und Mitglieds des Kulturausschusses Markus Nöhl, SPD, der auch die Trierer Premiere besucht hatte.)



Im Dezember 2008 hatte ich in Trier diese Oper schon einmal gesehen. Die Inszenierung war nicht schlecht, aber von der jetzigen trennen sie Welten. Zwei Ensemblemitglieder von damals wirkten auch diesmal mit: der Dirigent GMD Victor Puhl und Laszló Lukácz als Widersacher.


Das Theater hat gut 600 Plätze und besteht aus nichts als einem stark ansteigenden Parkett. Jeder sieht die gesamte Bühne von seinem Platz. Im Orchester zählte ich drei Kontrabässe und vier Celli. Das Theater hat eine Drehbühne. Die Kommunikation mit der Presseabteilung und dem rührigen neuen Pressechef Herrn Traxel war problemlos. Das Theater war voll.


Der Vorhang war noch geschlossen, aber unter ihm quollen zahlreiche zuerknüllte Manuskriptseiten heraus. Diese Papierflut wuchs ins Unermessliche, als der Vorhang aufging. Hoffmann thronte auf seinen Papieren, rauchte, trank und schrieb hektisch. Ziemlich schnell gespielte Auftaktakkorde erklangen. Plötzlich rührte sich der Papierhaufen, und aus dem Papierhaufen kroch eine Person, die sich als Muse herausstellte. Sie trug eine Persona-Maske aus der griechischen Tragödie. Der schiefe verzerrte Mund ließ nicht Gutes ahnen.


Bald zeigte sich, dass die Kaye-Keck-Version gespielt wurde, denn die Muse hob mit der Apotheose auf Hoffmann an. Vom Typ her erinnerte sie mich an den Schauspieler und Regisseur Peter Kern, nur androgyner.


Muse und Hoffmann am Arbeitstisch


Hinten auf der breiten Bühne stand quer ein langer Tisch, an dem Hoffmanns Apostel saßen, allerdings mit 17 mehr als das übliche Dutzend. Eine höchst elegante Stella stöckelte samt Lakajen narzisstisch über die Bühne. Lindorf erschien ganz in Weiß. Als sich die erste Auseinadersetzung Lindorf – Hoffmann abzeichnete, stellte sich die Muse schützend vor Hoffmann. Der livrierte Lakaj Stellas brachte ihren Brief, wurde aber von Lindorf abgefangen. Stella kam wieder vorbei und wurde von Zofen noch schicker gestylt. Wunderbar wie unbeteiligt-narzisstisch und leicht gelangweilt über die Bühne stöckelte ohne einen Blick ins gemeine Publikum zu werfen.


Hoffmanns Freunde waren auch in Weiß und erhoben sich langsam aus ihrer Lethargie hinter dem Tisch. Zum Klein-Zach machten sie sich als weiße Zwerge zurecht und führten ein Zwergenballett auf. Als Hoffmann zu Stella überging, erschien die Schönheit wieder. Natürlich gab es Applaus für diesen Klein-Zach. Gut 30 Minuten dauerte das Vorspiel in Lutters Taverne. Gerade noch im Rahmen und durchaus kürzbar.


Links oben Olympia mit Laserschwert, Coppelius und Spalanzani


Eine stumme Umbaupause folgte, die durch die Begleitmusik zum Einzug der Gäste abgekürzt wurde, als der Vorhang noch geschlossen war. Eine futuristisch gestylte High-Tech-Olympia lag auf einem weißen Tisch und spielte gelangweilt mit ihrem Smartfon, dem Fetisch unserer Zeit. Sie wurde von einem extra angestellten Beleuchter angestrahlt. Spalanzani war wie ein Zirkusdirektor gekleidet und die Art seiner Frisur erinnerte entfernt irgendwie an die von Trump, allerdings nicht so deutlich wie die in Meiningen. Coppelius war wie ein Country-Music-Fatzke gestylt mit einer weißen Westernjacke und weit ausgestellten Schultern.


Für die Vogelarie des Niklaus gab es Applaus. Viel dekadenten Glamour und Glitzer gab es unter Spalanzanis Gästen, die auch alle in Weiß gekleidet waren. Gelangweilt und distanziert fingerte Olympia an Hoffmanns Jackett. Für die flotten trois ducats gab es wieder mal Applaus. Spalanzanis überkandidelte Gäste schienen sich für nichts als sich selbst zu interessieren, denn die meisten filmten sich narzisstisch mit ihren Smartfons an Selfiesticks. Nur einige von ihnen filmten die Olympia. Gekleidet waren sie in absurde Kreationen wie man sie auf dekadenten Modeschauen der haute couture sieht.




Schnell und präzise kam das Lob auf Olympias Augen. Da alle Gäste weiß gekleidet waren, ließen sich fantastische bunte Beleuchtungseffekte erzielen. Olympia war gestylt wie ein Wesen aus einem eleganten Weltraumfilm. Blinkende Libellenflügel machten sie unübersehbar. In ihrer Arie meisterte sie auch schwierigste staccato-Passagen. Und dazu musste sie choreografische Einlagen absolvieren. Kräftiger Applaus belohnte sie.


Einen kuzen Augenblick gelang es Hoffmann, ihr ein paar menschliche Regungen zu entlocken, doch dann verwandelte sie sich wieder in das distanzierte Fantasiewesen. Irgendwie musste ich an Barbarella denken. Dann rastete Olympia richtig aus wie ein außer Kontrolle geratener Automat und wurde mit ihrem Laserschwert zur Gefahr für jeden, der sich ihr näherte. Doch erst Coppelius gelang es, sie zu zähmen. Während der gesamte Chor zu Automaten wurde, wandelte sich Olympia zum menschlichen Wesen. Coppelius verrichtete sein Werk. Doch schon tauchte die nächste Olympia aus Spalanzanis Werkstatt auf. Der künstliche programmierte Mensch ist nicht mehr zu stoppen. Die Nashörner vermehren sich unaufhaltsam.


Olympia


Ich kann jetzt nicht sagen, ob diese meine Deutung vom Regisseur so beabsichtigt wurde, aber ich sehe diese Interpretation des Olympia-Aktes als einen Blick in eine nicht mehr zu ferne Zukunft, in der die Menschen normiert, programmiert und manipuliert werden, soweit das nicht schon heute geschieht. Es werden ja immer deutlicher die technischen und multimedialen Grundlagen dafür geschaffen. 1961 unterrichtete ich an einer schottischen Mädchenschule Deutsch. Dort gab es damals schon Privatfernsehen, vor dem wir bis 1982 verschont blieben, bis uns CDU-Kohl damit beglückte. Wenn ich in der Schule Pausenaufsicht hatte, konnte ich entsetzt beobachten, wie die Mädchen im Kreis standen und die Reklamesprüche des Privatfernsehens im Chor aufsagten und das lustig fanden.


Die vielfältigen Quellen der menschlichen Kreativität werden heute schon von einer Schwemme von vorprogrammierten Denkmodellen verstopft. Alle denken und tun das Gleiche, und alle finden das lustig. Wir amüsieren uns geistig zu Tode. Die Kommunikation von Mensch zu Mensch wird durch mediale Kanäle ersetzt, die selbst in der Oper genutzt werden müssen. Ich kann mich an ein paar Opernbesucherinnen erinnern, die alle fünf Minuten ihr Smartfon aus ihrer Handtasche kramten, um nachzuschauen, ob sie jemand auf ihrer Facebook-Seite kontaktiert hatte. Es gab da mal ein Buch von Herbert Marcuse: Der eindimensionale Mensch. Und Marshall McLuhan wurde 1967 mit dem profetischen Slogan bekannt The Medium is the Message/Massage, lange bevor uns die heutigen technischen Kommunikationsmittel zur Verfügung standen. Er erfand auch den Begriff Global Village. Außerdem hatte er 1961 das Werk The Mechanical Bride veröffentlicht.


Applaus für diesen Akt. Das Theater hatte auf Hinweisen gewarnt, dass die erste Pause nach zwei Stunden Spielzeit stattfinden würde.


Antonia und Hoffmann.

Antonia sang gerade die Rolle, die ihr Hoffmann formuliert und zugewiesen hatte.


Es ging gleich weiter mit dem Antonia-Akt. Antonia war ganz in Rot gekleidet und grell geschminkt, wie man das aus der Stummfilmära kennt. Ihre schwarzumränderten Augen sollten wohl auch auf ihre zerbrechliche Gesundheit hinweisen. Alles war überzeichnet. Auch Krespel war überzeichnet wie eine Gestalt aus einem Charlie-Chaplin-Film. Auf Antonias Familienerbe wies rechts ein Opernplakat zu La Traviata hin. Es gibt ja ein paar Parallelen zwischen Antonia und der Kameliendame. Beide sind Sängerinnen und (lungen)krank. Und die Beziehung zu einem geliebten Mann ist schwierig.


Den Franz hatte man nicht gestrichen, ihm aber auch keine für mich erkennbare Rolle in der Oper zugewiesen, wie das bisher nur Lorenzo Fioroni in Osnabrück getan hatte. Franz trat als ein Transvestit auf und führte einen Slapstick auf. U.a. versuchte er sich an einem Can-Can. Sowas freut natürlich gewisse Teile des Publikums.


Dann kam meine geliebte Geigenarie, vorgetragen vom lyrischen Mezzo des Niklaus. Diese Spielzeit beginnt ja gut. In den drei vorhergehenden Vorstellungen in Salzburg, Innsbruck und Krakau hatte man erfreulicherweise die Geigenarie auch nicht gestrichen. Zur Geigenarie umarmten sich Hoffmann und Antonia inniglich. Hatte ich auch noch nicht so gesehen. Applaus selbstverständlich. Den gab es auch für Duette Hoffmann-Antonia.


Antonia und Franz


Der Modearzt und Quacksalber Mirakel war gekleidet wie ein Grandseigneur mit Umhang und Zylinder, als ginge er zu einer Soiree. Antonias Diagnose erfolgte von Angesicht zu Angesicht, wobei Antonia hypnotisiert wirkte. Und schon schoben zwei Totengräber einen Sarg herein. Antonia wurde von allen Seiten durch schleimige giftgrüne Viren bedrängt.


Zu Antonias Ende erschien eine schwarz gekleidete elegante Trauergesellschaft, die dem Sterben der jungen Sängerin interessiert, aber ohne Teilnahme zusah. Ein Jacques Offenbach dirigierte die Musik. Wieder einer der vielen werkskonformen Einfälle in dieser vieldimensionalen Inszenierung. Schließlich ist es ja die von Jacques Offenbach komponierte Musik, an der Antonia stirbt. Habe ich auch noch nicht gesehen. In Bregenz gab es auch einen Jacques Offenbach, aber der wurde nicht Teil der Handlung.


Antonias magischer Reisekoffer ging von selbst auf, und sie wühlte verzweifelt darin herum. Als die Mutter sang, stürzten die Mauern von Antonias Zimmer ein. Panne oder Absicht? Jedenfalls fiel alles um Antonia herum in Trümmer, und die böse Mutter verführte Antonia gnadenlos zum todbringenden Gesang. Und Jacques Offenbach dirigierte immer noch die verführerisch schöne Musik. Hoffmann kann seine Geliebte nicht mehr vor Mirakel und ihrer Mutter retten. Er kann als Dichter nur mehr alles schriftlich dokumentieren. Es gab nur kurzen Applaus für das Terzett, denn die Oper musste weitergehen.


Hoffmann zerriss das Papier des Drehbuches zu Antonias Tod, das ihm Mirakel gereicht hatte. Kräftiger Applaus und Pause. Aus den zwei Stunden waren nun zweieinviertel geworden, aber keine Sekunde war Länge oder gar Langeweile eingetreten. Ich beobachte ja immer wieder, wie Zuschauer eindösen oder sogar schnarchend einschlafen, besonders im Antonia-Akt. Ich wette aber, dass in Trier das niemandem gelingen konnte.


Eine triste sich im Kreis drehende Welt herrschte bei Giulietta. Die Barkarole wurde von einer Piccoloflöte begleitet, das nur schwer gedämpft oder leise zu spielen ist. Giulietta und Niklaus schwebten in einer Gondel herab. Auf der unordentlichen Bühne herrschte viel Glitzer auf den Kostümen. Eine riesige, auf dem Boden ruhende nackte Glühbirne beleuchtete die Szene. Schlemihl stieg aus einem Sarg, eine Pistole in der Hand. Endlich einmal wurde auf die abgenudelte werksfremde Spiegelarie verzichtet zu Gunsten Jacques Offenbachs Original. Man hatte die weniger melodiöse und hektischere Variante gewählt, diegut zum Stil dieser Inszenierung passte. Schlemihl war übrigens sehr ähnlich gekleidet wie Hoffmann. Macht auch Sinn, denn sie gehören ja beide zu Giuliettas Harem.


Die Atmosfäre bei Giulietta war surreal und bizarr, eine verkehrte Welt. So spielten Blinde oder mit Augenbinden Versehene Karten. Schlemihl gab Hoffmann eine Pistole und bedeutete ihm, er solle sich doch damit erschießen. Doch Hoffmann entschied anders und erschoss den Schlemihl. Ungerührt tippte er dann auf dessen Leichnam seine Geschichten weiter.


Giulietta glitzerte wie noch ein paar andere Gestalten auf der Bühne, doch sie war es, die mit ihrem Gesang und ihrer erotischen Ausstrahlung dominierte. Besonders ihr verführerisches Augenspiel wird mir in Erinnerung bleiben. Nun waren zwei Hoffmänner auf der Bühne, wie es schien. Einer, der am Drehbuch schrieb, und einer, der als Hoffmann agierte. Es entbrannte ein Kampf um die Erzählungen. Wie soll es weitergehen? Eine intelligente Anspielung auf die verworrene Aufführungsgeschichte dieses Aktes, an dem so viel herumgebastelt worden war. Ich hoffe, ich habe das richtig verstanden, denn auf der Bühne war es turbulent geworden. Hoffmann gab es nun doppelt, aber er hatte kein Spiegelbild mehr. Interessant.


Giulietta


Die Männer in Giuliettas Entourage hatten nun alle keine Gesichter mehr, sondern nur schwarze Flecke. Hatte Giulietta denen auch ihre Seelen geklaut? Auch alle anderen Frauen waren Giuliettas. So ist nun eben mal auch im richtigen Leben. Dann erschoss Hoffmann die Giulietta, wie das in der Kaye-Keck-Version enthalten ist, und die ganze Welt um ihn herum stürzte ein. Ein apokalyptisches Ende und eine Halbweltdämmerung kündigten sich an. Es ist natürlich Aufgabe des Niklaus, Hoffmann aus dieser prekären Situation herauszuholen, doch die Leidenschaften sind stärker, und Hoffmann drohte Niklaus, ihn zu ermorden, wenn er ihn in seinem Sinnenrausch störe.


Stella, mondän wie immer, kam wieder, betont gemessenen Schrittes, als ginge sie das alles überhaupt nichts an. Aufdringlich schmetterte ihr Hoffmann den Rest des Klein-Zaches ins Ohr. Erneuter Streit zwischen Hoffmann und Lindorf brach aus.


Nun kam die Muse wieder im Kostüm einer grieschischen Tragödin, über dem Gesicht eine Persona-Maske, wie schon zu Anfang. Hoffmann war betäubt von den Ereignissen niedergesunken. Die Muse setzte dem wie Leblosen einen weißen Lorbeerkranaz auf: Bin ich nichts? Du wirst als Himmlischer wiedergeboren …. Lass deine Leidenschaften hinter dir.


Alle Gestalten dieser Oper kamen wieder auf die Bühne und beugten sich zu ihm herab. Sollten ihn seine drei Frauen wieder zum Leben erwecken? Doch etwas ganz anderes geschah. Sie nahmen sein Herz aus seinem Leib und legten es auf den Tisch, auf dem er seine Erzählungen geschrieben hatte. Dazu der Gesang mit leicht abgewandeltem Text:

Groß wird man durch die Liebe,

Größer durch das Herz.


Und dieses Herz, das Organ, das einen Menschen am Leben erhält, wurde wie viele Herzen von Königen und Kaisern, auch von Jesus, verehrt und für die Nachwelt erhalten.


Hoffmann war tot, aber seine Geschöpfe lebten. Ein ungewöhnliches Ende, doch so ist es in der Wirklichkeit, in der nun diese Erzählungen angekommen waren: E.T.A. Hoffmann ist seit 1822 tot, doch seine Figuren leben noch, und er selbst lebt in seinen Werken und in dieser Oper, die vermutlich heute mehr Publikum erreicht als seine Schriften, die es aber ohne ebendiese Erzählungen und die geniale Idee Michel Carrés und Jules Barbiers nicht geben würde.


Spontaner Jubel, bevor der Vorhang geschlossen war, besonders von den teuren Plätzen. Jubel für den hervorragend einstudierten Chor, sehr bald immer wieder aufbrandendes rhythmisches Klatschen, Jubel, aber auch einige Buhrufe für den Widersacher, die sich aber nicht auf seinen Gesang sondern auf seine Rolle beziehen mussten und die der mit einem Stinkefinger kommentierte. Jubel für die Muse und Hoffmann und natürlich für Olympia, Antonia und Giulietta. Bald spendeten viele im Publikum stehenden Applaus.

Alle Rechte an den obigen Szenenfotos liegen beim Theater Trier und beim Fotografen...... Wir danken für die freundliche Zusammenarbeit.


Keine Buhrufe für das Regieteam. Respekt an das Trierer Publikum, das diese schwierige Kost problemlos goutieren konnte. Der Vorhang ging zu und blieb es eine Zeit lang, doch das Publikum gab nicht auf und erzwang eine neue Runde Applaus. Auch die Regie kam zu einem zweiten Auftritt. Doch nach sieben Minuten würgte der schwarze Vorhang den Applaus endgültig ab und war nicht mehr zu bewegen erneut aufzugehen.



Nach der Vorstellung lud das Theater Trier zur Premierenfeier im Foyer, auf der ich Hoffmann Hugo Mallet wieder traf, den ich vor neun Jahren in Nordhausen in der gleichen Rolle kennengelernt hatte. Auch Bonko Karadjov (Franz, Nathanael, Spalanzani, Pitichinaccio) hatte ich in Gut immling kennengelernt.

Ich erfuhr auch, dass ich mit meiner missglückten Reise nach Metz nicht viel versäumt hatte. Die verlorenen Spesen kann ich also beruhigt wegstecken. Folgende Bilder entstanden in Trier:




Olympia, Antonia, Giulietta, Muse



Dirigent und Olympia



Antonia, Franz und Olympia




Hoffmann und Regisseur Thilo Reinhardt







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