Das futuristische Gebäude des Winterthurer Theaters





Magdeburger »Hoffmann« als Gastspiel in Winterthur

www.theater-winterthur.ch



besuchte Vorstellung 19. März 2013






Regie


Christian von Götz

Dirigent


Pawel Poplawski

Chorleitung


Martin Wagner

Bühnenbild


Ulrich Schulz

Kostüme


Carolin Roider

Version


Oeser

Sprache


Deutsch




Hoffmann


Erin Caves

Manfred Wulfert

Muse


Lucia Cervoni

Olympia


Julie Martin de Theil

Antonia


Ute Bachmaier

Giulietta


Undine Dreißig

Widersacher


Martin-Jan Nijhof








Was »Hoffmänner« angeht, verwöhnt mich kein anderes Land so wie die kleine Schweiz. Gestern sah ich den sechsten »Hoffmann« in sechs Jahren in der Eidgenossenschaft. 2008 Bern, Genf und Luzern, 2010 Zürich, 2012 Selzach, und nun Winterthur. Jetzt warte ich noch auf »Hoffmänner« in St. Gallen und Basel. Bitte beeilen, ich befinde mich im 73. Lebensjahr.


Das Theater Winterthur hat kein eigenes Ensemble, was verständlich ist, denn Zürich mit seinem renommierten Opernhaus ist nur gut 20 km entfernt. Man lädt fremde Theaterensembles zu Gastspielen ein. Und mit dem Madeburger »Hoffmann« hat man eine hervorragende Wahl getroffen. Regisseur Christian von Götz hat innerhalb von vier Jahren nach Lissabon (Spielzeit 2007/2008) in Magdeburg einen zweiten »Hoffmann« inszeniert. Und der zweite ist ihm viel besser gelungen und war völlig frei von Anleihen aus dem ersten.


Christian von Götz´ Magdeburger »Hoffmann« ist einer der wenigen Inszenierungen, in denen der Regisseur diese Oper verstanden hat und ihr gleichzeitig eine eigene Handschrift verpasste, ohne die eigentliche Botschaft dieser Oper zu verzerren. Im Gegenteil, Christian von Götz hat die Botschaft dieser Oper noch verdeutlicht. Nachdem der Schluss bei der Premiere in Magdeburg wegen einer technischen Panne etwas undeutlich war, wollte ich mir diese Inszenierung noch ein Mal ansehen, und da Winterthur nur halb so weit von München entfernt ist wie Magdeburg, sparte ich einige Reisekosten.


Dazu kam noch, dass ich einen Schweizer Freund treffen wollte, der 1964 in Aberdeen mit seiner damaligen Freundin und heutigen Frau einen »Hoffmann« im Rahmen einer Pre Westend tour gesehen hatte und seitdem keinen mehr. Er kam nach Winterthur angereist.


Das Winterthurer Theater befindet sich in einem futuristischen Gebäudekomplex im Stadtzentrum und hat 800 Sitzplätze. Vor der Vorstellung gab es eine Einführung durch den künstlerischen Leiter des Theaters Thomas Guglielmetti, der durch die europäische Theaterlandschaft reist und Kandidaten für Gastspiele sucht. Mit dem Magdeburger »Hoffmann« hat er eine gute Wahl getroffen. Statt wischi-waschi-08/15-»Hoffmänner« immer wieder in Theatern zwischen Madrid, Bergen/Norwegen, Toulouse und Tel Aviv aufzuführen, wurde nun endlich einer der wenigen gelungenen avantgardistischen »Hoffmänner« an einem zweiten Ort aufgeführt. Leider hat bisher niemand den Osnabrücker »Hoffmann« Lorenzo Fioronis wieder aufleben lassen, oder Johannes Eraths Inszenierung für Bern.


Es geschieht leider viel zu selten, dass herausragende Inszenierungen auf Reisen gehen. Meist werden gefällige und oberflächliche, oft missverstandene Inszenierungen immer wieder aufgeführt oder im Fernsehen übertragen, statt sie im Orkus der Operngeschichte verschwinden zu lassen, wie zum Beispiel die Inszenierung Nicolas Joëls, die ich in Bergen sah und in weiteren vier Metropolen gespielt wurde. Oder vor gut vier Wochen sah ich in am berühmten Teatro Liceu in Barcelona die zehn Jahre alte Inszenierung Pellys, die mehr durch verspielte Gags als durch echtes Verständnis der Oper glänzte. Im Sommer wird sie in San Francisco wiederbelebt. Hätte man dort doch die Magdeburger oder Osnabücker Truppe eingeladen.


In dieser Besprechung verweise ich hauptsächlich auf meinen Premierenbericht von Magdeburg und erwähne hier nur, was mir bei meinem zweiten Besuch dieser Inszenierung zusätzlich auffiel.


Vor Beginn der Vorstellung kündigte der künstlerische Leiter eine tatsächliche Umbesetzung und eine mögliche an. Die zweite Oboistin des Magdeburger Orchesters war erkrankt und musste ersetzt werden. Glücklicherweise fand man in Winterthur eine Kollegin, der aber diese Partitur unbekannt war. So machte sie sich tagsüber ans Üben, und ich darf gleich vorausschicken, dass ihr das gelungen war, denn ich hörte während der gesamten Vorstellung keinen falschen Ton aus dem Orchestergraben. Das Magdeburger Orchester insgesamt hatte mich schon bei der Premiere überzeugt.


Dann wurde noch angekündigt, dass sich der für diesen Abend geplante Sänger des Hoffmann unwohl fühlte und nicht sicher war, ob er die gesamte Oper durchstehen werde. Aber man hatte einen zweiten Hoffmann mitgebracht, der voll geschminkt in den Kulissen auf dem Sprung stand und jeden Augenblick für Erin Caves einspringen konnte, falls diesen die Kräfte verlassen sollten. So kam es, dass nach der Pause Manfred Wulfert die Titelrolle übernahm. Erin Caves hatte jedoch keinerlei Anzeichen von Schwäche erkennen lassen. Das wurde echt professionell über die Bühne gebracht.


Hier nun meine zusätzlichen Beobachtungen, die über meinen Bericht von Magdeburg hinausgehen:


Der Mord an Stella in der ersten Szene wurde von einer mit einer Gesichtsmaske vermummten Person ausgeführt.


Als Hoffmann in seiner Kleinzach-Arie zu Stella überging, sang er das große Portrait Stellas an und blickte sehnsüchtig darauf. Während er von ihr sang, ging die stumme Stella über die Bühne.


Bevor Hoffmann Olympia zu Gesicht bekam, war sie als Silhouette hinter einem weißen Vorgang zu sehen, und es wurde an ihr noch gearbeitet. Der Chor sang das Lob auf Olympia in schnellem Originaltempo und mit großer Präzision. (An manchen Theatern hatte man das Tempo gedrosselt, da man offensichtlich Orchester und Chor bei den schnellen Passagen nicht in Gleichtakt brachte.)


Olympia sang ihre Arie auf Französisch, wie auch später Antonia ihr Auftrittslied.



Antonia richtete eine Pistole auf ihre Brust und erschoss sich sozusagen selbst. Auch ihre Mutter erledigte sie damit. Auch Stella war tot, von Niklaus betrauert. Dass Antonia Selbstmord begeht ist eine werkskonforme Interpretation der Regie, denn schließlich erliegt sie leichtsinnigerweise den Einflüsterungen des Quacksalbers Mirakel.


Im Giulietta-Akt wurde Jacques Offenbachs Originalmelodie der Diamantenarie gesungen und nicht die von fremder Hand hinzugefügte, aber beliebte gewohnte sogenannte Spiegelarie.


Das Spiegel-Duett Hoffmann – Giulietta wurde wunderschön gesungen. Der aufkeimende Szenenapplaus wurde aber vom Dirigenten nicht zugelassen.


Das Sextett wurde wie in Magdeburg vom beiderseits des Parketts aufgestellten Chor begleitet und bot in dem Theater mit seiner hervorragenden Akustik ein überwältigendes Klangerlebnis. Es stammt ja nicht von Jacques Offenbach selbst, ist aber trotzdem schön anzuhören.


Im Finale sang Hoffmann Stellas Portrait an: Sind Sie Olympia, Antonia, Giulietta?


Die Muse kam herein und trug die Gesichtsmaske des Stella-Mörders in der Hand und gestand so den Mord an ihrer Rivalin Stella. Daraufhin wurde sie von Hoffmann beschuldigt: Du hast mein Leben zerstört.




Das in Magdeburg bei der Premiere ziemlich unverständliche Ende klärte sich in Winterthur auf. Nach Hoffmanns Anklage an Stella entwickelte sich zwischen beiden eine heftige Diskussion, wie man leben soll: exzessiven Hedonismus oder Veränderung. Die Antwort ist klar. Die Vernunft muss gewinnen, denn Hoffmann ist mit seinen drei unüberlegten Liebeserlebnissen grandios gescheitert. Also sollte er auf die Stimme der Vernunft, verkörpert von der Muse, hören.


Genau das hat vor knapp 2500 Jahren mein Lieblingsphilosof Epikur gesagt. Für ihn gibt es vernünftige und unvernünftige Freuden. »Man kann nicht lustvoll leben, ohne zugleich vernünftig zu leben, und umgekehrt nicht vernünftig, ohne lustvoll zu leben.« Epikur lehrte auch, dass hemmungsloses Ausleben der Lust zu Schmerzen führen muss. Diese Maxime hat Hoffmann zu spüren bekommen, besonders im Giulietta-Akt.


Veränderung dagegen ist das, was uns am Leben hält. Wer nicht dazulernt, ist tot. Und Hoffmann hat – in dieser Inszenierung – gelernt, und geholfen hat ihm die Muse. Das ist auch die Meinung des Erfinders der Psychoanalyse Sigmund Freud. Das Ziel einer Therapie ist nicht die Erkenntnis, sondern die Veränderung, und die beschwor Christian von Götz am Ende seiner bemerkenswerten Inszenierung.


Das Publikum spendete kräftigen Applaus, der fast sieben Minuten dauerte. Alle Solisten wurden gefeiert, am meisten die Interpreten des Widersachers und der Olympia. Danach gab es auf der Bühne einen Sektempfang für die 150 angereisten Magdeburger, bei denen sich der künstlerische Leiter des Winterthurer Theaters von einer Staffelei herab für ihr Kommen bedankte und die Hoffnung ausdrückte, sie würden wieder einmal in Winterthur gastieren.

Leider hatte ich in Winterthur kein bezahlbares Hotelzimmer gefunden. Klar, denn 150 Magdeburger mussten untergebracht werden. So fuhr ich durch die Nacht zurück nach München ohne einzunicken, denn dieser großartige »Hoffmann« hatte mich so beschwingt, dass ich glücklich und zufrieden im drei Uhr morgens wieder zu Hause war.




Dank an das Magdeburger Ensemble



Drei hübsche und charmante Magdeburger Choristinnen, noch geschminkt wie im Giulietta-Akt






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